Bauwerk
Bahnhof Leoben
Horst Gaisrucker, Markus Ostertag, Arno Reiter - Leoben (A) - 2005
22. Juli 2007 - Az W
Die Attraktivität des Reisens mit dem Zug hängt von dessen Geschwindigkeit, guten und häufigen Verbindungen, der Bequemlichkeit und dem Ambiente sowie hilfreichen Dienstleistungen ab. Das Milieu der Bahnhöfe, ihre urbane Integration und ihre räumlich-ästhetische Anmutung prägen das Image des Schienenverkehrs möglicherweise nachhaltiger als die Fortschritte der Technik in den Triebwerken der Züge. In der Pionierzeit des Eisenbahnbaus erfolgte ab dem Jahr 1844 die Errichtung der Semmeringbahn. So entstand die Verknüpfung des bereits bestehenden Eisenbahnnetzes zwischen Wien und Graz. Am 1. September 1868 wurde die Strecke von Bruck a.d. Mur nach Leoben eröffnet und am 1. Dezember desselben Jahres mit St. Michael an der Rudolfsbahn verbunden. Dies begründete eine erhebliche Aufwertung des Standortes Leoben. Dadurch konnte die Industrie- und Universitätsstadt Leoben zu einer wesentlichen Drehscheibe für die Verkehrsverbindungen in die Obersteiermark, nach Klagenfurt und Salzburg werden. Der ursprüngliche Bahnhof Leoben aus dieser Aufbruchzeit wurde nach hundertjährigem Bestehen in den Jahren 1970-1975 abgetragen und als Fertigteilbau von Architekt Bruno Riegler mit einem unterirdischen Zugang zu den Bahnsteigen und zur Stadt errichtet.
Fast könnte man sagen, Bahnhöfe sind mehr Prozess als Zustand. Damit stellt sich die Frage, wie das Neue, das zu schaffen ist, mit dem Alten umzugehen hat – sei es bauhistorisch wertvoll oder einfach nur existent. Geht man als „Anpasser“ oder als „pragmatischer Funktionalist“ vor? Soll alles Neue so aussehen, als sei es alt oder soll das Neue ohne Rücksicht auf Verluste nach den Gesetzen von Pflegeleichtigkeit, Austauschbarkeit, Vandalismusresistenz in das Alte hineingebaut werden? In der Planung von Leoben wurde weder angepasst noch pragmatisch von rein funktionalistischem Vorgehen ausgegangen, sondern es setzte ein „dialogischer Prozess“ ein, der bemüht war, aus der Dualität von Alt und Neu eine eigenständige ästhetische Qualität zu entwickeln. Das Alte sollte belassen werden – wie z.B. die Kunstwerke in der Halle – oder durch Rückbau seine Authentizität zurückgewinnen. Das Neue hat darauf diszipliniert und reduziert als neue bauliche und historische Schicht zu reagieren.
VORPLATZ als fußgängerorientiertes Vorfeld: Barrierefrei vom Bahnhof zur Stadt und umgekehrt. Verstärkte Wirkung des Vorplatzes durch spezielle Ausleuchtung. Freier Blick zum Bahnhof und in die Stadt. Park+Ride-Zonen, überdachte Busterminals und Fahrradabstellplätze vervollständigen die Gesamtheit des Vorplatzes.
BAHNHOFGEBÄUDE als kundenfreundliches Reise-Zentrum. Transparenz als Teil der Unternehmenskultur: Zeitgemäße Definition des Bahnhofs als Schnittstelle vernetzter Mobilität in der Organisation des Bahnhofsgebäudes, in den Wegnetzen und Zugangssituationen, bis zum Moment des Besteigens der Züge. Die hohen Standards der ÖBB als kundenorientiertes Unternehmen setzen Kundenzentrum, Supermarkt, Trafik, Cafeteria und moderne Toiletten voraus.
Die Bahnhofshalle als Kunstraum mit plastischen Friesen von Rudolf Kedl - an der Fassade aus Kunststein, Titel „Pflanzlicher Fries“ in der Halle aus gegossenem Aluminium Titel „Lebenszyklus“ - und zwei Emailbildern von Giselbert Hoke, der Vorplatz mit einer Skulptur von Helmuth Gsöllpointner. Kedl verknüpft Kunst und Natur in einmaliger, metamorphischer, plastischer Form; Hoke setzt auf die Empfindung der Fremdheit. Gsöllpointner bringt einen architektonischen Körper - ein expandierendes, teleskopartiges Raumgebilde - mit dem öffentlichen Raum in Verbindung. Diese Werke im Bahnhof Leoben sind für das Land Steiermark von kulturgeschichtlicher Bedeutung und machen in Verbindung mit der Architektur die Gesamtgestaltung zu einem kulturellen Highlight unter den steirischen Bahnhöfen.
Im Jahre 1997 wurde die Architektengruppe von der ÖBB BahnhofsOffensive eingeladen, am Wettbewerb Bruck a.d. Mur teilzunehmen und gleichzeitig Vorschläge zur Revitalisierung des Bahnhofs Leoben zu unterbreiten. Letzteres Projekt wurde in Angriff genommen, ersteres in späterer Folge zurückgestellt. Die BahnhofsOffensive wurde als neuer Teil der ÖBB ins Leben gerufen, musste ihre Kompetenzen unter schwierigsten Entkoppelungsprozessen definieren und sich mit den institutionellen Dienststellen ins Einvernehmen setzen. Die Architekten haben in Zusammenarbeit mit der Projektleitung und den einzelnen ÖBB-Dienststellen in einem langwierigen Findungsprozess ein machbares Konzept erarbeitet, das auch einer gründlichen Kostenermittlung unterzogen wurde, unter dem Aspekt einer knappen ökonomischen Lösung.
In Leoben bestand die Aufgabe der Architekten darin, die Verknüpfung der Bahnsteige deren Hebung und Neugestaltung samt Dächern und unterirdischem Personenzugang aus der und in die Abfertigungshalle, deren Neugestaltung sowie jene des Vorplatzes zu schaffen. Letzterer wurde in Funktion und Gestaltung völlig verändert und gibt nun den Blick zur Stadt und – durch die transparente Halle – zu den Zügen frei. Überdachte Wartezonen bei den Bushaltestellen erlauben den Passagieren, ihre Wege trockenen Fußes zurückzulegen. Die neue breite Fußgeherzone lädt zum Verweilen ein und ermöglicht den direkten, raschen Zugang zur und von der Stadt. Fahrradabstellplätze, Kiss+Park+Ride und Taxistände, Verkaufsflächen, Trafik und ein Restaurant vervollständigen das Angebot eines modernen Reisezentrums. Die Grundeinstellung des Architekten verpflichtet ihn bereits im Vorentwurf, nach der bestmöglichen Lösung zu suchen und über den Entwurf mittels einer baulichen Lösung zu verwirklichen. Grundsatzentscheidungen müssen abgefordert werden, seien sie räumlicher, finanzieller oder ästhetischer Natur. Seine Ideen und deren Machbarkeit stoßen leider allzu oft auf unüberbrückbare Realitäten. Nehmen wir als Beispiele das Gebäude für Bahnexpressgüter und die gegenüberliegende Pizzeria, die aus finanztechnischen Gründen nicht abgetragen werden konnten oder die Sicherheitsvorschriften, die trotz ihrer Strenge im Fall von Leoben mit Grazilität gelöst wurden. Die Sprachen von Formgebung, Farben und ausgewählten Materialien wie geleimtes Holz, Naturstein, Glas, Aluminium, Beton und Stahl sind aufeinander im Zeichen moderner Technologie abgestimmt: Schwere Bauteile werden leichter und schwebender.
Insgesamt entspricht der Bahnhof Leoben den internationalen Standards des europäischen Eisenbahnnetzes. Der Öffentliche Raum öffnet sich transparent und fließend für den Menschen. Damit ist nun endgültig die skurrile Welt eines Fritz von Herzmanovsky-Orlando verschwunden, wie er sie in „Maskenspiel der Genien“ beschrieb, unter besonderer Beachtung von Leoben: Bedeutende Schnellzugslinien versickern im Inneren von Österreich, verlieren durch einen rätselhaften Abschuppungsprozeß den Speisewagen in Leoben, „diesem Gewitterwinkel des europäischen Reiseverkehrs.“
Neben der Erfüllung der komplexen technischen Vorgaben entwickelten die Architekten im Sinne ihrer innovativen Ziele eine neue Architektur für die Bahnsteige und die Bushaltestellen: Ein leichtes, helles, einfaches Dach und eine gute Beleuchtung geben ihnen eine elegante Atmosphäre. Durch die Zurücknahme der Stützen, Regenrohre, Kabelschächte etc. wirkt die darunter liegende Wartezone aufgeräumt und großzügig. Der hohe Vorfertigungsgrad, die schnelle Montage und die geringen Kosten sind wesentliche Parameter der neuen Konstruktion.
Das System besteht aus im Abstand von 13,2 m (halbe Waggonlänge) auf Betonfundamenten verschraubten Stahlstützen, in die zwei vorgefertigte kastenförmige Holzleimbinder eingehängt werden. Die rundum geschlossenen Holzkastenträger haben die exakte Form des Daches. Sie werden vorort mit einer Aluminium-Verbundplatte als Untersicht, einer Kautschukfolie als Dachhaut und mit den Elektroinstallationen versehen. Die recycelbaren Aluminium-Verbundplatten sind in verschiedenen Farben und Glanzgraden erhältlich. Sie werden verklebt und verdeckt mechanisch befestigt. Dadurch entsteht eine komplett ebene, glatte Fläche. In Dachmitte, zwischen den Fertigteilelementen, befindet sich die Elektroinstallationsebene, die durch einen klappbaren Gitterrost abgedeckt und so den Blicken des Bahnreisenden entzogen ist. (Gekürzter Text: Horst Gaisrucker)
Fast könnte man sagen, Bahnhöfe sind mehr Prozess als Zustand. Damit stellt sich die Frage, wie das Neue, das zu schaffen ist, mit dem Alten umzugehen hat – sei es bauhistorisch wertvoll oder einfach nur existent. Geht man als „Anpasser“ oder als „pragmatischer Funktionalist“ vor? Soll alles Neue so aussehen, als sei es alt oder soll das Neue ohne Rücksicht auf Verluste nach den Gesetzen von Pflegeleichtigkeit, Austauschbarkeit, Vandalismusresistenz in das Alte hineingebaut werden? In der Planung von Leoben wurde weder angepasst noch pragmatisch von rein funktionalistischem Vorgehen ausgegangen, sondern es setzte ein „dialogischer Prozess“ ein, der bemüht war, aus der Dualität von Alt und Neu eine eigenständige ästhetische Qualität zu entwickeln. Das Alte sollte belassen werden – wie z.B. die Kunstwerke in der Halle – oder durch Rückbau seine Authentizität zurückgewinnen. Das Neue hat darauf diszipliniert und reduziert als neue bauliche und historische Schicht zu reagieren.
VORPLATZ als fußgängerorientiertes Vorfeld: Barrierefrei vom Bahnhof zur Stadt und umgekehrt. Verstärkte Wirkung des Vorplatzes durch spezielle Ausleuchtung. Freier Blick zum Bahnhof und in die Stadt. Park+Ride-Zonen, überdachte Busterminals und Fahrradabstellplätze vervollständigen die Gesamtheit des Vorplatzes.
BAHNHOFGEBÄUDE als kundenfreundliches Reise-Zentrum. Transparenz als Teil der Unternehmenskultur: Zeitgemäße Definition des Bahnhofs als Schnittstelle vernetzter Mobilität in der Organisation des Bahnhofsgebäudes, in den Wegnetzen und Zugangssituationen, bis zum Moment des Besteigens der Züge. Die hohen Standards der ÖBB als kundenorientiertes Unternehmen setzen Kundenzentrum, Supermarkt, Trafik, Cafeteria und moderne Toiletten voraus.
Die Bahnhofshalle als Kunstraum mit plastischen Friesen von Rudolf Kedl - an der Fassade aus Kunststein, Titel „Pflanzlicher Fries“ in der Halle aus gegossenem Aluminium Titel „Lebenszyklus“ - und zwei Emailbildern von Giselbert Hoke, der Vorplatz mit einer Skulptur von Helmuth Gsöllpointner. Kedl verknüpft Kunst und Natur in einmaliger, metamorphischer, plastischer Form; Hoke setzt auf die Empfindung der Fremdheit. Gsöllpointner bringt einen architektonischen Körper - ein expandierendes, teleskopartiges Raumgebilde - mit dem öffentlichen Raum in Verbindung. Diese Werke im Bahnhof Leoben sind für das Land Steiermark von kulturgeschichtlicher Bedeutung und machen in Verbindung mit der Architektur die Gesamtgestaltung zu einem kulturellen Highlight unter den steirischen Bahnhöfen.
Im Jahre 1997 wurde die Architektengruppe von der ÖBB BahnhofsOffensive eingeladen, am Wettbewerb Bruck a.d. Mur teilzunehmen und gleichzeitig Vorschläge zur Revitalisierung des Bahnhofs Leoben zu unterbreiten. Letzteres Projekt wurde in Angriff genommen, ersteres in späterer Folge zurückgestellt. Die BahnhofsOffensive wurde als neuer Teil der ÖBB ins Leben gerufen, musste ihre Kompetenzen unter schwierigsten Entkoppelungsprozessen definieren und sich mit den institutionellen Dienststellen ins Einvernehmen setzen. Die Architekten haben in Zusammenarbeit mit der Projektleitung und den einzelnen ÖBB-Dienststellen in einem langwierigen Findungsprozess ein machbares Konzept erarbeitet, das auch einer gründlichen Kostenermittlung unterzogen wurde, unter dem Aspekt einer knappen ökonomischen Lösung.
In Leoben bestand die Aufgabe der Architekten darin, die Verknüpfung der Bahnsteige deren Hebung und Neugestaltung samt Dächern und unterirdischem Personenzugang aus der und in die Abfertigungshalle, deren Neugestaltung sowie jene des Vorplatzes zu schaffen. Letzterer wurde in Funktion und Gestaltung völlig verändert und gibt nun den Blick zur Stadt und – durch die transparente Halle – zu den Zügen frei. Überdachte Wartezonen bei den Bushaltestellen erlauben den Passagieren, ihre Wege trockenen Fußes zurückzulegen. Die neue breite Fußgeherzone lädt zum Verweilen ein und ermöglicht den direkten, raschen Zugang zur und von der Stadt. Fahrradabstellplätze, Kiss+Park+Ride und Taxistände, Verkaufsflächen, Trafik und ein Restaurant vervollständigen das Angebot eines modernen Reisezentrums. Die Grundeinstellung des Architekten verpflichtet ihn bereits im Vorentwurf, nach der bestmöglichen Lösung zu suchen und über den Entwurf mittels einer baulichen Lösung zu verwirklichen. Grundsatzentscheidungen müssen abgefordert werden, seien sie räumlicher, finanzieller oder ästhetischer Natur. Seine Ideen und deren Machbarkeit stoßen leider allzu oft auf unüberbrückbare Realitäten. Nehmen wir als Beispiele das Gebäude für Bahnexpressgüter und die gegenüberliegende Pizzeria, die aus finanztechnischen Gründen nicht abgetragen werden konnten oder die Sicherheitsvorschriften, die trotz ihrer Strenge im Fall von Leoben mit Grazilität gelöst wurden. Die Sprachen von Formgebung, Farben und ausgewählten Materialien wie geleimtes Holz, Naturstein, Glas, Aluminium, Beton und Stahl sind aufeinander im Zeichen moderner Technologie abgestimmt: Schwere Bauteile werden leichter und schwebender.
Insgesamt entspricht der Bahnhof Leoben den internationalen Standards des europäischen Eisenbahnnetzes. Der Öffentliche Raum öffnet sich transparent und fließend für den Menschen. Damit ist nun endgültig die skurrile Welt eines Fritz von Herzmanovsky-Orlando verschwunden, wie er sie in „Maskenspiel der Genien“ beschrieb, unter besonderer Beachtung von Leoben: Bedeutende Schnellzugslinien versickern im Inneren von Österreich, verlieren durch einen rätselhaften Abschuppungsprozeß den Speisewagen in Leoben, „diesem Gewitterwinkel des europäischen Reiseverkehrs.“
Neben der Erfüllung der komplexen technischen Vorgaben entwickelten die Architekten im Sinne ihrer innovativen Ziele eine neue Architektur für die Bahnsteige und die Bushaltestellen: Ein leichtes, helles, einfaches Dach und eine gute Beleuchtung geben ihnen eine elegante Atmosphäre. Durch die Zurücknahme der Stützen, Regenrohre, Kabelschächte etc. wirkt die darunter liegende Wartezone aufgeräumt und großzügig. Der hohe Vorfertigungsgrad, die schnelle Montage und die geringen Kosten sind wesentliche Parameter der neuen Konstruktion.
Das System besteht aus im Abstand von 13,2 m (halbe Waggonlänge) auf Betonfundamenten verschraubten Stahlstützen, in die zwei vorgefertigte kastenförmige Holzleimbinder eingehängt werden. Die rundum geschlossenen Holzkastenträger haben die exakte Form des Daches. Sie werden vorort mit einer Aluminium-Verbundplatte als Untersicht, einer Kautschukfolie als Dachhaut und mit den Elektroinstallationen versehen. Die recycelbaren Aluminium-Verbundplatten sind in verschiedenen Farben und Glanzgraden erhältlich. Sie werden verklebt und verdeckt mechanisch befestigt. Dadurch entsteht eine komplett ebene, glatte Fläche. In Dachmitte, zwischen den Fertigteilelementen, befindet sich die Elektroinstallationsebene, die durch einen klappbaren Gitterrost abgedeckt und so den Blicken des Bahnreisenden entzogen ist. (Gekürzter Text: Horst Gaisrucker)
Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien
Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzig
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