Bauwerk

„On Top“ Einfamilienhaus-Erweiterung
SHARE architects - St. Pölten (A) - 2006

Architektur in allen Ritzen

Ein biederes Einfamilienhaus in St. Pölten bereicherten die SHARE architects mit einer neuen Dachlandschaft aus Lärchenholzlatten und einer großen Panoramafassade. Die Verbindung zwischen Alt und Neu: eine Treppe, die wie ein Teppich in den Bestand hinabgleitet.

16. Dezember 2006 - Isabella Marboe
Viehofen ist eine Gartensiedlung am Ostrand von St. Pölten. Entstanden ist sie nach und nach auf dem Anwesen der Grafen von Kuefstein. Noch immer steht deren Villa zwischen den Hausreihen und der Gaststätte aus den Dreißigerjahren. „Es ist eine gute, ruhige Wohngegend. Wir haben den Traisenpark, die Eishalle, ein Einkaufszentrum und ein Naherholungsgebiet mit zwei Seen gleich in der Nähe“, sagt der Bauherr. Das Paar und seine Tochter lieben die Gegend und die Natur, ihr dortiges Haus wurde mit der Zeit jedoch zu eng.

Als ein Nachbar sein Haus zum Verkauf angeboten hatte, zögerte man keine Sekunde - obwohl auch dieses zu klein war. Dafür ließ der Garten mit fast 1000 Quadratmetern, Feigen-, Nashi-, Kirsch- und Marillenbäumen das grüne Herz des Bauherrn höher schlagen. Das eingeschoßige, sattelgedeckte Ur-Haus aus den Dreißigern war vor etwa zehn Jahren schon einmal erweitert worden. Die drei Zimmerchen wurden damals um ein eigenständiges Mini-Haus erweitert. Da stand es also, das Relikt eines verflossenen Trends im Garten: ein quadratischer Wohnraum mit zwei Glasfronten, auskragendem Walmdach und einem Kamin im Eck.

Lösung für wenig Geld

Nun musste ein weiteres Mal umgebaut werden. SHARE architects brachten alle Bauherrenwünsche auf dem Dach unter. Das vom Kauf ausgedünnte Budget war so karg, dass sich der Bauherr entschloss, den Innenausbau weitestgehend selbst in die Hand zu nehmen. Statt des alten Satteldachs krönt nun ein schnittiger, vorgefertigter Holzleichtbau den Bestandssockel. Die gartenseitige Schrägverglasung blickt wie ein Großbildfernseher in die Landschaft.

Durch den nötigen Aufgang kam das Haus zu einer eigens entworfenen Stiege aus Metall und Holz. Wie ein Teppich entgleiten ihre Merbau-Stufen dem geölten Parkettboden, um als begehbare Skulptur zwischen Küche und Essplatz zu landen. Von Glaswänden gerahmt wird jede zweite Stufe von unten beleuchtet und inszeniert so den Übergang von unten nach oben, von Alt zu Neu. Der Raum darunter bleibt nutzbar, zwei neue Durchbrüche im Bestand machen das Wohnen als zusammenhängendes Raumgefüge erlebbar.

Im Aufbau, wo man am oberen Ende der Treppe in neue Wohndimensionen eintaucht, wird gespielt, gelesen und gebadet. Unter Dachflächen, die in subtil asymmetrischer Dynamik bis auf vier Meter Raumhöhe ansteigen, weitet sich ein großer, zentraler Raum zur transparenten Vollschräge. Hier scheinen Himmel und Garten ins Innere zu kippen, für Frischluft sorgt ein eingeschnittenes, öffenbares Fenster. An dieser luxuriösen Gemeinschaftsfläche liegen die Individualräume. Durch zwei Glastüren im Kinderzimmer kann man aus dem Wintergarten auf den neuen, kleinen Balkon hinaustreten.

Die Eltern ruhen straßenseitig blickgeschützt hinterm Lattenrost. Dort befindet sich auch das Bad. „Wir wollten nicht, dass uns die Nachbarn ins Zimmer sehen“, erklärt die Bauherrschaft, die sich eine Architektur mit viel Liebe gewünscht hatte: „Wir machen oft Urlaub in der Türkei. Die orientalische Architektur mit ihren vielen Formen, Licht- und Schattenspielen, die den Blick verschleiern, gefiel uns immer schon sehr gut.“

Diese Anregung nahmen die Architekten auf, indem sie die Südseite des Zubaus komplett mit Lärchenholzlatten umhausten. Tagsüber wirkt der Zubau fast wie ein Stadel, den man auf den gemauerten Sockel der vorstädtisch-ländlichen Siedlung setzte. Durch ihre unterschiedlich dicken Zwischenräume schimmern tagsüber Straße, Bäume, Himmel und Sonnenlicht. Umgekehrt strahlt es nachts aus allen Ritzen.

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