Bauwerk
Die Heft in Hüttenberg
Günther Domenig - Hüttenberg (A) - 1995
Für Grubenhunt und Ofensau
Beinahe hätte es gar keine Architektur gegeben. Gegen massiven Widerstand hat Hüttenberg doch noch ein anspruchsvolles Haus für die Kärntner Landesausstellung '94 bekommen - erdacht von Günther Domenig.
18. Februar 1995 - Liesbeth Waechter-Böhm
Der Ort ist magisch wie Stonehenge. Und tatsächlich wird das sichtbare Bild der Hüttenberger Heft ja auch heute noch von toten Steinen dominiert. Von toten Steinen, die zu denkwürdigen Gebilden formiert sind, die wiederum denkwürdige Namen tragen: Gebläsehaus, Gichthaus, Kohlebarren, Erzbarren, Maschinenhaus, Hochofen.
Der Schauplatz liegt in Kärnten, in der sogenannten norischen Region, noch genauer: im Mosinzgraben, zwei Kilometer von Hüttenberg entfernt; rundherum Berge, durchlöchert von Stollen, wir sind also mitten in einem Bergbaugebiet. Der letzte Hochofen Kärntens ging zwar 1908 aus, aber die mächtigen Ruinen montanistischer Tradition holen hier die Vergangenheit doch sehr unmittelbar in die Gegenwart herauf. Im heurigen Sommer soll dieser Umstand auch Gegenstand einer Landesausstellung sein: „Grubenhunt & Ofensau“ wird vom Reichtum der Erde Kärntens berichten und wohl auch davon, wie er versiegte.
Soll man an dieser Stelle auf die bewegte, ja dramatische Vorgeschichte dieses Unternehmens überhaupt eingehen? Man vergißt darauf, wenn man den Schauplatz selbst aufsucht. Man vergißt sogar dann darauf, wenn man die Abstriche und Einsparungen kennt, die Günther Domenig in Kauf nehmen mußte.
Domenigs Architektur war nie besonders zimperlich. Das ist sie auch in diesem Fall nicht. Aber mit der Kraft eines solchen montanhistorischen Baudenkmals muß sich ein zeitgenössischer Architekt erst einmal messen. Und er muß diese Kraftprobe bestehen, ohne Schaden anzurichten, auch ohne selbst Schaden zu nehmen. Beides ist hier wunderbar gelungen. Wenn man sich der Anlage von Hüttenberg aus nähert, dann sieht man zuallererst jenen Bauteil, wo Domenig am massivsten eingegriffen hat: Man sieht ein vorkragendes, verblechtes Volumen, das irgendwie über der Straße schwebt, und noch weiter darüber eine ebenfalls kühn auskragende, schlauchartige Eisenkonstruktion. Rätselhaft.
Diese architektonische Maßnahme klärt sich erst auf, wenn man den neuen Bauteil umrundet hat. Dann steht man vor dem eigentlichen Haupteingang zur kommenden Ausstellung, dann überblickt man die nach oben, den Hang hinauf leicht abgetreppte, historische Anlage, und man ist ein erstes Mal mit Domenigs neuer, in gewisser Weise messerscharfer Intervention konfrontiert. Natürlich ist der Schlauch ein Stollen, und dieser Stollen schwebt. Er fährt wie ein Hochgeschwindigkeitszug über die ganze Anlage hinweg, funktioniert gleichzeitig auch als eine Art Klammer, die die Einzelteile des Areals zusammenhält, und er gibt eine Richtung an.
Was macht's - oder tut es dem Ganzen womöglich sogar gut? -, daß die Verglasung aus Kostengründen reduziert werden mußte, überhaupt, daß der Stollen sozusagen im Unfertigen endet, als würde er noch irgendwann weitergebaut (oder richtiger: geschlagen). Worauf es hier ankommt, das sind die Perspektiven, die einem diese Passage eröffnet: Sie rückt den Bestand näher, sie läßt ungewohnte Aus- und Einblicke zu, die Landschaft ebenso wie die von Domenig so genannten „toten Steine“ ziehen wie ein Film vorbei, jede Sequenz spannender als die vorherige.
Der Hauptzugang zur künftigen Landesausstellung erfolgt über das Gebläsehaus. Nachdem die Weichteile der Bauten alle längst verschwunden sind, steht auch dieses Haus ohne Tür, ohne Fenster, ohne Dach da. Daran hat Domenig im Grunde nicht gerührt. Maueröffnungen sind mit ganz einfachen, lapidaren Verglasungen geschlossen. Eine Betonscheibe, die das Haus vor dem Auseinanderbröckeln rettet, ist sichtbar eingezogen. Das fehlende Satteldach wurde nicht ersetzt, hinter dem Giebel ist es scheinbar leer. Erst wenn man drinnen ist, realisiert man das Flachdach, das Domenig eingezogen hat. Durch schmale, verglaste seitliche Oberlichtbänder fällt hier auch von oben etwas Licht ein, ansonsten ist das Dach aus Blech.
Mag sein, diese Einsparung schmerzt den Architekten: Er hatte ursprünglich ein Glasdach projektiert, das sicher eine schönere Lichtsituation zur Folge gehabt hätte. Auch dieser Abstrich ist jedoch verschmerzbar: Die schöne Rampe vor Augen, die hinauf zum späteren Mehrzwecksaal führt, möchte man ohnehin nur weitergehen.
Der Mehrzwecksaal selbst befindet sich in jenem organisch geformten, verblechten Baukörper, der einem schon von weitem Besonderheit signalisiert. Domenig, der ja auch der Ausstellungsarchitekt der kommenden Landesschau ist, wird hier seinen „Crocodile Dundee“ präsentieren. In diesem Raum wird Kärnten, das bekanntlich die Form eines aufgerissenen Krokodilrachens hat, durch seine Gebirgsformationen dargestellt. In verschweißten Eisenplatten nachgebaut und ein wenig überzeichnet werden Kärntens Berge über den Köpfen der Besucher schweben. Darunter das, was einmal in der Erde war - allerdings in seiner edelsten und kostbarsten Form; und darüber an einer Schmalseite eine Galerie, von der der Besucher quasi einen Blick auf das ganze Bundesland riskieren kann.
Die „organische“ Form des Saales hat viel mit der Galerie zu tun. In diesem Bereich hat Domenig eine größere Raumhöhe gebraucht. Die leicht gekrümmte Dachhaut und eine Verjüngung des Baukörpers nach vorne, zur Straße hin, sind die Folge.
In den Saal geht es übrigens nicht nur über die Rampe hinauf. Über einen zweiten Eingang und durch ein neues, sehr sachliches Stiegenhaus gibt es auch einen kürzeren Zugang, der später, in der Nachnutzung, vielleicht noch wichtig sein wird. Hier im Stiegenhaus ist außerdem der Zugang zum Lift, der einmal fix installiert sein sollte und jetzt bloß temporär an das Gebäude darangestellt ist. Es ist ein simpler Baulift, zugelassen für sechs Monate, der während der Landesausstellung Behinderten dient. Domenig spricht immer von „toten Steinen“, wenn von den alten Gebäuden der Heft die Rede ist. Er spricht auch davon, daß es keine Architekturen sind, sondern rein funktional begründete Bauwerke. Und dann wieder fallen Sätze über die archaische Kraft des Bestands, über seine skulpturale Stärke. Der kann man sich wirklich nicht entziehen, etwa wenn man die Hochöfen passiert oder das Maschinenhaus. Zwei der Hochöfen sind noch erhalten, einen dritten gibt es als Rudiment. „Kathedralen“ nennt sie Domenig und liegt damit sicher nicht falsch. Er ließ sie unberührt und griff in die Substanz des Maschinenhauses - jetzt, in der Sparvariante - ebenfalls nicht ein. Das heißt: die zwei Ebenen, die hier eingezogen werden sollten, damit auch aus diesem dachlosen Gemäuer ein winterfester Bereich wird, die gibt es nun ebensowenig wie die vorgesehene Treppe; was es gibt, sind lediglich oben zwei kleine Balkone, die man von den verschiedenen Erschließungsebenen erreicht und die wiederum einen spektakulären Ausblick erlauben.
Das trifft generell auf Domenigs Umgang mit dem Bestand zu: Seine Maßnahmen sind durchwegs selbstbewußt formuliert; aber der Zweck, der seine Mittel heiligt, liegt in den alten Bauteilen und darin, wie man sie ihrer Bedeutung gemäß zur Geltung bringt. Hier ergänzen einander alt und neu nicht, sie widersprechen einander aber auch nicht. Dafür ist jede einzelne Nahtstelle zwischen alt und neu demonstrativ vorgezeigt; die Ebene der Distanz, die alt und neu unmerklich trennt - tatsächlich kommt es zwischen beiden nur selten zu Berührungen -, schafft Respekt. Und was nur sehr selten gelingt: Die neuen Bauteile steigern die atmosphärische Wirkung des Alten.
Domenig hat sich natürlich selbst rigorose Beschränkungen auferlegen müssen - womit wir nun doch noch bei der dramatischen Vorgeschichte sind, in der ein vorübergehender Standortwechsel ein völlig neues Projekt erzwungen hat; in der ein massentouristisches Megaprojekt des Herrn Rogner für Aufregung sorgte; in der sich aufgebrachte Hüttenberger durch das Domenig-Projekt um 300.000 Besucher im Jahr und 150 Arbeitsplätze gebracht sahen („Wir wollen Arbeitsplätze und keine Kunst, Domenig-Projekt umasunst“ - Aufschrift auf einem Transparent); in der am Ende fast schon der Verzicht auf jegliche Form von „Architektur“ stand; und in der sich der Architekt auf den halsbrecherischen Drahtseilakt einlassen mußte, durch eine Sparvariante des Ausgangsprojekts seine Konkurrenzfähigkeit mit der architekturlosen Adaptierungsversion zu beweisen, um damit schließlich den fatalen Lauf der Dinge doch noch zu stoppen.
Das Resultat hat darunter trotzdem nicht gelitten. Die jetzige pure, industrielle, arme Version, in der roher Beton und gestrichenes Eisen, außerdem Blech, Glas und Materialien wie Terrazzoplatten oder überhaupt nur Kies eine Rolle spielen, kommt dem Charakter dieser Industrieruine sogar entgegen.
Auch die zurückhaltende Farbigkeit der neuen Bauteile tut gut: Es gibt das Grauschwarz der gestrichenen Konstruktionsteile, die Sepiatöne des winterfest gemachten Gebläsehauses, die Farben des Betons, die Schattierungen von Kies. Was es nicht mehr gibt, ist die zweite Rampe des ursprünglichen Projekts, die durchgehende Verglasung des schwebenden Stollens und, wie gesagt, das winterfest gemachte Maschinenhaus. Diese ganze Komposition und Verschränkung der neuen Maßnahmen mit den alten - das ist auf sehr stille Weise spektakulär.
Der Mehrzwecksaal etwa schwebt genau in der Achse des Gichthauses. Und die Stelle, wo man ins Freie hinaustritt, ist als Kreuz formuliert. Über Stiegen kommt man hinauf auf die Ebene des Kohlebarrens, der Teil des Ausstellungsbereichs ist. Über allem: Der lange, horizontale, schwebende Stollen, die eigentliche Attraktion.
Domenig sagt, diese Ruinen erzählen eine Geschichte, die sich mit heutiger Architektur nicht mitteilen läßt. Darüber müßte man nachdenken: Welche Arten von Geschichte zeitgenössisches Bauen erzählt. Domenig, der gebürtige Kärntner, sagt außerdem, daß er die Kärntner Landschaft liebt und daß er die Kärntner haßt, weil sie Verhinderer jeglicher kreativer Potenz seien. Darüber müßte man auch nachdenken.
Der Schauplatz liegt in Kärnten, in der sogenannten norischen Region, noch genauer: im Mosinzgraben, zwei Kilometer von Hüttenberg entfernt; rundherum Berge, durchlöchert von Stollen, wir sind also mitten in einem Bergbaugebiet. Der letzte Hochofen Kärntens ging zwar 1908 aus, aber die mächtigen Ruinen montanistischer Tradition holen hier die Vergangenheit doch sehr unmittelbar in die Gegenwart herauf. Im heurigen Sommer soll dieser Umstand auch Gegenstand einer Landesausstellung sein: „Grubenhunt & Ofensau“ wird vom Reichtum der Erde Kärntens berichten und wohl auch davon, wie er versiegte.
Soll man an dieser Stelle auf die bewegte, ja dramatische Vorgeschichte dieses Unternehmens überhaupt eingehen? Man vergißt darauf, wenn man den Schauplatz selbst aufsucht. Man vergißt sogar dann darauf, wenn man die Abstriche und Einsparungen kennt, die Günther Domenig in Kauf nehmen mußte.
Domenigs Architektur war nie besonders zimperlich. Das ist sie auch in diesem Fall nicht. Aber mit der Kraft eines solchen montanhistorischen Baudenkmals muß sich ein zeitgenössischer Architekt erst einmal messen. Und er muß diese Kraftprobe bestehen, ohne Schaden anzurichten, auch ohne selbst Schaden zu nehmen. Beides ist hier wunderbar gelungen. Wenn man sich der Anlage von Hüttenberg aus nähert, dann sieht man zuallererst jenen Bauteil, wo Domenig am massivsten eingegriffen hat: Man sieht ein vorkragendes, verblechtes Volumen, das irgendwie über der Straße schwebt, und noch weiter darüber eine ebenfalls kühn auskragende, schlauchartige Eisenkonstruktion. Rätselhaft.
Diese architektonische Maßnahme klärt sich erst auf, wenn man den neuen Bauteil umrundet hat. Dann steht man vor dem eigentlichen Haupteingang zur kommenden Ausstellung, dann überblickt man die nach oben, den Hang hinauf leicht abgetreppte, historische Anlage, und man ist ein erstes Mal mit Domenigs neuer, in gewisser Weise messerscharfer Intervention konfrontiert. Natürlich ist der Schlauch ein Stollen, und dieser Stollen schwebt. Er fährt wie ein Hochgeschwindigkeitszug über die ganze Anlage hinweg, funktioniert gleichzeitig auch als eine Art Klammer, die die Einzelteile des Areals zusammenhält, und er gibt eine Richtung an.
Was macht's - oder tut es dem Ganzen womöglich sogar gut? -, daß die Verglasung aus Kostengründen reduziert werden mußte, überhaupt, daß der Stollen sozusagen im Unfertigen endet, als würde er noch irgendwann weitergebaut (oder richtiger: geschlagen). Worauf es hier ankommt, das sind die Perspektiven, die einem diese Passage eröffnet: Sie rückt den Bestand näher, sie läßt ungewohnte Aus- und Einblicke zu, die Landschaft ebenso wie die von Domenig so genannten „toten Steine“ ziehen wie ein Film vorbei, jede Sequenz spannender als die vorherige.
Der Hauptzugang zur künftigen Landesausstellung erfolgt über das Gebläsehaus. Nachdem die Weichteile der Bauten alle längst verschwunden sind, steht auch dieses Haus ohne Tür, ohne Fenster, ohne Dach da. Daran hat Domenig im Grunde nicht gerührt. Maueröffnungen sind mit ganz einfachen, lapidaren Verglasungen geschlossen. Eine Betonscheibe, die das Haus vor dem Auseinanderbröckeln rettet, ist sichtbar eingezogen. Das fehlende Satteldach wurde nicht ersetzt, hinter dem Giebel ist es scheinbar leer. Erst wenn man drinnen ist, realisiert man das Flachdach, das Domenig eingezogen hat. Durch schmale, verglaste seitliche Oberlichtbänder fällt hier auch von oben etwas Licht ein, ansonsten ist das Dach aus Blech.
Mag sein, diese Einsparung schmerzt den Architekten: Er hatte ursprünglich ein Glasdach projektiert, das sicher eine schönere Lichtsituation zur Folge gehabt hätte. Auch dieser Abstrich ist jedoch verschmerzbar: Die schöne Rampe vor Augen, die hinauf zum späteren Mehrzwecksaal führt, möchte man ohnehin nur weitergehen.
Der Mehrzwecksaal selbst befindet sich in jenem organisch geformten, verblechten Baukörper, der einem schon von weitem Besonderheit signalisiert. Domenig, der ja auch der Ausstellungsarchitekt der kommenden Landesschau ist, wird hier seinen „Crocodile Dundee“ präsentieren. In diesem Raum wird Kärnten, das bekanntlich die Form eines aufgerissenen Krokodilrachens hat, durch seine Gebirgsformationen dargestellt. In verschweißten Eisenplatten nachgebaut und ein wenig überzeichnet werden Kärntens Berge über den Köpfen der Besucher schweben. Darunter das, was einmal in der Erde war - allerdings in seiner edelsten und kostbarsten Form; und darüber an einer Schmalseite eine Galerie, von der der Besucher quasi einen Blick auf das ganze Bundesland riskieren kann.
Die „organische“ Form des Saales hat viel mit der Galerie zu tun. In diesem Bereich hat Domenig eine größere Raumhöhe gebraucht. Die leicht gekrümmte Dachhaut und eine Verjüngung des Baukörpers nach vorne, zur Straße hin, sind die Folge.
In den Saal geht es übrigens nicht nur über die Rampe hinauf. Über einen zweiten Eingang und durch ein neues, sehr sachliches Stiegenhaus gibt es auch einen kürzeren Zugang, der später, in der Nachnutzung, vielleicht noch wichtig sein wird. Hier im Stiegenhaus ist außerdem der Zugang zum Lift, der einmal fix installiert sein sollte und jetzt bloß temporär an das Gebäude darangestellt ist. Es ist ein simpler Baulift, zugelassen für sechs Monate, der während der Landesausstellung Behinderten dient. Domenig spricht immer von „toten Steinen“, wenn von den alten Gebäuden der Heft die Rede ist. Er spricht auch davon, daß es keine Architekturen sind, sondern rein funktional begründete Bauwerke. Und dann wieder fallen Sätze über die archaische Kraft des Bestands, über seine skulpturale Stärke. Der kann man sich wirklich nicht entziehen, etwa wenn man die Hochöfen passiert oder das Maschinenhaus. Zwei der Hochöfen sind noch erhalten, einen dritten gibt es als Rudiment. „Kathedralen“ nennt sie Domenig und liegt damit sicher nicht falsch. Er ließ sie unberührt und griff in die Substanz des Maschinenhauses - jetzt, in der Sparvariante - ebenfalls nicht ein. Das heißt: die zwei Ebenen, die hier eingezogen werden sollten, damit auch aus diesem dachlosen Gemäuer ein winterfester Bereich wird, die gibt es nun ebensowenig wie die vorgesehene Treppe; was es gibt, sind lediglich oben zwei kleine Balkone, die man von den verschiedenen Erschließungsebenen erreicht und die wiederum einen spektakulären Ausblick erlauben.
Das trifft generell auf Domenigs Umgang mit dem Bestand zu: Seine Maßnahmen sind durchwegs selbstbewußt formuliert; aber der Zweck, der seine Mittel heiligt, liegt in den alten Bauteilen und darin, wie man sie ihrer Bedeutung gemäß zur Geltung bringt. Hier ergänzen einander alt und neu nicht, sie widersprechen einander aber auch nicht. Dafür ist jede einzelne Nahtstelle zwischen alt und neu demonstrativ vorgezeigt; die Ebene der Distanz, die alt und neu unmerklich trennt - tatsächlich kommt es zwischen beiden nur selten zu Berührungen -, schafft Respekt. Und was nur sehr selten gelingt: Die neuen Bauteile steigern die atmosphärische Wirkung des Alten.
Domenig hat sich natürlich selbst rigorose Beschränkungen auferlegen müssen - womit wir nun doch noch bei der dramatischen Vorgeschichte sind, in der ein vorübergehender Standortwechsel ein völlig neues Projekt erzwungen hat; in der ein massentouristisches Megaprojekt des Herrn Rogner für Aufregung sorgte; in der sich aufgebrachte Hüttenberger durch das Domenig-Projekt um 300.000 Besucher im Jahr und 150 Arbeitsplätze gebracht sahen („Wir wollen Arbeitsplätze und keine Kunst, Domenig-Projekt umasunst“ - Aufschrift auf einem Transparent); in der am Ende fast schon der Verzicht auf jegliche Form von „Architektur“ stand; und in der sich der Architekt auf den halsbrecherischen Drahtseilakt einlassen mußte, durch eine Sparvariante des Ausgangsprojekts seine Konkurrenzfähigkeit mit der architekturlosen Adaptierungsversion zu beweisen, um damit schließlich den fatalen Lauf der Dinge doch noch zu stoppen.
Das Resultat hat darunter trotzdem nicht gelitten. Die jetzige pure, industrielle, arme Version, in der roher Beton und gestrichenes Eisen, außerdem Blech, Glas und Materialien wie Terrazzoplatten oder überhaupt nur Kies eine Rolle spielen, kommt dem Charakter dieser Industrieruine sogar entgegen.
Auch die zurückhaltende Farbigkeit der neuen Bauteile tut gut: Es gibt das Grauschwarz der gestrichenen Konstruktionsteile, die Sepiatöne des winterfest gemachten Gebläsehauses, die Farben des Betons, die Schattierungen von Kies. Was es nicht mehr gibt, ist die zweite Rampe des ursprünglichen Projekts, die durchgehende Verglasung des schwebenden Stollens und, wie gesagt, das winterfest gemachte Maschinenhaus. Diese ganze Komposition und Verschränkung der neuen Maßnahmen mit den alten - das ist auf sehr stille Weise spektakulär.
Der Mehrzwecksaal etwa schwebt genau in der Achse des Gichthauses. Und die Stelle, wo man ins Freie hinaustritt, ist als Kreuz formuliert. Über Stiegen kommt man hinauf auf die Ebene des Kohlebarrens, der Teil des Ausstellungsbereichs ist. Über allem: Der lange, horizontale, schwebende Stollen, die eigentliche Attraktion.
Domenig sagt, diese Ruinen erzählen eine Geschichte, die sich mit heutiger Architektur nicht mitteilen läßt. Darüber müßte man nachdenken: Welche Arten von Geschichte zeitgenössisches Bauen erzählt. Domenig, der gebürtige Kärntner, sagt außerdem, daß er die Kärntner Landschaft liebt und daß er die Kärntner haßt, weil sie Verhinderer jeglicher kreativer Potenz seien. Darüber müßte man auch nachdenken.
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