Bauwerk

Atelier Bardill
Valerio Olgiati - Scharans (CH) - 2007
Atelier Bardill © Archiv Olgiati

Monochromer Klangkörper

Ein eher massiv anmutender Baustoff, eine eigenwillige Farbgebung und ein sehr filigranes Schmuckelement sind die herausragenden Gestaltungsmerkmale eines »Hauses« in Scharans, das eigentlich kein Haus ist. Die Replikation von Formen und Ornament führt zu einem eindrücklichen Gebäude, das vielfach les- und nutzbar ist und seine Komplexität aus der Einfachheit erhält.

2. März 2008 - Hubertus Adam
Architektur ist meist das Resultat einer Vielzahl sehr unterschiedlicher entwerferischer Entscheidungen und Festlegungen auf verschiedenen Ebenen. Ergeben diese eine gewisse Balance, so mag ein leidlich akzeptables Gebäude entstehen. Indes kann es reizvoll, wenn auch ungleich schwieriger sein, die Anzahl der Themen zu verknappen, also ein Bauprojekt mit weniger, dafür umso grundlegenderen Entscheidungen zu realisieren. Valerio Olgiati wählt seit jeher nicht den einfacheren Weg: Seine Gebäude zeigen paradigmatisch, wie sich durch die Konzentration auf wesentliche Themen ein Entwurfsprozess radikalisieren lässt. Ziel dabei ist keineswegs die Ökonomie der Mittel, sondern die Steigerung des Ausdrucks. Das Schulhaus in Paspels, mit dem Olgiati sich als einer der wichtigsten Exponenten der Schweizer Gegenwartsarchitektur etablierte, zeigt sich als strenger Solitär aus Beton, der durch das Nachzeichnen der Hangsituation subtil dynamisiert wird. Beim Gelben Haus in Flims reduzierte der Architekt das spätklassizistische Bauwerk auf sein materielles Substrat – der weiße Farbanstrich lässt das Volumen von Weitem wie eine minimalistische Plastik erscheinen, während er von Nahem die Versehrungen der Gebäudehaut offenbart und die Baustruktur zum Ornament werden lässt. Das Privathaus in Wollerau schließlich stellt sich als ein überdimensionaler Pavillon aus Weißbeton dar, der schwer und leicht zugleich wirkt.

Sein jüngstes Projekt konnte Olgiati in Scharans realisieren, einer Gemeinde im Domleschg. Dieser Abschnitt des Hinterrheins befindet sich südwestlich von Chur – steil aufragende Berghänge begrenzen den Talboden zwischen Domat/Ems im Norden und Thusis im Süden. Östlich und leicht oberhalb des Flusslaufs gelegen ist Scharans mit seinen 800 Einwohnern ¬eine noch weitgehend historisch geprägte Ortschaft. Die alte Bebauungsstruktur mit ihren Stein- und wettergegerbten Holzhäusern gruppiert und verdichtet sich um einige kleine Plätze im Zentrum, während sie an den Rändern des Dorfs in eine Streusiedlung übergeht.

Konzentration auf Restriktionen

Mitten im Ort, an einem dieser kleinen Plätze, wohnt seit zwölf Jahren der prominente Schweizer Liedermacher und Schriftsteller Linard Bardill. In Chur 1956 geboren, wählte er den kleinen, aber aufgrund der Nähe zur Autobahn keinesfalls abgelegenen Ort, um zwischen und nach seinen häufigen Tourneen in Ruhe arbeiten und sich erholen zu können. Scharans ist für Bardill Rückzugsort, zugleich aber auch der Platz, an dem er probt, experimentiert und organisiert. Auf Dauer war dafür das lediglich 14 Quadratmeter messende Arbeitszimmer in seinem alten Wohnhaus zu klein. Der Zufall wollte es, dass auf der anderen Seite des Platzes ein alter hölzerner Stall zum Verkauf stand; der Künstler erwarb ihn, obwohl er zunächst nicht wusste, wie er die neue Liegenschaft nutzen sollte. Anfangs war für ihn vieles denkbar, ein mehrgeschossiger Turmbau, den die Gemeinde ohnehin nicht bewilligt hätte, ebenso wie die Umnutzung der bestehenden Stallstruktur. Doch letztere Idee schloss Valerio Olgiati, mit dem Bardill inzwischen Kontakt aufgenommen hatte, kategorisch aus: Ein klassischer Umbau, bei dem sich die neue Struktur unsichtbar in der alten Hülle verbirgt, hätte den Architekten schlicht nicht interessiert. Olgiatis Strategie der radikalen Konzentration auf wenige Themen ist ein Beweis dafür, wie Restriktionen zu solch einer Reibung führen, dass Funken zu sprühen beginnen. Die für die Kernzone des Ortes bestehenden Bauvorschriften fordern, dass der Ersatzbau für ein bestehendes Gebäude dieses volumetrisch nachbildet. Damit die charakteristische Körnung des vorhandenen Ensembles visuell prägend bleibt, ist weder eine Vergrößerung noch eine Verkleinerung des umbauten Raums zulässig.

Olgiati erfüllte diese Auflage – doch er erfüllte sie so, dass man von einer Strategie der subtilen Ironie sprechen muss. Das Volumen des früheren Stalls exakt nachzeichnend, errichtete er ein Mauergeviert aus rotbraun durchgefärbtem Ortbeton. Die Hangseite und die Fassade zum Dorfplatz sind als Giebelfronten ausgebildet, die Querseiten im Norden und Süden als klare Wandgevierte. Der einstige Stall bestand aus dem leicht trapezoiden Haupthaus sowie einem Anbau im Norden, der die Dachlinie fortsetzte und damit ein Schleppdach entstehen ließ. Olgiati adaptierte auch diese räumliche Konfiguration, doch er verzichtete auf die Ausbildung der Baunaht: Der monolithische Mauerkranz vereinheitlicht nun die gesamte Struktur. Der beinahe monumentale Charakter wird noch verstärkt durch die geringe Anzahl der Öffnungen. Eine kleine Tür, die man von einer über eine Treppe erschlossenen Gartenterrasse aus erreicht, führt von der Südseite aus in das Innere. Die wichtigste Öffnung jedoch ist eine große, rechteckige Aussparung in der Schaufassade zum Dorfplatz. Diese wendet sich nicht nur dem öffentlichen Raum zu, sondern offenbart in umgekehrter Blickrichtung auch die Konzeption des Neubaus. Was von außen aus monolithisch und festgefügt für alle Ewigkeiten wirkt, ist eigentlich kein Haus, sondern ein großer Hohl-, Hof- oder gar Klangraum. Die Giebelfronten ragen funktionslos in die Höhe, das Gebäude hat kein Dach, und wo sich eigentlich die Decke befindet, die das Wohngeschoss vom Dachboden trennt, hat Olgiati eine – natürlich ebenfalls rot durchgefärbte – Betonplatte eingezogen, die mit einem riesigen elliptischen Durchbruch versehen ist. Auf der Nordseite, also an der Stelle des vormaligen Anbaus, schließt sich – durch eine Glasfront vom Atrium getrennt – das von Bardill gewünschte Studio an.

Es ist ein fast rechteckiger Raum von sechzig Quadratmetern mit einem offenen Kamin. Er kann für verschiedene Zwecke genutzt werden, nicht zuletzt, wie die Akustikelemente an der schrägen Decke beweisen, auch als Tonstudio. Durch die Glasfront und die Aussparung in der Fassade kann Bardill auf den Piz Beverin blicken. Benötigt er mehr Zurückgezogenheit, schließt er die Fassadenöffnung. Dann verschwindet das Dorf, und das Atrium mit seiner zentralen Rasenfläche wird zum Hortus Conclusus.

Atelier und Bühne

Für 1,7 Millionen. Schweizer Franken hat Bardill ein Studio mit einer nutzbaren Fläche von gerade einmal sechzig Quadratmetern erhalten – und ein Atrium, das einen demgegenüber überdimensionierten Außenraum darstellt. Das mag zunächst absurd wirken, erklärt sich jedoch durch die Konzeption des Gebäudes, das Bardill »Ateliertheater« nennt. Es ist mithin die Kombination eines eher intimen Ateliers mit der Funktion eines öffentlichen Theaters. Das Atrium stellt den Ort dar, an dem Außen und Innen, öffentlich und privat zusammentreffen, und so mag man sich hier mal vorkommen wie in einer kalifornischen Villa und mal wie in einer archaischen Versammlungsstätte. Hier kann musiziert werden, und je nach Veranstaltung stehen die Besucher im Atrium selbst – oder auf dem Vorplatz im Dorf. Dann funktioniert die Hauptfassade wie ein großes Bühnentor.

Bardills Ateliertheater kann ebenso als intimes Studio verstanden werden wie als öffentlicher Kulturbau. Diese Ambivalenz ist Konzept, und Olgiati hat dafür eine kongeniale architektonische Lösung gefunden. Mit der Härte, Größe und Einfachheit seines Volumens adaptiert er die klassischen Kriterien monumentalen Bauens. Doch die Wucht und Monotonie, welche das monolithische All-over des Betons bedeuten könnte, wird durch drei entwerferische Festlegungen gemildert und differenziert. Die erste Fixierung betrifft das räumliche Konzept des Atriums ohne Haus und der Giebelwände ohne Dach. Die zweite zielt auf eine Milderung der Monumentalität durch die Farbigkeit des Materials: Durch Pigmente und zusätzlich beigegebenes Steinmehl erzielte Olgiati einen kräftigen, erdhaften Farbton, welcher das Volumen in die Farbigkeit der Umgebung zu integrieren vermag.

Entscheidend zur Wirkung des Gebäudes tragen schließlich die relief¬artigen Ornamente bei, welche die Betonoberflächen überziehen. Ein Ornament auf einer Truhe, die Bardill erworben hatte, diente als Inspiration für die Rosetten, die in drei verschiedenen Größen in die Schalung geschnitzt wurden. Bewusst wählte Olgiati ein handwerkliches Verfahren, verzichtete also auf Pixelraster und computergesteuerte Fräsen. Wichtig war ihm dabei vor allem, dass der Rosette keine übertragene Bedeutung innewohnt. Sie ist kein Symbol, sondern reiner Schmuck ohne semantische Dimension. Und sie wurde zudem am Bau so verwendet, dass sie – anders als bei historischer Verwendung von Ornamenten – keine Bauglieder oder tektonische Strukturen auszeichnet. Demgemäß findet sie sich innen gleichermaßen wie außen, an Wänden ebenso wie an Decken und selbst an Kellertreppen oder jenen Wandpartien, die später durch Erdanschüttung abgedeckt wurden. Bei der Schalung achtete man darauf, dass Wiederholungen nicht sichtbar wurden, dass die Rosetten ständig ihre Ausrichtung ändern und sich nicht optisch zu übergreifenden Mustern zusammenfügen. Gleichsam aleatorisch verstreut, unterstützen sie die homogene Konzeption des monochromen und monolithischen Gebäudes und relativieren dabei seinen monumentalen Gestus.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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