Bauwerk

Fünf Pausendächer
Staufer & Hasler - Frauenfeld (CH)
Fünf Pausendächer, Foto: Astrid Staufer
Fünf Pausendächer, Foto: Astrid Staufer

Schirm

Fünf Pausendächer in Frauenfeld

Bei der Ergänzung eines Denkmals mit Neubauteilen drohen zwei Gefahren. Die eine besteht in einem überrissenen Programm neuer Nutzungsanforderungen, die andere in der Eitelkeit der planenden Architekten. Astrid Staufer und Thomas Hasler haben in Frauenfeld gezeigt, wie sie beide Gefahren meisterten, erstere durch Reduktion und letztere durch Bescheidenheit.

9. Juli 2006 - Hansjörg Gadient
Uneitel ist das angemessene Wort; uneitel ist die Haltung, mit der die Architekten die anspruchsvolle Aufgabe gelöst haben, und um „Angemessenheit“ haben sie während des ganzen Prozesses gekämpft. Es ist immer schwierig, ein denkmalgeschütztes Ensemble mit einem Neubau zu ergänzen, besonders wenn die Eitelkeit der Architekten zu viel will. So setzt sich manch einer neben das vorhandene Denkmal ein eigenes, eine Art architektonische Duftmarke.

Ganz anders dagegen die Lösung, die Staufer und Hasler in Frauenfeld gefunden haben. Farblich und formal sehr reduziert, fügen sich ihre Schirme in ein Ensemble ein, das auf den ersten Blick überhaupt keinen Eingriff zu ertragen schien. Denn zu klein und zu kompakt war die Anlage mit Schulhaus und kleinem Pausenhof. Ein in sich stimmiges und daher empfindliches Ganzes, um die Jahrhundertwende von einem Schinkel-Schüler errichtet.
Der dreigeschossige Bau des „Spannerschulhauses“ weist eine bemerkenswerte Zweiseitigkeit auf: vorne eine eher biedere, verputzte Lochfensterfassade, die nicht ahnen lässt, dass sich hinten eine klassizistisch anmutende, zweifarbige Backsteinfassade präsentiert, von unerwarteter urbaner Grosszügigkeit und Eleganz. Die Aussenräume sind von eher kleinen Abmessungen, ein von Ahornen gesäumter Vorhof zur Eingangseite hin und ein grösserer, von uralten Platanen umstandener Pausenraum auf der Rückseite, bestückt mit einem so grossen wie unansehnlichen Klettergerüst. Für diese Aussenräume sollte nun eine Pausenhalle projektiert werden.

Überfordertes Ensemble

Die Selbstverliebtheit des Eingriffs kann ein Denkmal zwar am Ende des Prozesses schädigen; häufiger und früher schädigen es überrissene Nutzungsvorstellungen. Schon bevor die Planung beginnt, wird durch die Forderung nach unangemessenen Neubauteilen das Ensemble oder der Bau in seinem Wert gefährdet. Auch bei diesem Schulhaus stand am Anfang der Wunsch nach einer Pausenhalle. Die vom Gesetz dafür vorgeschriebene Grösse allerdings drohte das Ensemble hoffnungslos zu überfordern. Eine im Wortsinn angemessene Lösung schien nicht möglich. Die ersten Studien zeigten diese Problematik überdeutlich. Auch die leichtesten Konstruktionen und elegantesten Tragwerke konnten nicht verbergen, dass diese Pausenhalle immer ein überdimensionierter Fremdkörper bleiben würde. Und die einzige Stelle, an der die Freifläche einen Bau dieser Grösse vielleicht ertragen hätte, war durch das Kletter- und Spielgerüst besetzt, das nicht zur Disposition stand.

Das Schulhaus würde konkurriert, die vorhandenen alten Platanen arg bedrängt, und der Raum drohte zu ersticken. Die ersten Lösungsversuche zeigten vor allem eins: dass die Aufgabe in der vorgesehenen Art nicht zu lösen sein würde. Das Problem musste grundlegender definiert werden.

Neue Frage, neue Antwort

Wenn die Antworten auf eine Frage nicht befriedigen, muss manchmal die Frage anders gestellt werden. Was ist eine „Pausenhalle“? Was muss sie leisten? Sie soll bei Regen Schutz bieten und im Hochsommer Schatten spenden. Sie soll den Kindern die Möglichkeit bieten, bei jedem Wetter die Pausen im Freien zu verbringen. Also nichts als ein Dach. - Ein Dach?

Die Lösung zeichnete sich in dem Augenblick ab, als die Architekten vom Gedanken eines einzigen grossen Daches Abstand nahmen und stattdessen die geforderte überdachte Gesamtfläche aufteilten. Statt hinter dem Schulhaus eine grosse Pausenhalle zu projektieren, sollten vor und hinter dem Schulhaus einzelne kleinere Unterstände entstehen. Diese würden sich viel leichter in die Gesamtanlage integrieren lassen. Um nun diese Flächen weniger präsent erscheinen zu lassen, wurden sie weiter in Teilflächen aufgetrennt.
Entwurfsprozesse folgen verschlungenen Wegen. Geduldige Versuche, die auf dieser ersten Erkenntnis beruhten, führten endlich zur Idee, die Dachflächen kreisförmig auszubilden, auf eine mittige Stütze zu setzen und sie in die Reihe der alten Bäume zu integrieren. So entstand das Bild der Schirme, unter denen die Kinder Schutz finden.

Verwandt ohne Anbiederung

Die Idee, eine runde Form zu wählen, entstand allerdings nicht aus dem Gedanken Schutz gleich Schirm, sondern aus dem Wunsch, der statischen Fassade des Baus etwas Bewegtes gegenüberzustellen, das mit den Bogen der Fenster einen entfernten formalen Bezug eingehen würde, ohne sich anzubiedern. Aus diesem Gedanken der Bewegung entstand auch die Form der Rippen, die sich als Kreissegmente um die Stütze drehen und so wie Propeller die Schirme anzutreiben scheinen.

Mit der Idee einer eingespannten Mittelstütze mit auskragendem Schirm entstand auch eine statische und gestalterische Verwandtschaft zu den Bäumen, in deren Reihe die Schirme stehen. Aber auch hier sollte nicht die Ähnlichkeit gesucht werden, sondern die Verwandtschaft. So reduzierten die Architekten die Stütze auf ein Minimum, sodass fast ein Missverhältnis zu den Proportionen des Daches entstand. Diese dünne Stütze dient also nicht nur dazu, sich klar von den dicken Baumstämmen abzusetzen, sondern auch zur Stärkung der Metapher Schirm. Darüber hinaus trägt ihre Schlankheit wesentlich zum Eindruck der Reduktion und des Zurücktretens bei.

Wie die Form und die Konstruktion folgt auch die Farbigkeit dem Prinzip einer entfernten verwandtschaftlichen Ähnlichkeit. So wurden die Farbtöne aus der Backsteinfassade übernommen, vergraut und verdunkelt, aber auch intensiviert. Zusammen mit dem Kupferton ergibt sich ein recht dunkles Gesamtbild, das die Schirme besonders gut ins Ensemble eingliedert. Zusammen mit den Schattenwürfen auf dem Asphalt entsteht unter den Schirmen eine starke Raumwirkung, die ihren Schutzcharakter hervorhebt.

Angemessen

Der mit alten Platanen und Ahornen bestandene Pausenhof ist auf zwei Seiten von hohen Hecken und Sträuchern umstanden und gegen die Strasse nur durch ein niedriges Mäuerchen abgegrenzt. Das führte dazu, dass der schmalere, vordere Teil des Hofes von den Kindern nur ungern genutzt wurde. Mit der Errichtung der Schirme nahmen sie den Raum sofort in Besitz. Die in diesem Teil aufgestellten drei Schirme machten aus einer gemiedenen Ecke an der Strasse einen beliebten Aufenthaltsort. Dies kommt vor allem den kleinsten Schülern und Schülerinnen entgegen, weil sie hier unter sich sein können, in sicherer Entfernung von den nicht immer rücksichtsvollen älteren. Die Proportionen dieser drei Schirme sind denn auch auf die kleineren Menschen darunter abgestimmt. Sie sind niedriger und haben kleinere Durchmesser. So entsprechen sie aber nicht nur ihren Schützlingen, sondern auch den kleineren Abmessungen dieses Teils des Pausenplatzes. Im grösseren Teil stehen zwei grössere und höhere Schirme, die eher einen Bezug zu den benachbarten ausgewachsenen Platanen haben. Hier sind die Dachflächen so gross, dass sie Lichtöffnungen erhalten haben, um den beschirmten Raum bei trübem Wetter aufzuhellen.

Essenz

Zu guten architektonischen Lösungen gehört immer eine verständige Bauherrschaft. In diesem Fall folgte sie Schritt für Schritt den Argumenten der Architekten und trug den Prozess der Reduktion mit, von einer einzigen massstabssprengenden Pausenhalle bis zu den fünf fast verschwindenden Schirmen. Sie sah ein, dass und warum in diesem Fall weniger mehr war. Für die Architekten war es ein langer und arbeitsintensiver Umweg, der zu einem unerwarteten Ziel geführt hat. Als Resultat wirkt das denkmalgeschützte Ensemble nun wie die Fassung für fünf wertvolle Steine. Sein Wert und seine Wirkung sind vollauf erhalten geblieben. Staufer und Hasler haben keine „Duftmarke“ hinterlassen. Sie haben sich beschieden, aber mit dem Besten. Ihre Lösung gleicht vielmehr der Arbeit des Parfumeurs, der aus vielerlei Zutaten durch Mazerieren, Einkochen, Destillieren und Kondensieren ihre Essenz gewinnt und sie zu einem künstlerischen Werk fügt, dessen materielle Substanz im Verhältnis zu seiner Wirkung verschwindend gering ist.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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