Bauwerk
Skywalk Fußgänger- und Radfahrerbrücke
Bulant & Wailzer - Wien (A) - 2007
Präsenz und Seifenblase
Eigentlich ein Vorzeigeprojekt mit sauberem Wettbewerb: der Skywalk an der Wiener Spittelau. Wie die Stadt Wien versäumt, aus dem gewonnenen Know-how zu lernen.
24. Februar 2008 - Christian Kühn
Im Grunde sollten wir uns ja freuen: Selbst Fußgängerbrücken und Bahnhöfe, so behaupten seit Kurzem Wiens Planungsstadtrat und seine Beamten, sind Kunstwerke. Dem wird man nicht widersprechen wollen, knüpft sich doch daran die Hoffnung, dass an die Planung und Ausführung solcher Werke dieselben Maßstäbe angelegt würden wie sonst auch in der Kunst. Und das hätte Folgen: Wer bestellt etwa bei einem Künstler eine Skizze, um dann von einem gewerblichen Maler auf dieser Grundlage ein Ölbild malen zu lassen, das nur noch grob der Idee des Künstlers ähnelt? Und verkündet dann stolz, so den Preis des Kunstwerks tüchtig gesenkt zu haben? In der Architektur sind solche Zustände nichts Ungewöhnliches, wenn etwa Ausführungs- und Detailplanungvon Ingenieurbüros für Honorare übernommen werden, zu denen niemand mehr Qualität liefern kann, oder gleich der gesamte Auftrag an den Billigstbieter geht. Die Ergebnisse sehen entsprechend aus.
Leider gibt es bei den Aussagen des Stadtrats eine Einschränkung. Kunst sind Brücken und Bahnhöfe nur, wenn sie von Santiago Calatrava stammen. Der spanische Bildhauer und Ingenieur hat in seinem Frühwerk, etwa dem Bahnhof Stadelhofen in Zürich aus den 1980er-Jahren, eine Formensprache entwickelt, die direkt auf Antoni Gaudí zurückgeht und dessen Ideen innovativ weiterentwickelte. Seit Mitte der 1990er-Jahre eroberte er sich mit filigran wirkenden Strukturen einen Platz unter den internationalen Markenarchitekten und ist spätestens seit dem Auftrag für die New Yorker U-Bahn-Station auf demGround Zero endgültig an der Spitze angekommen. Seine Sprache veränderte sich im Zuge dieser Entwicklung jedoch zunehmend ins Manierierte, sodass ermanchen Kollegen heute als Richard Clayderman der Architektur gilt, der mit den immer gleichen Akkorden blütenweißen und kommerziell höchst erfolgreichen Kitsch produziert.
Warum Calatrava ausgerechnet jetzt in Wien mit zwei Direktaufträgen zum Zug kommen soll, ist ein Rätsel. Brücken und Bahnhöfe aus seiner Werkstatt finden sich auf der ganzen Welt, und es ist kaum zu erwarten, dass er gerade in Wien zu neuer Form auflaufen wird. Um für das blutleere Stadterweiterungsprojekt auf dem Flugfeld Aspern ein architektonisches Wahrzeichen zufinden, hätte es andere Wege gegeben als das Hofieren eines Stararchitekten. Innsbruck darf sich beispielweise mit zwei wichtigen Bauten von Zaha Hadid schmücken, ohne in der Projektfindung auf das Mittel eines Architekturwettbewerbs verzichtet zu haben.
Dass der Wettbewerb gerade bei heiklen Bauaufgaben die Methode der Wahl ist, beweist paradoxerweise ein Projekt, das die Gemeinde Wien selbst 2004 als Vorzeigeprojekt für ein gutes Auswahlverfahren in die Wege geleitet hat: der Skywalk, der die U-Bahnstation Spittelau mit der Guneschgasse am Döblinger Gürtel verbindet und dabei ein denkmalgeschütztes Bauwerk Otto Wagners glatt durchquert. Als „coolste Brücke Wiens“ bezeichnet die Stadt das Bauwerk in ihrer Werbung, und das durchaus zu Recht. Zumindest auf Distanz löst das Resultat ein, was das Wettbewerbsergebnis vor vier Jahren erhoffen ließ, nämlich eine intelligente und formal überzeugende Antwort auf ein höchst komplexes Problem.
An einem der verzwicktesten Verkehrsknoten Wiens, an dem sich ein Autobahnzubringer und zwei ehemalige Stadtbahnlinien kreuzen, überhaupt an eine solche Fußgängerverbindung zu denken war eine mutige Entscheidung der Stadtplanung. Funktionell ist sie zwar naheliegend: Immerhin erspart sie den Bewohnern eines großenWohngebiets einen mühevollen Ab- und Wiederaufstieg auf dem täglichen Weg zur U-Bahn. Stadtgestalterisch bestand allerdings die Gefahr, das visuelle Chaos an dieser Stelle noch zu erhöhen und das Ensemble der beiden denkmalgeschützten Brücken der Wagnerschen Stadtbahn zu ruinieren.
Das Architektenteam Aneta Bulant und Klaus Wailzer, das bereits mit einer Fußgängerbrücke über dem Gürtel neben der Hauptbibliothek eine ähnliche Aufgabe bewältigt hatte, setzte sich in einem europaweiten, offenen Wettbewerb – in Kooperation mit dem Tragwerksplaner Karlheinz Wagner – gegen 46 Konkurrenten, darunter Zaha Hadid und Klaus Bollinger, durch. Ihr Entwurf sieht als Konstruktion einen wannenförmigen Durchlaufträger vor, dessen Seitenwände entsprechend den geforderten Duchfahrtshöhen und statischen Notwendigkeiten unterschiedlich hoch ausgeführt sind. Das Niveau des Bodens folgt im leichten Gefälle seiner eigenen Logik, wodurch sich unterschiedliche Parepethöhen ergeben, während die Dachebene über die gesamte Länge der Brücke von rund 120 Metern auf einer horizontalen Linie verläuft. Zusammen mit den leicht gegeneinander verschwenkten Seitenwänden erzeugt diese Anordnung perspektivische Effekte, die dem Durchgang eine besondere Spannung verleihen. Nach außen verzichtet die Brücke auf angestrengte konstruktive Hochseilakte, die in diesem Kontext völlig unangebracht wären. Trotzdem besitzt sie mit ihrer eleganten Linienführung, die von kleinen, aber präzisen Gesten lebt, eine starke Präsenz im Straßenraum.
Im Detail ist freilich vieles anders geworden als geplant. Statt der rahmenlosen Verglasung auf ovalen Tragprofilen findet sich eine vergleichsweise primitive Lösung mit kantigen Profilen und Gläsern in Aluminiumrahmen. Wo heute kleine Klappen für die Lüftung sorgen, hätten sich ursprünglich ganze Glaselemente leicht nach außen geklappt. Der Boden ist schlecht ausgeführt und kaum zu reinigen, und manche Details wie die Handläufe wirken überhaupt wie vom Schlosserlehrling erfunden. (Wer über den Sinn des dritten, obersten Handlaufs rätselt: Der wurde als Anprallschutz gegen Radfahrer vorgeschrieben, die im Sturzflug das Sicherheitsglas aus dem Rahmen sprengen könnten.)
Die Stadt Wien hätte also viel lernen können aus diesem Projekt: Was ein gut vorbereiteter und angemessen honorierter Wettbewerb leistet; wo die Kompetenzen der Beteiligten an ihre Grenzen stoßen und mehr Kooperation im Sinne des Projekts nötig wäre; und dass Weltstadtniveau bedeuten würde, Qualität bis zum Detail durchzuhalten.
Stattdessen lehnt sie sich zurück und nimmt eine große Dosis Calatrava. Vielleicht ist die Sehnsucht nach dessen Architektur tief in der Psyche des Wiener Magistrats zu suchen. Der gleicht – wie die meisten großen öffentlichen Institutionen Österreichs –, in Bauformen ausgedrückt, ja einer Mischung aus Potala und Gänsehäufel, ein barockes, in sich widersprüchliches Gebilde mit erstaunlichen Auswüchsen aller Art. Die Architektur Calatravas mit ihren lieblichen, quasi-natürlichen Formen ist dazu das absolute Gegenbild. Aber zwei Calatravas werden Wien nicht ändern, sondern als das herumstehen, was auch die anderen jüngeren Projekte des Meisters zu sein scheinen: erdfeste Seifenblasen, die nie platzen. Leider.
Leider gibt es bei den Aussagen des Stadtrats eine Einschränkung. Kunst sind Brücken und Bahnhöfe nur, wenn sie von Santiago Calatrava stammen. Der spanische Bildhauer und Ingenieur hat in seinem Frühwerk, etwa dem Bahnhof Stadelhofen in Zürich aus den 1980er-Jahren, eine Formensprache entwickelt, die direkt auf Antoni Gaudí zurückgeht und dessen Ideen innovativ weiterentwickelte. Seit Mitte der 1990er-Jahre eroberte er sich mit filigran wirkenden Strukturen einen Platz unter den internationalen Markenarchitekten und ist spätestens seit dem Auftrag für die New Yorker U-Bahn-Station auf demGround Zero endgültig an der Spitze angekommen. Seine Sprache veränderte sich im Zuge dieser Entwicklung jedoch zunehmend ins Manierierte, sodass ermanchen Kollegen heute als Richard Clayderman der Architektur gilt, der mit den immer gleichen Akkorden blütenweißen und kommerziell höchst erfolgreichen Kitsch produziert.
Warum Calatrava ausgerechnet jetzt in Wien mit zwei Direktaufträgen zum Zug kommen soll, ist ein Rätsel. Brücken und Bahnhöfe aus seiner Werkstatt finden sich auf der ganzen Welt, und es ist kaum zu erwarten, dass er gerade in Wien zu neuer Form auflaufen wird. Um für das blutleere Stadterweiterungsprojekt auf dem Flugfeld Aspern ein architektonisches Wahrzeichen zufinden, hätte es andere Wege gegeben als das Hofieren eines Stararchitekten. Innsbruck darf sich beispielweise mit zwei wichtigen Bauten von Zaha Hadid schmücken, ohne in der Projektfindung auf das Mittel eines Architekturwettbewerbs verzichtet zu haben.
Dass der Wettbewerb gerade bei heiklen Bauaufgaben die Methode der Wahl ist, beweist paradoxerweise ein Projekt, das die Gemeinde Wien selbst 2004 als Vorzeigeprojekt für ein gutes Auswahlverfahren in die Wege geleitet hat: der Skywalk, der die U-Bahnstation Spittelau mit der Guneschgasse am Döblinger Gürtel verbindet und dabei ein denkmalgeschütztes Bauwerk Otto Wagners glatt durchquert. Als „coolste Brücke Wiens“ bezeichnet die Stadt das Bauwerk in ihrer Werbung, und das durchaus zu Recht. Zumindest auf Distanz löst das Resultat ein, was das Wettbewerbsergebnis vor vier Jahren erhoffen ließ, nämlich eine intelligente und formal überzeugende Antwort auf ein höchst komplexes Problem.
An einem der verzwicktesten Verkehrsknoten Wiens, an dem sich ein Autobahnzubringer und zwei ehemalige Stadtbahnlinien kreuzen, überhaupt an eine solche Fußgängerverbindung zu denken war eine mutige Entscheidung der Stadtplanung. Funktionell ist sie zwar naheliegend: Immerhin erspart sie den Bewohnern eines großenWohngebiets einen mühevollen Ab- und Wiederaufstieg auf dem täglichen Weg zur U-Bahn. Stadtgestalterisch bestand allerdings die Gefahr, das visuelle Chaos an dieser Stelle noch zu erhöhen und das Ensemble der beiden denkmalgeschützten Brücken der Wagnerschen Stadtbahn zu ruinieren.
Das Architektenteam Aneta Bulant und Klaus Wailzer, das bereits mit einer Fußgängerbrücke über dem Gürtel neben der Hauptbibliothek eine ähnliche Aufgabe bewältigt hatte, setzte sich in einem europaweiten, offenen Wettbewerb – in Kooperation mit dem Tragwerksplaner Karlheinz Wagner – gegen 46 Konkurrenten, darunter Zaha Hadid und Klaus Bollinger, durch. Ihr Entwurf sieht als Konstruktion einen wannenförmigen Durchlaufträger vor, dessen Seitenwände entsprechend den geforderten Duchfahrtshöhen und statischen Notwendigkeiten unterschiedlich hoch ausgeführt sind. Das Niveau des Bodens folgt im leichten Gefälle seiner eigenen Logik, wodurch sich unterschiedliche Parepethöhen ergeben, während die Dachebene über die gesamte Länge der Brücke von rund 120 Metern auf einer horizontalen Linie verläuft. Zusammen mit den leicht gegeneinander verschwenkten Seitenwänden erzeugt diese Anordnung perspektivische Effekte, die dem Durchgang eine besondere Spannung verleihen. Nach außen verzichtet die Brücke auf angestrengte konstruktive Hochseilakte, die in diesem Kontext völlig unangebracht wären. Trotzdem besitzt sie mit ihrer eleganten Linienführung, die von kleinen, aber präzisen Gesten lebt, eine starke Präsenz im Straßenraum.
Im Detail ist freilich vieles anders geworden als geplant. Statt der rahmenlosen Verglasung auf ovalen Tragprofilen findet sich eine vergleichsweise primitive Lösung mit kantigen Profilen und Gläsern in Aluminiumrahmen. Wo heute kleine Klappen für die Lüftung sorgen, hätten sich ursprünglich ganze Glaselemente leicht nach außen geklappt. Der Boden ist schlecht ausgeführt und kaum zu reinigen, und manche Details wie die Handläufe wirken überhaupt wie vom Schlosserlehrling erfunden. (Wer über den Sinn des dritten, obersten Handlaufs rätselt: Der wurde als Anprallschutz gegen Radfahrer vorgeschrieben, die im Sturzflug das Sicherheitsglas aus dem Rahmen sprengen könnten.)
Die Stadt Wien hätte also viel lernen können aus diesem Projekt: Was ein gut vorbereiteter und angemessen honorierter Wettbewerb leistet; wo die Kompetenzen der Beteiligten an ihre Grenzen stoßen und mehr Kooperation im Sinne des Projekts nötig wäre; und dass Weltstadtniveau bedeuten würde, Qualität bis zum Detail durchzuhalten.
Stattdessen lehnt sie sich zurück und nimmt eine große Dosis Calatrava. Vielleicht ist die Sehnsucht nach dessen Architektur tief in der Psyche des Wiener Magistrats zu suchen. Der gleicht – wie die meisten großen öffentlichen Institutionen Österreichs –, in Bauformen ausgedrückt, ja einer Mischung aus Potala und Gänsehäufel, ein barockes, in sich widersprüchliches Gebilde mit erstaunlichen Auswüchsen aller Art. Die Architektur Calatravas mit ihren lieblichen, quasi-natürlichen Formen ist dazu das absolute Gegenbild. Aber zwei Calatravas werden Wien nicht ändern, sondern als das herumstehen, was auch die anderen jüngeren Projekte des Meisters zu sein scheinen: erdfeste Seifenblasen, die nie platzen. Leider.
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wettbewerb
Das Projekt ist aus dem Verfahren Skywalk Spittelau hervorgegangen1. Rang, Gewinner
Bulant & Wailzer Architekten, Aneta Bulant-Kamenova, Klaus Wailzer
2. Rang, Preis
Johannes Zeininger, Dr. Karl Heinz Hollinsky & Partner ZT GmbH
3. Rang, Preis
Gernot Humer, Wolfgang Brenner, Gmeiner & Haferl ZT GmbH
4. Rang, Nachrücker
Stephan Unger, Neumann & Partner ZT GmbH
5. Rang, Nachrücker
Najjar & Najjar Architekten
2. Stufe
Hild und K Architekten, Seeberger Friedl und Partner
2. Stufe
Soyka Silber Soyka Architekten, Wolfdietrich Ziesel, Martin Brunner
1. Stufe
Baumschlager Eberle Lochau ZT GmbH
1. Stufe
Architekt DI Martin Wakonig ZT GmbH
1. Stufe
Christian Fötschl
1. Stufe
NBM - Notbeforemidnight Architektur
1. Stufe
Mikado Architects
1. Stufe
Architekturbüro Resch, Kratschmann & Partner ZT GmbH
1. Stufe
Otto Häuselmayer
1. Stufe
Karl Peyrer-Heimstätt
1. Stufe
Architektengruppe U-Bahn Holzbauer - Marschalek - Ladstätter - Gantar - Jerabek - Krajnovic Ziviltechniker GesmbH
1. Stufe
Zechner & Zechner ZT GmbH
1. Stufe
Dürig AG
1. Stufe
netzwerkarchitekten
1. Stufe
Nikola Popovic
1. Stufe
Richard Germ
1. Stufe
PKS Architekten
1. Stufe
Tobias Eckert
1. Stufe
Bernd Stanzel
1. Stufe
bkp Architektur ZT GmbH
1. Stufe
Werner Baumhauer
1. Stufe
Clemens Krug
1. Stufe
Zaha Hadid Architects
1. Stufe
Wagner + Prack Architekten
1. Stufe
Obermeyer Planen + Beraten GmbH
1. Stufe
one room
1. Stufe
synn architekten ZT OG
1. Stufe
Thomas Wagensommerer
1. Stufe
Johannes Stockinger
1. Stufe
Martin Feiersinger
1. Stufe
Sebastian Sasse
1. Stufe
Susanne Becker, Jürgen Dorn
1. Stufe
Eva Weil
1. Stufe
Wolfgang Mayr
1. Stufe
Buerger Katsota ZT GmbH, Aristotelis Dimitrakopoulos
1. Stufe
Atelier Heiss ZT GmbH, Christian Gabler
1. Stufe
Gerhard Mossburger
1. Stufe
Bernd Brandner
1. Stufe
Maria Auböck
1. Stufe
Gabu Heindl
1. Stufe
Architektur Consult ZT GmbH