Bauwerk
Gaußplatz - Neugestaltung
Hilmar Bauer, Andreas Brandolini, Heinz Lindner - Wien (A)
Die Einkreisung des Nutzens
Stadtplanerische Weitsicht, verschlüßelte Botschaften: Bei der Neugestaltung des Wiener Gaußplatzes wurde auf marktschreierische Aussagen verzichtet.
21. September 1996 - Walter Chramosta
Es ist eine jener mit zynischen Aspekten behafteten Paradoxien, wie sie am häufigsten im Vorfeld von Wahlen aufbrechen: Einer der Wiener Spitzenkandidaten antwortet auf die Frage nach dem „mißlungensten und änderungswürdigsten Ort Wiens“ mit einem Besuch des kürzlich neugestalteten Gaußplatzes. Er meint angesichts eines noch nicht fertiggestellten Ballspielkäfigs ein liberalistisches Bekenntnis gegen Behördenwillkür ablegen zu können: „Wem so etwas einfällt, der kann keine Kinder haben. Das zeigt, wie von Behörden mit Menschen umgegangen wird. Man hält sich an alle Vorschriften, die emotionale Kompetenz fehlt aber.“
Diese Abfuhr, ausgesprochen an einem Ort, dem wie kaum einem öffentlichen Raum in Wien alle Facetten planerischer Ambition zuteil geworden sind, an dem sich wie kaum anderswo Argumente und Emotionen der Bürger entzündet haben und von dem Rückwirkungen auf Behörden ausgegangen sind, weist auf fehlende Wahrnehmungsfähigkeit eines Politikers hin. Der Gaußplatz hat diese Bewertung nicht verdient, das macht jede kritisch geschriebene Projektgeschichte klar. Der Kardinal- Rauscher-Platz wäre dagegen ein greller Fixstarter für dieses abwertende Prädikat.
Am neuen Gaußplatz fehlen marktschreierische Aussagen. Seine Botschaften sind verschlüsselter, abstrakter, nichtsdestoweniger erkennbar. Qualität enthüllt sich nicht jedem sofort: „Design ist unsichtbar.“ Die Dinge des täglichen Gebrauchs stellen sich, wenn sie unmittelbare Nutzwerte entfalten, nicht als Stimmungsmacher, sondern als Dienstbarkeiten dar. Die urbane „Benutzeroberfläche“ ist am Gaußplatz geordnet, neue Nutzungsmuster sind abgesteckt. Teile dieser Muster sind alt, andere nach einer Aufwertung wieder wahrnehmbar, weitere gänzlich neu.
Die widerspruchsfreie Inkorporation banaler Vorgaben in das neue Konzept, wie etwa der Bedürfnisanstalt in die Pergola, belegt die formale Resistenz der Installation. Sie wird nicht jedem gleich zu Gesicht stehen, aber sie wird in ihrer Aneigenbarkeit beweisen, daß sie intelligent ausgelegt ist. Sie ist durchdacht, aber hat Reserven für die Interpretation; sie ist konsequent gestaltet, aber räumt sekundären Nachrüstungen eine Chance ein; sie ist in manchem Glanzlicht dominant, aber respektiert den Bestand.
Planer und Bürger haben, unterstützt von Behörden und Politikern, beharrlich auf die latenten räumlichen Optionen des Gaußplatzes gesetzt. Sie haben das Nützliche „eingekreist“, es letztlich dort gefunden, wo es seit langem liegt: im Wechselspiel eines unvollständigen Oktogons von (klein)bürgerlichen Wohnbauten mit dem exzentrisch eingelagerten Kreisverkehr.
Im 17. Jahrhundert beginnt sich eine merkwürdige Kreuzungsgeometrie am Rande des Augartens, eines damals noch ungestalteten, kaiserlichen Jagdgebiets, abzuzeichnen. 1861 entwirft Ludwig Förster den für Wien ungewöhnlichen Sternplatz. Die Fronten der seit den frühen siebziger Jahren entstandenen Bauten zeichnen den Stern aber nicht nach, sondern sind so zurückgenommen, daß sich ein unregelmäßiges Polygon mit acht einmündenden Straßen ergibt. Diese erste Bebauung ist mit einer Ausnahme noch heute erhalten. Der Gaußplatz ist wegen seines geringeren Verkehrsaufkommens in Ost-West-Richtung mehr ein Architekturplatz - mit Spiel-, Erholungs- und Kommunikationszonen - denn ein klassischer Verkehrsplatz.
Das Quartier um den Gaußplatz, die Kanalbrigittenau, war seit jeher als preiswertes Wohngebiet von uneinheitlichen Bewohnergruppen geprägt. Auch heute ist spürbar, daß hier sozial schwächere In- und Ausländer unterkommen. Der Gaußplatz ist ein Sammelbecken für Kinder und Jugendliche, es gibt eine Reihe einfacherer Gaststätten und Läden - der Platz lebt und hat beste Chancen, nach der sozialen Befriedung durch den Umbau auf Dauer eine attraktive Quartiermitte abzugeben.
Mit den Entwicklungschancen ist es aber nicht immer zum besten gestanden: Seit Mitte der siebziger Jahre folgte ein Umbauprojekt dem anderen. Dynamik kommt erst auf, als sich die städtische Gebietsbetreuung ein Pilotprojekt zumutet, um dem Gaußplatz in einem kooperativen Verfahren mit den Bewohnern eine neue Gestalt zu geben. Die auch für das anerkannt hohe Niveau der Wiener Stadterneuerung beispielhafte Initiative mündet im November 1990 in den „Arbeitskreis Gaußplatz“, der Informations- und Koordinationsaufgaben wahrnimmt.
Uschi Reisinger und Dieter Schreiber wachsen mit der Leitung des Arbeitskreises aus der angestammten Rolle als Gebietsbetreuer in jene lokaler Projekt- und Kulturmanager. Man übertreibt nicht, wenn man in diesem Team die ausschlaggebende Triebkraft sieht, die das über Jahre immer wieder an der Kippe stehende Projekt des Gaußplatz-Umbaues auf den Weg bringt. Die Bürgerbeteiligung gipfelt in der Bewertung der Projekte aus einem von der Stadt Wien ausgelobten Gutachterverfahren. Luigi Blau, Andreas Brandolini, Rudolf Guttmann und Franz Kuzmich stellen sich im März 1992 einer Fachjury wie dem Arbeitskreis.
Franz Kuzmich, Maria Auböck und Werner Rosinak gehen mit dem klaren Konzept eines in drei lineare Zonen gegliederten Platzes als Sieger hervor. Ihr Entwurf besticht durch die mutige Sperre der Oberen Donaustraße und das damit einhergehende Verschwinden des nicht nur von Fahrschülern gefürchteten Kreisverkehrs. Die Mutprobe, den Platz an die Donaukanallände anzunabeln, will der Bezirk nicht bestehen, sodaß 1993 dem ausgezeichneten Projekt eine Revision nahegelegt wird. Franz Kuzmich verzichtet auf die weitere Beauftragung.
Andreas Brandolini, aus Sachsen gebürtiger Architekt und Professor für Design, weckt mit seinem Vorschlag einer gestalterischen Überhöhung der für obsolet gehaltenen Kreisgeometrie und der asketischen Möblierung des Platzes großes Interesse. Der Kreisverkehr ist damals negativ besetzt und durch die geplante Sperre der Oberen Donaustraße nicht mehr spruchreif. Die politische Wiedergeburt des Kreises stellt zwei Jahre nach dem Gutachten diese Entscheidung auf den Kopf und bringt Brandolini mit seinen Wiener Partnern Heinz Lindner und Hilmar Bauer ins Spiel.
So bietet sich nun trotz medialer Unkenrufe - vom „Teufelskreis“ und „Swobodrom“ ist die Rede - ein aufgeräumtes Stadtgefäß mit vier raumbildenden und -trennenden Elementen. Da sind: erstens der nachts strahlende, tagsüber metallisch glänzende Stahlring als Zentrum des Kreisverkehrs und des gesamten Platzes; zweitens die langgestreckte Stahlpergola, die die Verkehrsflächen von Spiel- und Ruhezonen trennt; drittens der Spielkäfig in der Verlängerung der stillgelegten Treustraße; viertens die zylindrischen Rankgerüste, die den nördlichen und östlichen Platzrändern zu räumlicher Eigenart verhelfen.
Der urbanistische Ansatz, die irreguläre Geometrie durch den präzisierten Kreis(verkehr) zu schönen und erfaßbar zu machen, geht auf. Die Gleichbehandlung aller Nutzungen steigert den Wert des Platzes deutlich: Jede Nutzung kann für sich bestehen. Die Kindern testen den Ballkäfig auf Schußfestigkeit, die Jugendlichen gehen ungestört auf Distanz, die Alten haben ihre Ruhenischen, nur die Automobilisten haben die zur Bevorrangung der Straßenbahn installierte Sparampel noch nicht verinnerlicht. Die Materialisierung der Pergolen und Rankgerüste ist in ihrer Askese vorbildlich und bringt die an alle Sinne appellierende Bepflanzung (Lavendel, Wein, Salbei, Minze und Johannisbeere) und die als Solitäre herausgearbeiteten alten Bäume noch besser zur Geltung. Die Schiefermauern schneiden klare Bezirke aus dem Planum und separieren im Verein mit den Bodenbelägen (wassergebundener Sand, Betonsteine, Asphalt) widersprüchliche Verwendungen. Die „Rathauspark“-Laternen und die wiederentdeckten Peitschenleuchten lassen ironisch die sechziger Jahre anklingen. Und all das soll bar jeder „emotionalen Kompetenz“ sein?
Diese Abfuhr, ausgesprochen an einem Ort, dem wie kaum einem öffentlichen Raum in Wien alle Facetten planerischer Ambition zuteil geworden sind, an dem sich wie kaum anderswo Argumente und Emotionen der Bürger entzündet haben und von dem Rückwirkungen auf Behörden ausgegangen sind, weist auf fehlende Wahrnehmungsfähigkeit eines Politikers hin. Der Gaußplatz hat diese Bewertung nicht verdient, das macht jede kritisch geschriebene Projektgeschichte klar. Der Kardinal- Rauscher-Platz wäre dagegen ein greller Fixstarter für dieses abwertende Prädikat.
Am neuen Gaußplatz fehlen marktschreierische Aussagen. Seine Botschaften sind verschlüsselter, abstrakter, nichtsdestoweniger erkennbar. Qualität enthüllt sich nicht jedem sofort: „Design ist unsichtbar.“ Die Dinge des täglichen Gebrauchs stellen sich, wenn sie unmittelbare Nutzwerte entfalten, nicht als Stimmungsmacher, sondern als Dienstbarkeiten dar. Die urbane „Benutzeroberfläche“ ist am Gaußplatz geordnet, neue Nutzungsmuster sind abgesteckt. Teile dieser Muster sind alt, andere nach einer Aufwertung wieder wahrnehmbar, weitere gänzlich neu.
Die widerspruchsfreie Inkorporation banaler Vorgaben in das neue Konzept, wie etwa der Bedürfnisanstalt in die Pergola, belegt die formale Resistenz der Installation. Sie wird nicht jedem gleich zu Gesicht stehen, aber sie wird in ihrer Aneigenbarkeit beweisen, daß sie intelligent ausgelegt ist. Sie ist durchdacht, aber hat Reserven für die Interpretation; sie ist konsequent gestaltet, aber räumt sekundären Nachrüstungen eine Chance ein; sie ist in manchem Glanzlicht dominant, aber respektiert den Bestand.
Planer und Bürger haben, unterstützt von Behörden und Politikern, beharrlich auf die latenten räumlichen Optionen des Gaußplatzes gesetzt. Sie haben das Nützliche „eingekreist“, es letztlich dort gefunden, wo es seit langem liegt: im Wechselspiel eines unvollständigen Oktogons von (klein)bürgerlichen Wohnbauten mit dem exzentrisch eingelagerten Kreisverkehr.
Im 17. Jahrhundert beginnt sich eine merkwürdige Kreuzungsgeometrie am Rande des Augartens, eines damals noch ungestalteten, kaiserlichen Jagdgebiets, abzuzeichnen. 1861 entwirft Ludwig Förster den für Wien ungewöhnlichen Sternplatz. Die Fronten der seit den frühen siebziger Jahren entstandenen Bauten zeichnen den Stern aber nicht nach, sondern sind so zurückgenommen, daß sich ein unregelmäßiges Polygon mit acht einmündenden Straßen ergibt. Diese erste Bebauung ist mit einer Ausnahme noch heute erhalten. Der Gaußplatz ist wegen seines geringeren Verkehrsaufkommens in Ost-West-Richtung mehr ein Architekturplatz - mit Spiel-, Erholungs- und Kommunikationszonen - denn ein klassischer Verkehrsplatz.
Das Quartier um den Gaußplatz, die Kanalbrigittenau, war seit jeher als preiswertes Wohngebiet von uneinheitlichen Bewohnergruppen geprägt. Auch heute ist spürbar, daß hier sozial schwächere In- und Ausländer unterkommen. Der Gaußplatz ist ein Sammelbecken für Kinder und Jugendliche, es gibt eine Reihe einfacherer Gaststätten und Läden - der Platz lebt und hat beste Chancen, nach der sozialen Befriedung durch den Umbau auf Dauer eine attraktive Quartiermitte abzugeben.
Mit den Entwicklungschancen ist es aber nicht immer zum besten gestanden: Seit Mitte der siebziger Jahre folgte ein Umbauprojekt dem anderen. Dynamik kommt erst auf, als sich die städtische Gebietsbetreuung ein Pilotprojekt zumutet, um dem Gaußplatz in einem kooperativen Verfahren mit den Bewohnern eine neue Gestalt zu geben. Die auch für das anerkannt hohe Niveau der Wiener Stadterneuerung beispielhafte Initiative mündet im November 1990 in den „Arbeitskreis Gaußplatz“, der Informations- und Koordinationsaufgaben wahrnimmt.
Uschi Reisinger und Dieter Schreiber wachsen mit der Leitung des Arbeitskreises aus der angestammten Rolle als Gebietsbetreuer in jene lokaler Projekt- und Kulturmanager. Man übertreibt nicht, wenn man in diesem Team die ausschlaggebende Triebkraft sieht, die das über Jahre immer wieder an der Kippe stehende Projekt des Gaußplatz-Umbaues auf den Weg bringt. Die Bürgerbeteiligung gipfelt in der Bewertung der Projekte aus einem von der Stadt Wien ausgelobten Gutachterverfahren. Luigi Blau, Andreas Brandolini, Rudolf Guttmann und Franz Kuzmich stellen sich im März 1992 einer Fachjury wie dem Arbeitskreis.
Franz Kuzmich, Maria Auböck und Werner Rosinak gehen mit dem klaren Konzept eines in drei lineare Zonen gegliederten Platzes als Sieger hervor. Ihr Entwurf besticht durch die mutige Sperre der Oberen Donaustraße und das damit einhergehende Verschwinden des nicht nur von Fahrschülern gefürchteten Kreisverkehrs. Die Mutprobe, den Platz an die Donaukanallände anzunabeln, will der Bezirk nicht bestehen, sodaß 1993 dem ausgezeichneten Projekt eine Revision nahegelegt wird. Franz Kuzmich verzichtet auf die weitere Beauftragung.
Andreas Brandolini, aus Sachsen gebürtiger Architekt und Professor für Design, weckt mit seinem Vorschlag einer gestalterischen Überhöhung der für obsolet gehaltenen Kreisgeometrie und der asketischen Möblierung des Platzes großes Interesse. Der Kreisverkehr ist damals negativ besetzt und durch die geplante Sperre der Oberen Donaustraße nicht mehr spruchreif. Die politische Wiedergeburt des Kreises stellt zwei Jahre nach dem Gutachten diese Entscheidung auf den Kopf und bringt Brandolini mit seinen Wiener Partnern Heinz Lindner und Hilmar Bauer ins Spiel.
So bietet sich nun trotz medialer Unkenrufe - vom „Teufelskreis“ und „Swobodrom“ ist die Rede - ein aufgeräumtes Stadtgefäß mit vier raumbildenden und -trennenden Elementen. Da sind: erstens der nachts strahlende, tagsüber metallisch glänzende Stahlring als Zentrum des Kreisverkehrs und des gesamten Platzes; zweitens die langgestreckte Stahlpergola, die die Verkehrsflächen von Spiel- und Ruhezonen trennt; drittens der Spielkäfig in der Verlängerung der stillgelegten Treustraße; viertens die zylindrischen Rankgerüste, die den nördlichen und östlichen Platzrändern zu räumlicher Eigenart verhelfen.
Der urbanistische Ansatz, die irreguläre Geometrie durch den präzisierten Kreis(verkehr) zu schönen und erfaßbar zu machen, geht auf. Die Gleichbehandlung aller Nutzungen steigert den Wert des Platzes deutlich: Jede Nutzung kann für sich bestehen. Die Kindern testen den Ballkäfig auf Schußfestigkeit, die Jugendlichen gehen ungestört auf Distanz, die Alten haben ihre Ruhenischen, nur die Automobilisten haben die zur Bevorrangung der Straßenbahn installierte Sparampel noch nicht verinnerlicht. Die Materialisierung der Pergolen und Rankgerüste ist in ihrer Askese vorbildlich und bringt die an alle Sinne appellierende Bepflanzung (Lavendel, Wein, Salbei, Minze und Johannisbeere) und die als Solitäre herausgearbeiteten alten Bäume noch besser zur Geltung. Die Schiefermauern schneiden klare Bezirke aus dem Planum und separieren im Verein mit den Bodenbelägen (wassergebundener Sand, Betonsteine, Asphalt) widersprüchliche Verwendungen. Die „Rathauspark“-Laternen und die wiederentdeckten Peitschenleuchten lassen ironisch die sechziger Jahre anklingen. Und all das soll bar jeder „emotionalen Kompetenz“ sein?
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