Bauwerk
Lauder Chabad Campus
Adolf Krischanitz - Wien (A) - 1999
Gleichauf mit dem Flakturm
Generalisierende Antworten auf die Frage, was Schulbau leisten soll, hat Adolf Krischanitz schon bei seinen bisherigen Projekten verweigert. Auch sein jüngstes, der Lauder-Chabad-Campus im Wiener Augarten, gehorcht eigenen Spielregeln.
23. Oktober 1999 - Christian Kühn
Nehmen wir einmal an, Architektur sei mehr als reine Zweckerfüllung. Wir werden mit dieser Meinung nicht alleine stehen: Für die meisten Menschen soll Architektur die Welt zu einem schöneren Platz machen, erfreulicher fürs Auge’, wärmer fürs Gemüt. Jenseits der Gemütlichkeit werden sich andere Mehrwerte finden: der Ausdruck einer klaren Ordnung der Welt beispielsweise oder auch sein Gegenteil, die Kritik am herrschenden System.
Gerade der Schulbau ist prädestiniert für weitschweifige und ideologisch belastete Diskussionen dieser Art. Muß er kindgerecht sein in dem Sinn, daß er die Schule bunt und fröhlich als einnehmenden Baukörper gestaltet? Oder soll er eine klare und vielleicht sogar strenge Ordnung zum Ausdruck bringen? Oder eine offene Struktur bilden, die den Körper auflöst in ein freies Spiel von Formen und Räumen, in dem sich Kinder ebenso frei entfalten können?
Derartiger Rhetorik hat sich Adolf Krischanitz in seinen Wiener Schulbauprojekten stets entzogen. Die „Neue Welt Schule “ im Prater aus dem Jahr 1994 ist ein schwarz verputzter Bau, dessen Innenräume mit ihren Sichtbetonwänden eher Werkstätten als Klassenzimmern gleichen. Mit dem Entwurf für die Volksschule in der Steinergasse hat Krischanitz 1996 einen Beitrag geliefert, dessen komplexe räumliche Organisation innerhalb einer hermetischen Figur ihn zu einem der spannendsten, leider nicht realisierten Projekte im Rahmen des Schulbauprogramms 2000 macht. Der vor zwei Wochen eröffnete Lauder-Chabad-Campus am Rande des Augartens – Kindergarten, Volksschule und Mittelschule in einem kompakten Baukörper – ist das jüngste Werk in dieser Reihe: ein langgestreckter, hell verputzter Bau mit regelmäßigen Fensteröffnungen in einem einheitlichen Format, die teilweise bündig, teilweise in tiefen, mit Untersberger Marmor ausgekleideten Laibungen sitzen.
Keines dieser Projekte ist auf den ersten Blick einnehmend oder gar in einem vordergründigen Sinn kindgerecht. Krischanitz arbeitet mit klaren Ordnungssystemen, die jedoch weder aus konstruktiven noch aus funktionalen Prämissen abgeleitet sind. Er stellt damit den Anspruch auf eine Autonomie der Architektur, der – und das ist das Entscheidende –subversiver und kritischer gegenüber der herrschenden Ordnung ist als jede noch so wild sich gebärdende Dekonstruktion.
Was bedeutet das konkret? Erstens Autonomie gegenüber allen unreflektierten Forderungen nach Schönheit und Stil, die in Wahrheit nichts anderes meinen als das leicht konsumierbare Bild; zweitens eine Absage an jede Form der vielleicht spektakulären, aber kurzlebigen Virtuosenarchitektur; und drittens – als methodische Voraussetzung – eine Lockerung der Beziehung zwischen Form und Funktion, die bis zur bewußten Irritation gehen kann. Wer das Gelände des Lauder-Chabad-Campus durch einen breiten Durchbruch in der Ziegelmauer des Augartens betritt, wird Schwierigkeiten haben, den Eingang in das Gebäude zu finden. Vor ihm liegt eine dreieckige Grünfläche mit einer hohen alten Platane,die sich in der langgestreckten Glaswand des Klassentrakts spiegelt. Die Eingänge in die Klassenzimmer sind hinter der Glaswand zu sehen. Der Haupteingang findet sich aber nicht in der Achse und auch nicht dort, wo das Gebäude am transparentesten ist, sondern seitlich in einem Kopfbau, zu dem eine leicht geneigte Rampe hinunterführt. Die Eingangstüren selbst sitzen ohne besondere Betonung in Öffnungen, deren Dimension sich von jener der Fenster nicht unterscheidet: Man spürt, daß dieses Haus nicht primär um Funktionen herum gebaut ist, sondern eigenen Spielregeln gehorcht.
Solche Strategien der Reduktion sind nichts Neues: Von Louis Kahn bis zu den sogenannten Schweizer Minimalisten finden sich Beispiele dafür. Krischanitz weiß freilich, daß Autonomie in der Architektur etwas anderes bedeutet als in der Kunst. Der Lauder-ChabadCampus hat äußerst komplexe Anforderungen zu erfüllen: Ziel der Institution ist es, ein hohes Unterrichtsniveau in Harmonie mit jüdischer Lehre und Kultur zu vermitteln. Das Raumprogramm umfaßt neben den Räumen für den Kindergarten und die verschiedenen Schultypen eine Synagoge und ein rituelles Bad, zwei Speisesäle, Bibliothek, Werkstatt und einen Turnsaal. Als Begegnungsstätte zwischen jüdischen und nichtjüdischen Kindern stehen die zuletzt genannten Räume auch Interessenten aus dem Bezirk offen.
In einem ersten Entwurf für ein kleineres Raumprogramm plante Krischanitz ein Pavillonkonzept. Im ausgeführten Projekt liegen alle Haupträume für die Kinder im 90 Meter langen Klassentrakt: der Kindergarten im Erdgeschoß, die Volksschule im ersten und die Mittelschule im zweiten Stock. Die Klassen werden von einer Zone mit Erschließungs- und Nebenräumen wie Garderoben und WCs begleitet, die jeweils direkt den einzelnen Klassen zugeordnet sind. Nach Osten endet der Klassentrakt inder über die gesamte Höhe des Baukörpers reichenden Eingangshalle mit offenem Stiegenhaus, im Westen schließt sich ein durch einen schmalen Lichthof geteilter Quertrakt mit allen Zusatzfunktionen an.
So schlicht und diszipliniert dieser Quertrakt von außen aussieht, so komplex ist sein Inneres organisiert. Auf der einen Seite des Lichthofs liegen Turnsaal und Synagoge übereinander, auf der anderen Seite die Speisesäle und die Verwaltung. Zwei aufgesetzte Lichtgaden, die den Speisesaalbereich und die Synagoge zusätzlich belichten, geben diesem Bauteil seine charakteristische Silhouette.
Anders als mit seiner „Neuen Welt Schule “wird Krischanitz mit diesem Bau kaum jemand vor den Kopf stoßen. Trotzdem: Hinter der freundlich hellen Putzhaut und der beinahe klassischen Erscheinung verbirgt sich ein autonomes Objekt, das es mit seinem unmittelbaren Nachbarn, der mächtigen Betonskulptur des Flakturms, aufnehmen kann. Damit hat Krischanitz einen bei dieser Bauaufgabe an diesem Ort zentralen Auftrag erfüllt: ein Haus für eine andere, bessere Ewigkeit zu bauen.
Gerade der Schulbau ist prädestiniert für weitschweifige und ideologisch belastete Diskussionen dieser Art. Muß er kindgerecht sein in dem Sinn, daß er die Schule bunt und fröhlich als einnehmenden Baukörper gestaltet? Oder soll er eine klare und vielleicht sogar strenge Ordnung zum Ausdruck bringen? Oder eine offene Struktur bilden, die den Körper auflöst in ein freies Spiel von Formen und Räumen, in dem sich Kinder ebenso frei entfalten können?
Derartiger Rhetorik hat sich Adolf Krischanitz in seinen Wiener Schulbauprojekten stets entzogen. Die „Neue Welt Schule “ im Prater aus dem Jahr 1994 ist ein schwarz verputzter Bau, dessen Innenräume mit ihren Sichtbetonwänden eher Werkstätten als Klassenzimmern gleichen. Mit dem Entwurf für die Volksschule in der Steinergasse hat Krischanitz 1996 einen Beitrag geliefert, dessen komplexe räumliche Organisation innerhalb einer hermetischen Figur ihn zu einem der spannendsten, leider nicht realisierten Projekte im Rahmen des Schulbauprogramms 2000 macht. Der vor zwei Wochen eröffnete Lauder-Chabad-Campus am Rande des Augartens – Kindergarten, Volksschule und Mittelschule in einem kompakten Baukörper – ist das jüngste Werk in dieser Reihe: ein langgestreckter, hell verputzter Bau mit regelmäßigen Fensteröffnungen in einem einheitlichen Format, die teilweise bündig, teilweise in tiefen, mit Untersberger Marmor ausgekleideten Laibungen sitzen.
Keines dieser Projekte ist auf den ersten Blick einnehmend oder gar in einem vordergründigen Sinn kindgerecht. Krischanitz arbeitet mit klaren Ordnungssystemen, die jedoch weder aus konstruktiven noch aus funktionalen Prämissen abgeleitet sind. Er stellt damit den Anspruch auf eine Autonomie der Architektur, der – und das ist das Entscheidende –subversiver und kritischer gegenüber der herrschenden Ordnung ist als jede noch so wild sich gebärdende Dekonstruktion.
Was bedeutet das konkret? Erstens Autonomie gegenüber allen unreflektierten Forderungen nach Schönheit und Stil, die in Wahrheit nichts anderes meinen als das leicht konsumierbare Bild; zweitens eine Absage an jede Form der vielleicht spektakulären, aber kurzlebigen Virtuosenarchitektur; und drittens – als methodische Voraussetzung – eine Lockerung der Beziehung zwischen Form und Funktion, die bis zur bewußten Irritation gehen kann. Wer das Gelände des Lauder-Chabad-Campus durch einen breiten Durchbruch in der Ziegelmauer des Augartens betritt, wird Schwierigkeiten haben, den Eingang in das Gebäude zu finden. Vor ihm liegt eine dreieckige Grünfläche mit einer hohen alten Platane,die sich in der langgestreckten Glaswand des Klassentrakts spiegelt. Die Eingänge in die Klassenzimmer sind hinter der Glaswand zu sehen. Der Haupteingang findet sich aber nicht in der Achse und auch nicht dort, wo das Gebäude am transparentesten ist, sondern seitlich in einem Kopfbau, zu dem eine leicht geneigte Rampe hinunterführt. Die Eingangstüren selbst sitzen ohne besondere Betonung in Öffnungen, deren Dimension sich von jener der Fenster nicht unterscheidet: Man spürt, daß dieses Haus nicht primär um Funktionen herum gebaut ist, sondern eigenen Spielregeln gehorcht.
Solche Strategien der Reduktion sind nichts Neues: Von Louis Kahn bis zu den sogenannten Schweizer Minimalisten finden sich Beispiele dafür. Krischanitz weiß freilich, daß Autonomie in der Architektur etwas anderes bedeutet als in der Kunst. Der Lauder-ChabadCampus hat äußerst komplexe Anforderungen zu erfüllen: Ziel der Institution ist es, ein hohes Unterrichtsniveau in Harmonie mit jüdischer Lehre und Kultur zu vermitteln. Das Raumprogramm umfaßt neben den Räumen für den Kindergarten und die verschiedenen Schultypen eine Synagoge und ein rituelles Bad, zwei Speisesäle, Bibliothek, Werkstatt und einen Turnsaal. Als Begegnungsstätte zwischen jüdischen und nichtjüdischen Kindern stehen die zuletzt genannten Räume auch Interessenten aus dem Bezirk offen.
In einem ersten Entwurf für ein kleineres Raumprogramm plante Krischanitz ein Pavillonkonzept. Im ausgeführten Projekt liegen alle Haupträume für die Kinder im 90 Meter langen Klassentrakt: der Kindergarten im Erdgeschoß, die Volksschule im ersten und die Mittelschule im zweiten Stock. Die Klassen werden von einer Zone mit Erschließungs- und Nebenräumen wie Garderoben und WCs begleitet, die jeweils direkt den einzelnen Klassen zugeordnet sind. Nach Osten endet der Klassentrakt inder über die gesamte Höhe des Baukörpers reichenden Eingangshalle mit offenem Stiegenhaus, im Westen schließt sich ein durch einen schmalen Lichthof geteilter Quertrakt mit allen Zusatzfunktionen an.
So schlicht und diszipliniert dieser Quertrakt von außen aussieht, so komplex ist sein Inneres organisiert. Auf der einen Seite des Lichthofs liegen Turnsaal und Synagoge übereinander, auf der anderen Seite die Speisesäle und die Verwaltung. Zwei aufgesetzte Lichtgaden, die den Speisesaalbereich und die Synagoge zusätzlich belichten, geben diesem Bauteil seine charakteristische Silhouette.
Anders als mit seiner „Neuen Welt Schule “wird Krischanitz mit diesem Bau kaum jemand vor den Kopf stoßen. Trotzdem: Hinter der freundlich hellen Putzhaut und der beinahe klassischen Erscheinung verbirgt sich ein autonomes Objekt, das es mit seinem unmittelbaren Nachbarn, der mächtigen Betonskulptur des Flakturms, aufnehmen kann. Damit hat Krischanitz einen bei dieser Bauaufgabe an diesem Ort zentralen Auftrag erfüllt: ein Haus für eine andere, bessere Ewigkeit zu bauen.
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