Bauwerk
Haus Wittgenstein
Ludwig Wittgenstein, Paul Engelmann - Wien (A) - 1928
Gebäude mit gefrorener Grammatik
Als der Lyriker Georg Trakl 1912 das heftig umstrittene Haus von Adolf Loos am Michaelerplatz in Wien, das so genannte „Haus ohne Augenbrauen“ aufsuchte, notierte er: „Antlitz des Geistes, Ernst und Schweigen des Steins, groß und gewaltig gestaltet.“ Ein ähnliches Gefühl befällt einen, wenn man das vom Philosophen Ludwig Wittgenstein in Zusammenarbeit mit seinem Architektenfreund Paul Engelmann konstruierte Haus in der Kundmanngassse im dritten Bezirk in Wien betrachtet.
31. Dezember 1999 - Peter Kampits
Mehr noch: der Ausdruck „gefrorene Logik“, der auf den Zusammenhang zwischen der Philosophie Wittgensteins und dem für seine Schwester gebauten Haus verweist, verstärkt sich - nicht nur von außen, sondern auch, wenn man durch die Innenräume geht. Schon die Geschichte des Hauses, das zwischen 1926 und 1928 errichtet wurde, als Wohnhaus für Margarethe Stonborough, eine der Schwestern Wittgensteins, geplant und von dieser auch mit der Unterbrechung durch die Zeit des Zweiten Weltkrieges bis 1958 bewohnt, spiegelt die ambivalente Situation wieder, die Österreich offenbar seinen Genies einräumt.
Vor bald 25 Jahren erwarb die damalige Volksrepublik Bulgarien das Gebäude, um darin ein Kulturinstitut zu etablieren. Der Park und der Baumbestand waren freilich bereits zuvor abgeholzt worden, um einem Gebäude der Sozialversicherung Platz zu machen. Lassen wir die Ironie ob der Rettung des Hauses durch den bulgarischen Staat beiseite - die Villa, ein in sich verschachtelter Kubus mit strengen Linien, abgeschirmt durch hohe Mauern liegt eigentümlich fremd in den durch Kundmanngasse und Parkgasse begrenzten Häuserzeilen, zumal das Hochhaus der Sozialversicherung Wittgensteins Bau zu erdrücken scheint.
Der Philosoph hatte mit dem Schlusssatz seines „Tractatus“: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ Ernst gemacht und sich nach der Abfassung des Buches jeder philosophischen Tätigkeit enthalten. Seine langjährige Freundschaft mit Paul Engelmann mag ebenfalls mitausschlaggebend gewesen sein, sich als Architekt zu betätigen. Wittenstein hatte Engelmann anlässlich seiner Ausbildung in der Artillerie-Offiziersschule in Olmütz kennen gelernt. Paul Engelmann war im Übrigen einer der Ersten, die das „positivistische Missverständnis“ um Wittgenstein scharf kritisierten und auf die Bedeutung des „anderen“ Wittgenstein, den Sinnsucher, Mystiker und Ethiker hinwiesen.
Nicht harmonisch
Engelmann war ein Schüler von Adolf Loos, wobei die Begegnungen zwischen Wittgenstein und Loos nicht immer harmonisch verliefen. Der Kampf von Loos gegen das Ornament, gegen die Vermengung von ästhetischen Momenten und Gebrauchsgegenständen entspricht Wittgensteins puristischem Versuch, das Unsagbare vom Sagbaren zu scheiden, und Ersteres dadurch gleichsam zu retten. Ähnlich ist auch der Purismus von Karl Kraus und sein Kampf gegen die Vermengung von Fakten und Meinungen im Feuilleton zu sehen, oder die auf Form und Authentizität ausgerichteten Zwölftonkompositionen Arnold Schönbergs.
Das Haus hat den Charakter einer „architektonischen Grammatik“. So wie die logische Sprachanalyse des Tractatus zu Elementarsätzen gelangte, scheinen hier Elementarformen als letzte Einheit realisiert.
Diese Proportionen und Elemente der Räume durften nach dem Willen Wittgensteins durch keinerlei dekorative Innenausstattung zerstört werden, wie etwa Vorhänge, Teppiche oder Luster. Die Beleuchtung bestand ursprünglich aus nackten Fassungen, in die klare Glühbirnen eingeschraubt waren. Wittgenstein war sich der Originalität seiner Architektur wohl bewusst, auch wenn er rückblickend im Jahr 1940 notiert: „Mein Haus für Gretl ist das Produkt entschiedener Feinhörigkeit guter Manieren, der Ausdruck eines großen Verständnisses (für eine Kultur etc.), aber das ursprüngliche Leben, das wilde Leben, welches sich austoben möchte - fehlt.“
Ähnlich wie sein Tractatus durch eine strenge logische Analyse den Bereich dessen eingrenzen wollte, was sinnvoll gesagt werden kann und dadurch eine Art Revolution der Philosophie des 20. Jahrhunderts einleitete, gerade aber dadurch das Entscheidende, das Unsagbare nur zu zeigen vermag, zeigt dieses Haus über sich selbst hinaus.
Peter Kampits ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Der Beitrag über das Wittgenstein-Haus wurde für eine internationale Essay-Reihe über Schauplätze der Geistesgeschichte geschrieben.
Vor bald 25 Jahren erwarb die damalige Volksrepublik Bulgarien das Gebäude, um darin ein Kulturinstitut zu etablieren. Der Park und der Baumbestand waren freilich bereits zuvor abgeholzt worden, um einem Gebäude der Sozialversicherung Platz zu machen. Lassen wir die Ironie ob der Rettung des Hauses durch den bulgarischen Staat beiseite - die Villa, ein in sich verschachtelter Kubus mit strengen Linien, abgeschirmt durch hohe Mauern liegt eigentümlich fremd in den durch Kundmanngasse und Parkgasse begrenzten Häuserzeilen, zumal das Hochhaus der Sozialversicherung Wittgensteins Bau zu erdrücken scheint.
Der Philosoph hatte mit dem Schlusssatz seines „Tractatus“: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ Ernst gemacht und sich nach der Abfassung des Buches jeder philosophischen Tätigkeit enthalten. Seine langjährige Freundschaft mit Paul Engelmann mag ebenfalls mitausschlaggebend gewesen sein, sich als Architekt zu betätigen. Wittenstein hatte Engelmann anlässlich seiner Ausbildung in der Artillerie-Offiziersschule in Olmütz kennen gelernt. Paul Engelmann war im Übrigen einer der Ersten, die das „positivistische Missverständnis“ um Wittgenstein scharf kritisierten und auf die Bedeutung des „anderen“ Wittgenstein, den Sinnsucher, Mystiker und Ethiker hinwiesen.
Nicht harmonisch
Engelmann war ein Schüler von Adolf Loos, wobei die Begegnungen zwischen Wittgenstein und Loos nicht immer harmonisch verliefen. Der Kampf von Loos gegen das Ornament, gegen die Vermengung von ästhetischen Momenten und Gebrauchsgegenständen entspricht Wittgensteins puristischem Versuch, das Unsagbare vom Sagbaren zu scheiden, und Ersteres dadurch gleichsam zu retten. Ähnlich ist auch der Purismus von Karl Kraus und sein Kampf gegen die Vermengung von Fakten und Meinungen im Feuilleton zu sehen, oder die auf Form und Authentizität ausgerichteten Zwölftonkompositionen Arnold Schönbergs.
Das Haus hat den Charakter einer „architektonischen Grammatik“. So wie die logische Sprachanalyse des Tractatus zu Elementarsätzen gelangte, scheinen hier Elementarformen als letzte Einheit realisiert.
Diese Proportionen und Elemente der Räume durften nach dem Willen Wittgensteins durch keinerlei dekorative Innenausstattung zerstört werden, wie etwa Vorhänge, Teppiche oder Luster. Die Beleuchtung bestand ursprünglich aus nackten Fassungen, in die klare Glühbirnen eingeschraubt waren. Wittgenstein war sich der Originalität seiner Architektur wohl bewusst, auch wenn er rückblickend im Jahr 1940 notiert: „Mein Haus für Gretl ist das Produkt entschiedener Feinhörigkeit guter Manieren, der Ausdruck eines großen Verständnisses (für eine Kultur etc.), aber das ursprüngliche Leben, das wilde Leben, welches sich austoben möchte - fehlt.“
Ähnlich wie sein Tractatus durch eine strenge logische Analyse den Bereich dessen eingrenzen wollte, was sinnvoll gesagt werden kann und dadurch eine Art Revolution der Philosophie des 20. Jahrhunderts einleitete, gerade aber dadurch das Entscheidende, das Unsagbare nur zu zeigen vermag, zeigt dieses Haus über sich selbst hinaus.
Peter Kampits ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Der Beitrag über das Wittgenstein-Haus wurde für eine internationale Essay-Reihe über Schauplätze der Geistesgeschichte geschrieben.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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Margaret Stonbourough - Wittgenstein
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