Bauwerk

Besucherzentrum «Arche Nebra»
Holzer Kobler Architekturen - Wangen (D) - 2007
Besucherzentrum «Arche Nebra», Foto: Stefan Müller-Naumann / ARTUR IMAGES
Besucherzentrum «Arche Nebra», Foto: Stefan Müller-Naumann / ARTUR IMAGES

Eine goldene Barke über dem Tal

Das neue Besucherzentrum für die Himmelsscheibe von Nebra

Nahe der ostdeutschen Kleinstadt Nebra holten Raubgräber 1999 jene bronzezeitliche Scheibe aus der Erde, die heute als weltweit älteste astronomisch konkrete Darstellung des Sternenhimmels gilt. Soeben wurde unweit des Fundorts das von den Zürchern Holzer Kobler entworfene Besucherzentrum «Arche Nebra» eröffnet.

Wie eine echte Arche liegt der Bau der Zürcher Architekten Barbara Holzer und Tristan Kobler auf halber Hanghöhe quer im waldigen Tal der Unstrut: ein für grosse Kapazitäten gedachtes, fremdes Volumen in der kleinräumigen Flusslandschaft zwischen dem Städtchen Nebra und der ottonischen Kaiserpfalz von Memleben. Statt «Arche Nebra» müsste dieses Besucherzentrum am Rand des Mittelberges, auf dessen Gipfel vor 3600 Jahren die heute weltberühmte bronzene Himmelsscheibe vergraben wurde, dennoch eher «Barke Nebra» heissen. Denn das Gebäude dient nicht wie die Arche Noah einer Rettung der Tierwelt vor einer Sintflut, sondern der unterhaltsamen Präsentation von archäologischem, astronomischem, religionsgeschichtlichem und kriminalistischem Wissen über das sensationelle prähistorische Objekt - und auf diesem ist ausser einem Vollmond, einer Mondsichel sowie dem Siebengestirn der Plejaden auch eine Barke dargestellt, wie man sie aus der Bronzezeit des Nordens als religiöses Symbol kennt. An das Motiv der goldenen Barke wird sich fast jeder, dem die Himmelsscheibe von Nebra vor Augen steht, beim Anblick des betont bildhaften Baus von Holzer Kobler erinnern. Er gliedert sich in drei horizontal übereinandergeschichtete Zonen: einen dunkel verputzten Betonsockel, ein zurückgesetztes verglastes Foyer mit Café im Erdgeschoss und darüber ein sechzig Meter langes, tal- wie hangseitig stark auskragendes balkenartiges Obergeschoss mit einer Verkleidung aus mattgolden eloxierten Aluminiumplatten. Nahe seiner Mitte ist dieser dominante Teil des Baus leicht nach unten eingeknickt und etwas verbreitert. Innen findet man an der Knickstelle ein kleines Planetarium für astro-archäologische Sternenreisen, an das sich talseitig ein schöner Raum für Sonderausstellungen und hangseitig das Treppenhaus mit Blick in den Himmel sowie ein Saal für die Dauerpräsentation anschliessen; dieser wird von der Schmalseite her durch ein goldgelb gefärbtes Panoramafenster belichtet, das den Blick zur Fundstelle der Himmelsscheibe auratisiert. Morphologisch erinnert das Gebäude an das Museum Nieuwland in Lelystad (1994) der Amsterdamer Architekten Benthem Crouwel.

Strahlendes Signal

Fraglos strahlt der Bau von Holzer Kobler die vom Landkreis als Bauherrn und vom Land Sachsen-Anhalt als Geldgeber gewünschte touristische Signalwirkung aus. Zudem ist er im Innern sehr funktional, und die Baukosten von 4,5 Millionen Euro sprengten nicht das Budget. Wären Alternativen denkbar gewesen? Während Holzer Kobler in dem 2004 ausgelobten Architekturwettbewerb den dritten Preis gewannen, gingen der erste und der zweite an Detlef Sacker aus Freiburg im Breisgau sowie an das Dresdner Büro Knerer & Lang. Beide Entwürfe sahen ins Gelände eingetiefte oder unterirdische Bauteile vor und setzten oberirdisch elegant proportionierte Zeichen, wobei Sackers Projekt wegen offener Fragen zur Realisierung der lichtdurchlässigen Sandsteinfassade und ausstellungstechnischer Überlegungen nicht zur Ausführung kam.

Gestalterisch ragten zwei Entwürfe heraus, die aufgrund von Verstössen gegen einzelne Vorgaben nur Sonderpreise erhielten. Die Architekten Bolles & Wilson (Münster) schlugen ein reptilhaft wirkendes, energiegeladenes Gebilde aus gefaltetem Cortenstahl vor, das die Atmosphäre der reichen archäologischen Fundregion um Nebra suggestiv verdichtet; und die Büros ARU und Neutral aus London erdachten einen ebenso kargen wie erhaben wirkenden Architektur- und Landschaftskomplex mit messerscharfen thematischen, geologischen und topografischen Bezügen.

Inszenierte Leerstellen

Die Himmelsscheibe selbst ist in der Arche nicht zu sehen; das Original liegt im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale, welches nach einem Umbau im Mai 2008 wiedereröffnet wird. Was die Architekten für die pro Jahr erhofften dreissig- bis hunderttausend Arche-Besucher zu inszenieren hatten, waren also erstens Informationen über das hier fehlende Hauptobjekt und zweitens die Stimmung an dessen Fundstelle. Für die Dauerpräsentation in der Arche haben Holzer Kobler, die als Ausstellungsgestalter international renommiert sind, zwei kurvig zerschlitzte grosse Sperrholzkörper entworfen. Formal lassen diese den Sichel- und Vollmond auf der Himmelsscheibe anklingen; in ihren Höhlungen vereinen sich 3-D-Animationen, grafische Bilder, Originalobjekte sowie Repliken zu einem kunterbunten Parcours mit verführerischem Appeal besonders für Kinder.

Den Fussmarsch bis zur Fundstelle der Himmelsscheibe sollte man bei einem Besuch keinesfalls auslassen. Die Kölner Landschaftsarchitekten Club L94 haben sie mit einer konvexen Edelstahlscheibe markiert, die als «Himmelsauge» Sonne, Mond und Sterne spiegelt. Immer zur Mittagsstunde fällt auf diesen Punkt der Schatten des dreissig Meter hohen, leicht geneigten und vertikal geschlitzten Aussichtsturms von Holzer Kobler, der auf dem Bergesgipfel die Sichtachsen und Sonnwendpunkte erlebbar macht, mit denen die Astronomen der Bronzezeit hier rechneten. Für Wind und Wetter offen, steigert der innen sonnengelb gestrichene Betonturm für seine Besteiger den Eindruck einer Landschaft, die sich nicht so bequem konsumieren lässt wie die zahllosen Bilder der Himmelsscheibe.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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