Bauwerk

Betriebsgebäude Lagertechnik Wolfurt
Baumschlager Eberle Architekten - Wolfurt (A) - 1994
Betriebsgebäude Lagertechnik Wolfurt, Foto: Eduard Hueber
Betriebsgebäude Lagertechnik Wolfurt, Foto: Eduard Hueber

Das Gute, der Feind des Guten

Wolfurt, Vorarlberg. Ein Haus mit vier verschiedenen Außenwänden und einem experimentellen Garagentrakt: alles schön, nur zuviel von allem. Besuch im Potpourri.

14. Januar 1995 - Vera Purtscher
Die Architekten Dietmar Eberle und Carlo Baumschlager errichteten im Süden von Bregenz ein Bauwerk mit Experimentalcharakter: die „Lagertechnik Wolfurt“. Versetzen Sie sich in einen lichtdurchfluteten, 26 mal 26 Meter großen Raum im dritten Stock. Es ist ein Großraumbüro der besonders sympathischen Art: der helle Industrie-Holzfußboden, die kammartig aufgestellten Arbeitstische, der verdreht eingefügte Konferenzraum, der, halb durchscheinend, nur halb abschirmt; sind es die hellen Ahornmöbel, die Lichtkuppeln, die Öffnung zum darunterliegenden Bürogeschoß, oder ist es die verschiedene Ausformung der vier Seitenwände? Was macht diesen Raum so unglaublich reizvoll?

Die Komposition ist es. Das Zusammenfügen dieser Elemente zu einem harmonischen Ganzen. Denn trotz der vielfältigsten Gestaltungselemente gelingt es Eberle/Baumschlager, statt Chaos Ruhe, statt räumlicher Verunsicherung klar definierte Zonen zu schaffen.

Die Eingangstüre aus gelochten Ahorn-Platten mit dazwischenliegendem Glas führt vom Liftfoyer über einen kleinen Steg direkt ins Großraumbüro. Man blickt rechts und links ins darunterliegende Bürogeschoß und wird von oben hell beleuchtet. Ein Dachschlitz läßt L-förmig an dieser innenliegenden Wand und an der angrenzenden Ostfassade entlang das Licht hinabströmen. Ein paar Schritte weiter verengt sich der weite Raum rechts durch eine Wand, die drei Einzelbüros vom Großbüro ausgliedert, links durch ein Industrieglas-umschlossenes Konferenzzimmer. Ein Rezeptions-Möbel am Ort dieser Engstelle schließt den Reigen architektonischer Regieführung vom öffentlichen über den halböffentlichen Raum bis zum Arbeitsplatz. Über dem Wartenden wurde eine kreisrunde Lichtkuppel plaziert. In einer Linie fortgeführt noch drei weitere.

Die Brüstungen der Galeriebereiche und der zwei einläufigen Stiegen, die als interne Verbindung zwischen den Büro-Ebenen dienen, sind klug als Möbel genutzt. Ordnerschränke aus Ahorn, als offene Regale ausgebildet, vereinen Praktisches mit formal Ansprechendem; erscheint doch diese dritte Etage schwebender, ohne massiv gemauerte Brüstung.
Die Südseite ist eine reine Glasfassade - hochisolierendes Glas mit vorgeblendeten, horizontal verlegten, starren, vom Computer errechneten Alu-Lamellen, Nord- und Ostseitig der Deckenschlitz und Südseitig riesige Fensterscheiben, wenngleich mit Verdunkelungsmöglichkeiten durch Holzschiebetüren: sollte es hier nicht zu heiß werden? Die Architekten sind zuversichtlich.

Laut Computerberechnungen müßte auch das klimatische Wohlbefinden in diesen Räumen gewährleistet sein. Der Glasschlitz am Dach soll nicht nur Licht, sondern auch Wärme ins Haus bringen. Was zuviel des Guten sei, diene andererseits als Wärmepuffer. Vom Dach hängen textile, blaue Rolljalousien als Barriere gegen den möglichen Hitzestau. Eine gelochte, weiße Gipskarton-Decke löst das Schallproblem.

Das Großraumbüro im zweiten Stock entspricht dem darüberliegenden. Hier ist der verschobene Kobel nicht aus Profilit, sondern schalldämpfend ausgebildet, dunkel gestrichen und dient als Plotterraum. Das strahlende Licht ist hier schon viel weniger leuchtkräftig, die Glasschlitze in der Ost- und Westwand, die sozusagen vom Dachschlitz noch hinuntergeführt wurden, tun hier besonders wohl, da sie die besten Richtungsweiser ins darüberliegende Geschoß sind und den Wunsch nach räumlicher Großzügigkeit unterstreichen. - Nun verlassen wir die Büro-Arbeitsplätze und betreten das Stiegenhaus: Grüner, stark gefladerter Verde Guatemala ist hier am Boden verlegt worden. Auch die Liftwand erhielt diese Natursteinverkleidung, darin die Niro-Türe mittig sitzt. Rechts und links flankiert von Mattglastüren, die zu den WCs führen. Spartanisch hier: weiß gestrichene Wände, keine Fliesen, ein Niro-Waschtisch, in derselben Breite eine Spiegelbahn hochgezogen, Seifenspender und ein Haken für's Handtuch genügen.

Bei der Stiege gönnten sich Architekten und Bauherrschaft einen gewissen Luxus. Wurde doch einem rechteckigen Raum ein Parabel-Segment eingeschrieben, das „toten Raum“ zurückläßt. Die simple Betonstiege, weiß gestrichen, jeweils pro Stufe oder Podest mit einer Platte des grünen Natursteines beklebt, ergeben ein starkes graphisches Motiv: hell - dunkel, horizontal - vertikal, weiche Form - harte Form. Denn die Stiege wendelt sich sanft um das Parabel-Segment-Loch. Beim Antritt beginnend, immer sanfter in die Gerade der begleitenden Wand übergehend, um dann vor den letzten fünf Stufen akkurat die Richtung zu wechseln und streng rechtwinklig abzuzweigen.

In der gesamten Foyer-Breite und in voller Raumhöhe bilden querliegende Glasscheiben die Außenwand. Es scheint, als wären Reispapier-Einlagen zwischen die Isolierglasscheiben geschoben worden. Das Stiegenhaus ist taghell, sogar bis in den Keller. Das elegant vorsichtige Fächermotiv des Geschwungenen kontrastiert mit dem streng Geometrischen und beide verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung.
Im Erdgeschoß darüber sind Werkstätten und das dazugehörende Büro untergebracht: vom edel-bescheidenen Foyer betritt der Besucher wieder jene große „Fuge“, die auch hier zweigeschoßig das Licht von der Ost- und Westfassade einfängt. Jene Fuge, die den eigentlichen Bau vom davorgestellten Glaskubus trennt. Auch hier ist Eberle/Baumschlager eine Innen-Treppe besonders geschmackvoll geglückt. Massive Eichenbohlen wurden zwischen zwei Mauern gespannt und die freibleibenden Setzstufen als Glasstreifen nahtlos eingepaßt. Fast strahlenförmig zeichnet sich demzufolge der Schattenwurf auf die zwei Wangenwände: ein kontemplatives Moment auf den groben Betonwänden. Die Werkshalle ist hell, die Natur zum Greifen nahe. Der Stahlbeton-Stützraster der Büroräume von sieben mal sieben Metern findet sich hier wieder, vielfach von Kranbahnen, metallischen Stapelregalen und Maschinen fast verdeckt.

Nun soll auch das Experimentielle an diesem Bauwerk besprochen werden: es sind zum einen seine vier Fassaden, zum anderen der Glaskubus, der den Bau zur Zufahrt hin dominiert. Durchschimmernd nur, nicht durchsichtig, läßt er doch dahinter Autos erkennen. Ein neu entwickeltes Stapel-Garagierungsmodell kann an diesem Prototyp Interessierten vorgeführt werden.

Die querliegenden Glasbänder sind an vier Stellen von großen Türöffnungen durchbrochen. Drei dienen den Autos, eine edlere den Besuchern. Dieser Glaskubus ist um einen Halbstock höher als der quadratische Baukörper dahinter, der die beschriebenen Nutzungen erfüllt. Zwischen diesen höheren und niedrigeren Block schiebt sich besagte Licht-Fuge. Die Westfassade zeigt ihr Stahlbetonskelett unbehandelt, und facht die großen Öffnungen jeweils mittels dreier Holz-Schiebe-Elemente aus. Die dahinterliegenden Glasscheiben, die sich auch öffnen lassen, sind wahlweise ein Drittel oder zur Gänze versteckt. Eine zweigeschoßige Niro-Tür läßt große Lasten ihren Ein- und Ausweg finden. Ansonsten spielt das Zufallsprinzip (welcher Mitarbeiter schiebt seinen Fensterladen wohin) bei dieser Fassade eine große Rolle. Sein klarer Raster und seine Strenge halten aber immer Balance.
Neunzig Grad gewandt zeigt sich die Südfassade anders: eine Glasfassade mit horizontalen Alu-Lamellen zum Beschatten. Und nochmals um die Ecke gebogen, weist eine Betonmauer ab, mancherorten durchstanzt von querliegenden, außenbündig sitzenden Glasscheiben. Die demontable Südfassade, die eine Erweiterung des Baues in die Tiefe des Grundstückes zuließe, soll ohne Beschränkung zu den Wohnbauten blicken. Die Schiebeelemente der Westfassade können ja geschlossen werden, wenn es einmal keine Erdbeerfelder mehr dort gäbe.
Ein Haus, vier Seiten (hieß es nicht einmal: ein Mann ein Wort?). So routiniert und souverän Eberle/Baumschlager das Repertoir moderner Architektur beherrschen, gelingt es ihnen doch nicht, den Eindruck eines in sich gefügten Ganzen entstehen zu lassen. Die Verunsicherung darüber, was gute oder schlechte zeitgemäße Architektur ist, wird durch dieses Beispiel nicht geringer! Jede Seite der „Lagertechnik Wolfurt“ ist reizvoll, qualitätvoll, gekonnt. Aber muß denn ein Potpourri daraus gemacht werden?
Theo Sommer, Herausgeber der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“, meint: "Ganz gewiß müssen auch die Intellektuellen des Landes in sich gehen. Viele von ihnen haben die Selbstverwirklichung bis zum Exzeß gepredigt; haben Tugend, Anstand, Stil verlacht; haben die postmoderne Beliebigkeit eine zeitlang so weit getrieben, daß nach der Devise „Alles geht“ nichts mehr verpönt war."

Alle Schaffenden tragen Verantwortung, auch Architekten und deren Kritiker. Vielleicht gibt es im ausgehenden Jahrtausend eine Rückbesinnung eben darauf. Nur in diesem Sinne dient mir der durchaus lobenswerte Bau von Eberle/Baumschlager gleichzeitig als Warnung.

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