Bauwerk
U6 Teilstück Spittelau - Floridsdorf
Architektengruppe U-Bahn - Wien (A)
Wer allzuviel auf einmal will
Kein Zweifel: Der Wiener U-Bahn-Bau ist in die Jahre gekommen. Die schlichte Modernität der „ersten Generation“ scheint verloren. Anläßlich der Eröffnung des neuen U6-Teilstücks: ein Vergleich.
27. April 1996 - Liesbeth Waechter-Böhm
Anfang Mai ist es wieder soweit, ein neues Teilstück des Wiener U-Bahn-Netzes wird seiner Bestimmung übergeben. Es umfaßt sechs Stationen - Spittelau, Jägerstraße, Dresdner Straße, Handelskai, Neue Donau, Floridsdorf - und macht aus der U6 Wiens längste U-Bahn-Linie. 13 Bezirke sind nun miteinander verbunden, die Strecke ist 18 Kilometer lang, hat insgesamt 24 Stationen, und wer tatsächlich vom einen Ende zum anderen fahren will - also von Siebenhirten im Süden über die Donau bis nach Floridsdorf im Norden -, der wird das in Hinkunft in 36 Minuten schaffen. Soviel zur Statistik.
Ein solches Ereignis läßt sich auf verschiedene Weise betrachten. Zum Beispiel: retrospektiv. Kein Zweifel, der Wiener U-Bahn-Bau ist in die Jahre gekommen. Als die Architektengruppe U-Bahn - Wilhelm Holzbauer, Heinz Marschalek, Georg Ladstätter und Bert Gantar - vor 26 Jahren mit der Planung der U1 begann, da war auch die architektonische Corporate Identity dieser Verkehrsbauten noch in Ordnung. Und sie brachte dem Team keineswegs zu Unrecht viel Anerkennung und in der Folge sogar den Auftrag ein, die Stationsgebäude einer neuen Metrolinie in Vancouver zu planen. Aber inzwischen ist viel Zeit vergangen.
Wenn man die Stationsgebäude des Wiener U-Bahn-Netzes aus heutiger Sicht betrachtet, dann kommt man nicht darum herum, eine Verwässerung und Abschwächung des ursprünglichen Konzepts zu konstatieren. Bekanntlich verderben viele Köche den Brei. Und der Architektur der Wiener Stationsgebäude hat es nicht unbedingt genützt, daß der „Auftragskuchen“ mehr und mehr portioniert wurde, damit auch andere „zum Zug“ kommen. Der Architektur hat es aber auch nicht nur genützt, daß die Architektengruppe U-Bahn selbst irgendwann einmal - anläßlich der Planung der U3 - zur Einsicht gelangte, sie müsse das Ausgangskonzept ändern und sprachlich „aktualisieren“. Last, not least tut es Verkehrsbauwerken grundsätzlich nicht gut, wenn man allzuviel auf einmal von ihnen will.
Besonders für diesen letzten Aspekt liefert die Station Handelskai ein hervorragendes Beispiel. Sie wurde in eine Art städtebauliche Wüstenei gestellt. Vor Jahren gab es zwar allerhand Pläne, die dieses Gebiet aufgewertet hätten, aber nichts davon wird in absehbarer Zeit realisiert. Also: vorläufig keine Belebung des Viertels, auch keine städtebauliche Bereinigung des Areals, dafür aber eine von den Dimensionen her wirklich riesige Station in Verbindung mit allerlei baulichen Denkwürdigkeiten.
So groß ist die Station deshalb geworden, weil hier einerseits U-Bahn und S-Bahn parallel laufen und andererseits eine weitere S-Bahnlinie kreuzt. Damit nicht genug: Die Wiener Stadtpolitiker wollten gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe treffen. Und daher haben sie mit diesem Teilstück des U-Bahn-Baus auch den Anspruch verknüpft, das Fuß- und Radwegenetz über die Donau hinweg zu verlängern und zu vervollständigen. Wenn man schon eine U-Bahn-Brücke baut, so die Überlegung, dann ist der Mehraufwand für einen Steg, der Fußgängern und Radfahrern zugute kommt, verhältnismäßig gering.
So weit, so gut. Doch wo ist der Steg für Fußgänger und Radfahrer? Oben, auf Höhe der Bahnsteige. Und wo sind die Straßen, von denen Fußgänger und Radfahrer kommen oder zu denen sie wollen? Die sind natürlich unten, auf Bodenniveau. Es galt also einen Niveausprung zu bewältigen, und das hat auf-wendige bauliche Maßnahmen nach sich gezogen. Zusätzlich zur ohnehin gewaltigen Station gibt es daher noch runde, turmartige Rampenbauwerke, mit deren Hilfe das Gefälle sowohl von den Radfahrern als auch von Kinderwagen schiebenden Fußgängern in weitschweifigen Serpentinen überwunden werden kann.
U-Bahn und die parallele S-Bahnlinie sind im Bereich Handelskai in Hochlage geführt. Um der Sache mehr räumliche Spannung zu verleihen, verläuft die U-Bahn-Trasse dabei nicht exakt parallel zur Bahn, sondern schwingt sich in einer sanften Kurve an das Stationsgebäude heran. Das hat wiederum zur Folge, daß nicht nur unter den beiden Trassen „Restraum“ entsteht, sondern auch dazwischen. Überhaupt kommt es hier durch die Vielzahl der notwendigen baulichen Maßnahmen zu „Resträumen“ verschiedenster Art. Man hat sich zwar Mühe gegeben: Zwei solche Resträu-me wurden zum Beispiel mit jeweils drei Pappeln bepflanzt. Aber die Tatsache, daß hier ein unheimlich kompliziertes und überdimensioniertes Verkehrsbauwerk entstanden ist, die läßt sich nicht so leicht kaschieren. (Es scheint überhaupt ein Trend zu sein, daß die Stationsgebäude immer größer werden.)
Derzeit wird in den sechs neuen Stationen nach wie vor auf Hochtouren gearbeitet, und wenn man die Baustellen inspiziert, dann weiß man, daß bis zur Eröffnung am 4. Mai bestimmt nicht alles fertig sein wird. Aber immerhin, die Züge der U-Bahn fahren schon, wenn auch einstweilen nur im Probebetrieb. Eine Station, die fast in Sichtweite des Handelskais - nur die Donauinsel schiebt sich dazwischen - und ebenfalls in Hochlage errichtet wurde, liegt an der „Neuen Donau“. Sie steht auf der Eindeckung der Donauufer-Autobahn und enthält eine kleine, bescheidene EXPO-Reminiszenz in Form eines Parkplatzes: Hier hätte der EXPO-Shuttle seinen „Bahnhof“ haben sollen. Die Lage dieses Stationsgebäudes ist recht spektakulär: Man hat einen wundervollen Ausblick auf das Kleingartengebiet, auf die „Neue Donau“ und hinüber zur Donauinsel. Die Station „Neue Donau“ demonstriert alle Merkmale des aktuellen U-Bahn-Konzepts in Reinkultur: Die Primärkonstruktion ist ein Stahlbauskelett aus mächtigen Raumfachwerksträgern, die sowohl im Bereich der 115 Meter langen Seitenbahnsteige außen liegen (da sind sie am Bahnsteigtragwerk befestigt) als auch im Bereich des Aufnahmegebäudes (da stehen sie vor der Fassade). Im übrigen gibt es viel Glas.
Das Aufnahmegebäude liegt zentral, die Erschließung der Bahnsteige erfolgt jeweils über eine breite Stiege und durch einen 20-Personen-Lift, der rundum verglast ist, um das Sicherheitsrisiko zu minimieren. Das Paneelsystem an Wänden und Decke ist inzwischen bewährt und bekannt, ebenso das frei abgehängte Leitsystem. Die „Möblierung“ ist durchaus sinnvoll in Gruppen konzentriert und überaus solide. Man hat weder Kosten noch Mühen gescheut, um dieses Bauwerk und natürlich auch die Gestaltung der von den Bauarbeiten arg in Mitleidenschaft gezogenen Umgebung so auszuführen, daß sich darin ein materieller Qualitätsanspruch adäquat ausdrückt. Es ist keine Frage, daß es mit dieser sprachlichen Gestik zu tun haben muß, wenn die Wiener U-Bahn-Bauten nicht so sehr von Vandalismus und Schmierereien betroffen sind, wie man sie aus anderen Städten nur zu gut kennt.
Hier wurde nicht am falschen Platz gespart wie bei der U6-Süd, wo aus Kostengründen teilweise auf die Überdachung der Bahnsteige verzichtet wur-de; und hier sind auch die Leitungen nicht sichtbar und sperrig zwischen den Gleisen geführt, als gelte es, Zäune aufzurichten. Insofern stimmt alles. Freilich: Die schnittige Präzision der ersten Generation von U-Bahn-Bauten, die das Thema der Bewegung und Geschwindigkeit architektonisch aufgenommen haben - man denke an die U1-Station „Alte Donau“ -, die hat mittlerweile einer Art von Repräsentation Platz gemacht, die einem auch zuviel werden kann, weil sie einem heutigen Verkehrsbauwerk - im Gegensatz zu den Zeiten Otto Wagners - zumindest nicht in dieser Formentspricht.
Wenn man die Stationen „Alte Donau“ und „Neue Donau“ - und letztere ist die mit Abstand am besten gelungene des neuen Teilstückes - miteinander vergleicht, dann kommt es einem vor, als sei damals, beim Bau der U1, die Sprache der U-Bahn-Bauten eher auf der Höhe der Zeit gewesen, als sie es heute ist. Zumindest war sie selbstverständlicher und nicht ganz so eitel und prächtig. Damit soll der Wiener U-Bahn nichts Schlechtes nachgesagt sein. Das Grundkonzept hat sich längst als richtig erwiesen. Aber die eher schlichte Modernität der „ersten Generation“, die ist verloren.
Ein solches Ereignis läßt sich auf verschiedene Weise betrachten. Zum Beispiel: retrospektiv. Kein Zweifel, der Wiener U-Bahn-Bau ist in die Jahre gekommen. Als die Architektengruppe U-Bahn - Wilhelm Holzbauer, Heinz Marschalek, Georg Ladstätter und Bert Gantar - vor 26 Jahren mit der Planung der U1 begann, da war auch die architektonische Corporate Identity dieser Verkehrsbauten noch in Ordnung. Und sie brachte dem Team keineswegs zu Unrecht viel Anerkennung und in der Folge sogar den Auftrag ein, die Stationsgebäude einer neuen Metrolinie in Vancouver zu planen. Aber inzwischen ist viel Zeit vergangen.
Wenn man die Stationsgebäude des Wiener U-Bahn-Netzes aus heutiger Sicht betrachtet, dann kommt man nicht darum herum, eine Verwässerung und Abschwächung des ursprünglichen Konzepts zu konstatieren. Bekanntlich verderben viele Köche den Brei. Und der Architektur der Wiener Stationsgebäude hat es nicht unbedingt genützt, daß der „Auftragskuchen“ mehr und mehr portioniert wurde, damit auch andere „zum Zug“ kommen. Der Architektur hat es aber auch nicht nur genützt, daß die Architektengruppe U-Bahn selbst irgendwann einmal - anläßlich der Planung der U3 - zur Einsicht gelangte, sie müsse das Ausgangskonzept ändern und sprachlich „aktualisieren“. Last, not least tut es Verkehrsbauwerken grundsätzlich nicht gut, wenn man allzuviel auf einmal von ihnen will.
Besonders für diesen letzten Aspekt liefert die Station Handelskai ein hervorragendes Beispiel. Sie wurde in eine Art städtebauliche Wüstenei gestellt. Vor Jahren gab es zwar allerhand Pläne, die dieses Gebiet aufgewertet hätten, aber nichts davon wird in absehbarer Zeit realisiert. Also: vorläufig keine Belebung des Viertels, auch keine städtebauliche Bereinigung des Areals, dafür aber eine von den Dimensionen her wirklich riesige Station in Verbindung mit allerlei baulichen Denkwürdigkeiten.
So groß ist die Station deshalb geworden, weil hier einerseits U-Bahn und S-Bahn parallel laufen und andererseits eine weitere S-Bahnlinie kreuzt. Damit nicht genug: Die Wiener Stadtpolitiker wollten gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe treffen. Und daher haben sie mit diesem Teilstück des U-Bahn-Baus auch den Anspruch verknüpft, das Fuß- und Radwegenetz über die Donau hinweg zu verlängern und zu vervollständigen. Wenn man schon eine U-Bahn-Brücke baut, so die Überlegung, dann ist der Mehraufwand für einen Steg, der Fußgängern und Radfahrern zugute kommt, verhältnismäßig gering.
So weit, so gut. Doch wo ist der Steg für Fußgänger und Radfahrer? Oben, auf Höhe der Bahnsteige. Und wo sind die Straßen, von denen Fußgänger und Radfahrer kommen oder zu denen sie wollen? Die sind natürlich unten, auf Bodenniveau. Es galt also einen Niveausprung zu bewältigen, und das hat auf-wendige bauliche Maßnahmen nach sich gezogen. Zusätzlich zur ohnehin gewaltigen Station gibt es daher noch runde, turmartige Rampenbauwerke, mit deren Hilfe das Gefälle sowohl von den Radfahrern als auch von Kinderwagen schiebenden Fußgängern in weitschweifigen Serpentinen überwunden werden kann.
U-Bahn und die parallele S-Bahnlinie sind im Bereich Handelskai in Hochlage geführt. Um der Sache mehr räumliche Spannung zu verleihen, verläuft die U-Bahn-Trasse dabei nicht exakt parallel zur Bahn, sondern schwingt sich in einer sanften Kurve an das Stationsgebäude heran. Das hat wiederum zur Folge, daß nicht nur unter den beiden Trassen „Restraum“ entsteht, sondern auch dazwischen. Überhaupt kommt es hier durch die Vielzahl der notwendigen baulichen Maßnahmen zu „Resträumen“ verschiedenster Art. Man hat sich zwar Mühe gegeben: Zwei solche Resträu-me wurden zum Beispiel mit jeweils drei Pappeln bepflanzt. Aber die Tatsache, daß hier ein unheimlich kompliziertes und überdimensioniertes Verkehrsbauwerk entstanden ist, die läßt sich nicht so leicht kaschieren. (Es scheint überhaupt ein Trend zu sein, daß die Stationsgebäude immer größer werden.)
Derzeit wird in den sechs neuen Stationen nach wie vor auf Hochtouren gearbeitet, und wenn man die Baustellen inspiziert, dann weiß man, daß bis zur Eröffnung am 4. Mai bestimmt nicht alles fertig sein wird. Aber immerhin, die Züge der U-Bahn fahren schon, wenn auch einstweilen nur im Probebetrieb. Eine Station, die fast in Sichtweite des Handelskais - nur die Donauinsel schiebt sich dazwischen - und ebenfalls in Hochlage errichtet wurde, liegt an der „Neuen Donau“. Sie steht auf der Eindeckung der Donauufer-Autobahn und enthält eine kleine, bescheidene EXPO-Reminiszenz in Form eines Parkplatzes: Hier hätte der EXPO-Shuttle seinen „Bahnhof“ haben sollen. Die Lage dieses Stationsgebäudes ist recht spektakulär: Man hat einen wundervollen Ausblick auf das Kleingartengebiet, auf die „Neue Donau“ und hinüber zur Donauinsel. Die Station „Neue Donau“ demonstriert alle Merkmale des aktuellen U-Bahn-Konzepts in Reinkultur: Die Primärkonstruktion ist ein Stahlbauskelett aus mächtigen Raumfachwerksträgern, die sowohl im Bereich der 115 Meter langen Seitenbahnsteige außen liegen (da sind sie am Bahnsteigtragwerk befestigt) als auch im Bereich des Aufnahmegebäudes (da stehen sie vor der Fassade). Im übrigen gibt es viel Glas.
Das Aufnahmegebäude liegt zentral, die Erschließung der Bahnsteige erfolgt jeweils über eine breite Stiege und durch einen 20-Personen-Lift, der rundum verglast ist, um das Sicherheitsrisiko zu minimieren. Das Paneelsystem an Wänden und Decke ist inzwischen bewährt und bekannt, ebenso das frei abgehängte Leitsystem. Die „Möblierung“ ist durchaus sinnvoll in Gruppen konzentriert und überaus solide. Man hat weder Kosten noch Mühen gescheut, um dieses Bauwerk und natürlich auch die Gestaltung der von den Bauarbeiten arg in Mitleidenschaft gezogenen Umgebung so auszuführen, daß sich darin ein materieller Qualitätsanspruch adäquat ausdrückt. Es ist keine Frage, daß es mit dieser sprachlichen Gestik zu tun haben muß, wenn die Wiener U-Bahn-Bauten nicht so sehr von Vandalismus und Schmierereien betroffen sind, wie man sie aus anderen Städten nur zu gut kennt.
Hier wurde nicht am falschen Platz gespart wie bei der U6-Süd, wo aus Kostengründen teilweise auf die Überdachung der Bahnsteige verzichtet wur-de; und hier sind auch die Leitungen nicht sichtbar und sperrig zwischen den Gleisen geführt, als gelte es, Zäune aufzurichten. Insofern stimmt alles. Freilich: Die schnittige Präzision der ersten Generation von U-Bahn-Bauten, die das Thema der Bewegung und Geschwindigkeit architektonisch aufgenommen haben - man denke an die U1-Station „Alte Donau“ -, die hat mittlerweile einer Art von Repräsentation Platz gemacht, die einem auch zuviel werden kann, weil sie einem heutigen Verkehrsbauwerk - im Gegensatz zu den Zeiten Otto Wagners - zumindest nicht in dieser Formentspricht.
Wenn man die Stationen „Alte Donau“ und „Neue Donau“ - und letztere ist die mit Abstand am besten gelungene des neuen Teilstückes - miteinander vergleicht, dann kommt es einem vor, als sei damals, beim Bau der U1, die Sprache der U-Bahn-Bauten eher auf der Höhe der Zeit gewesen, als sie es heute ist. Zumindest war sie selbstverständlicher und nicht ganz so eitel und prächtig. Damit soll der Wiener U-Bahn nichts Schlechtes nachgesagt sein. Das Grundkonzept hat sich längst als richtig erwiesen. Aber die eher schlichte Modernität der „ersten Generation“, die ist verloren.
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