Bauwerk

Helmut Lang - Boutique
Gustav Pichelmann - Wien (A) - 1996
Helmut Lang - Boutique, Foto: Sabine Bitter
Helmut Lang - Boutique, Foto: Sabine Bitter

Vom Schauen und Herzeigen

Nach München und Mailand hat nun auch Wien seine Helmut-Lang-Filiale bekommen. Das zurückhaltende Raumkonzept von Gustav Pichelmann läßt die Kleider ihre Eigenwirkung entfalten.

23. März 1996 - Walter Zschokke
Das Verhältnis von Gewand zu Gebäude ist ein grundsätzliches, handelt es sich doch bei jener ersten und dieser zweiten Hülle um primäre Bereiche menschlicher Kultur. Sowohl beim Kampf ums Dasein als auch in Form verfeinerter Weiterentwicklungen stehen beide Hüllen mit unserem Sein und Verhalten in lebendiger Wechselwirkung.

Zwischen ihnen drängt oder dehnt sich ein mehr oder weniger großer Raum. Dessen vorausschauende Bestimmung ist ebenso eine Architektenaufgabe, wie es die Gestaltung der Innenflächen dieser äußeren Hülle ist. Die näher zum Körper befindliche erste Hülle fällt dagegen in die Kompetenz der Modedesigner. Die innere Hülle schützt, kleidet, interpretiert und exponiert den darin steckenden Körper, der mit Haltung und Bewegungen seinerseits das Wesen der Bekleidung zur Wirkung bringt. In einem Geschäft für exquisite Kleider erhält die Spannung zwischen den beiden Hüllen außerordentliche Bedeutung. Beim Bewegen in diesem Zwischenraum tritt man zur Struktur und zu den Möglichkeiten einzelner Bereiche sowie zu den Oberflächen der zweiten Hülle in Beziehung. Da Kleider wegen ihrer Façon auch leer, ja sogar achtlos hingeworfen in Resonanz zum absenten Körper stehen, enthält ihre Präsentation eine mehrschichtig sinnliche Komponente, die zuweilen von feiner Erotik durchzogen oder bestimmt sein kann. Die Verkaufsphilosophie für solcherart hochwertige Produkte fordert eine angenehme, aber dennoch nicht unpragmatische Atmosphäre. Ein anspruchsvolles Publikum mag ungern unter Streß entscheiden und will beim Kauf die Initiative nicht aus der Hand geben.

So wird der Vorgang des Erwerbs neuer Kleidungsstücke von komplexen Verhaltensmustern in vielfältiger Weise, bewußt und unbewußt, bestimmt. Wie hat nun der Architekt diesen Bedürfnissen und menschlichen Verhaltensweisen Raum geschaffen? Wie das „Spielfeld“ gestaltet, das Bühne, Zuschauerraum und Hintergrund zugleich sein muß?

Von außen, von der Seilergasse her, tritt das Geschäft in der historistischen Fassade mit einem mittig liegenden Eingang und zwei hochrechteckigen Fenstern in Erscheinung. Die umgebenden Mauerflächen sind hell gestrichen, die bei Portalen üblichen signalhaften und Aufmerksamkeit heischenden Elemente aus emailliertem Glas oder anderen dauerhaften Materialien fehlen. V ier fahnenartige Stoffbahnen in einem mittleren Graugrün sind dafür zwischen Erd- und erstem Obergeschoß vertikal vor die Mauerpfeiler gespannt. Sie greifen in den Raum über dem Gehsteig vor und machen aus der Schrägsicht, etwa vom Graben her, auf das Geschäft aufmerksam. Typologisch stehen sie in der Tradition textiler Ankündigungselemente oder temporärer Architektur, in der mit wenig Aufwand ein festlicher Charakter zu erzeugen ist.

Zu viert gereiht, überlagern sie geschickt die Fassadenstruktur des bestehenden Hauses, ohne sie zu negieren, und bewirken eine eben noch spürbare, locker-harmlose Monumentalisierung des Portals.

Hinter dem Eingang erstreckt sich der Verkaufsraum in die Tiefe - beherrscht von einem langen, tischartigen Verkaufspult. Starke, zur primären Tragstruktur des Bestands gehörende Pfeiler erzeugen spannungsvolle sekundäre Raumzonen. Sie wurden vom Planer akzeptiert und mitsamt ihrer räumlichen Verdrängungswirkung in das Konzept integriert.

Im hinteren Bereich weitet sich das Geschäftslokal L-förmig in die Breite. Matt durchscheinendes Glas spannt sich über einen Lichthof, dessen platzartige Fläche unverstellt bleiben soll. Großzügig dimensionierte Wechselkabinen sind von hier aus zugänglich.

Kleiderbanause, der ich bin, versuche ich eine Annäherung an den gestalterischen Komplex über die Abschnitte im Ablauf eines Besuchs im Kleidergeschäft.

Eintreten: Zwei raumhohe Flügeltüren mit Holzrahmen und durchsichtiger Glasfüllung empfangen die Besucher. Obwohl konstruktiv bemerkenswert einfach gehalten, wirkt die große Höhe des Durchgangs nicht unpathetisch. Damit wird klargestellt, daß man soeben im Begriff ist, ein besonderes Geschäft zu betreten. Durch das Glas sind neue Kunden von innen bereits zu sehen; ihrerseits können sie schon beim Eintreten einen Überblick gewinnen. Das ist wichtig, denn sie werden rasch entscheiden müssen, ob sie links (Herrenabteilung) oder rechts (Damenkleider) gehen wollen.

Auftreten: Nach der dezent monumentalen Eingangstür ist etwas Raum gelassen für eine kurze Orientierung. Diese Schritte sind nicht vernachlässigbar, denn man bewegt sich im Blickfeld der Pole-positions beidseits des langen Verkaufspults. Hier darf man nicht kleinmütig werden, im Gegenteil: Man muß innerlich überzeugt und gefestigten Schrittes weitergehen.

Schauen: Zu beiden Seiten hängen die Kleidungsstücke, nach Farbtönen gereiht, an metallenen Stangen. Ohne größere Brüche bildet diese Anordnung ein kompaktes Bild, in das man suchenden Auges eindringen kann.

In Laden und Regalen finden sich weitere Kleidungsstücke, die teilweise in ähnlicher Art präsentiert sind, wie dies oft in Warenhäusern der Fall ist, wo man gleich ein halbes Dutzend T-Shirts kauft. Bewußt wird zeitverzögert zurückgeräumt, sodaß Laden zufällig offenstehen und den Blick auf sich ziehen oder Hemden und Blusen, die gerade keine Käufer gefunden haben, auf der Fläche des ausgedehnten Verkaufspults verbleiben, absichtslos und vom Zufall drapiert; es kommt eine Stimmung auf wie in Ateliers beim Herumprobieren. Annähern: Zwischen den Pfeilern gerät man automatisch näher an die Sachen heran. In der räumlich dichten Atmosphäre bei den Regalen und den teilweise zusätzliche Ausziehgestelle enthaltenden Pfeilervolumen kommt es zum tastenden Fühlen des Tuchs, das Vermutungen der anfänglichen Blickbeziehung verifiziert.

Auswählen: Auf der schier unendlichen Fläche des Verkaufspults können nun die verschiedenen Stücke ausgelegt werden, um zu entscheiden, in welches man probeweise schlüpfen will. Von der Dimension her erinnert das Pult an alte Verkaufskontore, auf denen die Stoffbahnen ausgerollt und abgemessen werden.

Die Oberfläche ist mit Milchglas veredelt und neutralisiert, damit sie die feinen Stoffstrukturen und Spitzen nicht konkurrenziert. Die helle Fläche zeigt an: Hier ist der Ort des Austauschs, der Markt der Waren.

Probieren: Für die Anprobe stehen Wechselkabinen zur Verfügung, die groß genug sind, daß man sich darin bewegen und den Partner hereinholen kann. Hat man hier Sicherheit gewonnen über das Gewählte, geht es hinaus auf die platzartige Ausweitung unter dem von quadratischen Sprossen durchzogenen Oberlicht.

Herzeigen: Hier kann man ausschreiten, die Wirkung des Kleides auf den eigenen Körper und seine Bewegungen nachspüren sowie beider Ausdruck im abgrundtiefen Spiegel befreundeter und konkurrierender Blicke ablesen.

Dabei lenken der sepiafarbene Boden und die ebenso dunkle, drei Viertel der Raumhöhe deckende Verkleidung von Pfeilern und Regalen den Blick auf die Gesichter des meist dunkel gekleideten Personals. Wie bei einer Pantomime werden die Augen rascher sprechen als es den Probierenden bewußt sein mag, und man wird schnell wissen, ob zu verwerfen oder zu kaufen ist.

Zahlen: Nach dem Entscheid geht es zum Abschluß des Geschäfts - ein beiläufiger Vorgang nach dem herausfordernden Auswahlverfahren. Die Kassa ist fast unscheinbar eingeschnitten in das große Verkaufspult. Zwei benachbarte Pfeiler schaffen ihr einen geschützten Raum und geben dem Ort Bedeutung.

Für diesen komplexen und variantenreichen Ablauf menschlichen Handelns bietet die Raumgestaltung von Gustav Pichelmann eine zurückhaltende, unspezifische Präsentationsebene und Hintergrundschicht. Die Maßnahmen grenzen hart an gestalterische Abstinenz, wollen offenbar nicht mehr sein als neutrale Folie, vor der das Gewand seine Geltung an sich sowie an den Körpern erlangen kann.

Pichelmann ist 1955 in Wien geboren, studierte Bauingenieurwesen und danach Architektur an der Technischen Universität. Schon 1981 entwickelte er eine eigene Praxis mit Innenausbauten und kleinen Umbauten und bewegte sich gestalterisch in der damals aktuellen Strömung der „Wiener Szene“. Wie anderen vor und nach ihm gelangen und gelingen ihm interessante Arbeiten, ohne daß er über einen offiziellen Studienabschluß verfügen würde. Ein Sachverhalt, der im angelsächsisch beeinflußten Kulturraum unproblematisch wäre, aber hierzulande von maßgebenden Kreisen, die noch immer eng denkend behandelt wird, obwohl dieselben Kreise nichts dabei finden, wenn Architekturprofessoren, die selber noch nie eine größere wissenschaftliche Arbeit verfaßt haben, Dissertationen abnehmen.

Man tut sich schwer mit den wildwachsenden Produkten, möchte alles immer unter Kontrolle halten, auch wenn es dieser Kontrolle dann an Kompetenz gebricht. Eine endlose Geschichte, nicht bloß in der Architektur. Darum ist es immer wieder erfrischend, sei es beim Bauen oder in der Mode, auf Ideen von außerhalb eines verknöchert- ständischen Denkens zu stoßen. - sogar Bauträger lernfähig?

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