Bauwerk

Haus Mayrhofer
Ernst Beneder - Waidhofen an der Ybbs (A) - 1992
Haus Mayrhofer, Foto: Ernst Beneder

So oder doch ganz anders

Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein einfacher Terrassenbau: Ernst Beneders Einfamilienhaus in Waidhofen an der Ybbs. Im Inneren jedoch entpuppt es sich als komplexes Raumkunstwerk.

29. Juni 1996 - Christian Kühn
So sollte ein Einfamilienhaus eigentlich nicht aussehen: ein abgetreppter grauer Kubus; breite Fensterbänder; Zwillingsrauchfänge aus Edelstahl. Davor ein großer Trog aus Stahlbeton, in dem sich das Regenwasser der Flachdächer sammelt.

„Es muß nicht aussehen wie ein Haus.“ Gleich zu Planungsbeginn, so berichtet der Architekt Ernst Beneder, habe ihn sein Bauherr mit diesem Satz überrascht. Man kann das leicht falsch interpretieren: Wollte der Bauherr ein Haus, das anders aussieht als die anderen, ein richtiges, modernes Bürgerschreckhaus, 100prozentig „bourgeois-proof“, wie das der amerikanische Kritiker Tom Wolfe in seiner Abrechnung mit der Bauhausarchitektur spöttisch bezeichnete?

So oberflächlich war dieser Satz natürlich nicht gemeint. Es geht hier um etwas ganz anderes: Bauherr und Architekt beschließen, beim Entwurf das Ziel aus den Augen zu verlieren - nicht mehr von vornherein zu wissen, wie ein Haus aussieht - und sich statt dessen auf den Weg zu konzentrieren. Statt das Entwerfen mit dem Lösen eines Problems gleichzusetzen, machen sie sich erst auf die Suche nach dem Problem. Aber anders als in der frühen Moderne, als Le Corbusier ja auch davon sprach, daß das „Problem des Hauses noch nicht gestellt worden sei“, ist heute jede Hoffnung verflogen, dieses Problem ohne historischen Ballast ein für allemal abhandeln zu können, und es ist auch klar geworden, welche Verarmung damit verbunden wäre.

Ernst Beneder hat in den späten achtziger Jahren - anknüpfend an die Theorie des „kritischen Regionalismus“ - in einem Aufsatz die geänderte geistige Verfassung beschrieben. Seine Überlegungen weisen so weit über die damalige verklemmte Diskussion zwischen Postmoderne und Dekonstruktion hinaus, daß es sich lohnt, ihn zu zitieren: „Orten wir die initiale Zündung des Entwurfes nicht erst in der Artikulation einer Lösung, vielmehr schon in der Formulierung der Problemstellung, also in der Gegenüberstellung zu dem Prätext, den Wünschen, den Grenzen, dem Bauplatz, dem politischen und sozialen Spannungsfeld mit all jenen Kriterien, die erst eine einmalige und unwiederholbare Herausforderung entstehen lassen, vielleicht sogar in der bewußten Steigerung des Schwirigkeitsgrades, um dann mit den plausibelsten Methoden eine Lösung herbeizuführen, die in ihrer Stimmigkeit, im scheinbar Nicht-anders-sein-Können alle formalistischen Spuren abgestreift hat. Ironisch ausgedrückt: Ein Problem wird manieristisch provoziert und modern aufgelöst. Ernsthaft ausgedrückt: Freiräume, die zunächst dem Pragmatiker schon unbrauchbar erscheinen, werden noch angenommen.

Der erste Entwurf für das Haus, das Ernst Beneder in Waidhofen an der Ybbs für eine heute fünfköpfige Familie geplant hat, entstand zeitgleich mit diesem Text. Beneder wurde schon bei der Auswahl des Grundstücks beigezogen, und das schließlich gewählte ist tatsächlich eine „bewußte Steigerung des Schwierigkeitsgrades“, ein steiles Hanggrundstück, noch dazu ein gutes Stück weg von der Erschließungsstraße und mit dieser nur durch eine schmale Grundstücksfahne verbunden. Eine glasgedeckte Stahlbrücke führt von der Straße zu dem eigentlichen, seitlich ans Haus gesetzten Eingang.

Was auf den ersten Blick wie ein einfaches Terrassenhaus aussieht, entpuppt sich im Inneren als ein komplexes Raumkunstwerk: Die drei Wohnebenen sind durch einen über alle Geschoße laufenden, acht Meter hohen Vertikalraum verbunden, der Licht bis in den untersten, schon weit im Hang liegenden Bereich fallen läßt. Hier liegt eine kleine Bibliothek als innerster Kern des Hauses, ein Rückzugsbereich an heißen Sommertagen, für den Winter steht ein gemauerter Ofen bereit.

Quer dazu liegt an der verglasten Außenwand der Sitz- und Eßbereich mit direktem Ausgang in den Garten. Im nächsten Geschoß befinden sich das Eltern- und das Kinderschlafzimmer, im Eingangsgeschoß noch ein kleines Studio mit einer tonnenförmig gedeckten Empore, die nur über eine Leiter zu erreichen ist, ein luftiger Rückzugsraum als Gegengewicht zu jenem auf der untersten Ebene: zur Höhle im Berg das Faß des Diogenes.

Verbunden sind diese Ebenen durch zwei Treppen. Eine Wendeltreppe ist in einem eigenen Turm hangseitig an das Haus angefügt. Im unteren Teil ist der Turm verglast und läßt so auch von dieser Seite noch Licht in den Kern des Hauses dringen. Die Haupttreppe ist in Verbindung mit dem offenen Zentralbereich genau in der Fallinie des Hangs geführt. Sie durchbricht dabei das System des abgetreppten Baukörpers, unterschneidet dessen Kanten und erzeugt auf den Terrassen die schmalen, dreieckförmigen Aufbauten. Im Inneren entsteht dabei eine diagonale Verbindungszone, deren Dynamik vom massiven Block des Wasserbeckens aufgefangen wird. Wenn das Becken gefüllt ist, reflektieren die Wellen das Sonnenlicht bis zur Decke des obersten Geschoßes.

Die Spannung, die sich aus dem Ineinandergreifen der zwei divergierenden Systeme von Baukörper und Erschließung ergibt, ist auch im konstruktiven System sichtbar. Dessen Prinzip scheint ganz einfach zu sein: massive Wandscheiben an den Seiten und gegen den Hang, die innere Konstruktion und die Fassade aus Holz. Aber wiederum zerschneidet die Treppe diese Ordnung. Teile der Deckenkonstruktion werden von oben angehängt, die Hierarchie von tragenden und lastenden Elementen durcheinander gebracht. In den Details spürt man das Vergnügen, mit dem diese komplizierten Knoten gelöst wurden. Die meisten sind das Ergebnis einer langen Entwicklung, und Beneder legt Wert darauf, die Rolle seiner Mitarbeiter, Heinz Plöderl und Anja Fischer, zu betonen.

Man spürt hier aber auch die Intensität, mit der sich der Bauherr selbst hand- und kopfwerklich am Bau beteiligt hat. Bei dieser Arbeit habe er begonnen, sich mit Adolf Loos zu beschäftigen, mit dessen ökonomischem Ansatz, der Entwicklung der Form aus dem Gebrauch und der radikalen Absage an alle formalen Motive.

Es bleibt die Frage, ob dieses Haus mit dem gleichen Recht am Rande einer niederösterreichischen Kleinstadt steht wie seine so offensichtlich bodenständigen Nachbarn. „Region“ und „Kontext“, argumentiert Beneder, seien nichts Gegebenes, man muß sie sich erarbeiten; im Extremfall kann dabei, so wie hier, eine persönliche Region entstehen, die vielleicht auf den ersten Blick fremd wirkt.

Die kreative Bestimmung von Region und Kontext als erste Aufgabe des Architekten: Es liegt auf der Hand, daß man mit dieser Auffassung den selbsternannten und den beamteten Ortsbildpflegern in die Quere kommt. So hat man sich bei der Baubewilligung für Beneders Haus auch gleich vorsorglich darauf geeinigt, das Bauwerk eher als Terrasse für das dahinterliegende, in jeder Hinsicht ortsbildkonforme Gebäude zu interpretieren denn als eigenständiges Haus.

Inzwischen hat sich die niederösterreichische Bauordnung geändert: Durfte früher das Ortsbild durch einen Neubau nicht gestört werden, so ist nun eine „harmonische Einbindung“ verlangt, die aber explizit nicht an Dachformen, Stilelemente, Materialien gebunden ist. Vielleicht besteht also Hoffnung, daß in absehbarer Zukunft die Betrachter eines Hauses wie jenes in Waidhofen nicht großteils mit Befremden reagieren, sondern mit Offenheit: „So sollte ein Einfamilienhaus aussehen. Oder vielleicht ganz anders.

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