Bauwerk

Wohnanlage ´Interkulturelles Wohnen´
heidecker / neuhauser - Wien (A) - 1996
Wohnanlage ´Interkulturelles Wohnen´, Foto: Gisela Erlacher
Wohnanlage ´Interkulturelles Wohnen´, Foto: Gisela Erlacher

Gemeinschaft ohne Windfang

Am Satzingerweg in Wien-Floridsdorf liefern Heidecker & Neuhauser einen praktikablen Beitrag zur Entschärfung einer konfliktträ:chtigen Situation: Menschen aus verschiedenen Kulturen in einem Wohnbau.

12. April 1997 - Margit Ulama
Zwischen Floridsdorf und Kagran und somit zwischen zwei wichtigen Entwicklungsachsen von Wien entstehen derzeit Siedlungen und Wohngebiete mit programmatischen Namen: Sun City, Autofreies Wohnen, Frauen-Werk-Stadt und Interkulturelles Wohnen sind - zum Teil bereits realisierte - Manifestationen des Urban Sprawl. Diese sogenannten Themenstädte formieren sich zu einem Patchwork verschiedener Inhalte und Identitäten. Die unmittelbare Nachbarschaft des Wohnprojekts von Heidecker & Neuhauser zeigt sich zusätzlich divergent: Dem Milliardenprojekt der neuen Veterinärmedizinischen Universität fehlt wirkliches architektonisches Engagement; dagegen ist der neue Schulbau von ARTEC (Götz & Manahl) nordöstlich davon spröd, dennoch avanciert; und ein Wohnbau von Jean Nouvel gibt sich in Farbe und Form gänzlich unösterreichisch, mit einer Art französischer Heiterkeit.

Mitten in diesem Patchwork unterschiedlicher architektonischer Sprachen steht der Wohnbau am Satzingerweg pragmatisch und moderat modern. Drei Riegel und ein einzelner Baukörper umfassen einen Hof, ein durchgehender Laubengang erschließt die Wohnungen. Das politisch engagierte Projekt wurde 1995 mit dem Wiener Integrationspreis ausgezeichnet, 1996 zählte es beim Adolf-Loos-Architekturpreis zu den fünf prämierten Bauten.

Das Patchwork der Themen und Identitäten, aber auch der architektonischen Sprachen spiegelt gegenwärtige gesellschaftliche Tendenzen wider. Divergenz ist das Zeichen der Zeit. Diese Uneinheitlichkeit manifestiert sich auch bei den Planungen für die Donau-City unmittelbar vor der UNO-City: Holleins Guggenheim-Entwurf zelebriert Architektur, die Wohnbauten zum Donaupark hin sind dagegen grundsätzlich einfach konzipiert. Die gegensätzlichen Formen unterstreichen hier den jeweiligen Inhalt.

Unterschiedlichste architektonische Haltungen findet man auch bei den zahlreichen neuen Wohnbauten an der städtischen Peripherie. Die Themenstädte repräsentieren dabei den Versuch, eine Identifikationsmöglichkeit für die zukünftigen Bewohner zu schaffen, indem sie bestimmte gesellschaftliche Tendenzen in den Vordergrund rücken.

Neben der engagierten Haltung, die dabei zum Ausdruck kommt, könnte man aber auch von einer - durchaus legitimen - Marktstrategie seitens der Bauträger sprechen. Denn heute gibt es eine differenzierte Nachfrage nach Wohnungen, eine „Wohlstandsnachfrage“, so Karl Wurm, Geschäftsführer des für das Projekt Satzingerweg verantwortlichen Bauträgers Gewog. Auch im Zusammenhang mit dem Wohnen etablierten sich Trends und Moden.

Dem Wohnbau am Satzingerweg liegt ein von Kurt Leitner, Susanne Reppé und Herbert Appelt durchgeführtes Forschungsprojekt zum Thema „Interkulturelles Wohnen“ zugrunde. Man intendierte dabei die Integration von Personen aus verschiedensten Kulturen innerhalb eines Wohnbaus und damit eine emotionale und ideelle Öffnung zum Fremden. An der Entwicklung dieser Projektidee war auch der Bauträger beteiligt. Neben der Integration von „Ausländern“ wollte man gemeinschaftliche, besonders kulturelle Aktivitäten innerhalb des Wohnbaus fördern beziehungsweise initiieren, und von Beginn an bezog man die Bewohner in den Planungsprozeß mit ein.

Im Gegensatz zu früheren Partizipationsprojekten konnten sich diese bei den Treffen mit der Architektur vertraut machen und gleichzeitig erste nachbar-schaftliche Kontakte knüpfen; der Entwurf wurde jedoch - bis auf kleine mögliche Änderungen - von den Architekten festgelegt.

Das Projekt präsentiert sich somit in zweifacher Hinsicht engagiert: einerseits auf Grund der im Rahmen des Forschungsprojekts durchgeführten begleitenden Betreuung der Bewohner, die eigentlich bei jedem neuen Wohnbau notwendig wäre; unter anderem, um architektonische Bildung, an der es zumeist fehlt, an Hand der Praxis zumindest ansatzweise zu vermitteln. Andererseits ist diese Themenstadt natürlich unmittelbar politisch: Die bewußte Integration fremder Kulturen bleibt auch in diesem von einer finanziell abgesicherten Mittelschicht bewohnten geförderten Projekt ein gerade heute entscheidender Schritt. Außerdem wurden über den Fonds zur Integration von Flüchtlingen des Innenministeriums drei bosnische Familien aufgenommen - bei einem Projekt dieser Größe doch ein beachtlicher und gleichzeitig angemessen erscheinender Anteil.

Es wird immer wieder die Frage gestellt, inwieweit Architektur die Gesellschaft verändern könne. Mit einem solchen Anspruch würde man sicherlich zu hoch greifen, adäquater wäre es, von einer Beeinflussung zu sprechen. Architektur kann bestimmte Verhaltensweisen ermöglichen, andere unterbinden.

Soziale Kontakte und gemeinschaftliche Aktivitäten will der Wohnbau am Satzingerweg mittels eines Hofes und einer Laubengangerschließung fördern. Und tatsächlich vermittelt diese Konzeption, die Gruppierung von modernen Zeilen um einen traditionellen Platz, ein gemeinschaftliches Gefühl, oh- ne beengend zu wirken. Für unterschiedliche Aktivitäten der Bewohner wurden außerdem im Kubus an der Schmalseite des Hofes eigene Räume geschaffen, und teilweise verzichteten die Architekten auf die Vorräume, um die Wohnungen unmittelbar an die halböffentliche Zone zu binden. Inwieweit die Bewohner die Architektur tatsächlich in einem verbindenden Sinn erfahren, will das Forschungsprojekt in seinem dritten Teil untersuchen. - Die Architektur dieses Wohnbaus nimmt Elemente und Themen der klassischen Moderne auf. So sind die drei Baukörperzeilen zwar nicht parallel angeordnet, doch auch in der Gruppierung um einen Hof bleiben sie als selbständige Teile erkennbar.

Als verbindendes Element fungiert der Laubengang. Dieser bildet - quasi als Paraphrase der Außenfassaden - eine strukturelle Schicht vor der eigentlichen Hausmauer. An der Nordseite der Anlage wurde diese Innenseite des Baukörpers nach außen gedreht, der Laubengang zur Erschließung war daher nicht mehr nötig. Doch als ästhetisch strukturierendes Element fehlt er, die Lochfassade allein kann hier keine wirkliche architektonische Qualität entfalten.

Das Pendant der Laubengänge stellen die Loggien dar, deren Teile als Flächen wirken, was durch das Freistehen der Brüstungselemente betont wird. Hinzu kommen die unterschiedlichen Strukturen und Farben des Trapez- und des Lochbleches sowie der Holzverkleidung der Seiten. Hier zeigt sich - zurückhaltend - die aktuelle Tendenz, gegensätzliche Materialien zu kombinieren, was die Außenbereiche lebendig wirken läßt.

Diese Loggien nehmen einen Fassadentypus der sechziger Jahre auf, der damals jedoch sehr streng mit durchlaufenden Öffnungen und Brüstungen konzipiert war. Zur räumlichen Trennung der Loggien verwenden Heidecker & Neuhauser kleine Kuben, die als Abstellräume Elemente mit gleichermaßen ästhetischer wie praktischer Funktion darstellen. Die Architekten verwenden einen ähnlichen kleinen Kubus auch im Innenraum, wo er der räumlichen Gliederung des offenen Wohnbereichs dient. Quasi die Negativform dieses Kubus bildet in der Nordzeile die Toilette. Beide Elemente, sowohl die Positiv- als auch die Negativform, liegen auf einer Achse, die kleinen Räume markieren so die Mitte der Wohnungen.

Neben der insgesamt perfekten Ausführung, die einfache Materialien als besondere erscheinen läßt, sind also die Grundrisse genauestens überlegt, was schließlich zu einer beeindruckenden Räumlichkeit innerhalb einer grundsätzlich konventionellen Konzeption führt. Die Grundrisse sind logisch, trotzdem subtil. Letzteres zeigt sich unter anderem in den auf Wegachsen beziehungsweise -linien liegenden, gleichzeitig leicht versetzten Türachsen. Diese feine Irritation zur Auflockerung eines Konzeptes geht auf Josef Frank zurück, ebenso das eigentlich falsche Aufschlagen des Türflügels, das wiederum der Betonung des Weges dient.

Auch dieses Sichöffnen der Türe gegen den Raum findet man im Wohnbau am Satzingerweg, hier jeweils in Kombination mit einem Mauervorsprung, an den sich die geöffnete Türe anlehnt. Eine andere Besonderheit der Grundrißkonzeption, das Fehlen der Windfänge, beruht auf einer Sondergenehmigung, da dies nicht den rechtlichen Forderungen entspricht; die großzügigen Laubengänge, die Gemeinschaftsräume, die Schiebetüren, der Lift und die Abstellräume der Loggien konnten dagegen auf Grund der ökonomischen Gesamtplanung finanziert werden.

Die Referenz an die Moderne wird in der äußeren Konzeption der Anlage deutlich. Auch Heidecker & Neuhauser schneiden die Zeilen quasi ab, wodurch diese Fassaden einen eigenen Stellenwert bekommen. Hier wirken sie nicht so sehr auf Grund der ausgetüftelten Komposition innerhalb der Fläche - durch die Schräge des Dachgeschoßes sind die Fassaden außerdem leicht deformiert, eine Schräge, die auf Grund der Bebauungsbestimmungen verwendet wurde - , sondern vielmehr in der Gesamtkomposition. Dies trifft besonders auf die Südseite der Anlage zu, wo zwischen den beiden Zeilen ein weißer Kubus eingeklemmt ist. An dieser Stelle zitieren die Architekten eindeutig aus dem Repertoire der Moderne.

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