Bauwerk

Fassadenverkleidung der Autobahnraststätte Pratteln
Casoni & Casoni - Pratteln (CH) - 1978
Fassadenverkleidung der Autobahnraststätte Pratteln, Foto: Heide Klemens
Fassadenverkleidung der Autobahnraststätte Pratteln, Foto: Casoni & Casoni Architekten SIA
Fassadenverkleidung der Autobahnraststätte Pratteln, Foto: Casoni & Casoni Architekten SIA

Kurz nach der Fertigstellung erhielt die Autobahnraststätte Pratteln im Kanton Basel-Landschaft bereits wieder ein neues Gesicht. Die Basler Architekten Casoni & Casoni gestalteten mit Elementen aus glasfaserverstärktem Polyesterharz eine eigenwillige Fassade in der Soft-Edge-Ästhetik der siebziger Jahre.

9. April 2006 - Ulrike Kunkel
Autobahnraststätte Pratteln an der A2 Richtung Innerschweiz, einige Kilometer außerhalb Basels gelegen und nur wenige von der deutsch-schweizerischen Grenze entfernt: Eigentlich fällt es schwer, sich vorzustellen, warum man hier Halt machen sollte. Doch die Raststätte mit verschiedenen Gastronomie- und Serviceeinrichtungen sowie einer Ladenzeile ist gut besucht: Touristen auf der Suche nach letzten Schweiz-Souvenirs aber auch Geschäftsleute, die sich mit ihrem Laptop niedergelassen haben. Das Fassaden-Gestaltungskonzept des Architekturbüros Casoni & Casoni von 1978, das mit ungewöhnlichen Formen und Farben Aufmerksamkeit und Neugierde wecken wollte, scheint nach wie vor zu funktionieren.

Fassade aus Kunststoff

Als die Architekten damals den Auftrag für die Fassadenneugestaltung der Raststätte erhielten, war die Anlage, die im Wesentlichen aus einer 100 Meter langen Brückenkonstruktion quer über die Autobahn sowie zwei Sockelbauten beiderseits der Straße besteht, erst kurz zuvor fertig gestellt worden. Die dabei ausgeführte Glasfassade erschien den Bauherren jedoch zu wenig markant, so dass ihre Umgestaltung beschlossen wurde. Ein außergewöhnliches Erscheinungsbild sollte her. Dem Wunsch der Bauherren entsprachen Casoni & Casoni, indem sie das gesamte Gebäude mit einer Vorsatzfassade aus plastisch stark geformten orange-braunen Elementen aus glasfaserverstärktem Polyesterharz verkleideten. Konstruktion und Material boten entscheidende Vorteile: die weitgehende Unabhängigkeit von der darunter liegenden baulichen Struktur, große Gestaltungsfreiheit bei vertretbaren Kosten und wenig zusätzliche Last. Realisiert werden konnte die nicht ganz alltägliche Idee allerdings nur durch die gute Zusammenarbeit zwischen Architekten, Ingenieuren und Herstellern. Für die Entwicklung und Fertigung der Elemente zeichnet Max Horlacher, Gründer und Leiter der Horlacher AG, einer Firma für die Herstellung und Entwicklung von Produkten aus faserverstärktem Kunststoff, gemeinsam mit dem Ingenieurbüro von Heinz Isler verantwortlich. In der Werkstatt von Horlacher in Möhlin bei Basel wurden 98 Wand- und 8 Eckelemente (davon insgesamt 56 Fensterelemente) im Handauflegeverfahren gefertigt und per Lkw zur Raststätte transportiert. „Eine Wanddicke von 6 bis 8 mm reicht aus, um die ebenen Flächen zu stabilisieren, die gerundeten Kantenpartien ergeben eine zusätzliche Eigenversteifung. Vor allem die Größe der Elemente und der Umstand, dass sie von der äußeren ovalen Form auf die innere rechteckige Fensterform gebracht werden mussten, machte die Herstellung kompliziert“, erinnert sich Horlacher. Mittels direkt in den Kunststoff eingearbeiteter Halterungen aus Metall sind die Elemente dem Baukörper vorgehängt worden. „Wo die beiden Materialien in Berührung kommen, hätte man eine Schwachstelle vermuten können, doch nichts ist passiert“ so Horlacher weiter. Auch ansonsten hat sich das Material bewährt, nicht einmal die erheblichen Druckwellen der unter dem Gebäude durchfahrenden Lastwagen konnnten den Elementen auf Dauer etwas anhaben.

Ursprüngliches Erscheinungsbild

Wie große „Bullaugen“ stellen sich die Fensteröffnungen der beiden Sockelbauten dar. Die Glasfassade des vorhandenen Gebäudes wurde hier erhalten, die Bullaugen belichten die dahinterliegenden Restaurants. Im Brückenteil, in dem sich die Ladenzeile befindet, wurde die Glasfassade bis auf je ein Fenster zu den Toiletten zugemauert. Mit diesen „Einzel-Bullaugen“ setzten die Architekten einen starken Akzent in der Mitte des Gebäudes. Die Fassade ist in diesem Bereich zusätzlich durch eine geschwungene Linie in zwei Flächen unterteilt, die um etwa 16 cm gegeneinander versetzt sind. Ursprünglich hoben sich beide Teile auch farblich voneinander ab: oben orange, unten braun. Wäre 1978 allerdings das eigentliche Farbkonzept der Architekten umgesetzt worden, dann wäre der überwiegende Teil gelb und der „Brückenkragen“ über der Fahrbahn orange gewesen. Dies erschien den Bauherren jedoch zu riskant, sie fürchteten, dass die kräftigen Farben die Autofahrer ablenken könnten. Und auf den Rat eines hinzugezogenen Farbpsychologen entschied man sich schließlich für ein gedeckteres orange-braun. In den Zwischenraum des Brückenkragens wurden Leuchtröhren integriert, welche die Fassadenzeichnung auch bei Dunkelheit erkennen ließen. „In der Nacht wird der Mittelteil aus dem deutlich sichtbaren Versatz zwischen Braun und Orange angestrahlt, was dem Autofahrer den Eindruck einer frei schwebenden Brücke vermittelt“, schrieb Angelo S. Casoni in einer Beilage zum Schweizerischen Baublatt 1980.

Die ungewöhnliche Form- und Farbgebung entstammt nicht nur der spielerischen Gestaltungslust der Architekten, sondern sollte vor allem den Wiedererkennungswert des Gebäudes steigern. Denn die Raststätte Pratteln ist von Ferne nicht sichtbar; sobald das Gebäude hinter einer Kurve auftaucht, ist die Zufahrt schon fast verpasst. Ein nachhaltiger Erinnerungseffekt war also gefragt, damit der potenzielle Besucher bei seiner nächsten Fahrt den Halt bereits frühzeitig einplanen könnte.

Heutige Gestaltung

Ihre jetzige Farbgebung erhielt die Raststätte im Jahr 2000 nach Ausschreibung eines Wettbewerbs durch die Raststättenbetreibergesellschaft. Primär ging es in diesem jedoch nicht um die Sanierung der Fassade, sondern darum, die Autobahnraststätte „in den Status eines Kunstwerks zu erheben“. Das Anliegen der Initiatoren erstaunt, schließlich war sie dies, aufgrund ihres ungewöhnlichen Erscheinungsbildes, immer gewesen. Die prominent besetzte Jury prämierte den Entwurf des Exilkubaners Jorge Pardo und, werbewirksam zur Art 2000, konnte seine Idee umgesetzt werden: Die Fassade wurde einfach gelb überstrichen! Warum Gelb? Auf diese Frage antwortete der Künstler damals in einem Gespräch mit der Basler Zeitung: „Weil es die einfachste Lösung ist und das Vorhandene respektiert, dahinter steht kein tiefsinniger Gedanke.“ Von Respekt mag man eigentlich nicht sprechen, der Entwurf erscheint einfach nur banal und so hat sicher nicht nur Angelo Casoni - der im Übrigen in den Wettbewerb nicht einbezogen wurde - einiges zu bemängeln: Das Gelb sei beliebig und hätte nichts mit dem damals von ihm vorgeschlagenen Ton zu tun und vor allem sei die gestalterisch relevante Zweifarbigkeit des Brückenteils leichtfertig aufgehoben worden.

Lediglich eine Wettbewerbsteilnehmerin hatte damals Sensibilität im Umgang mit dem Vorhandenen bewiesen. Die Schweizer Künstlerin Sylvie Fleury vertrat die Ansicht, dass „jeglicher künstlerische Eingriff den Bau als ästhetische Einheit nicht genug respektieren würde“ und schlug daher nur eine behutsame Fassadenrenovierung sowie das Angleichen der umgebenden Bauten an die Ästhetik des Hauptbaus vor. Bedauerlich, dass sie sich nicht durchsetzen konnte. Doch wer weiß, was die nächsten Jahre bringen? Die Betreibergesellschaft hat wieder gewechselt, so dass eine neuerliche Wandlung der Raststätte nicht unwahrscheinlich ist. Vielleicht werden dann sogar die Architekten hinzugezogen und es kommt womöglich doch noch zu einer späten Realisierung ihres Farbkonzepts von 1978.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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