Bauwerk

Neue Justizanstalt West
Dieter Mathoi - Innsbruck (A) - 2006
Neue Justizanstalt West, Foto: Nikolaus Schletterer
Neue Justizanstalt West, Foto: Nikolaus Schletterer

Können Gitter schön sein?

Für Momente vergisst man, wo man ist. Aber nur für Momente. Dieter Mathoi hat einen Neubau für die Justizanstalt Innsbruck entworfen. Eine Bravourlösung.

21. Januar 2007 - Liesbeth Waechter-Böhm
Ganz einfach ist es nicht, über ein Gefangenenhaus zu schreiben. Und noch viel weniger einfach dürfte es sein, ein solches zu planen. Dieter Mathoi von Heinz Mathoi Streli Architekten aus Innsbruck war mit dieser Aufgabe konfrontiert. Und er hat sie nicht nur mit Anstand, mit Sorgfalt, er hat sie mit Bravour gelöst.

Es geht um einen Neubau im Kontext der Justizanstalt Innsbruck. Er ist hinter dem Altbestand situiert, auf einem Gelände, das zuvor dem Lehmabbau und der Ziegelproduktion durch die Häftlinge diente. Rentabel war das längst nicht mehr, aber Ziegelstapel erinnern noch heute daran. Der im Volksmund sogenannte „Ziegelstadel“ wurde daher abgerissen, der riesige Schornstein ebenso.

Hier, hinter dem Altbestand, der übrigens um ein Geschoß erweitert wurde - der Architekt hat sich dabei mit dem Ausbau des Dachgeschoßes (Satteldach) begnügt und ein neues Flachdach daraufgesetzt -, stehen die zwei Trakte des neuen Bauteils. Wie zwei Finger weisen sie ins Gelände hinein. Später lassen sich bei Bedarf weitere Finger dazubauen. Die jetzigen zwei Trakte umschließen einen Innenhof - einen sogenannten Spazierhof mit befestigter, begrünter Fläche und einer ausgreifenden, sehr reizvollen Skulptur von Lois und Franziska Weinberger: ein organisches Gebilde aus Beton, auf dem man sitzen kann; als Motiv liegen ihm die Form der Gänge von Borkenkäfern zugrunde. Man trifft auf diese Skulpturen auch in den Spazierhöfen auf dem Dach.

Und damit sind wir beim Punkt: Es gibt Spazierhöfe, die müssen ausbruchsicher sein, genauso wie die beiden Gefängnistrakte. Und obwohl das Gebäude noch nicht bezogen ist, kommt Frösteln auf, wenn man es durchquert und irgendwie automatisch nach den Hinweisen Ausschau hält, die auf Gefängnis verweisen. Auf Gitter. Auf Zellen.

Mathoi hat tolle Lösungen gefunden, um die Situation mit architektonischen Mitteln erträglicher zu machen. Das Gitter im engen Sinn kommt bei ihm überhaupt nicht vor. Die Zellen selbst, alle nach Süden orientiert, sind raumhoch verglast - schusssicher - und haben im mittleren Lüftungsteil ein stabiles Lochblech vorgeschaltet. Das bildet sich zwar nach außen an der Fassade ab - aber relativ unverfänglich, es relativiert die „Käfigsituation“ innen wie außen.

Der Architekt hat besonderen Wert auf die natürliche Belichtung der Räume gelegt. In der Erdgeschoßzone und im Dachgeschoß gibt es eine ebenfalls raumhohe, lichtdurchlässige Profilitverglasung, in der nicht nur die Dämmung, sondern auch Flacheisen liegen, die das Ganze ausbruchsicher machen. Man sieht sie aber kaum. Und die „Raucherbalkone“ - in Wahrheit große offene Loggien, also gedeckte Aufenthaltsräume im Freien - sind zwar vergittert, aber so, dass es eigentlich ein ästhetisches Vergnügen ist: schlichtes, verzinktes Blech, in einem Zehn-mal-zehn-Raster - fast schon japanisierend. Gefängnisgitter fallen einem sicher nicht dazu ein.

Die architektonische Geste nach außen ist auf jeden Fall einnehmend. Das Gebäude ist schlicht, das schon, es gibt auch keinen Anlass für spektakuläre Inszenierungen. Im Übrigen gibt es ja auch so gut wie keine Vorbilder in der Architekturgeschichte für ein solches Haus.

Mathois Programm war relativ komplex. Es ging keineswegs nur um Zellen für 54 Insassen und die dazugehörigen Erschließungsgänge. Gebraucht wurden ein Turnsaal, den er im Untergeschoß situiert hat, zwei ebenerdig gelegene Produktionsräume, wo die Insassen arbeiten können, und Gemeinschaftsräume, in denen man Kaffee kochen, im Internet surfen, Tischfußball oder Billard spielen kann.

Mathoi hat mit seiner Lösung ein architektonisches Plus geschaffen, das über die einfache Nutzung weit hinausgreift. Die innenräumliche Lösung zeichnet sich durch raumplastische Qualität und einen feinen Umgang mit Materialien aus. Beide Trakte sind auch in den innen liegenden, mehrgeschoßigen Erschließungszonen von oben natürlich belichtet, das ist einfach toll. Jedes bessere Bürohaus wäre stolz auf einen solchen Binnenraum. In diesem Kontext hat er aber noch größere Bedeutung. Er strahlt eine gewisse Großzügigkeit aus. Man vergisst zumindest ein bisschen, wo man ist.

Die vorherrschende Farbe ist grau. Durch den Beton, durch den Anstrich, durch das Metall. Das hat mich etwas irritiert. Es wird zwar alles relativ elegant dadurch, aber ist es nicht zu trist? Wahrscheinlich nicht. Farben, leuchtende Farben, würden wohl eher zum Zynismus werden, nicht zu einer freundlicheren Geste. Und in den Zellen ist der Kunstharzboden ohnehin rot und das Holz der Einrichtung helle Birke. So ganz lässt es sich eben doch nicht beschönigen, dass hier Menschen eingesperrt sind.

Für mich war es dann auch der größte Schock, als ich auf dem Weg über die räumlich attraktive Erschließung zu den Zellen kam. Eine Tür nach der anderen, eine elf Quadratmeter große Behausung (jawohl: mit Fernsehen und Radio) nach der anderen. Von außen kontrollierbar. Das lässt sich nicht so leicht wegstecken.

Der Neubau ist zwangsläufig mit dem Altbestand verbunden. Die Insassen im Altbau kommen dadurch auf einem unterirdischen Weg in den Genuss des neuen Turnsaals; und über eine 80 Meter lange oberirdische Brücke kommen die Insassen des neuen Gebäudes zum Altbau - zu Verhören oder zu ihren Besuchern. Es ist eine „kalte“ Brücke, aus Kostengründen nur eingedeckt mit einer Autoplane, die sich allerdings sehr gut bedrucken lässt. Sie trägt als Botschaft einen berühmten Zauberspruch, den die Weinbergers variiert haben: „Die drei zu zwei / die zwei zu eins / und eins zu keins . . .“

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