Bauwerk

Hotelpavillons »Les Cols«
RCR Arquitectes - Olot (E) - 2005

Durchlässig

Die Gästepavillons des Gourmetrestaurants «Les Cols» im katalanischen Städtchen Olot (Provinz Girona) sind ein ungewöhnliches Übernachtungslager. Die fünf zu einem gläsernen Labyrinth zusammengefügten Einheiten bieten den Gästen die Möglichkeit, nach dem Essen die Nacht im Gemüsegarten zu verbringen. Seit zwei Jahren nehmen die Restaurantbesucher dieses Angebot wahr und lassen sich während des Verbleibs im Nachtlager beeindrucken, inspirieren und faszinieren – aber auch irritieren oder gar verängstigen und abschrecken. Mit den Stunden, die der Besucher in dieser Architektur verbringt, entdeckt er einen ungewöhnlichen Austausch mit dem Ort.

29. Oktober 2007 - Sandy Brunner
Das Bauland für die Gästepavillons gehörte ursprünglich zum Nutzgarten eines alten katalanischen Bauernhauses. In dieses hatten die Architekten Rafael Aranda, Carme Pigem und Ramón Vilalta im Jahre 2002 das Gourmetrestaurant «Les Cols» eingebaut. Nachdem das Restaurant seinen Betrieb aufgenommen hatte, entstand der Wunsch, den Gästen ein Nachtlager anzubieten. Die Bauaufgabe wurde wieder denselben Architekten anvertraut. Bei der konzeptionellen Planung liessen sich die Entwerfer – ebenso wie die Küche des Gourmetrestaurants – vom Gemüsegarten des Bauernhofes inspirieren. Wie die kunstvoll zubereiteten Speisen, die den Gast direkt zum Urgeschmack der lokalen Produkte zurückführen, kommt beim Aufenthalt in einem der fünf gläsernen Gästepavillons die Illusion einer Übernachtung unter freiem Himmel auf – ohne konventionelle optische Raumabgrenzungen, aber dennoch geborgen in der Schönheit der Natur. Sowohl die Pavillons als auch die dazwischenliegenden Korridore sind leicht vom Boden abgehoben. Sie bilden ein orthogonales, gläsernes Labyrinth, dessen Grundrissdisposition von den parallel angelegten, mit Hecken abgegrenzten Gemüsebeeten des ursprünglichen Nutzgartens inspiriert ist.

Ausflug in eine künstliche Natürlichkeit

Durch einen unscheinbaren Schlitz im alten Gemäuer des Wirtschaftsgebäudes betreten die Gäste in Begleitung der Hotelbesitzerin den Gästetrakt. Dabei gelangen sie in einen dunklen, kühlen und hohen Raum, der nur durch ein altes Gebälk überdeckt ist. Schwarzer Vulkansand knistert unter den Füssen; der grobe Verputz der Wände schimmert grau, weil er ebenfalls mit dunklem Vulkansand durchmischt ist. Auf einem schwarzen Tresen brennen ein paar Kerzen und beleuchten grüne Kohlköpfe – jene Cols, die dem alten Bauernhof seinen Namen gegeben haben. Die Dunkelheit lässt den Gast zur Ruhe kommen. In diesem Moment lässt er den Koffer samt Alltagssorgen auf dem schwarzen Vulkansand stehen. Ein weiterer Schlitz auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes führt hinaus in den Park, wo sich der Gästebereich befindet. Über den weichen, schwarzen Vulkankiesweg geht man an einem Schilfrohrwald aus dunkelgrünblau lackierten Stahlrohren vorbei und kommt zu Stegen aus Edelstahlgitter, die den Besucher an Hecken aus grünblauen, transluzenten Glaslamellen entlangleiten. Diese gläsernen Hecken bilden die Fassade der einzelnen Pavillons; sie ermöglichen zwar Ein- und Ausblicke, aber stets so, dass die Privatsphäre nicht gestört wird. Die Eingangstüren aus blaugrün laminiertem Glas fügen sich in den linearen Glaslamellenvorhang ein. Jeder Pavillon besteht aus einem vollklimatisierten Glaskubus mit Zimmer und Bad, der von zwei privaten Höfen flankiert wird. Wände und Boden des zentralen Kubus bestehen aus fast fugenlosen, transparenten Glasscheiben. Die begehbare Glasfläche ist mit Sand leicht aufgeraut, um die Rutschfestigkeit zu verbessern. Darunter scheint ein Lavastrom hindurchzufliessen. Der mit schwarzem Asphalt bestrichene Betonboden erinnert an den vulkanischen Ursprung der Region; damit er glänzt und leicht spiegelt, wird er regelmässig bewässert. Einziges Möbelstück im Zimmer ist ein gepolsterter, mit Segelstoff bespannter und metallisch lackierter Quader. Tagsüber dient er als Sitzfläche und als Tisch, für die Nacht wird er zur Schlafstätte umgewandelt. Minibar, Ablagefläche und Hängeschrank sind beim Durchgang vom Zimmer ins Bad in die Gebäudehülle integriert. Dort befindet sich auch der Touchscreen für die Kontrolle der diskreten Beleuchtung, der Sonnenschutzrouleaus und des Klimas.

Das Bad besteht komplett aus glänzenden und spiegelnden Oberflächen aus Glas, lackiertem Stahl und Wasser. Im Waschbecken aus glänzend grün lackiertem Stahl generieren Bewegungssensoren einen Wasserfluss; die Duschwanne – ein quadratisches Kiesbett – ist ständig mit ein wenig Wasser gefüllt. Als präzises Spiegelbild der Dusche ist auch der quadratische Badetrog mit schwarzen Kieseln ausgelegt und mit kontrolliert temperiertem Wasser gefüllt, das laufend erneuert wird, um Algenbildung zu verhindern. Das ständige Rauschen des Wassers und die schwarzen Kiesel vermitteln das Gefühl, sich in einem Waldbach zu waschen. In den grün schimmernden Oberflächen des metallisch lackierten Stahls, den Glaswänden und den Wasserflächen spiegelt sich der Raum und scheint sich bis ins Unendliche zu vervielfachen.

Materialisierung

Das Tragwerk der Gebäudekörper besteht aus Stahlrahmen. Sie stehen auf Stahlstelzen, die in Betonfundamente eingespannt sind. In diese grünmetallisch lackierten Stahlrahmen fügen sich transparente Glasplatten ein und schliessen die klimatisierten Räume der Gäs­tepavillons ab. Die vertikalen Glasschichtungen der transparenten Gebäudehülle über­lagern sich mit dem grünlich schimmernden, drei Meter hohen Vorhang aus drehbaren Glaslamellen. Das Glas dieses Lamellenvorhangs ist leicht texturiert und grün laminiert. Dadurch bekommt die gläserne Hecke eine opake, aber dennoch reflektierende Tiefe. Je nach Lichteinfall taucht die Anlage in eine grünliche, bläuliche oder gar violette Farbstimmung. Die Entwicklung der Pavillons wurde zum systematischen Erforschen der technischen Möglichkeiten des Glases als architektonisches Element – von der rauen, getrübten Oberfläche bis zum komplett glatten und transparenten Glas.

Dematerialisierung

Durch die Präsenz des Glases und des Wassers scheint sich der Innenraum aufzulösen, zum Himmel zu öffnen. Obwohl der Gast sich in einer künstlich gebauten Welt befindet, bekommt er das Gefühl, umgeben von den Geräuschen des Waldes in einer Lichtung zu schlafen. Das Wasser plätschert im Bad und der Wind weht durch die Bäume des Parks. Das Raumgefühl löst sich auf, Innen und Aussen fliessen ineinander über: Der Gast fühlt sich der Natur ausgesetzt, gleichzeitig ist er aber sich selbst und seiner gläsernen Welt überlassen. Die optische Aufhebung der Raumgrenzen vermittelt Unsicherheit, die Wahrnehmung der Natur hingegen Geborgenheit. Dabei wird die eigenwillige Glasarchitektur sehr unterschiedlich wahrgenommen. Vor allem ältere Gäste, die Ruhe suchen, fühlen sich im ersten Moment verunsichert. Mit der Zeit kommt jedoch in der neuen Umgebung ein Wohlbefinden auf – spätestens, wenn sich frühmorgens der Sonnenaufgang im Glas spiegelt. Experimentierfreudige Gäste kommen schneller mit der ungewöhnlichen Umgebung zurecht, doch dafür verschlafen sie vielleicht den Sonnenaufgang. In jedem Fall aber werden konventionelle Raumvorstellungen aufgehoben und durch eine Reise in eine neue, künstliche Natürlichkeit ersetzt. Dabei erfährt man nicht nur eine Vielfalt an sinnlichen Eindrücken, sondern wird sich auch der Veränderungen bewusst, denen die eigene Wahrnehmung von Architektur im Verlauf der Zeit unterworfen ist.

[ Sandy Brunner, dipl. Architektin ETH Zürich, selbstständige Architektin in Barcelona ]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Judit Planella
Joaquim Puigdevall

Tragwerksplanung