Bauwerk

newMetropolis - science and technology center
Renzo Piano - Amsterdam (NL) - 1997
newMetropolis - science and technology center, Foto: Karin Heßmann / ARTUR IMAGES
newMetropolis - science and technology center, Foto: Karin Heßmann / ARTUR IMAGES

Wo die Titanik nicht untergeht

Technikmuseum, Wissenschaftstheater, Berufsinformationszentrum: das von Renzo Piano entworfene „newMetropolis“ am Amsterdamer Oosterdok ist vieles zugleich - vom Ausstellungsdesign her vor allem eines: ein Experiment.

26. Juli 1997 - Stefan Löffler
Acht Sekunden verbringen wir durchschnittlich vor einem Ausstellungsstück. Nur eines von 20 Objekten, die wir während eines Museumsrundgangs überhaupt wahrnehmen, beschäftigt uns länger. Ob Sonderausstellung oder Sammlung, Großausstellung oder Galerie, Kunstwerk oder technisches Artefakt: es macht keinen Unterschied. Acht Sekunden sind Standard. Mehrere Studien haben diesen Wert bestätigt. Museumsmacher sprechen vom Flipperkugeleffekt: Getrieben, haltlos oder gelangweilt rollen wir durch Ausstellungen. Normales Museumsverhalten eben.

Können wir dabei lernen? Sicher nicht so, wie es sich Technik- und Wissenschaftsmuseen offenbar vorstellen, diese selbsternannten Orte des Lernens. Dort glänzen polierte Maschinen in Vitrinen oder über unseren Köpfen. Auf Knopfdruck leuchten Details oder werden Experimente ausgelöst. Dazu technische Angaben. Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat.

Wir Verirrten bemerken dann, daß das alles wenig mit uns zu tun hat, wohl auch gar nicht haben will. Seriöse Besucherforschung, etwa Evaluationen, ob museale Lernziele erreicht werden, gibt es im deutschsprachigen Raum kaum. Die Fächer Museumskunde und Wissenschaftsforschung sind nämlich unterentwickelt. Publikumsnähe zählt auch nicht soviel, wenn die meisten Besucher unfreiwillig kommen. Unsere Wissenschafts- und Technikmuseen leben von Schulklassen.

Unter umgekehrten Vorzeichen ist das newMetropolis in Amsterdam angetreten. Das kürzlich von der niederländischen Königin eingeweihte Haus verspricht „eine Welt, in der du selbst das größte Wunder bist“. - Wir Besucher sollen nicht nur schauen, lesen und gelegentlich einen Schalter drücken. Wir sollen spielen, denken, experimentieren. Wir werden beobachtet und befragt. Hier am Oosterdok, wenige Gehminuten vom Bahnhof, vis-à-vis vom Schiffahrtmuseum, sind wir keine Flipperkugeln. Hier sind wir wichtig.

Den Planungsauftrag erhielt der italienische Architekt Renzo Piano, bekannt geworden durch das Centre Pompidou. Bei der Gestaltung der Innenräume arbeitete sein Büro eng zusammen mit dem anglokanadischen Leiter des Ausstellungsteams, James Bradburne, der selbst gelernter Architekt ist. Die Stationen der Ausstellung rücken auf allen Wegen in die Blickmitte. Der Bürotrakt liegt nah und doch abgeschirmt. Versorgungsschächte überall geben Gestaltungsfreiheit. In Zyklen von drei bis fünf Jahren sollen nämlich alle Ausstellungsteile durch neue ersetzt werden. Nur die Liefereingänge gerieten zu klein. Manches Einrichtungsstück mußte mühsam zerlegt werden.

Piano fand bei seiner Vorarbeit nirgends einen Aussichtspunkt in der Innenstadt. Das brachte ihn auf die Idee, hier einen zu schaffen. Das bis zu 32 Meter hohe, auch ohne Ticket zugängliche Dach und sein Café bieten tatsächlich einen weiten Blick über die Dächer Amsterdams. Die Haut des newMetropolis ist grün. Sie besteht aus oxidiertem Kupfer.

Die Konstruktion ruht mit neun Pfeilern auf dem Autotunnel durch das Ij, der die City mit Amsterdam-Noord verbindet. Wer aus dem Foyer des newMetropolis schaut, sieht Blechlawinen im Bauch des Gebäudes verschwinden. Die ansteigende Form, darauf besteht Piano, spiegle die Bahn des Tunnels symmetrisch an der Wasserkante. Doch so gut wie jeder erkennt in dem Bau einen versinkenden Schiffsrumpf. So haben die Amsterdamer das Haus mit dem neumodischen Namen längst in „Titanic“ umgetauft. Bradburne und seine Mitarbeiter mag es daran erinnern, daß jedes Projekt scheitern kann. Und uns, daß es auch Technikmuseen gibt, die nie auf große Fahrt gehen.

Alle fünf Abteilungen sind viersprachig beschriftet, auch auf deutsch. Die erste heißt „Kommunikation“. Die ersten Stationen sind Computerspiele, zum Beispiel das Spediteurspiel: Wir haben ein Budget für Arbeitszeit und Treibstoff und müssen verderbliche Frachten, etwa eine Ladung Narzissen, abholen und fristgerecht liefern. Es dauert einige Minuten, bis wir begriffen haben, wie der Laden läuft, und die ersten Einnahmen fließen. Von Auftrag zu Auftrag werden wir firmer. Oder das Quartettspiel per Videokonferenz - gerade fest vereinnahmt von einer Gruppe Siebenjähriger. Sie finden es lustiger als die eigentliche Kinderecke gegenüber, in der sie mit Stempeln, Schablonen und Prägeformen Geldscheine entwerfen könnten.

Nächste Station: „Wissenschaft“. Im Laboratorium erwarten uns weiße Kittel, ein paar Tips und Gebrauchsanweisungen für das wissenschaftliche Gerät. Womit wir experimentieren, ist weitgehend uns überlassen. Es sei denn, ein Spiel steht auf dem Programm, etwa die Identifizierung eines Rosendiebs mit Mikroskop, Reagenzglas und Meßgerät.

Bei der nächsten Station werden wir Teilnehmer an einer historischen Kontroverse: Besteht Licht aus Teilchen oder aus Wellen? Wieder schicken uns Experimente auf den Lösungsweg: Reflektiert Licht wie ein Teilchen? Oder läßt es sich brechen wie Wellen? Alle Antworten müssen wir selbst finden. Unsere Gastgeber, erkennbar an ihren grünen Jacken, helfen nur beim Präzisieren der Fragen.

Belehrende Tafeln finden sich so gut wie nirgends. Dafür vertiefende Informationen an den Computerschirmen, die über alle fünf Etagen verteilt sind. Das hauseigene Netz ist durch Hyperlinks verbunden mit ausgewählten Internetseiten. In den Abteilungen „Technologie“ und „Energie“ gibt es außerdem Videofilme und kritische Fußnoten von Praktikern, Umweltschützern und Journalisten. Wenn wir dann, noch sprachlos, weiterschlendern, verwickeln uns die Menschen in den grünen Jacken in Diskussionen.

Oder die Schauspieler. Das newMetropolis bietet nicht nur Wissenschaftstheater zu bestimmten Zeiten, sondern Straßentheater rund um die Uhr. Eine vermeintliche Putzfrau wischt genau da, wo wir gerade weiterwollen. Jetzt hebt sie einen Metalldeckel aus dem Boden, öffnet den Blick durch einen Kabelschacht ins untere Stockwerk und zeigt uns das Haus selbst als Technologie.

Einer der Ausstellungsbesucher glaubt sich hier im „Disneyland der Wissenschaft“. Eine Einschätzung, mit der die Macher des newMetropolis leben können. Spaß darf es den Besuchern machen. „Je länger sie bei den Stationen bleiben, desto größer die Chance, daß sie etwas lernen“, argumentiert Bradburne. An den ersten Öffnungstagen hat er die Leute beobachtet. „Mein bisheriger Eindruck ist: Es klappt. Kinder rennen erst von Station zu Station, dann bleiben sie und spielen. Drei Minuten, aber auch fünf Minuten oder zehn.“

Bradburne kam es, wie er selbst sagt, darauf an, „die Balance zwischen Kohärenz und Vielfalt zu finden“. Einerseits sollen die Besucher Zusammenhänge entdecken und eigene Geschichten spinnen. Andererseits darf keiner Altersgruppe langweilig werden. Teenager tun sich leicht mit Computerspielen, Ältere sehen gerne traditionelle Vitrinen. Einige davon gibt es im newMetropolis. Reine Schaustücke wären in vielen nordamerikanischen oder britischen Science Centers undenkbar.

Dann kommt Bradburne auf eine weitere Neuerung zu sprechen: „Bisher wurden interaktive Stationen fast immer für einen Besucher gestaltet. Wir haben oft beobachtet, daß sie zu zweit oder dritt benutzt werden. Menschen lernen voneinander. Darum haben wir versucht, Stationen zu entwickeln, die Platz und Zusammenspiel für mehrere bieten.“ Im Sommer und Herbst möchte Bradburne die Lernspiele, seine „kooperativen Ausstellungsstücke“ von auswärtigen Museologen evaluieren lassen. Sehen, ob und wie der Schritt von „hands-on“ zu „minds-on“ gelingt.

Die ständige Bewertung und Verbesserung des Designs findet Bradburne selbstverständlich. Sein Team versteht er als „Forschungsabteilung“, die Ausstellung als „Experiment, bei dem wir mehr erfahren wollen über informelles Lernen“. Das klassische Sammeln spielt im newMetropolis keine Rolle mehr.

Das Anlaufbudget von 85 Millionen Gulden (550 Millionen Schilling), davon drei Fünftel Baukosten, stammt zu etwa gleichen Teilen vom Staat, der Stadt und der Industrie. Die niederländische Regierung möchte mehr Schüler für technische und wissenschaftliche Berufe begeistern. Ein Informationszentrum für berufliche Bildung durfte deshalb nicht fehlen. Amsterdam fördert seine Anziehungskraft auf Touristen und die Stadtentwicklung. Und die Sponsoren pflegen Beziehungen und nehmen teil an den Zukunftsdebatten, die das newMetropolis anregen will. Dabei sind Firmenlogos rar im Haus. Zuviel Werbepräsenz, glauben niederländische Manager, könne an Orten wie diesem leicht schaden.

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