Bauwerk

Fernheizwerk Süd
Martin Kohlbauer - Wien (A) - 1996
Fernheizwerk Süd, Foto: Rupert Steiner
Fernheizwerk Süd, Foto: Rupert Steiner

Wie Wasser, Feuer, Licht

Stadttechnik in Wien: jeder nutzt sie, aber keiner will sie sehen.Mit dem Fernwärmewerk Süd von Martin Kohlbauer haben die Heizbetriebe Wien eine markante Gegenposition bezogen. Entstanden ist eine Schaustück von Rang.

24. Mai 1997 - Walter Chramosta
Mechanisierung ist ein Agens wie Wasser, Feuer und Licht. Es ist eine blinde Kraft, an sich richtungslos, ohne positives oder negatives Vorzeichen. Wie bei Naturgewalten hängt alles davon ab, wie der Mensch sie nutzbar macht und wie er sich gegen sie schützt. Daß der Mensch die Mechanisierung aus sich heraus geschaffen hat, verstärkt ihre Gefährlichkeit, denn unkontrollierbarer als die Naturgewalten wirkt sie von innen heraus auf die Sinne und die geistige Struktur ihrer Urheber." Sigfried Giedion erkennt 1948, daß die Mechanisierung des Alltags Gewinn und Verlust bedeuten kann.

Sie dämpft die Gewalten der Natur, sie befreit den Menschen von hygienischem Notstand und existentieller Bedrohung, aber sie (ver)bindet und reglementiert damit auch, was sich zuvor autark entwickeln konnte. Die moderne Großstadt, stets ein fragmentarisches, hybrides Gemenge von Bauten, wird erst durch die industriell betriebene Mechanisierung zu einer funktionstüchtigen Gesamtfigur. Städtebau ist festgemacht an den Hauptorganen der Stadt.

Die Modernität einer Stadt konstituiert sich geradezu durch den Grad ihrer technischen Ausrüstung. Der kontrollierte Umgang mit Müll und Abwasser, mit Trinkwasser, Gas, Elektrizität und Fernwärme gehört zu jenen kommunalen Angeboten, an denen eine fortschrittliche Stadt gemessen wird.

In Wien wird an die Stadttechnik eine hohe Erwartung geknüpft. Jeder nutzt sie, aber keiner will sie sehen. Dem Wunsch des Architekten, ein Anzeichen, einen symbolhaften Stellvertreter der technischen Infrastruktur zu setzen, läuft die Erwartung nach Auslöschung zuwider. Die Funktionsweise der Ver- und Entsorgungssysteme interessiert nur wenige, die ausformulierte Gestalt der Stadttechnik stellt außerhalb der Fachwelt nur ausnahmsweise ein Thema dar. Der unsichtbare Apparat ist der beliebteste, denn Großtechnik hat nicht das beste Image. Sie gilt in ihrer industriellen Anmutung als Fremdkörper im Stadtraum.

Eine architektonische Darstellung des Wiener Gemeinwesens über die Ver- und Entsorgungssysteme ist in der jüngeren Vergangenheit nicht zu erkennen. Kommunalpolitik und Magistrat verwenden sich erst in den neunziger Jahren dafür, die Identitäten dieser Systeme zu konkretisieren. Dabei werden zwei widersprüchliche Strategien offenbar. Die eine, manifestiert durch die von Friedensreich Hundertwasser 1991 umgebaute Müllverbrennungsanlage Spittelau (Original von Josef Becvar, 1976), blendet den signalhaft situierten, funktional umstrittenen Bau durch eine bunte Bekleidung aus dem Problembewußtsein der Wiener aus. Durch die Vorspiegelung thematischer Affinitäten zur Natur und die Verschleierung des Verbrennungsprozesses vermeint man, das Werk „umweltverträglicher“ wirken zu lassen. Ein vom verbrannten Müll ablenkender Überraschungseffekt ist der Flächenkunst Hundertwassers nicht abzusprechen, auch wenn die Architekturkritik an dieser megabunten Entgleisung bestenfalls die populistische Tourismusstimulation als ernsthaftes Argument gelten läßt. Für die Wiener, die ständig mit dieser dreisten Aufdoppelung konfrontiert sind, dürfte die „Farbglasur“ rascher an Strahlkraft verlieren, als es die Größe der Investition erhoffen läßt. Wenn sich dieser Gag auf seine dürftige Substanz reduziert hat, wird die Gestaltungsantwort auf die Einhausungsfrage offener sein denn je.

Mit dem Fernwärmewerk Süd von Martin Kohlbauer haben sich die Heizbetriebe Wien kürzlich allerdings auch eine markante Gegenstrategie zugetraut. Als Ergebnis eines Gutachterverfahrens bezieht es unter den benachbarten Gewerbe- und Industriebauten unmißverständlich Stellung als kultivierter Bestandteil der Stadttechnik, als einsamer Außenposten eines zeitgemäßen Stadt(selbst)verständnisses. Der Standort an der Südperipherie, am Rande des Wiener Beckens, eröffnet viele landschaftliche Fernwirkungen und wenige städtebauliche Nahbezüge.

Die aus einer metallenen Haut gebildete Tonne konnotiert eindeutig Technik und Industrie, Sparsamkeit und Kompetenz, aber auch Ruhe und Stabilität. Diese Architektur versucht keine Fragen aufzuwerfen, sondern dem Betrachterinteresse gleich mit klaren Antworten entgegenzukommen. Wer Augen hat, Baukörper zu lesen, der wird die Schlitze für die Zuluft und die Abluftkamine erkennen, der wird die zwei Abschnitte mit den beiden Kesseln von jenem mit den Zonen für Pumpen, Trafos und Steuerung unterscheiden können. Die Vertikalerschließung zeichnet sich als Turm ab, und das Innere zeigt sich durch das transparent gehaltene Erdgeschoß auch von außen. Wer das Glück hat, das Kesselhaus betreten zu dürfen, wird zugestehen müssen, daß der Maschinenbau, sofern er - wie hier - einfachen, aber konsequenten gestalterischen Richtlinien unterworfen ist, hohen ästhetischen Reiz entfaltet.

Unter der weiten Halbtonne aus Trapezblech, die von schlichten Stahlbögen getragen wird, türmen sich die Kessel in einem Geschoß unter und in sieben Geschoßen über der Erde. So komplex eine ausgereifte Anlage dieser Art heute auch ausgelegt sein möge, der sie bergende Raum ist übersichtlich, beeindruckend in seinen Tiefenwirkungen. Die Schulungs-, Büro- und Sozialräume auf den Geschoßen verblassen gegen die etwa 23 Meter hohe Halle.

Die anerkennenswerte Leistung dieses Entwurfs besteht sowohl in der Relativierung der zum Zeitpunkt des Vorentwurfs feststehenden maschinellen Ausstattung im Sinne einer überzeugenden Reduktion des umbauten Raumes und der Bauhöhe als auch in der Disziplinierung der einer solchen Realisierung innewohnenden Eigendynamiken maschinen- und hochbaulicher Art. Der auf das Aluminium und seine Eigenfarbe abgestellte Materialkanon wird konsequent durchgehalten. Die die Blechhaut durchstoßenden Öffnungen sind straff geordnet, zu Gruppen zusammengefaßt und so positioniert, daß jede Ansicht aufgeräumt wirkt.

Wer die Zufallsfiguren üblicher Industriebauten kennt - und in der Region Wien-Süd muß nicht lange nach einem schlechten Beispiel gesucht werden - , der wird am Fernwärmewerk die Eindeutigkeit der großen Form, ihre Identifizierbarkeit unter den meist als Kuben angelegten Heizwerken schätzen. Da die Wiener Industrie-Baukultur mehr von Brüchen als von kontinuierlicher Entwicklung gekennzeichnet ist, kommt diesem Bau von Martin Kohlbauer für die neunziger Jahre Signalwirkung zu.

Fast in kompensatorischer Eindeutigkeit reagiert Kohlbauer auf die Versuche der letzten Jahrzehnte, Stadttechnik in Wien zum Verschwinden zu bringen. Mit der Technik als Ausdrucksmittel weiß er sich aber als legitimer Interpret seines Lehrers Gustav Peichl, der etwa mit der Phosphat-Eliminationsanlage in Berlin-Tegel (1979 bis 85) eine der überzeugendsten „mitteilsamen“ Deutungen von Stadttechnik für die österreichische Gegenwartsarchitektur geliefert hat. Neben der Negation der Technik, wie bei Hundertwasser, und der Literarisierung der Funktion, wie bei Peichl und Kohlbauer, ist die Mystifikation der dritte Weg einer Gestaltfindung in der Stadttechnik.

Marie-Claude Bétrix und Eraldo Consolascio beschreiten ihn mit dem Heizkraftwerk Nord (1989 bis 95) in der Stadt Salzburg. Wenn auch evident ist, daß Bauten der Stadttechnik schon per se Symbolgehalt haben, erscheint die weitere Verschlüsselung geeignet, dem Technischen eine Vieldeutigkeit ohne historisierendes Etikett abzugewinnen. Ihr Bau - der wie ein Campanile zur Kirche stehende Schlot und ein plastisch durchkomponiertes Heizhaus - ist keine Beschreibung oder Erklärung, schon gar keine Bebilderung der Funktion, eher ein Ausblendungsversuch mit Hilfe falsch gestreuter Assoziationsketten. Der Betrachter wird am Salzburger Heizwerk Nord über den Zusammenhang von Funktion und Form mit Bedacht im unklaren gelassen, in Wien wird er mit Absicht aufgeklärt.

Martin Kohlbauers Auffassung von Industriearchitektur appelliert durch eine allgemeinverständliche, technisch basierte Zeichensprache an den Sehsinn. Das Heizwerk Süd erfüllt damit den in Wien noch allzu selten erfüllten Wunsch, in einem Industriebau die Anzeichen technischer Kompetenz öffentlichkeitswirksam wiederzugeben. Eine entwerferische Antithese, die Stadttechnik mit virtuosen, aber gerade noch dechiffrierbaren Verschlüsselungen zum Verschwinden zu zwingen, ohne in einen scheingrünen Ökologismus zu verfallen, steht noch aus.

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