Bauwerk

SAFFA Haus
Lux Guyer - Bern (CH) - 1928
SAFFA Haus © Lux Guyer Archiv, gta, Zürich
SAFFA Haus © Lux Guyer Archiv, gta, Zürich

130 Anfragen, ein Interessent

Wirtschaftlicher Erfolg blieb der Zürcher Architektin Lux Guyer (1894 bis 1955) mit ihren Fertighausvillen versagt.Die Architekturgeschichtsschreibung überging sie lange - und damit auch ihre reformerischen Ansätze. Eine Erinnerung.

6. Juni 1997 - Walter Zschokke
Sie verfügte zwar nicht über ein Diplom, aber über eine selbstbestimmte Ausbildung als Architektin: Louise Guyer, die sich nach ihrem Rufnahmen „Lux“ Guyer nannte, wurde 1894 in Zürich geboren, besuchte Kurse bei Gustav Gull an der ETH, arbeitete in dessen Atelier und war in Paris, Berlin und London tätig.

Bereits 1925 eröffnete sie ihr eigenes Architekturbüro in Zürich. Sie gilt als erste selbständige Architektin der Schweiz und hatte Ende der zwanziger Jahre eine ganze Reihe von Projekten in Arbeit: eine umfangreiche Wohnanlage für alleinstehende berufstätige Frauen, ein Ferienheim im Auftrag des Konsumvereins, eine Gruppe von fünf Mehrfamilienhäusern, ein Studentinnenheim, zwei, drei Einfamilienhäuser sowie, 1928, die große Schweizer Ausstellung für Frauenarbeit in Bern, für die unter dem Kurztitel SAFFA geworben wurde.

Guyer galt als Architektin, die reformerischen Bauaufgaben gegenüber aufgeschlossen war. Das waren zuvörderst die im Auftrag von Frauenvereinen propagierten Wohnhäuser für alleinstehende Frauen, denen der Besitz einer eigenen Wohnung aus „moralischen“ Gründen verwehrt wurde. In dieser intensiven Zeit soll Lux Guyer in ihrem Büro über 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt haben.

Weil sie einen englisch beeinflußten Neuklassizismus pflegte, wurde sie jahrzehntelang von der Architekturgeschichtsschreibung, die die radikale Moderne bevorzugt behandelte, übergangen. Ihre klugen und unkonventionellen, keineswegs konservativen Grundrisse hätten aber mehr Aufmerksamkeit verdient. Für die Schweizer Ausstellung für Frauenarbeit entwarf sie 1927/28 als Ausstellungsobjekt und räumliche Hülle eines kultivierten Wohnstils ein Fertighaus, das für Familien der intellektuellen Mittelschicht gedacht war. An diesem gebauten Beispiel läßt sich die Problematik erahnen, die sich ergibt, wenn ein Architekt oder eben eine Architektin einen Standardtyp entwickelt, um ihn in Serie bauen zu lassen. Die Ausstellung zum Thema Standardhäuser im Wiener „Architektur Zentrum“ bietet dazu den Anlaß.

Das in pflaumenrotem Eternit verschindelte Holzhaus bildet ein dichtes Konzentrat bürgerlicher Wohnkultur mit deutlichen reformerischen Ansätzen in einem durchdachten, polyvalenten Grundriß. Der Eingang wird an der Nordseite von einem kleinen, außermittig plazierten Risalit signalisiert, der zugleich ein kurzes Vordach bildet. Von dem großzügigen Windfang führt eine breite Türe geradeaus in die Wohnhalle und eine schmale Pforte rechter Hand in den Wirtschaftsteil mit der Küche. Links von der Halle schließt eine von Lux Guyer entwickelte Zimmer-Bad-Zimmer-Kombination an, bei der die beiden großen Flügeltüren des Bades in zwei Positionen fixiert werden können, sodaß tagsüber zwischen den Kinderzimmern ein Spielbereich offen bleibt. Große Fenstertüren führen von den Zimmern ins Freie - Lux Guyer vertrat die Meinung, jedes Kind solle über einen individuellen Gartenbereich verfügen.

Von der winkelförmigen Wohnhalle, die im vorderen Flügel einen spärlich möblierten Teil aufweist, führt die einläufige Stiege ins Obergeschoß. Im anderen Flügel findet sich ein gemütlicher Raum für den Eßtisch mit vorgelagertem beschattetem Gartensitzplatz. Unter dem Treppenpodest hindurch erfolgt die Verbindung zur Küche mit einem eigenen Ausgang zum Gemüse- und Kräutergarten, damals eine Selbstverständlichkeit.

Das Obergeschoß weist neben dem Elternzimmer, dem Bad, einem Kleinkinderzimmer und einer Gästekammer ein geräumiges, T-förmiges Atelier auf, dessen Decke im Mittelteil zeltartig in den Dachraum erweitert ist. Im Risalit über dem Eingang entsteht eine alkovenartige Nische mit attraktiven, übereck gesetzten Ausblicksfenstern. Zahlreiche eingebaute Schränke und die modern eingerichtete Küche zeugen vom praktischen Verstand der jungen Architektin.

Für die bauliche Herstellung des Hauses wandte sie sich an eine erfahrene Holzbaufirma aus Kriens bei Luzern. Jahrzehntelang hatten Innerschweizer Zimmereien Holzhäuser im sogenannten „Chalet-Stil“ erzeugt. Die Käufer konnten sich die aus standardisierten Teilen zusammengebauten Häuser aus einem Katalog bestellen. Leider haben sich kaum Firmenunterlagen erhalten. Da Unternehmen dieser Art wenig inhaltlichen, sondern vor allem geschäftlichen Ehrgeiz entwickelten, sahen sie keine Notwendigkeit, ihre Aktivitäten für die Nachwelt zu archivieren. - Prinzipiell hatte Lux Guyer damit den richtigen Ansatz gewählt. Doch das eigentliche Problem erwies sich als ein berufsspezifisches: Architekten sind es gewöhnt, auf besondere Wünsche des Bauherrn einzugehen. Und wer zum Architekten geht, will in der Regel ein individuelles Haus. Das Standardhaus dagegen wird nach einem Katalog zusammengestellt und mit bestimmten Accessoires zu einem Fixpreis geliefert. Dies setzt einen Verbleib im geschmacklichen Mainstream voraus. Der nervöse Wechsel, wie ihn die Moderne praktizierte, ist ausgeschlossen.

Aber auch der durchaus breit akzeptierte Neuklassizismus, der von Lux Guyer gepflegt wurde, sicherte keinen geschäftlichen Erfolg. Beim Verkauf von der Stange stellt sich niemand ungefragt die Aufgabe, die verlangten Änderungen in ein architektonisch-gestalterisches Konzept zu integrieren, wie dies die Architektin tat. Obwohl sie mehrere Häuser jeweils zuerst für sich selbst baute, sie möbliert mit eigenen Entwürfen und Sammlerstücken herzeigte und dann verkaufte, um alsbald mit ihren wichtigsten Stücken in das nächste Haus umzuziehen, nahm sie auch an den auf das SAFFA-Haus folgenden Häusern Verbesserungen und Erweiterungen vor. Damit unterlief sie das Vermarktungsprinzip für Standardhäuser, das nicht vorausgeplante Änderungen ausschloß.

Der Prototyp auf der Ausstellung in Bern stieß auf großes Interesse. Über 130 Anfragen gingen bei der Architektin ein. Am Schluß blieb jedoch nur eine einzige ernsthafte Interessentin übrig, eine Geflügelzüchterin aus dem Aargau, deren Gatte eine Futtermühle besaß. Das Ausstellungshaus wurde in der Folge demontiert, nach Aarau transportiert und dort auf einem vorbereiteten Fundament mit Keller wieder aufgestellt.

Der mit der örtlichen Bauleitung betraute Architekt, Adolf Studer, ein Freund der Bauherrschaft, war der damals interessanteste Entwerfer in der Region. Er verunfallte 1938 auf einer vom Automobilclub veranstalteten Orientierungsfahrt durch den Jura zusammen mit seinem Bauherrn und Kameraden tödlich.

Es kam eine schwere Zeit für die junge Unternehmerin, bis der herangewachsene Sohn die Firma übernehmen konnte. Hohe Bäume wuchsen um das Haus, es war bereits aus kurzer Entfernung nicht mehr auszumachen.

Als wir die alte Dame 1982, im Rahmen eines Seminars über Lux Guyer besuchten - das Häuschen war noch Ende der dreißiger Jahre von Adolf Studer geschickt erweitert worden - , staunten wir über das gepflegte Haus mit seiner reichhaltigen Gemäldesammlung mit Bildern von Ferdinand Hodler, Giovanni Giaccometti und Pietro Chiesa. Es war ein tiefer Blick in die Kultur der ersten Jahrhunderthälfte. In einem Gestell in der Halle standen Architekturbücher, wobei der Name Friedrich Schinkel öfter aufschien. Im Gespräch erfuhren wir, daß es sich bei der Unternehmerin, die der Architektin das Standardhaus abgekauft hatte, um eine Urenkelin des großen preußischen Architekten handelte, die sich außer in Kunst auch in Architekturdingen gut auskannte.

Es war ein schmales Marktsegment, in das sich Lux Guyer mit ihrer architektonisch engagierten Kleinvilla auf Fertighausbasis vorgewagt hatte. Der wirtschaftliche Erfolg blieb aus. Sie plante und errichtete noch mehrere attraktive und äußerst wohnliche Häuser, an denen Josef Frank gewiß Gefallen gefunden hätte.

Anfang der dreißiger Jahre setzte eine schwere Baukrise ein, die bis 1937/38 anhielt. Lux Guyer, die geheiratet und einen Sohn zu betreuen hatte, fand kaum Aufträge. Erst gegen Ende des Jahrzehnts konnte sie wieder einige Bauten ausführen, wobei sie eng mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeitete. Diese sehr eigenwilligen, künstlerisch expressiven Arbeiten wurden leider alle längst abgebrochen. Lux Guyer selber starb früh, 1955, und konnte das wiedererwachte Interesse an ihren Arbeiten nicht mehr erleben.

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