Bauwerk
Pinguinbecken im Regent's Park Zoo
Berthold Lubetkin, Architektengruppe Tecton - London (GB) - 1934
Der Zoo als konstruktivistische Bühne
5. Januar 1998 - Hubertus Adam
Während sich auf dem europäischen Kontinent längst die Avantgarde des Internationalen Stils etabliert hatte, so dass Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson 1932 mit ihrer Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art eine erste Bilanz ziehen konnten, blieb Englands Baukunst bis in die dreissiger Jahre weitgehend traditionell bestimmt.
Zwar war die Arts-and-Crafts-Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts mit ihrer Forderung nach Materialgerechtigkeit und Zweckmässigkeit selbst Geburtshelferin des modernen Bauens gewesen, doch trat die Architekturentwicklung auf der Insel in den zwanziger Jahren in ein Stadium der Stagnation. Im Siedlungsbau herrschte noch immer der perpetuierte Landhaustypus vor, bei repräsentativen Aufgaben befleissigte man sich dagegen vornehmlich eines akademischen Neoklassizismus, wie ihn Edwin Lutyens vertrat.
Es waren vorab europäische Emigranten, welche die Formprinzipien der «weissen Moderne» in den dreissiger Jahren in England heimisch machten: Marcel Breuer, Erich Mendelsohn, Walter Gropius, vor allem aber Berthold Lubetkin (1901-1990).
Mit dem Pinguinbecken (1934) für den Londoner Zoo im Regent's Park errichtete Lubetkin, der 1932 mit sechs Absolventen der Architectural Association die Architektengruppe Tecton gegründet hatte, ein ebenso elegantes wie funktionales Kleinbauwerk, das zu den Meisterleistungen des Internationalen Stils gehört und im britischen Kontext als bahnbrechend einzustufen ist. Die Verbindung von Architektur und Plastik, von freier Gestaltung und tektonischer Strenge hat hier zu selten erreichter Vollkommenheit gefunden.
Bevor der 1901 im georgischen Tiflis geborene Lubetkin 1931 nach London kam, hatte ihn ein unstetes Wanderleben, bei dem sich Ausbildung und Praxis mischten, im Verlauf von gut zehn Jahren durch die bedeutenden Metropolen Europas geführt. Nach einer zweijährigen Ausbildung an den revolutionären Kunstschulen in Moskau und Petrograd (unter anderem bei Tatlin, Rodtschenko und Alexander Wesnin) übersiedelte der angehende Architekt 1922 nach Berlin. Dort assistierte er El Lissitzky bei der Ausstellung sowjetischer Kunst in der Galerie van Diemen. Studienaufenthalte in Wien und Warschau schlossen sich an, ausserdem arbeitete Lubetkin zeitweilig bei Bruno Taut in Magdeburg und Ernst May in Frankfurt. 1925 kam er nach Paris, wo er an der Planung der Bauten von Melnikow und Rodtschenko für die Art-déco-Ausstellung beteiligt war und sein Studium an verschiedenen Hochschulen fortsetzte. Ein Apartmentgebäude an der Avenue de Versailles war das einzige Bauprojekt, das von der 1927 bis 1929 bestehenden Bürogemeinschaft mit dem Pariser Architekten Jean Ginsberg realisiert wurde. Mit seiner dezidiert modernen Formensprache vermochte Lubetkin jedoch in der französischen Kapitale nicht dauerhaft Fuss zu fassen.
So kam das Angebot aus London, ein Haus für eine russische Emigrantin zu bauen, zur rechten Zeit, zumal Lubetkin schon in Paris den Londoner Architekturstudenten Godfrey Samuel kennengelernt hatte, der ihn in London einführte und 1932 Gründungsmitglied von Tecton wurde.
Samuels Freundschaft mit Solly Zuckerman, einem Forscher des Londoner Zoos, war es zu verdanken, dass die Direktion des Tierparks Tecton sukzessive mit der Planung einiger Zoobauten beauftragte. Zuerst entstand ein Gorillahaus (1932/33), dann folgten das Pinguinbecken und wenig später das Nordtor mit Erfrischungspavillon. Das Pinguingebäude besteht aus einer elliptischen Mauerschale, die teils als Brüstung, teils als Wand ausgebildet ist, ein vertieft gelegenes Wasserbecken umfriedet und so den Bereich der Tiere von dem der Menschen trennt. Formale Attraktion der Anlage sind zwei in der Mitte befindliche, U-förmige Rampen in diagonaler Ausrichtung. Diese überlagern sich als freitragende Stahlbetonkonstruktionen dergestalt, dass der Eindruck einer Spirale entsteht. Die Pinguine können die Rampen emporwatscheln und gelangen entweder auf ein Podest, von dem aus eine Treppenrampe wieder hinunter zum Becken führt, oder sie steigen eine weitere Treppe hinauf zu einem Tauchschacht, der sich nach aussen, also zum Publikum hin, zu einem Aquariumfenster öffnet.
Lubetkin und seine Tecton-Gruppe revolutionierten mit ihrem Pinguinbecken die Zooarchitektur. Weder entwarfen sie eine simple umzäunte Beckenanlage, noch versuchten sie, den antarktischen Lebensraum der Pinguine mit Felsen und Schollen in der Art eines Dioramas zu imitieren. Statt dessen errichteten sie ein konstruktivistisches Raumgebilde, das der Motorik und dem Bewegungsrhythmus der Tiere entsprechende, abwechslungsreiche Teilbereiche zum Schwimmen, Tauchen, Laufen oder Stehen aufweist: Nistkästen, Beckenränder, Stege, Treppen, Rampen, Flachbecken und Tauchschacht. Um den Tieren möglichst viele Sinneseindrücke beim Laufen zu ermöglichen, besteht der Boden nicht durchgehend aus Beton, sondern ist teilweise mit Gummi oder Schieferplatten belegt. Die gerade im Sommer nötigen Schattenzonen entstehen durch Wandpartien, die über der Brüstung schweben und dem filigranen Gebäude erst Volumen verleihen.
Viele Londoner fragten sich, wie die Zeitschrift «Mother and Child» 1938 resümierte, warum es für menschliche Wesen nicht ebenso wie für die Pinguine einen Lebensraum geben könne, der ihren Bedürfnissen entspricht.
Nicht romantisch verklärte Natur entwarfen die Architekten mit dem Pinguinbecken im Regent's Park Zoo, sondern ein artifizielles Panorama, eine abstrakte Bühnenlandschaft, eine Kunstwelt. Die Inszenierung, in welcher die Pinguine unfreiwillig die Darsteller sind, dient dem Publikum - wie im richtigen Schauspiel - zur Belehrung und zur Erbauung.
Zwar war die Arts-and-Crafts-Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts mit ihrer Forderung nach Materialgerechtigkeit und Zweckmässigkeit selbst Geburtshelferin des modernen Bauens gewesen, doch trat die Architekturentwicklung auf der Insel in den zwanziger Jahren in ein Stadium der Stagnation. Im Siedlungsbau herrschte noch immer der perpetuierte Landhaustypus vor, bei repräsentativen Aufgaben befleissigte man sich dagegen vornehmlich eines akademischen Neoklassizismus, wie ihn Edwin Lutyens vertrat.
Es waren vorab europäische Emigranten, welche die Formprinzipien der «weissen Moderne» in den dreissiger Jahren in England heimisch machten: Marcel Breuer, Erich Mendelsohn, Walter Gropius, vor allem aber Berthold Lubetkin (1901-1990).
Mit dem Pinguinbecken (1934) für den Londoner Zoo im Regent's Park errichtete Lubetkin, der 1932 mit sechs Absolventen der Architectural Association die Architektengruppe Tecton gegründet hatte, ein ebenso elegantes wie funktionales Kleinbauwerk, das zu den Meisterleistungen des Internationalen Stils gehört und im britischen Kontext als bahnbrechend einzustufen ist. Die Verbindung von Architektur und Plastik, von freier Gestaltung und tektonischer Strenge hat hier zu selten erreichter Vollkommenheit gefunden.
Bevor der 1901 im georgischen Tiflis geborene Lubetkin 1931 nach London kam, hatte ihn ein unstetes Wanderleben, bei dem sich Ausbildung und Praxis mischten, im Verlauf von gut zehn Jahren durch die bedeutenden Metropolen Europas geführt. Nach einer zweijährigen Ausbildung an den revolutionären Kunstschulen in Moskau und Petrograd (unter anderem bei Tatlin, Rodtschenko und Alexander Wesnin) übersiedelte der angehende Architekt 1922 nach Berlin. Dort assistierte er El Lissitzky bei der Ausstellung sowjetischer Kunst in der Galerie van Diemen. Studienaufenthalte in Wien und Warschau schlossen sich an, ausserdem arbeitete Lubetkin zeitweilig bei Bruno Taut in Magdeburg und Ernst May in Frankfurt. 1925 kam er nach Paris, wo er an der Planung der Bauten von Melnikow und Rodtschenko für die Art-déco-Ausstellung beteiligt war und sein Studium an verschiedenen Hochschulen fortsetzte. Ein Apartmentgebäude an der Avenue de Versailles war das einzige Bauprojekt, das von der 1927 bis 1929 bestehenden Bürogemeinschaft mit dem Pariser Architekten Jean Ginsberg realisiert wurde. Mit seiner dezidiert modernen Formensprache vermochte Lubetkin jedoch in der französischen Kapitale nicht dauerhaft Fuss zu fassen.
So kam das Angebot aus London, ein Haus für eine russische Emigrantin zu bauen, zur rechten Zeit, zumal Lubetkin schon in Paris den Londoner Architekturstudenten Godfrey Samuel kennengelernt hatte, der ihn in London einführte und 1932 Gründungsmitglied von Tecton wurde.
Samuels Freundschaft mit Solly Zuckerman, einem Forscher des Londoner Zoos, war es zu verdanken, dass die Direktion des Tierparks Tecton sukzessive mit der Planung einiger Zoobauten beauftragte. Zuerst entstand ein Gorillahaus (1932/33), dann folgten das Pinguinbecken und wenig später das Nordtor mit Erfrischungspavillon. Das Pinguingebäude besteht aus einer elliptischen Mauerschale, die teils als Brüstung, teils als Wand ausgebildet ist, ein vertieft gelegenes Wasserbecken umfriedet und so den Bereich der Tiere von dem der Menschen trennt. Formale Attraktion der Anlage sind zwei in der Mitte befindliche, U-förmige Rampen in diagonaler Ausrichtung. Diese überlagern sich als freitragende Stahlbetonkonstruktionen dergestalt, dass der Eindruck einer Spirale entsteht. Die Pinguine können die Rampen emporwatscheln und gelangen entweder auf ein Podest, von dem aus eine Treppenrampe wieder hinunter zum Becken führt, oder sie steigen eine weitere Treppe hinauf zu einem Tauchschacht, der sich nach aussen, also zum Publikum hin, zu einem Aquariumfenster öffnet.
Lubetkin und seine Tecton-Gruppe revolutionierten mit ihrem Pinguinbecken die Zooarchitektur. Weder entwarfen sie eine simple umzäunte Beckenanlage, noch versuchten sie, den antarktischen Lebensraum der Pinguine mit Felsen und Schollen in der Art eines Dioramas zu imitieren. Statt dessen errichteten sie ein konstruktivistisches Raumgebilde, das der Motorik und dem Bewegungsrhythmus der Tiere entsprechende, abwechslungsreiche Teilbereiche zum Schwimmen, Tauchen, Laufen oder Stehen aufweist: Nistkästen, Beckenränder, Stege, Treppen, Rampen, Flachbecken und Tauchschacht. Um den Tieren möglichst viele Sinneseindrücke beim Laufen zu ermöglichen, besteht der Boden nicht durchgehend aus Beton, sondern ist teilweise mit Gummi oder Schieferplatten belegt. Die gerade im Sommer nötigen Schattenzonen entstehen durch Wandpartien, die über der Brüstung schweben und dem filigranen Gebäude erst Volumen verleihen.
Viele Londoner fragten sich, wie die Zeitschrift «Mother and Child» 1938 resümierte, warum es für menschliche Wesen nicht ebenso wie für die Pinguine einen Lebensraum geben könne, der ihren Bedürfnissen entspricht.
Nicht romantisch verklärte Natur entwarfen die Architekten mit dem Pinguinbecken im Regent's Park Zoo, sondern ein artifizielles Panorama, eine abstrakte Bühnenlandschaft, eine Kunstwelt. Die Inszenierung, in welcher die Pinguine unfreiwillig die Darsteller sind, dient dem Publikum - wie im richtigen Schauspiel - zur Belehrung und zur Erbauung.
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