Bauwerk

Leitstelle Tirol
obermoser arch-omo, Schlögl & Süß Architekten - Innsbruck (A) - 2007
Leitstelle Tirol, Foto: Nikolaus Schletterer
Leitstelle Tirol, Foto: Nikolaus Schletterer

Wenn Schwere schwebt

Warum es für Architekten sinnvoll sein kann, sich nicht an Vorgaben zu halten: die Landesleitstelle Tirol – tonnenschwerer Beton, doppelt erdbebensicher. Und alles andere als plump.

Wenn der Extremfall eintritt und eines Tages ganz Tirol in Schutt und Asche liegt, dann soll, muss, wird ein Gebäude immer noch stehen: die Integrierte Landesleitstelle Tirol (ILL) von Architekt Johann Obermoser und dem Büro Schlögl & Süß Architekten. Es ist eine bemerkenswerte Vorgabe für die Planung eines Hauses, in diesem Fall leuchtet sie aber ein. Immerhin steuert und koordiniert die ILL den Blaulicht-Einsatz für das gesamte Bundesland – von der Lawinen- über die Tunnel- und jede andere Katastrophe bis hin zur Feuersbrunst. Von Erdbeben hört man hierzulande zwar weniger oft, die doppelte Erdbebensicherheit war aber trotzdem gefordert. Und das hatte gewisse Konsequenzen.

Denn im Wettbewerb des Jahres 2004 war für diese Institution noch an eine Aufstockung der Hauptfeuerwache Innsbruck gedacht. Etwa im Umfang von 700 Quadratmeter Nutzfläche. Den Zuschlag hat die Architektengemeinschaft Obermoser/Schlögl & Süß nicht zuletzt deshalb errungen, weil sie sich ihre eigenen Gedanken über die konkrete Situation gemacht hat. Anders ausgedrückt: Die Architekten haben als Einzige im Verfahren einen alternativen Vorschlag unterbreitet. Sie haben nicht die Hauptfeuerwache aufgestockt, sie haben vielmehr ein eigenes, aufgeständertes Gebäude in einem Abstand von nur fünf Metern davorgestellt. Der städtebaulichen Situation entsprach dieser Vorschlag sowieso viel besser. Und auch ohne die Vorgabe der doppelten Erdbebensicherheit hat man sich mit diesem Projekt aufwendige statische Sekundärkonstruktionen im Bestand erspart.

Die Genesis des Projekts verlief jedenfalls nicht uninteressant. Die Nutzflächenforderung hat sich fast verdoppelt – jetzt stehen knapp 1400 Quadratmeter zur Verfügung –, und die Sicherheitsanforderungen haben sich letztlich so verschärft, dass sich die Architekten schweren Herzens von ihrem Wettbewerbsprojekt – eine leichte Stahl-Glas-Konstruktion – verabschieden mussten. Es wäre nicht nur unglaublich teuer geworden, es hätte durch die notwendigen Dimensionierungen der Konstruktion auch ihren ästhetischen Ansprüchen nicht mehr genügt. Und so wurde eine Betonschachtel daraus. Aber sie hat die Kraft, die in der Architektur jedem einfachen geometrischen Volumen innewohnt. Sie hat aber auch die Kraft, die aus einer rohen, „brutalen“ Materialisierungresultiert. Das Gebäude – immerhin ist es aus Beton – wirkt naturgemäß sehr schwer, das spürt man physisch. Der Reiz liegt darin, dass es trotzdem schwebt. Statisch wird es aber von nur vier Scheiben und dem Stiegenhauskern gehalten. Dabei beträgt die Spannweite 40 Meter. Und das bei einer Gebäudelänge von insgesamt 65,5 Metern.

Dass es schwebt, ist kein architektonischer Willkürakt, es ist nackte Funktion. Denn die Feuerwehr fährt drunter durch. Im Übrigen wirkt der gewaltige Riegel wie ein großes Brückengebäude. Dieser Beton-Querbalken erscheint aber nicht abweisend. An der Nord- und Zugangsseite hat er im oberen Bereich ein sehr breites Glasband, Festungscharakter hat das Haus also nicht. Und vor allem sorgt die architektonische Lösung für eine Tageslichtsituation im Inneren, im sehr eindrucksvollen Herzen der ILL,die den zahlreichen Mitarbeitern bei ihrer verantwortungsvollen Bildschirmarbeit eine angenehme Raumatmosphäre bietet.

Den zentralen Raum, die eigentliche Katastrophenleitstelle, sollte man gesehen haben. Er ist sicher 50 Meter lang und über sieben Meter hoch, weil alle Mitarbeiter zwingend in einem Raum sein müssen. Bei Großeinsätzen wird nämlich auch durch Zuruf kommuniziert, also sehr einfach und direkt, nicht nur via Computer. Wobei es zusätzlich die Möglichkeit der Großprojektion gibt, die die Koordination von Einsätzen visuell nachvollziehbar macht.

Der eindrucksvolle Raum war in dieser Form – als zweigeschoßiges Volumen – in der Wettbewerbsausschreibung nicht gefordert. Wenn man sich aber eine solche Fläche mit einer üblichen Raumhöhe von, sagen wir: drei Metern vorstellt, dann begreift man, wie wichtig dieser Vorschlag der Architekten war. Die Arbeitssituation für die Mitarbeiter wäre zweifellos belastend und noch stressiger gewesen.

Die Raumhöhe hat außerdem einen Nebeneffekt. Bei solchen Einrichtungen weiß man nie, wie sie sich in Zukunft entwickeln. Jetzt ist der Raum in seiner Gesamthöhe sozusagen noch leer. Aber drei Querträger, fast in der Mitte der rechteckigen Schachtel, weisen auf ein Erweiterungspotenzial hin. Jetzt sind sie scheinbar sinnlos, sie ermöglichen aber eine zweite Ebene in einem Teil des Volumens, falls eines Tages noch mehr Arbeitsplätze gebraucht werden. So etwas im Nachhinein zu machen, ohne entsprechende Vorkehrungen, das ist immer sehr schwierig.

Obermoser/Schlögl & Süß mussten natürlich darauf achten, dass ihr Gebäude nicht zu schwer wird. Bei der geforderten doppelten Erdbebensicherheit und der notwendigen Feuerwehr-Durchfahrt unter dem Gebäude hätte das andernfalls zu einer plumpen äußeren Erscheinung geführt. Und als wirklich tragende Elemente gibt es ja nur die vier Betonscheiben und den Stiegenhauskern. Die Decken, selbst das Flachdach, wurden daher als Hohlkörperdecken ausgeführt, was wiederum den nötigen Raum für die umfangreichen technischen Installationen liefert und es ermöglicht, dass jeder Arbeitsplatz praktisch beliebig verschoben werden kann. Man braucht nur ein Bodenelement herauszunehmen und kann sich an jeder Stelle in die technische Installation einklinken.

Das Haus ist so organisiert, dass man vom linkerhand gelegenen Stiegenhaus ebenerdig in einen Beratungsraum kommt, der der Brandschutz-Vorsorge dient. Im Geschoß darüber gibt es den kontrollierten Zugang zur eigentlichen Leitstellenzentrale. Im nächsten Geschoß gibt es aber auch eine Besucherempore, die allgemein zugänglich ist. Von da kann jeder zuschauen, wie die Arbeit einer solchen Einrichtung abläuft.

Auf den beiden Obergeschoßebenen sind außerdem Fortbildungsräume und ein Aufenthaltsbereich untergebracht, Schlafkojen – hier geht es schließlich um einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb – und Sekretariat beziehungsweise Verwaltung.

Das Projekt ist eine überzeugende, weil intelligente Lösung. Wenn man sich den Bestand, das recht belanglose Gebäude der Hauptfeuerwache, anschaut, wenn man sich vorstellt, dass da ein sehr großes Volumen daraufgebaut worden wäre, dann muss man einfach darauf hinweisen, wie wichtig es ist, dass sich Architekten nicht stereotyp an Ausschreibungsvorgaben halten. Die eigenständige Überlegung eines Architekten ist durch nichts zu ersetzen. Aber die Tiroler haben bekanntlich einen ordentlichen Sturschädel. In der Architektur führt das manchmal zu äußerst gewinnbringenden Resultaten.

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