Bauwerk

Gruta das Torres Centre
SAMI-arquitectos - Criação Velha (P) - 2005

Der Eingang zum Mittelpunkt der Erde

Gruta das Torres, Besucherzentrum in Criação Velha, Pico Island

Vor knapp drei Jahren eröffnet, ist das Besucherzentrum auf der Azoreninsel ein Ort, dessen Faszination man sich nur schwer entziehen kann. Gigantische Kräfte aus dem Inneren der Erde, eine rau-ursprüngliche weite Landschaft und das schnell wechselnde Lichtspiel der besonderen Wetterverhältnisse bilden die Kulisse, in die sich das Gebäude als Schnittstelle einfügt und die Besonderheit des Gesamtschauspiels erlebbar werden lässt. Nur ein Besuch vor Ort kann dies allerdings wirklich vermitteln.

4. November 2008 - Matthias Castorph
Reist man über den Atlantik nach Pico, einer der zentralen Inseln der Azoren, erhebt sich schon von Weitem die imposante Silhouette des Vulkans Pico Alto, dem die Insel auch ihren Namen verdankt. Fast 1700 Kilometer vom vom portugiesischen Festland entfernt, ist er mit 2351 Metern zudem der höchste Berg des Landes. Der Vulkankegel ist ein beliebtes Ziel von Wanderern, aber man kann den Vulkan nicht nur von oben erleben, sondern auch von innen, zumindest in Teilen, denn unter der Oberfläche der Insel erstrecken sich kilometerlang seine Ausläufer, Vulkanhöhlen, sogenannte Lavaröhren, die an einigen Stellen die Oberfläche aufbrechen und so die im Innern schlummernden Kräfte elementar spürbar werden lassen.

Sie entstanden während früherer Vulkaneruptionen: Der an der Oberfläche bereits zu einer starren Kruste erhärtete Lavastrom bildete eine thermische Isolierung, so dass der heißflüssige Gesteinsstrom in den darunter liegenden Kanälen thermisch isoliert wurde und noch kilometerweit vom ursprünglichen Eruptionsherd entfernt weiterfließen konnte. Nach dem Versiegen verblieben die Lavaröhren als Hohlräume. An ihren Oberflächen lässt sich der Lavastrom noch heute unmittelbar ablesen, sei es als hochglänzende, glatte Formationen ehemals schnell fließender oder als biskuitähnliche Erstarrungen zähfließender Lava.

Mit etwa fünftausend Metern Länge sind die vulkanischen Höhlen der »Gruta das Torres« nicht nur die längsten der Azoren, sondern zählen weltweit zu den längsten. Den Zugang markieren zwei nahe beieinander liegende Öffnungen, die durch den Einsturz der spröden Lavakruste an der Höhlendecke entstanden.

Gruta das Torres – Höhle der Türme

Die »Gruta das Torres« wurde erst 1990 entdeckt. Nachdem man sich entschieden hatte, die Höhle als Touristenattraktion öffentlich zugänglich zu machen und sie 2004 als »Regional Natural Monument« eingestuft wurde, konnte bereits 2005 das Besucherzentrum eröffnen. So wurde zum einen dieses Naturphänomen touristisch erlebbar, zum anderen durch den Neubau der fragile und einsturzgefährdete Höhleneingang vor Vandalismus und Beschädigungen geschützt.

Fast sechstausend Besucher informieren sich seitdem jährlich während der Sommermonate im Besucherzentrum über die Entstehungsgeschichte der vulkanischen Insel und ihrer Lavahöhlen und können anschließend von dort aus – mit Helm und Grubenlampem ausgestattet – einen Teil des Röhrensystems besichtigen.

SAMI:arquitectos (Ines Vieira da Silva und Miguel Vieira) bekamen als junges Architekturbüro aus Setubal bei Lissabon den Auftrag, dieses sehr spezielle Besucherzentrum auf Pico zu entwerfen. Während ihrer zweijährigen Tätigkeit in den Jahren von 2002 bis 2004 bei der Verwaltungsbehörde hatten sie schon auf der Insel gelebt und unter anderem an der Vorbereitung der Eintragung der Weinanbaugebiete unterhalb des Pico zum Weltkulturerbe der Unesco mitgearbeitet. In dieser Zeit, vor dem Bau des Besucherzentrums, konnten sie beispielsweise bei der Bauberatung der Inselbewohner sowie an kleineren öffentlichen Projekten und Planungsprozessen professionelle Erfahrungen und Einblicke auf Pico Island sammeln und durch die intensive Auseinandersetzung mit der Insel auch ein sehr persönliches Verhältnis zum Ort und zu der unvergleichlichen Landschaft entwickeln.

Die Schwierigkeit der Aufgabe lag weniger im minimalen Budget oder im Raumprogramm, sondern vor allem in der Fragestellung, wie man diesem grandiosen Naturschauspiel noch etwas hinzufügen oder es architektonisch akzentuieren könnte. Sie entschlossen sich für einen minimalen, aus der Ferne fast unsichtbaren Eingriff in die landschaftliche Situation, der das Vorgefundene kongenial aufnimmt, sich einpasst und trotzdem eine selbstbewusste architektonische Sprache spricht. Ein Kleinod, das als erster Baustein der nun folgenden Projekte von SAMI:arquitectos auf der Insel noch einiges erwarten und die Insel auch als Reiseziel für zeitgenössische Architektur interessant werden lässt. So bauen sie momentan zwei Einfamilienhäuser, und es entstand ein Konzept für ein vielversprechendes Ferienresort, das vielleicht in den nächsten Jahren verwirklicht werden kann. Das von ihnen ebenfalls entworfene Informationszentrum zum Weinbau auf Pico als Teil eines Freilichtmuseums, ein Umbau eines landwirtschaftlichen Bestandsgebäudes, wird nächstes Jahr fertiggestellt.

Besucherzentrum

Nähert man sich dem Besucherzentrum, erkennt man aus der Ferne lediglich eine Mauer aus großformatigen Lavabrocken. Sie ist an die in der Umgebung aufgeschichteten Lavastein-Mauern angeglichen, die als orthogonale Schutzmauern um Wingerts und halbkreisförmig um Feigenbäume errichtet wurden und so seit Jahrhunderten die Anbauflächen vor Wind und Seewasser schützen. Diese besondere Art des Weinbaus auf den Lavafeldern ist seit 2004 ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen.

Das Vorbild wurde im Neubau in der Größe etwas skaliert – von etwa 1,5 Metern auf 3,5 Meter – und die Einfassung locker spiralförmig um die zwei natürlichen »Oberlichter« der Vulkanhöhle gelegt. Die beiden Enden der Einfassung bilden den Zwischenraum für das Eingangsgebäude, das hinter der Mauer vollständig verschwindet. Lediglich die Eingangsfassade im Zwischenraum, mit ihrer glatten Oberfläche akzentuiert den Eingang, der mit einem Faltklappladen über die Wintermonate hermetisch geschlossen werden kann. Im Bereich der Außenwand des Hauses wurden die Steine so aufgeschichtet, dass sie ein kontinuierliches, lichtdurchlässiges Steingitter bilden, das die Belichtung der Innenräume ermöglicht, ohne die Erscheinung der geschlossenen Wand aufzulösen.

Das Gebäude als Weg

Hinter dem Eingangsportal liegt ein kleiner Patio mit einem quadratischen Wasserbecken. Ein großes Panoramfenster ermöglicht einen Blick in den Vorraum des eigentlichen Gebäudes. Im Inneren führt der Weg entlang der Außenmauer durch das Foyer, dessen Vorbereich mit Kassentheke, Backoffice und Sanitäranlagen eine Stufe höher liegt und so die räumliche Wirkung der radialen Erschließung noch verstärkt.

Am Ende des Ganges weitet sich der Weg zu einem kleinen Auditorium, wo man nach einem kurzen Einführungsfilm, der auf das Erlebnis der Höhle vorbereitet – ohne die reale Steigerung vorwegzunehmen – mit Helm und Grubenlampe ausgestattet wird, da im Vulkantunnel keine Beleuchtung eingebaut wurde, um den ursprünglichen Charakter zu erhalten. Sodann verlässt man das Gebäude und nimmt von einem kleinen Plateau den Weg in die Unterwelt. Weiter steigt man über eine Rampe und eine Treppe aus Lavastein dem Profil des Höhlenbodens folgend durch die erste Deckenöffnung hinunter, geht unter dem zweiten Oberlicht hindurch und ist nun inmitten der Lavahöhle, auf deren erstarrter Lava die ersten Meter des Wegs noch mit einem vom Boden abgehobenen Laufsteg baulich markiert sind. Danach ist man allein in der Dunkelheit und erkennt fragmentarisch, im Lichtkegel der Grubenlampe, an der Decke die grandiosen Stalagmiten und tropfenförmigen Oberflächen, die sich im geschmolzenen Gestein gebildet haben – und fühlt sich im Eingang zum Mittelpunkt der Erde.
Der Weg zurück führt in umgekehrter Reihenfolge die Treppen und Rampen hinauf. Entlang der inneren, fast schwarzen, glatten Außenwand gelangt man auf einer auskragenden Stufe seitlich wieder in das Eingangsfoyer oder nimmt Platz auf der Stufe, um die eindrucksvoll verwunschene Situation der überwucherten Gesteinsformationen im Inneren des hortus conclusus noch länger auf sich wirken zu lassen.

So klar wie die Konzeption des Gebäudes ist auch seine Konstruktion. Die Außenwände und das Dach sind aus Stahlbeton und mit einer glatten Putzschicht überzogen. Eine anthrazitfarbige Polyurethan-Dünnbeschichtung dient als Wetterschutz und Abdichtung der Oberflächen. Sie erinnert dabei an die zum Teil sehr glatten Lavaoberflächen in der Höhle. Die Eingangstüren und das Fenster zum Patio sind scharfkantig mit silbernen Aluminiumzargen gerahmt und die polygonale Glasfassade, als »kontinuierliches Fenster« mit Abstand hinter dem lichtdurchlässigen Gitter der Lavamauer, bildet die thermische Grenze. Im Inneren sind die Böden als glatter Estrich belassen. Die Wände haben eine verputzte Vormauerung als »homöopathische« Innendämmung. Die Decke ist mit Dämmung unterlegt und mit Gipskarton abgehängt. Eine einfache Konstruktion, die sicher auch den Möglichkeiten einer Inselbaustelle geschuldet ist.

Lava, Himmel und Erde

Die Beschränkung der architektonischen Mittel ist sicherlich die Stärke des Objekts. Zum vorgefundenen Archetyp der Höhle kommt nur das Thema der ringförmigen Mauer als Rahmung des Ortes und Referenz an die Umgebung. Im Dazwischen entsteht ungezwungen der Innenraum des Besucherzentrums. Die architektonische Formulierung kann bei klarer und einfacher Geometrie, aller zeitgenössischer Härte und Präzision, auf dem dünnen Grat zwischen Kontrast und Anpassung an diesem Ort bestehen und eine echte Poesie des Ortes schaffen. Sie verliert sich nicht in Sichtbetonkitsch und gebauter Plangrafik anderer zeitgenössischer Vulkanmuseen, wie es beispielsweise in Capelinhos auf der Nachbarinsel Faial geschah.

Ganz selbstverständlich, ruhig und schwer, inmitten der weichen Landschaft liegt es am Hang, vor dem Hintergrund des gewaltigen Vulkans, so als ob es schon immer hier gewesen wäre und lässt einen dabei nicht unberührt. Denn es selbst bleibt völlig unverändert in seiner Dunkelheit, unter dem sich ständig wechselnden Licht der Inselsonne, dessen Stimmung man auf Fotografien nicht wiedergeben kann. Dabei wirkt es einfach besonders, nicht besonders hübsch – einfach schön.

Oder, akademisch ausgedrückt: Die Architektur von Gruta das Torres resultiert aus einem tiefen Verständnis der Landschaft, des Ortes, als notwendige Voraussetzung zum Entwurf einer »sinnvollen Umwelt« im Sinne von Christian Norberg-Schulz (Phänomenologie des Ortes), als Zusammenkommen und dem Zusammenspiel der einzelnen Phänomene (natürlich/artifiziell) und als Übersumme. Eine präzise Widerspiegelung des Genius loci an einer vorgefundenen, beeindruckenden Schnittstelle zwischen Himmel und Erde, am Übergang von vertikal und horizontal, als eine in ihrer Einfachheit komplexe Architektur in einer Vulkanlandschaft von elementarer Schönheit.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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