Bauwerk
Forster Optik
Frank und Erschen - Scheibbs (A) - 2003
Einblick, Ausblick, Überblick
Von einem Dienstleister der Branche „Sehen und Gesehenwerden“ kann man erwarten, dass er auch auf sein eigenes Aussehen achtet. Ein niederösterreichischer Optiker erfüllt diesen Anspruch: Er lässt seine Filialen von Architekten planen.
12. Juli 2003 - Judith Eiblmayr
Als gut Sehender hat man keine Vorstellung davon, was es heißt, ein eingeschränktes Sehfeld zu haben, die Umgebung in Unschärfe verschwimmen zu sehen oder Bekannte auf der Straße nicht zu erkennen. Wer nicht bereits in jungen Jahren myop oder astigmatisch ist, muss sich spätestens ab einem Alter von 50 Jahren nach passendem Gerät umschauen, um das Sehdefizit ausgleichen und das Kleingedruckte im Vertrag oder die Speisekarte im Restaurant wieder lesen zu können. Somit ist die Brille zu einem der wichtigsten Alltagsbegleiter des Menschen geworden, und seit in Form und Material experimentiert werden kann, ist sie vor allem unverzichtbares Mode-accessoire.
Auf das Geschäft mit der sicheren Zielgruppe der Brillenträger haben zuletzt Billiganbieter gesetzt, die ihre Kundschaft weniger durch eingehende Stilberatung als durch niedrige Preise vom Kauf der Ware überzeugen konnten.
Aber Gläser anpassen und Brillenfassungen aussuchen, die dem Gesicht und Typ des Trägers entsprechen, ist eine diffizile Angelegenheit, die man als Kunde - und vor allem als Kundin - gerne von in der Optik Kundigen erledigt wissen möchte. Diesem hohen Anspruch der Klientel ans Sehen und Gesehenwerden fühlt sich ein niederösterreichischer Optikerbetrieb insofern verpflichtet, als er auch auf sein eigenes Aussehen achtet: Forster Optik mit Hauptsitz in Melk überlässt die Planung seiner sechs Filialen nicht einer Ladenbaufirma, die ihm das Geschäftslokal mit möglichst vielen Laufmetern eines gängigen Regalsystems ausstattet, sondern setzt lieber auf Lösungen aus Architektinnenhand.
Für die Gestaltung der Firmensitzes in Melk wurde ein geladener Wettbewerb ausgeschrieben, den die jungen Wiener Architektinnen Sabine Bartscherer und Paula Cochola in Kooperation mit Christof Schlegl gewannen. Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmer und Kreativen führte nicht nur zu einem gelungenen Umbau in Melk, sondern auch dazu, eine umfassende Gestaltungskonzeption für das Filialnetz zu entwickeln: Durch ein Grafikkonzept von „Bohatsch Visual Communication“ wurde eine neue Linie in der Corporate Identity von Forster Optik geschaffen, die einzelnen Filialen sollten hingegen individuell von unterschiedlichen Architekten gestaltet werden.
Irmgard Frank und Finn Erschen, eine Architektengemeinschaft und ebenfalls aus Wien, wurden mit der Planung des neuen Geschäftslokals in der 4500-Einwohner-Gemeinde Scheibbs beauftragt. Die 350 Quadratmeter Nutzfläche in einem der ältesten Häuser im Ortszentrum scheinen für einen Verkaufsraum so kleiner Objekte wie Brillen extrem groß dimensioniert zu sein, aber genau das ist das diesbezügliche kaufmännische Erfolgsrezept: Je kleinteiliger und differenzierter die Ware, umso mehr muss davon ausgestellt sein, damit sich die Kunden selbst einen Überblick verschaffen können. Man möchte nicht unbedingt darauf an-gewiesen sein, dass der Verkäufer nach einem musternden Blick drei Modelle aus der Lade zieht und meint, das sei genau das Richtige.
Einblick, Überblick, Ausblick sind auch die Stichworte, an denen die Architektur von Frank und Erschen offensichtlich festgemacht ist: Bereits in der als Arkaden ausgebildeten Eingangssituation ist die Auslage des Geschäftslokals so angelegt, dass sie nicht nur als Blickfang auf die ausgestellten Stücke dient, sondern durch das streng horizontal-lineare Regal mit einer großen Spannweite hindurch den Blick in den Innenraum ermöglicht.
Diese Transparenz hat zur Folge, dass die Hemmschwelle, das Geschäft zu betreten, wegfällt und Passanten einfach „hereinschauen“, weil sie drinnen Bekannte entdeckt haben. Erst einmal drinnen, ist man auch schon potenzieller Kunde, denn eine schicke neue Sonnenbrille mit hellblauen, rosafarbenen oder violetten Gläsern kann man immer brauchen.
Das Lokal selbst ist in einzelne Zonen gegliedert: Normal auf den Eingangsbereich mit Arkaden und Verkaufstresen liegen entlang eines mittigen Blocks aus tragenden Mauern und Schrankwänden zwei Bereiche, die man als Schauraum und Sehraum bezeichnen könnte. Während in Ersterem über die gesamte Trakttiefe des Hauses hinweg möglichst viele Brillenmodelle präsentiert und somit angeschaut und probiert werden können, sind entlang der Fensterfront die Dienstleistungsräume angeordnet, wo nicht nur mit den Augen der Kunden (Sehtest, Kontaktlinsenanpassung), sondern auch vor diesen (offene Werkstatt) die Optikerarbeit verrichtet wird. Diese Funktionsteilung hat sich bereits in der Praxis bewährt, da die Wege von Service und Verkauf entflochten und lediglich an der Kassa zusammengeführt werden.
Das Besondere an der Planung von Frank und Erschen ist der differenzierte Einsatz von Materialien und künstlichem Licht, der den jeweiligen Funktionsbereich in seiner Raumgestalt prägt. Den unregelmäßigen Wänden des Schauraums, der mit seinen 31 Metern Länge und zirka 4 Metern Breite extrem schwierig zu „bespielen“ war, wurden hinterleuchtete Screens vorgespannt, die auf türkisfarbenem Grund, dem reduzierten grafischen Konzept entsprechend, mit Linien, Kreisen und Logos bedruckt sind.
Mittig in der Höhe, sozusagen im Fokus dieser 45 Meter langen „Projektionswand“, ist ein eigens entwickeltes Regalsystem eingelassen, wo auf mehreren Ebenen aus satiniertem Acrylglas und ebenfalls hinterleuchtet die Brillenmodelle aufgelegt sind. Diese starke Horizontale wird durch vertikale, leicht schräg gestellte Spiegel gegliedert und die Länge des schmalen Raumes entschärft, indem mit den vorgesetzten Folien eine starke Perspektivwirkung erzeugt wird.
Man fühlt sich unmittelbar aufgefordert - wie am laufenden Band -, Brillen auszuwählen, zu prüfen, zurückzulegen und die Wand entlang weiterzuschlendern. Im hinteren Teil führen ein paar Stufen zum Kinderbereich, wo sowohl Brillen probiert werden können als auch gespielt werden kann.
Der Dienstleistungsbereich ist ganz anders gestaltet: Zwar sind der Boden in Akazienholz und das Mobiliar in Ahornfurnier gleich, die Mauern in Kanariengelb unterstreichen hingegen die notwendige Licht-hygiene, die man bei der Optikerarbeit benötigt. Grüngelbe Glastafeln an manchen Wänden betonen das medizinisch-technische Element, der warme Farbton in den hellen Räumlichkeiten sticht - um bei der adäquaten Metaphorik zu bleiben - in angenehmer Weise ins Auge.
„Architektur entsteht dort, wo sich zwischen dem physisch erfassbaren Raum in seiner baulichen Materialität und dem sinnlich erlebtem Raum ein Spannungsfeld aufbaut“, schreibt Irmgard Frank, Ordinaria am Institut für Raumgestaltung an der Technischen Universität in Graz. Genau diese „sinnliche Funktionalität“ unterscheidet ein von Architekten geplantes Geschäftslokal von einer Nullachtfünfzehn-Ladenbau-Filiale, ein Umstand, der nicht städtisch elitär ist, sondern auch zwischen Scheibbs und Nebraska den Blick schärft und verstanden wird.
Auf das Geschäft mit der sicheren Zielgruppe der Brillenträger haben zuletzt Billiganbieter gesetzt, die ihre Kundschaft weniger durch eingehende Stilberatung als durch niedrige Preise vom Kauf der Ware überzeugen konnten.
Aber Gläser anpassen und Brillenfassungen aussuchen, die dem Gesicht und Typ des Trägers entsprechen, ist eine diffizile Angelegenheit, die man als Kunde - und vor allem als Kundin - gerne von in der Optik Kundigen erledigt wissen möchte. Diesem hohen Anspruch der Klientel ans Sehen und Gesehenwerden fühlt sich ein niederösterreichischer Optikerbetrieb insofern verpflichtet, als er auch auf sein eigenes Aussehen achtet: Forster Optik mit Hauptsitz in Melk überlässt die Planung seiner sechs Filialen nicht einer Ladenbaufirma, die ihm das Geschäftslokal mit möglichst vielen Laufmetern eines gängigen Regalsystems ausstattet, sondern setzt lieber auf Lösungen aus Architektinnenhand.
Für die Gestaltung der Firmensitzes in Melk wurde ein geladener Wettbewerb ausgeschrieben, den die jungen Wiener Architektinnen Sabine Bartscherer und Paula Cochola in Kooperation mit Christof Schlegl gewannen. Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmer und Kreativen führte nicht nur zu einem gelungenen Umbau in Melk, sondern auch dazu, eine umfassende Gestaltungskonzeption für das Filialnetz zu entwickeln: Durch ein Grafikkonzept von „Bohatsch Visual Communication“ wurde eine neue Linie in der Corporate Identity von Forster Optik geschaffen, die einzelnen Filialen sollten hingegen individuell von unterschiedlichen Architekten gestaltet werden.
Irmgard Frank und Finn Erschen, eine Architektengemeinschaft und ebenfalls aus Wien, wurden mit der Planung des neuen Geschäftslokals in der 4500-Einwohner-Gemeinde Scheibbs beauftragt. Die 350 Quadratmeter Nutzfläche in einem der ältesten Häuser im Ortszentrum scheinen für einen Verkaufsraum so kleiner Objekte wie Brillen extrem groß dimensioniert zu sein, aber genau das ist das diesbezügliche kaufmännische Erfolgsrezept: Je kleinteiliger und differenzierter die Ware, umso mehr muss davon ausgestellt sein, damit sich die Kunden selbst einen Überblick verschaffen können. Man möchte nicht unbedingt darauf an-gewiesen sein, dass der Verkäufer nach einem musternden Blick drei Modelle aus der Lade zieht und meint, das sei genau das Richtige.
Einblick, Überblick, Ausblick sind auch die Stichworte, an denen die Architektur von Frank und Erschen offensichtlich festgemacht ist: Bereits in der als Arkaden ausgebildeten Eingangssituation ist die Auslage des Geschäftslokals so angelegt, dass sie nicht nur als Blickfang auf die ausgestellten Stücke dient, sondern durch das streng horizontal-lineare Regal mit einer großen Spannweite hindurch den Blick in den Innenraum ermöglicht.
Diese Transparenz hat zur Folge, dass die Hemmschwelle, das Geschäft zu betreten, wegfällt und Passanten einfach „hereinschauen“, weil sie drinnen Bekannte entdeckt haben. Erst einmal drinnen, ist man auch schon potenzieller Kunde, denn eine schicke neue Sonnenbrille mit hellblauen, rosafarbenen oder violetten Gläsern kann man immer brauchen.
Das Lokal selbst ist in einzelne Zonen gegliedert: Normal auf den Eingangsbereich mit Arkaden und Verkaufstresen liegen entlang eines mittigen Blocks aus tragenden Mauern und Schrankwänden zwei Bereiche, die man als Schauraum und Sehraum bezeichnen könnte. Während in Ersterem über die gesamte Trakttiefe des Hauses hinweg möglichst viele Brillenmodelle präsentiert und somit angeschaut und probiert werden können, sind entlang der Fensterfront die Dienstleistungsräume angeordnet, wo nicht nur mit den Augen der Kunden (Sehtest, Kontaktlinsenanpassung), sondern auch vor diesen (offene Werkstatt) die Optikerarbeit verrichtet wird. Diese Funktionsteilung hat sich bereits in der Praxis bewährt, da die Wege von Service und Verkauf entflochten und lediglich an der Kassa zusammengeführt werden.
Das Besondere an der Planung von Frank und Erschen ist der differenzierte Einsatz von Materialien und künstlichem Licht, der den jeweiligen Funktionsbereich in seiner Raumgestalt prägt. Den unregelmäßigen Wänden des Schauraums, der mit seinen 31 Metern Länge und zirka 4 Metern Breite extrem schwierig zu „bespielen“ war, wurden hinterleuchtete Screens vorgespannt, die auf türkisfarbenem Grund, dem reduzierten grafischen Konzept entsprechend, mit Linien, Kreisen und Logos bedruckt sind.
Mittig in der Höhe, sozusagen im Fokus dieser 45 Meter langen „Projektionswand“, ist ein eigens entwickeltes Regalsystem eingelassen, wo auf mehreren Ebenen aus satiniertem Acrylglas und ebenfalls hinterleuchtet die Brillenmodelle aufgelegt sind. Diese starke Horizontale wird durch vertikale, leicht schräg gestellte Spiegel gegliedert und die Länge des schmalen Raumes entschärft, indem mit den vorgesetzten Folien eine starke Perspektivwirkung erzeugt wird.
Man fühlt sich unmittelbar aufgefordert - wie am laufenden Band -, Brillen auszuwählen, zu prüfen, zurückzulegen und die Wand entlang weiterzuschlendern. Im hinteren Teil führen ein paar Stufen zum Kinderbereich, wo sowohl Brillen probiert werden können als auch gespielt werden kann.
Der Dienstleistungsbereich ist ganz anders gestaltet: Zwar sind der Boden in Akazienholz und das Mobiliar in Ahornfurnier gleich, die Mauern in Kanariengelb unterstreichen hingegen die notwendige Licht-hygiene, die man bei der Optikerarbeit benötigt. Grüngelbe Glastafeln an manchen Wänden betonen das medizinisch-technische Element, der warme Farbton in den hellen Räumlichkeiten sticht - um bei der adäquaten Metaphorik zu bleiben - in angenehmer Weise ins Auge.
„Architektur entsteht dort, wo sich zwischen dem physisch erfassbaren Raum in seiner baulichen Materialität und dem sinnlich erlebtem Raum ein Spannungsfeld aufbaut“, schreibt Irmgard Frank, Ordinaria am Institut für Raumgestaltung an der Technischen Universität in Graz. Genau diese „sinnliche Funktionalität“ unterscheidet ein von Architekten geplantes Geschäftslokal von einer Nullachtfünfzehn-Ladenbau-Filiale, ein Umstand, der nicht städtisch elitär ist, sondern auch zwischen Scheibbs und Nebraska den Blick schärft und verstanden wird.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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