Bauwerk

Wohnanlage ´Thermensiedlung Oberlaa´
Helmut Richter - Wien (A) - 1999
Wohnanlage ´Thermensiedlung Oberlaa´, Foto: Rupert Steiner
Wohnanlage ´Thermensiedlung Oberlaa´, Foto: Sasha Pirker
Wohnanlage ´Thermensiedlung Oberlaa´, Foto: Sasha Pirker

Ein Wohnbau, der dahinpfeift

Ein schwieriger Bauplatz: ein Südhang hinter einer Schallschutzwand; und eine Aufgabe, die sich zur künstlerischen Profilierung kaum eignet: Wohnbau. Über Helmut Richters Problemlösungen wird man noch lange reden: die Thermensiedlung Oberlaa.

4. September 1999 - Liesbeth Waechter-Böhm
Wohnbau wird überschätzt: Als Möglichkeit (bau)künstlerischen Ausdrucks, als Mittel der ästhetischen Profilierung eignet er sich nur bedingt. Zu viele andere Faktoren spielen eine ebenso wichtige Rolle:die Qualität des Wohnungsgrundrisses etwa,die ökologische Komponente, die Nachhaltigkeit der eingesetzten Materialien – und vor allem die ökonomische Frage.

Wohnbau wird unterschätzt: Mit der Aneinanderreihung und Stapelung mehr oder weniger brauchbarer Grundrisse und einer kostengünstigen, dabei gefälligen Fassade ist es auch wieder nicht getan. Der Anspruch, den jedes zeitgenössische Bauwerk erfüllen sollte: die heutigen technologischen Möglichkeiten intelligent zu nutzen, gilt im Wohnbau wie überall sonst. Und ganz nebenbei wird damit auch formal etwas transportiert. Etwas, dessen besonderer Stellenwert aus seiner Alltäglichkeit resultiert. Einen Flughafen, ein Museum, einen Verwaltungssitz betritt man anders als einen Bau, in dem man zu Hause ist.

An der im Süden Wiens gelegenen sogenannten „Thermensiedlung Oberlaa – Grundäcker “ von Helmut Richter läßt sich geradezu beispielhaft zeigen, unter welchen Voraussetzungen es sich heut zutage überhaupt nur lohnt, über einen Wohnbau ausführlicher zu reden. Dabei ist es ein ganz „normaler “Wohnbau, äußerst kostengünstig geplant und in einer keineswegs idealen Lage. Denn die Grundstücke, wo Wohnbau problemlos realisiert werden kann, werden allmählich rar. Und Helmut Richter wurde mit der Thermensiedlung Oberlaa ein hochproblematisches Grundstück zugeteilt. Es liegt direkt hinter der Schallschutzwand einer Bahnstrecke, die sich trotz dieser Maßnahme immer noch unangenehm bemerkbar macht.

Andererseits: Der über 170 Meter lange Riegel bietet von der Lage her auch eine Qualität: Alle Wohnungen sind Nord-Süd-orientiert, das heißt, die Bahn verläuft im Norden, und hier hat Richter auch die Laubengangerschließung plaziert. Typologisch hat dieser neue Wohnbau also etwas mit dem an der Brunner Straße zu tun, allerdings handelt es sich um eine weiterentwickelte Variante.

Bemerkenswert ist vor allem die konstruktive Lösung: Das Haus „hängt “am Laubengang, der mit seinen wenigen Stützen – Richter nennt sie „A-Böcke “– die tragende Rolle spielt. Das ist insofern ungewöhnlich, als sich die tragende Konstruktion nur auf einer Seite – im Norden – befindet und die Aussteifung des Gebäudes über sogenannte „Querkraftdornen “bewerkstelligt wird. Beim Fassadenaufbau – der besonders nach Süden überraschend viele Glasflächen umfaßt – hat Richter das gleiche System verwendet wie bei seinem Wiener Schulbau. Er hat die Trockenbauweise dem massiven (Ziegel-)Mauerwerksbau ja schon immer vorgezogen, und die Domico-Paneele bieten die Möglichkeit zu einem sauberen, raschen und ökonomischen Fassadenaufbau, und mit ihrer Aluminiumoberfläche entsprechen sie obendrein den heutigen Anforderungen der Nachhaltigkeit.

Der Eindruck, den der Wohnbau von Helmut Richter auf den ersten Blick vermittelt, ist der von Länge und Tempo – das Haus „pfeift “unglaublich sympathisch dahin –,und er löst ein, was man an Ansprüchen in dieser Lage anmelden muß. Man betritt die Wohnungen von Norden, Stiegenhäuser und Lift sind durch eine leuchtend rote Kunststoffplane – wie im ersten „Kiang “von Richter – ausgewiesen, sie sorgen für eine Rhythmisierung des langen Riegels.

Von hier, von Norden, geht es in die durchgesteckten Wohnungen hinein. Wirtschaftsbalkone an der Nordseite sind ein äußerst angenehmes Zusatzangebot, von Norden belichtete (offene) Küchen und Badezimmer, die durch eine Milchglasscheibe allerdings nicht einsehbar sind, nutzen diese eher undankbare Front räumlich. Die Verglasungen zum Laubengang sind dabei weitgehend fix, nur kleine öffenbare Fenster sorgen für die nötige Querdurchlüftung, die Richter ein absolutes Anliegen war. Das sollte man herausstellen: Wir reden hier von einem Architekten, dem es nicht einfällt, missionarisch soziale Anliegen zu transportieren. Er ist einfach nur – intelligent. Und auf der Grundlage dieser Intelligenz realisiert er seine Architektur. Das kommt den Nutzern zugute, und es erspart ihm eine ohnehin verzichtbare ideologische Überfrachtung.

Zur Südfront –mit großzügigen verglasten Flächen und Balkonen – eine Anmerkung: Hier sind die Fenster aus Kunststoff. Das schmerzt den Architekten, der viel lieber haltbarere Aluminiumfenster gehabt hätte, und es schmerzt ihn besonders, weil sie nicht, wie er es vorgeschlagen hatte, grau eingefärbt wurden, sondern weiß sind und damit recht massiv aus der Fassade herausknallen.

Ein zweites Problem der Südfront: Hier braucht es natürlich einen Sonnenschutz – der normalerweise außen liegen würde, was aber an einem so windigen Südhang nicht praktikabel wäre. Die Jalousien liegen daher innen, und die gelben Sonnenschutzelemente erzeugen eine tolle Innenraumstimmung.

Ein Kuriosum wäre noch zu erwähnen: Im obersten Geschoß sind an beiden Enden des langen Wohnbaus die Dachflächen abgeschrägt. Diese Schräge wurde von Richter ebenfalls verglast und ebenfalls mit dem innenliegenden Sonnenschutz ausgestattet. Sie resultiert daraus, daß es nur einen einzigen Lift zur Erschließung der 170 Meter Länge dieses Wohnbaus gibt. Was – nach irgendwelchen und nur schwer nachvollziehbaren Kriterien der Wiener Bauordnung – zu weit vom Lift entfernt lag, mußte den Charakter einer ausgebauten Dachwohnung haben. Daher die Dachschräge, die allerdings unter einem verblechten Dach klimatisch noch viel problematischer gewesen wäre, als das jetzt der Fall ist.

Helmut Richter hat einen besonderen Ruf in der Wiener Architekturszene. Er hatte aber bislang nicht das Glück, spezifische Bauaufgaben zu lösen – er hat kein Museum gebaut, keinen Flughafen, keinen repräsentativen Verwaltungssitz, sein „Besonderstes“ war eine Schule. Und doch schaut die Architektenszene auf jedes seiner Projekte mit größtem, mit ungebrochenem Interesse. Die anderen, sie mögen noch so schillernde Namen haben – wenn es um eine Art von substantieller Wertschätzung geht, dann überrundet sie Richter allemal. Es ist nicht nur eine Frage der baukünstlerischen Zielsetzung. Es ist eine Frage der grundsätzlichen Haltung. Und da hat Helmut Richter der Mehrzahl seiner Kollegen viel voraus.

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