Bauwerk
Sanierung der Redoutensäle
Manfred Wehdorn - Wien (A) - 1997
Im Land der vergoldeten Asche
Kaum waren im November 1992 die letzten Glutnester in den Redoutensälen gelöscht, brach auch schon der Glaubenskrieg los: rekonstruieren oder neu gestalten? Herausgekommen ist ein Kompromiß. Fünf Jahre nach dem Hofburg-Brand: ein Lokalaugenschein.
26. Oktober 1997 - Christian Kühn
Bis zum Brand im November 1992 waren die Redoutensäle aus dem öffentlichen Bewußtsein so gut wie verschwunden. Von den Aufführungen der Staatsoper, die bis Anfang der siebziger Jahre im großen Saal stattfanden, schwärmen Opernfreunde zwar noch heute. 1974 zog hier jedoch die KSZE ein und verwandelte die Räume in ein von der Öffentlichkeit hermetisch abgeschirmtes Konferenzzentrum. So war das lustvolle Entsetzen angesichts des Brandes nicht größer als bei anderen Großbränden auch, und als staatsgefährdend wurde vorerst nur der Wasserschaden in der Winterreitschule angesehen, deren durchfeuchtete Decke die Lipizzaner zu erschlagen drohte.
Als schließlich die letzten Glutnester gelöscht waren, stellte sich die Frage: Was ist da eigentlich aus- respektive abgebrannt? Die erste Erweiterung der alten Hofburg an dieser Stelle, der „Komödiensaal“, datiert aus der Zeit um 1630 und brannte schon 1699 wieder aus. Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden zuerst die unmittelbar angrenzenden Bauten der Nationalbibliothek und der Winterreitschule errichtet, bevor der Redoutentrakt von Jean-Nicolas Jadot renoviert wurde: Auf Jadot gehen die Gliederung in großen und kleinen Redoutensaal und die ursprüngliche Ausstattung der Säle zurück.
Der kleine Redoutensaal blieb seither im wesentlichen unverändert, während der große Saal immer wieder umgestaltet wurde: Balkone und Treppen wurden ein- und später wieder ausgebaut, die Pilastergliederung Jadots wurde verändert, verschwand im klassizistischen Plan Höhenrieders von 1838 ganz, um schließlich 1892 in Ferdinand Kirschners Umgestaltung wieder aufzutauchen. Die gemalte barocke Decke aus dem 18. Jahrhundert wurde durch eine Stuckdecke in wechselnden Dekors ersetzt.
Die Diskussion um die Redoutensäle hatte einerseits diese historischen Fakten und damit den kunst- und kulturhistorischen Wert der einzelnen Bauteile und andererseits deren Zustand nach dem Brand in Erwägung zu ziehen. Man hätte diese Diskussion rational führen können. Aber schon bald war in den Medien von einer bösen Ahnung zu lesen: Zuerst kommt das Feuer, dann das Löschwasser - und schließlich kommen die Architekten und geben dem schönen alten Saal den Rest. Wollte tatsächlich jemand den Versuch wagen, in die Mauern der Hofburg einen Repräsentations- und Veranstaltungsraum des späten 20. Jahrhunderts zu implantieren?
Solche Themen lassen sich prächtig emotionalisieren. Schon bald nach dem Brand hatte der damalige Wirtschaftsminister Schüssel die Hofburg zu einem „nationalen Symbol“ erklärt. Gustav Peichl stellte klar, daß „moderne Architektur dort stattfinden sollte, wo sie hingehört“, und Erhard Busek ließ als Wissenschaftsminister „definitiv“ bekanntgeben, „daß es sich um eine Rekonstruierung und nicht um moderne Architektur“ handeln werde, „aus dem einfachen Grund, weil nicht so viel zerstört wurde, wie man zunächst angenommen hatte“.
Im Frühjahr 1993 beginnt der Streit zu eskalieren. Gottfried von Einem warnt vor der „Verschandelung“ durch eine vielleicht doch drohende „moderne“ Neugestaltung. Die Gegenseite kontert mit der Furcht vor „historischem Firlefanz“ und einem „Trugbild im Geiste des Sentimentalen“ und lobt die Vorgehensweise der britischen Denkmalpflege nach dem Brand von Schloß Windsor: Dort sei bereits ein Wettbewerb unter „modernen“ Architekten für den Wiederaufbau im Gange. Was sich übrigens später als Märchen herausstellt: Heute kann man in Windsor eine historisierende Rekonstruktion der übelsten Sorte besichtigen.
Bei einer denkwürdigen Podiumsdiskussion Ende März 1993 werden alle Argumente noch einmal vorgebracht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Entscheidung aber schon gefallen: Manfred Wehdorn hatte kurz zuvor den Auftrag als Generalplaner für die Sanierung der Redoutensäle erhalten. Die notwendige Diskussion, warum in Österreich ein „nationales Symbol“ nicht entwicklungsfähig ist, sondern nur konserviert werden darf, bleibt aus. Von der Politik wird die Chance, Identität einmal nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart zu suchen, nicht einmal ignoriert.
Nur auf einer kleinen Nebenfront läuft die Diskussion weiter: Sind tatsächlich „80 Prozent der alten Konstruktion trotz des Feuers erhalten“, wie die „Kronen Zeitung“ zu berichten weiß? Für den kleinen Redoutensaal traf das sicher zu. Dort waren nur Teile der Decke eingestürzt, ansonsten aber kaum grobe Schäden zu verzeichnen. Der große Saal war dagegen offensichtlich schwer beschädigt: Decke und Dachstuhl waren völlig eingestürzt, die Sockelzone bis auf viereinhalb Meter Höhe zerstört. Scheinbar gut erhalten war nur die mittlere Zone der Wand mit ihren Stuckarbeiten. Aber schon bald stellt sich heraus, daß dieser oberflächliche Eindruck trügerisch ist. Der Stuck entzieht sich jedem konventionellen Restaurierungsversuch, indem er sich bei Berührung in Staub auflöst. Hitze und Löschwasser haben ihn in der Substanz zerstört.
Kunsthistorisch wäre das kein Unglück gewesen. Stuck dieser Qualität aus dem Jahr 1892 ist in Wien noch öfter anzutreffen. Aber politisch war die Wiederherstellung eine absolute Notwendigkeit, wäre doch sonst die ganze Diskussion von neuem losgebrochen. Im Mai 1993 wird daher ein Probefeld wiederhergestellt, nach dessen Vorbild die Gesamtsanierung erfolgt. Die Reste des Stucks werden an der Wand chemisch gefestigt und teilweise in situ ergänzt. Kompliziertere Teile wie Säulenkapitelle, die schon 1892 als Versatzstuck zuerst gegossen und dann an der Wand befestigt worden waren, müssen anders behandelt werden. Ihre Reste werden von der Wand abgenommen und in Formen gelegt, die dann neu ausgegossen werden. Sensationell daran ist weniger das Verfahren an sich, sondern die Bereitschaft, so viel Aufwand in die Erneuerung und Ergänzung eines kunsthistorisch so unbedeutenden Bestandes zu investieren.
Dort, wo im großen Saal nichts mehr erhalten war, sollte, ganz im Sinne einer wissenschaftlich orientierten Denkmalpflege, im „Stile unserer Zeit“ gearbeitet werden. In diesem Punkt hat sich Wehdorn gegen das Bundesdenkmalamt durchgesetzt, das eine Rekonstruktion der Decke des großen Saals für durchaus machbar gehalten hätte. Vor Jahren entschied das Denkmalamt bei einem anderen Bau Jean-Nicolas Jadots, der heutigen Akademie der Wissenschaften, in einer ähnlichen Frage noch für die Rekonstruktion: 1962, nach dem Brand des Festsaals, hätte Oskar Kokoschka dort die Decke neu malen sollen. Statt dessen kam eine Kopie des Barockfreskos nach alten Photos zur Ausführung.
Josef Mikls Deckenbild im Redoutensaal ist freilich ein anderer Fall. Es ist keine architekturbezogene Monumentalmalerei, die Kokoschka noch zuzutrauen gewesen wäre, sondern einfach ein sehr großes, an der Decke befestigtes und durchaus schön anzusehendes Bild. Da ist es nur konsequent, daß Mikl sich weigerte, die Kabel der Beleuchtungskörper durch sein schönes Bild zu führen (obwohl das in der Ausschreibung für den Wettbewerb so gefordert war); jetzt hängen die Lampen am Rand und müssen sich dort einigermaßen schlank machen.
Das alles geht freilich auf Kosten des räumlichen Gesamteindrucks. Zwar sind überall die historischen Schichten klar herausgearbeitet, das Ergebnis ist jedoch mehr ein Präparat als ein Raum, in dem sich die Teile - wie im kleinen Redoutensaal - zu einem Ganzen verbinden.
Ähnlich verhält es sich auch mit vielen Ergänzungen, die um die eigentlichen Säle herum eingefügt wurden. Überall, so sagt der Architekt, wo Neues eingefügt wurde, sei „in der Sprache des Jahres 1997“ gearbeitet worden. Aber beschränkt sich die wirklich auf Edelstahl, Glas und polierten Marmor? Ist nicht diese Zuordnung von Materialien zu einer Epoche überhaupt unmöglich und bedient letztlich nur die gängigen Klischees, die sonst gegen die Moderne vorgetragen werden?
Im Dachgeschoß führt Wehdorn vor, was er selbst unter moderner Ästhetik versteht. Hier ist das Pressefoyer entstanden, ein Raum, der über die ganze Länge der beiden darunterliegenden Säle geht. Eine Leimbinderkonstruktion, aufgeladen mit High-Tech-Accessoires, trägt das Dach. An der Nordseite belichtet ein riesiges Fenster den Raum. Dann, etwas im Hintergrund und ein Halbgeschoß abgesenkt: die Kugel mit der Verkleidung aus blauem Glas.
Hier, in einem hermetisch abgeschlossenen Konferenzraum, soll während der EU-Präsidentschaft Österreichs der EU-Ministerrat tagen. Zwei Brücken verbinden das Kugelinnere mit der Außenwelt der wartenden Journalisten. Der ikonologische Gehalt dieser Anlage ist schwer zu bestimmen: Sie hat jedenfalls gute Chancen, zum Symbol eines postmodernen Kakanien zu werden, zum Liebling aller Fernsehmoderatoren.
Wenn die Redoutensäle am Nationalfeiertag ausgerechnet mit Ausschnitten aus Opern Leopolds I. eröffnet werden, sollte man sich an einen Satz von Karl Kraus erinnern, dessen Gedicht „Jugend“ das Thema zu Mikls großem Deckenbild abgab: Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht der Asche. In Wien ist es in den letzten 50 Jahren meisterhaft gelungen, die Asche zu vergolden. Kompromisse wie hier in den Redoutensälen oder beim viel wichtigeren Projekt des Museumsquartiers werden daran nicht viel ändern.
Als schließlich die letzten Glutnester gelöscht waren, stellte sich die Frage: Was ist da eigentlich aus- respektive abgebrannt? Die erste Erweiterung der alten Hofburg an dieser Stelle, der „Komödiensaal“, datiert aus der Zeit um 1630 und brannte schon 1699 wieder aus. Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden zuerst die unmittelbar angrenzenden Bauten der Nationalbibliothek und der Winterreitschule errichtet, bevor der Redoutentrakt von Jean-Nicolas Jadot renoviert wurde: Auf Jadot gehen die Gliederung in großen und kleinen Redoutensaal und die ursprüngliche Ausstattung der Säle zurück.
Der kleine Redoutensaal blieb seither im wesentlichen unverändert, während der große Saal immer wieder umgestaltet wurde: Balkone und Treppen wurden ein- und später wieder ausgebaut, die Pilastergliederung Jadots wurde verändert, verschwand im klassizistischen Plan Höhenrieders von 1838 ganz, um schließlich 1892 in Ferdinand Kirschners Umgestaltung wieder aufzutauchen. Die gemalte barocke Decke aus dem 18. Jahrhundert wurde durch eine Stuckdecke in wechselnden Dekors ersetzt.
Die Diskussion um die Redoutensäle hatte einerseits diese historischen Fakten und damit den kunst- und kulturhistorischen Wert der einzelnen Bauteile und andererseits deren Zustand nach dem Brand in Erwägung zu ziehen. Man hätte diese Diskussion rational führen können. Aber schon bald war in den Medien von einer bösen Ahnung zu lesen: Zuerst kommt das Feuer, dann das Löschwasser - und schließlich kommen die Architekten und geben dem schönen alten Saal den Rest. Wollte tatsächlich jemand den Versuch wagen, in die Mauern der Hofburg einen Repräsentations- und Veranstaltungsraum des späten 20. Jahrhunderts zu implantieren?
Solche Themen lassen sich prächtig emotionalisieren. Schon bald nach dem Brand hatte der damalige Wirtschaftsminister Schüssel die Hofburg zu einem „nationalen Symbol“ erklärt. Gustav Peichl stellte klar, daß „moderne Architektur dort stattfinden sollte, wo sie hingehört“, und Erhard Busek ließ als Wissenschaftsminister „definitiv“ bekanntgeben, „daß es sich um eine Rekonstruierung und nicht um moderne Architektur“ handeln werde, „aus dem einfachen Grund, weil nicht so viel zerstört wurde, wie man zunächst angenommen hatte“.
Im Frühjahr 1993 beginnt der Streit zu eskalieren. Gottfried von Einem warnt vor der „Verschandelung“ durch eine vielleicht doch drohende „moderne“ Neugestaltung. Die Gegenseite kontert mit der Furcht vor „historischem Firlefanz“ und einem „Trugbild im Geiste des Sentimentalen“ und lobt die Vorgehensweise der britischen Denkmalpflege nach dem Brand von Schloß Windsor: Dort sei bereits ein Wettbewerb unter „modernen“ Architekten für den Wiederaufbau im Gange. Was sich übrigens später als Märchen herausstellt: Heute kann man in Windsor eine historisierende Rekonstruktion der übelsten Sorte besichtigen.
Bei einer denkwürdigen Podiumsdiskussion Ende März 1993 werden alle Argumente noch einmal vorgebracht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Entscheidung aber schon gefallen: Manfred Wehdorn hatte kurz zuvor den Auftrag als Generalplaner für die Sanierung der Redoutensäle erhalten. Die notwendige Diskussion, warum in Österreich ein „nationales Symbol“ nicht entwicklungsfähig ist, sondern nur konserviert werden darf, bleibt aus. Von der Politik wird die Chance, Identität einmal nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart zu suchen, nicht einmal ignoriert.
Nur auf einer kleinen Nebenfront läuft die Diskussion weiter: Sind tatsächlich „80 Prozent der alten Konstruktion trotz des Feuers erhalten“, wie die „Kronen Zeitung“ zu berichten weiß? Für den kleinen Redoutensaal traf das sicher zu. Dort waren nur Teile der Decke eingestürzt, ansonsten aber kaum grobe Schäden zu verzeichnen. Der große Saal war dagegen offensichtlich schwer beschädigt: Decke und Dachstuhl waren völlig eingestürzt, die Sockelzone bis auf viereinhalb Meter Höhe zerstört. Scheinbar gut erhalten war nur die mittlere Zone der Wand mit ihren Stuckarbeiten. Aber schon bald stellt sich heraus, daß dieser oberflächliche Eindruck trügerisch ist. Der Stuck entzieht sich jedem konventionellen Restaurierungsversuch, indem er sich bei Berührung in Staub auflöst. Hitze und Löschwasser haben ihn in der Substanz zerstört.
Kunsthistorisch wäre das kein Unglück gewesen. Stuck dieser Qualität aus dem Jahr 1892 ist in Wien noch öfter anzutreffen. Aber politisch war die Wiederherstellung eine absolute Notwendigkeit, wäre doch sonst die ganze Diskussion von neuem losgebrochen. Im Mai 1993 wird daher ein Probefeld wiederhergestellt, nach dessen Vorbild die Gesamtsanierung erfolgt. Die Reste des Stucks werden an der Wand chemisch gefestigt und teilweise in situ ergänzt. Kompliziertere Teile wie Säulenkapitelle, die schon 1892 als Versatzstuck zuerst gegossen und dann an der Wand befestigt worden waren, müssen anders behandelt werden. Ihre Reste werden von der Wand abgenommen und in Formen gelegt, die dann neu ausgegossen werden. Sensationell daran ist weniger das Verfahren an sich, sondern die Bereitschaft, so viel Aufwand in die Erneuerung und Ergänzung eines kunsthistorisch so unbedeutenden Bestandes zu investieren.
Dort, wo im großen Saal nichts mehr erhalten war, sollte, ganz im Sinne einer wissenschaftlich orientierten Denkmalpflege, im „Stile unserer Zeit“ gearbeitet werden. In diesem Punkt hat sich Wehdorn gegen das Bundesdenkmalamt durchgesetzt, das eine Rekonstruktion der Decke des großen Saals für durchaus machbar gehalten hätte. Vor Jahren entschied das Denkmalamt bei einem anderen Bau Jean-Nicolas Jadots, der heutigen Akademie der Wissenschaften, in einer ähnlichen Frage noch für die Rekonstruktion: 1962, nach dem Brand des Festsaals, hätte Oskar Kokoschka dort die Decke neu malen sollen. Statt dessen kam eine Kopie des Barockfreskos nach alten Photos zur Ausführung.
Josef Mikls Deckenbild im Redoutensaal ist freilich ein anderer Fall. Es ist keine architekturbezogene Monumentalmalerei, die Kokoschka noch zuzutrauen gewesen wäre, sondern einfach ein sehr großes, an der Decke befestigtes und durchaus schön anzusehendes Bild. Da ist es nur konsequent, daß Mikl sich weigerte, die Kabel der Beleuchtungskörper durch sein schönes Bild zu führen (obwohl das in der Ausschreibung für den Wettbewerb so gefordert war); jetzt hängen die Lampen am Rand und müssen sich dort einigermaßen schlank machen.
Das alles geht freilich auf Kosten des räumlichen Gesamteindrucks. Zwar sind überall die historischen Schichten klar herausgearbeitet, das Ergebnis ist jedoch mehr ein Präparat als ein Raum, in dem sich die Teile - wie im kleinen Redoutensaal - zu einem Ganzen verbinden.
Ähnlich verhält es sich auch mit vielen Ergänzungen, die um die eigentlichen Säle herum eingefügt wurden. Überall, so sagt der Architekt, wo Neues eingefügt wurde, sei „in der Sprache des Jahres 1997“ gearbeitet worden. Aber beschränkt sich die wirklich auf Edelstahl, Glas und polierten Marmor? Ist nicht diese Zuordnung von Materialien zu einer Epoche überhaupt unmöglich und bedient letztlich nur die gängigen Klischees, die sonst gegen die Moderne vorgetragen werden?
Im Dachgeschoß führt Wehdorn vor, was er selbst unter moderner Ästhetik versteht. Hier ist das Pressefoyer entstanden, ein Raum, der über die ganze Länge der beiden darunterliegenden Säle geht. Eine Leimbinderkonstruktion, aufgeladen mit High-Tech-Accessoires, trägt das Dach. An der Nordseite belichtet ein riesiges Fenster den Raum. Dann, etwas im Hintergrund und ein Halbgeschoß abgesenkt: die Kugel mit der Verkleidung aus blauem Glas.
Hier, in einem hermetisch abgeschlossenen Konferenzraum, soll während der EU-Präsidentschaft Österreichs der EU-Ministerrat tagen. Zwei Brücken verbinden das Kugelinnere mit der Außenwelt der wartenden Journalisten. Der ikonologische Gehalt dieser Anlage ist schwer zu bestimmen: Sie hat jedenfalls gute Chancen, zum Symbol eines postmodernen Kakanien zu werden, zum Liebling aller Fernsehmoderatoren.
Wenn die Redoutensäle am Nationalfeiertag ausgerechnet mit Ausschnitten aus Opern Leopolds I. eröffnet werden, sollte man sich an einen Satz von Karl Kraus erinnern, dessen Gedicht „Jugend“ das Thema zu Mikls großem Deckenbild abgab: Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht der Asche. In Wien ist es in den letzten 50 Jahren meisterhaft gelungen, die Asche zu vergolden. Kompromisse wie hier in den Redoutensälen oder beim viel wichtigeren Projekt des Museumsquartiers werden daran nicht viel ändern.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom