Bauwerk

Eingangsbau Kunstmuseum Celle
ahrens & grabenhorst - Celle (D) - 2006

Tagsüber ein Zwerg, nachts ein Riese

Geht von Gregor Schneiders schwarzem Kubus, der zurzeit vor der Hamburger Kunsthalle steht, eine beinahe bedrohliche Wirkung aus, so ist der mit zehn Kubikmetern nur unwesentlich kleinere, transluzente Eingangs-Würfel des Celler Kunstmuseums das genaue Gegenteil: ein fragiles Glashaus, licht und leicht, fast körperlos, das des Nachts nochmals sein Gesicht verändert. Die gläserne Box bildet einen Kontrast zu ihrer architektonischen Umgebung und kümmert sich wenig um die Formensprache ihrer Nachbarschaft.

31. Mai 2007 - Peter Struck
Die hannoverschen Architekten Gesche Grabenhorst und Roger Ahrens haben hier sehr geschickt nicht die lokale Bautradition aufgegriffen und der Fachwerkstadt Tribut gezollt. Denn im Gegensatz zur homogenen Bebauung der Celler Altstadt reihen sich an ihrem Saum ohnehin diverse Putz- und Sandsteinbauten verschiedener Epochen. Dieser heterogenen Stadtkante im Übergang zwischen historischem Stadtkern und der begrünten Bastion des Schlosses fügten die Architekten daher einen weiteren eigenständigen Baukörper ein. Das gläserne Foyer des Kunstmuseums bildet den Schlussstein der historischen Gebäudekette, schließt die prominente Lücke vis-à-vis des dominanten Celler Schlosses, dem gegenüber es sich selbstbewusst behauptet.

Auffällig unauffällig

Der Bau biedert sich nicht an. Mit seiner einfachen, geradezu radikalen Form setzt er einen prägnanten städtebaulichen Akzent. Er spricht eine eigene Sprache, ohne sich der Umgebung aufzuzwingen. Vielmehr entsteht ein spannungsreicher Dialog zwischen Stein und Glas, Leichtigkeit und Erdverhaftung, Monumentalität und Auflösung. Dennoch ordnet sich der Körper in sein Umfeld ein: Als Teil des Museums-Ensembles folgt er den Traufhöhen und Gebäudefluchten seiner Nachbarn, dem Bomann-Museum zur Rechten und vor allem dem erst 15 Jahre alten Erweiterungsbau in seinem Rücken.
Der gläserne Kubus verschafft dem Kunstmuseum den lang ersehnten Zugang von der Straße: Ein etwa drei Meter hoher, transparenter Eingang öffnet das Haus – ohne Schwelle direkt auf Straßenniveau. Die kubische Erweiterung mit einem Foyer, einem Multifunktionsraum und einer Dachterrasse ist kein Ausstellungsraum im herkömmlichen Sinne. Mit dem bescheidenen Anbau ist eine Umstrukturierung des gesamten Kunstmuseums verbunden: In den Erweiterungsbau wird beispielsweise ein zusätzliches Geschoss eingezogen, der gläserne Anbau sorgt damit indirekt für eine Verdoppelung der Ausstellungsfläche auf über 1000 Quadratmeter.
Es ist der Mut zur Einfachheit, der den gesamten Entwurf durchzieht. Die geometrische Klarheit zielt auf das Wesentliche, ist unprätentiös und doch präzise. Der konsequente Kubus nimmt sich zurück, steht ganz im Dienst der Kunst und ist dennoch selbst ein Kunstwerk, ambivalent in seiner Wirkung zwischen Anziehung und Abweisung, Erhabenheit und Spielerei: Mit Ausnahme des transparenten Eingangs ist dem Betonkern eine Hülle aus Weißmattgläsern vorgeblendet, die im Abstand von 70 Zentimetern durch verzinkte Stahlprofile gehalten werden. Um ihre spiegelnde Oberfläche zu erhalten, sind die Rückseiten der Scheiben bedruckt. Durch versetzte Öffnungen aus Klarglas an der rechten Gebäudekante wird die Gleichmäßigkeit der Fassade bewusst gebrochen. Hier kann man von außen hinter die Fassade blicken, ein Fenster im Multifunktionsraum ermöglicht umgekehrt wiederum den Sichtkontakt zum Schloss.

Nächtliches Farbenspiel

Ist der Bau schon am Tage ein Blickfang, so erwacht er nachts zu einem magischen Eigenleben, wenn die Glashaut hinterleuchtet wird: An der verputzten Betonwand strahlen zwei Leisten mit Leuchtdioden – eine am Boden und eine unterhalb der Dachkante – ein gleichmäßiges Licht über die gesamte Fassadenhöhe. Ein Computer mischt die drei Farben Grün, Rot und Blau erst an der Wand zum gewünschten Farbton. Die stromsparenden LED-Lichtleisten haben eine lange Lebensdauer, vor allem aber ermöglichen sie stufenlose Farbübergänge im gesamten Farbspektrum.

Doch ihr Potenzial schöpft die Lichtbox nur bei besonderen Events voll aus. Ebenso wie das Bauwerk ist auch seine nächtliche Beleuchtung möglichst dezent gehalten, weit entfernt vom grellen Beleuchtungsterror einer Kirmes. Eine gezielte Lichtsetzung sorgt für eine wohldosierte Inszenierung, vermittelt den Eindruck eines schwebenden, fast schwerelosen Lichtkörpers. Die Standardbeleuchtung des kalten Kristalls ist daher ein leicht gräulich schimmerndes Weiß, nur aus den Ritzen zwischen den Glasscheiben dringt helles Licht und erzeugt ein weißes Lichtgitter.

Zu jeder vollen Stunde kommt Leben in die Leuchtdioden, geht mit der nüchternen Box eine Wandlung vor: Anfangs kaum merklich, wechselt das Weiß zu einem blassen Violett, und für etwa zehn Minuten ist jetzt eine kontinuierliche Lichtschleife zu erleben: Acht Farbtöne gehen nahtlos ineinander über – alternierend in der kälteren Gelb-Grün-Blau-Skala oder nach weiteren 50 Minuten Weißphase in warmen Orange-Rot-Violett-Tönen. Vergleichbar mit dem Effekt der Standardbeleuchtung ist das Licht nicht gleißend, vielmehr ein inneres Glühen, von dem ein suggestiver Sog ausgeht. Diese subtile, pointierte Inszenierung ist weit wirkungsvoller als eine permanente Bespielung.

Nachts wird das Kunstmuseum so lebendig, eine pulsierende Architektur mit beseelter Oberfläche. Der kleine Kubus gibt dann ein bisschen an, plustert sich auf, strahlt aus auf die Nachbarschaft. Selbst den Renaissance-Riesen gegenüber neckt er mit seinem Leuchten, benimmt sich wie ein vorwitziger Enkel, der mit seiner altmodischen Großmutter spielt. Dagegen ist die Beleuchtung des behäbigen Bauwerks herkömmlich, fast anachronistisch. Das Frage- und Antwortspiel des ungleichen Paars, das spielerische Kräftemessen zwischen Kunst-Kiste und Renaissance-Kasten wird nachts eindeutig zugunsten des changierenden Würfels entschieden. Aber dieses Zwiegespräch ist ganz unaufgeregt, geruhsam, fast meditativ.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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