Bauwerk

Haus Roubin
Pichler & Traupmann - Wien (A) - 1999
Haus Roubin, Foto: Rupert Steiner
Haus Roubin, Foto: Rupert Steiner

Konstruktive Maßschneiderei

Die Vorgaben: eine winzige Parzelle in einer Wiener Kleingartensiedlung, maximale Gebäudehöhe viereinhalb Meter. Das Ergebnis: nicht mehr und nicht weniger als der Prototyp eines „Gartenhauses“. Konzept: Pichler & Traupmann.

8. April 2000 - Liesbeth Waechter-Böhm
Daß ein vom Architekten geplantes Einfamilienhaus gebaute Maßarbeit ist, hat man schon öfter gehört. Gemeint ist damit, daß die individuellen Wohnwünsche des Bauherrn auf den architektonischen Punkt gebracht sind. Das ist auch beim Haus Roubin der Architekten Pichler & Traupmann der Fall. Und noch mehr: Denn hier wird der Anspruch des maßgeschneiderten Entwurfs im doppelten Wortsinn, auf zwei Ebenen eingelöst.

Der Schauplatz ist klein: 252 Quadratmeter. Wir befinden uns nämlich in einer sogenannten Kleingartensiedlung, ganz in der Nähe des Wilhelminenspitals in Wien, also in einem Schrebergarten-Siedlungsgebiet mit kleinsten Grünparzellen und einem an Heterogenität unübertrefflichen Wildwuchs an Gebautem.

Früher wurde auf solchen Grundstücken wirklich „wild“ gebaut, jenseits aller Vorschriften. Heute gibt es Bauvorschriften, auch und sogar speziell für die Bebauung solcher Schrebergärten. Die galt es einzulösen und dabei doch ein Haus zu bauen, das dem heutigen Wohnstandard entspricht. Und was jetzt auf dieser Kleinstparzelle steht - ein Haus mit 115 Quadratmetern Nutzfläche -, das kann man nur als das Maximum ansehen, das unter den gegebenen Bedingungen realisierbar war. Bebaut sind exakt 62,5 Quadratmeter Grundfläche, wobei die Gebäudehöhe 4,5 Meter nicht überschreiten durfte. Darüber durfte nur noch das Volumen sein, das ein fiktives Satteldach mit 45 Grad Neigung umschließt.

Aber gehen wir es anders an: Schlendern wir den 1,50 Meter breiten Weg durch die Kleingartensiedlung entlang, vorbei an jeder Menge hand- oder auch baumeisterlich gestrickter Hauskuriositäten, hin zu diesem „Gartenhaus“. Es steht sehr besonders da, es sagt unaufdringlich, aber eindeutig: Ich bin Architektur. Es ist ein puristisches Haus, ein gegliedertes Volumen, dessen Logik sich ohne Zusatzinformationen aber nicht ohne weiteres erschließt. Dabei ist es kein kreativer Willkürakt, sondern gewissermaßen - logisch.

Man weiß es von den Bauten von Pichler & Traupmann im Burgenland: Dieses Büro ist imstande, kostengünstig zu planen, aber doch so, daß die gebaute Lösung einer Aufgabe durch Intelligenz besticht. Und intelligent ist dieses Haus in höchstem Maß. Man könnte es geradezu als Prototyp eines Hausbaus im Kleingarten-Siedlungsgebiet auffassen.

Pichler & Traupmann haben sich an die Bauvorschriften gehalten, sie haben alle Sonderregelungen ausgenutzt, und damit haben sie auf - und unter - den 62,5 Quadratmetern Grundfläche ein Haus errichtet, das komfortabel bewohnbar ist und über die Kleinheit der Aufgabe hinaus auch ein Beitrag zum zeitgenössischen Einfamilienhausbau.

Das Haus ist Ost-West-orientiert. Man kommt, vorbei an der Baustelle einer Gartengerätehütte, zum Eingang und zu einer Terrasse, die dem verglasten Wohnbereich vorgelagert ist. Sie ist durch einen 1,20 Meter auskragenden Erker teilweise wettergeschützt. Der Eingangsbereich umfaßt sowohl einen kalten Windfang als auch einen warmen Vorraum.
Hier findet sich die erste Besonderheit: drei Schiebetüren, die aufeinander treffen. Wie dieses Zusammentreffen im Detail gelöst ist, das ist Architektur vom Feinsten. Aber vor allem macht es möglich, ganz individuell damit umzugehen: Man hat die Möglichkeit der üblichen Art des Eintritts in ein Haus: durch den Vorraum in den Wohnraum. Man hat aber auch die Möglichkeit, direkt in die Küche zu gehen. Man hat die Möglichkeit, die Küche zum Wohnraum zu öffnen oder abzuschließen.

Und man hat die Möglichkeit, überhaupt alles zu öffnen. In diesem Fall verwandelt sich das Erdgeschoß in einen großen Raum, in dem sich in der - vom Eingang gesehen - linken hinteren Ecke eine nicht sehr auffällige, aber doch spürbare Absenkung in der Decke abbildet. Sie ist die Folge eines Minimalbalkons im Obergeschoß. Da drückt sich der Terrassenaufbau sichtbar aus.

Denn: Zu ebener Erde wird gewohnt, im Geschoß darüber liegen zwei Schlafräume, ein großzügiges Badezimmer und ein Garderobenraum. Bei einer erlaubten Bauhöhe von 4,5 Metern und einer tatsächlichen von zweimal 2,80 Metern ergibt sich dennoch eine Ungereimtheit. Mit 5,60 Metern ist das Haus - gemessen an den Bauvorschriften - scheinbar zu hoch. Scheinbar. Denn das Gesetz läßt es zu, daß durch „ausgleichende“ Maßnahmen bestimmte Überschreitungen auch wieder relativiert werden. Die Fassadenfläche muß insgesamt stimmen, auch die Höhe, auch die Baufluchtlinien, aber wie der Architekt im Detail damit umgeht, das ist ein anderes Kapitel.

In einem überaus geräumigen Untergeschoß, das durch eine Bodenverglasung, die auch als Terrasse nutzbar ist, ausgezeichnet belichtet wird, richtet sich die Bauherrin ihre Bibliothek ein. Hier ist aber auch der Fernsehraum, hier sind Technik- und Wirtschaftsräume. Darüber liegt, wie gesagt, das Wohngeschoß, über diesem befinden sich die Schlafräume.
Das Haus ist punktsymmetrisch konzipiert. Dem Badezimmer und dem großen Schlafraum im Obergeschoß sind diagonal Minimalterrassen vorgelagert, in der zweiten Diagonale wird das Problem der vorgeschriebenen Fassadenfläche mit Schrägverglasungen gelöst. Die Erker selbst sind massiv. Innenräumlich bringt diese eher ungewöhnliche, für die Hauscharakteristik aber wichtige Lösung sicher etwas.

Ganz besonders ist übrigens das durch alle drei Ebenen durchgesteckte Treppenelement. Die Bauherrin hat sich eine Stahltreppe gewünscht. Eine solche hat sie jetzt auch, halbgewendelt, wie im sozialen Wohnbau, und doch von einer skulpturalen Stringenz, die ihresgleichen sucht. Man könnte sagen: Wie sich die Treppe um eine 30 Millimeter ausschwingende Blechplatte herumfaltet, wie die Zahnung zum durchgängigen, formgenerierenden Prinzip gemacht ist, das zeigt vielleicht am deutlichsten, welche Qualitäten durch den konstruktiven, aber auch den Gestaltungswillen eines Architekten zu erzielen sind.

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