Bauwerk

Olympiaschanze
terrain:loenhart&mayr - Garmisch-Partenkirchen (D) - 2007
Olympiaschanze, Foto: Stefan Müller-Naumann / ARTUR IMAGES
Olympiaschanze, Foto: terrain: integral designs BDA

Himmelsstürmer

Pünktlich am ersten Januar dieses Jahres fand in Garmisch-Partenkirchen das Neujahrsspringen auf der neuen Skisprungschanze statt, deren Stahlkonstruktion, derzeit noch sichtbar, in diesen Wochen mit jedem Tag mehr hinter Polycarbonatplatten verschwindet. Dem Bauwerk voraus ging die Sprengung der alten Schanze im April 2007 und ein Wettbewerb, bei dem die Tragwerksplaner federführend waren.

1. Mai 2008 - Christoph Randl
Kaum eine Sportstätte steht in so engem Zusammenhang mit der Gründungsgeschichte eines Ortes wie das Olympiaskistadion in Garmisch-Partenkirchen. Schließlich erfolgte die Zusammenlegung der beiden Dörfer Garmisch und Partenkirchen im Jahr 1935 – von den Einheimischen übrigens lange sehr skeptisch betrachtet – hauptsächlich zur Verbesserung der Infrastruktur für die Olympischen Winterspiele 1936. Die markanteste bauliche Manifestation dieser Winterspiele war das Skistadion mit den beiden Sprungschanzen. Direkt neben der schon seit Anfang des Jahrhunderts betriebenen Gudibergschanze wurde 1934 mit den Bauarbeiten für die große Olympiaschanze begonnen. Die 43 Meter hohe, von C.J. Luther geplante Holzkonstruktion wurde 1950 durch eine Stahlkonstruktion ersetzt, bei der der Anlauf auf eine sehr massiv wirkende Stütze aufgelegt war. Der sogenannte K-Punkt konnte dabei von 80 auf 115 Meter gesteigert werden. Dieser Punkt, ab dem das Gefälle des Aufsprunghangs deutlich flacher wird und der Auslauf beginnt, wird in der Skisprungtechnik mal als Konstruktions-, mal als Kritischer Punkt definiert und ist Maß aller Dinge im Schanzenbau. Aufgrund der sprungtechnischen Entwicklungen und der veränderten Anforderungen des Fernsehens (mehrere Kameraaufstellungen notwendig) war die Schanze nun allerdings wieder veraltet. So wurde 2006 beschlossen, sie zu sprengen und durch eine vollständig neue Konstruktion zu ersetzen. Der K-Punkt sollte nun bei 125 Metern liegen.

Tragwerksplaner als Wettbewerbseinreicher

Aus einem interdisziplinären Wettbewerb für Architekten und Tragwerksplaner ging die Arbeitsgemeinschaft Mayr Ludescher Partner Beratende Ingenieure (Tragwerksplanung), terrain: loenhart&mayr Architekten und Landschaftsarchitekten (Sprungschanze, Aufsprungbauwerk, Außenanlagen) und Sieber Renn Architekten (Sprungrichtergebäude, Schanzentechnik) als Sieger hervor. Federführend waren dabei Mayr Ludescher Partner, verantwortlich dort Hubert Busler. Die Arbeitsgemeinschaft setzte sich gegen elf weitere Teilnehmer durch, zu denen auch Zaha Hadid gehörte, die jüngst mit der neuen Berg-Isel-Schanze in Innsbruck die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Die dynamisch anmutende Stahlkonstruktion, die mit ihrer Linienführung den Schwung der Bergwelt, in die sie integriert ist, aufnimmt, wurde im Oktober 2006 mit dem ersten Preis ausgezeichnet und sofort zum Bau beauftragt. Die Zeit drängte, bereits das Neujahrsspringen 2008 sollte auf der neuen Schanze stattfinden.

Die Planer haben Anlauf und Aufsprung in zwei getrennte Baukörper gegliedert. Das Anlaufbauwerk, also der eigentliche Sprungturm, ist statisch gesehen ein Einfeldträger auf zwei Stützen mit großer Auskragung, ausgebildet als mehrfach gebogener räumlicher Fachwerkträger aus Doppel-T-Profilen. Sein hangseitiges Auflager ist eine Druckstütze, die auf einem flach gegründeten Betonfundament fußt. Talseitig liegt das Anlaufbauwerk auf einer Schotte auf, die in das Aufsprungbauwerk beziehungsweise in das darunter liegende Schanzentischgebäude integriert ist. Sie ist 14,5 Meter tief im Erdreich verankert und wirkt als Zugstütze den erheblichen Kräften der Auskragung entgegen. Das Aufsprungbauwerk ist eine Brücke auf Stahlstützen mit einer als Stahl-Beton-Verbundkonstruktion ausgeführten Decke.

Im Schanzentischgebäude sind Serviceeinrichtungen für die Springer, Presseräume ein Restaurant und der Zugang zum Schrägaufzug untergebracht. Dieser Aufzug – neuartig insofern, als seine Kabine hängt und nicht von unten angetrieben wird – bringt Sportler, Offizielle und Journalisten zu den drei Ebenen im Schanzenkopf, dessen höchster Punkt sich fast 49 Meter über dem Schanzentisch befindet. Wer möchte, kann auch auf einer parallel verlaufenden Himmelsleiter aufsteigen. Die Springer verlassen das Bauwerk auf einer neuartigen Schanzenspur mit einer nur fünf Zentimeter dicken Schneeauflage. Alternativ steht eine parallele Sommerspur aus Kunststoff zur Verfügung. Neben dem Schanzentisch beobachten die Trainer von einem kühnen, frei schwebenden, aber zur restlichen Konstruktion etwas bezugslosen stählernen Podest die Sportler beim Sprung. Verkleidet ist die gesamte Konstruktion mit transluzenten Polykarbonatplatten, die das Licht der spurparallelen Beleuchtung durch Neonröhren streuen. Nachts erscheint das etwa 50 Meter hohe Bauwerk dadurch als milchweiß leuchtende Landschaftsplastik.

Den Konstrukteuren ist mit diesem Sprungturm eine überzeugende bauliche Analogie zum großen Thema des Skisprungs, der Überwindung der Schwerkraft, gelungen. Ähnlich einer Schaukel meint man eine bewegliche Konstruktion vor sich zu haben, die durch präzise und schlanke Detaillierung überzeugt. Leider erreicht das westlich von der Schanze isoliert stehende Preisrichtergebäude nicht dieses Niveau. Das liegend ausgeführte Gebäude – üblich ist für diese Funktion meist ein Turm – weist einen wenig eleganten Knick auf. Die bei der Schanze angemessen eingesetzte Plattenverkleidung wirkt hier eher provisorisch.
Hervorzuheben ist die unglaublich kurze Zeit von 14 Monaten für den gesamten Planungs- und Bauprozess inklusive Abbruch der alten Schanze. Gesamtkosten von 14,5 Mio. Euro (inkl. MwSt) erscheinen dabei, obwohl deutlich mehr als ursprünglich vom Bauherrn mit 10 Mio. Euro veranschlagt, durchaus nachvollziehbar.

Dritter im Bunde

Mayr Ludescher Partner betreiben in München und Stuttgart seit 1986 zwei Büros mit rund dreißig Mitarbeitern. Unter der Vielzahl der bisher realisierten Bauwerke entdeckt man zum Beispiel die Dachkonstruktion der Arena auf Schalke oder jüngst das Kelten Römer Museum in Manching mit Fischer Architekten, München (siehe db 06/07). Das Büro sieht sich der Stuttgarter Ingenieur-Schule, für die Namen wie Frei Otto, Fritz Leonhardt und Jörg Schlaich stehen, auch durch den beruflichen Lebenslauf von Günter Mayr und Guido Ludescher verbunden, beide waren langjährige Mitarbeiter bei Leonhardt, Andrä und Partner sowie Schlaich, Bergermann und Partner. Dritter Partner neben Mayr Ludescher ist seit 2007 Hubert Busler, Projektverantwortlicher für die Skischanze.

Gefragt, was er für den wesentlichen Aspekt dieser Schule von Konstrukteuren hält, antwortet Busler ohne zu zögern, es sei der Anspruch zur ganzheitlichen, integrativen Mitarbeit am Entwurf. Er selbst begann 1988 mit der Planung der »Eisernen Brücke« in Regensburg seine Mitarbeit. Das Büro, das im letzten Jahr mit den Architekten Wulf und Partner auf der Messe Stuttgart ein 300 m langes, fugenloses Bauwerk fertiggestellt hat, betrachtet die Entwicklung von weitgehend fugen- und lagerfreien Bauwerken als aktuelle Herausforderung des Ingenieurbaus, da gerade Fugen und Lager Schwachpunkte des Ingenieurbaus und überdies noch sehr wartungsintensiv sind. So hat das Büro mit der sogenannten Stützenfederlamelle eine entsprechende Konstruktion entwickelt, die auch bei der Olympiaschanze (im Zuglager unter dem Anlaufbauwerk) Verwendung findet. Dabei handelt es sich um eine elastische Lamelle aus Feinkornbaustahl, die durch Verschweißen eine monolithische Verbindung von Bauteilen herstellt (s. S. 32 unten).

Busler plädiert nachdrücklich für eine Intensivierung der Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren in der Ausbildung; das Fehlen des gegenseitigen Verständnisses der beiden Berufsgruppen hält er für ein gravierendes Manko. Im Magen liegt ihm auch die durch die VOF intendierte unsinnige Vergabepraxis, die häufig nach Wettbewerben den am Entwurf beteiligten Ingenieur zugunsten eines Billigbieters ausmanövriert – obwohl dessen geistige Leistung bereits in das Projekt eingeflossen ist. Das viel zu selten angewendete Verfahren des interdisziplinären Wettbewerbs mit partnerschaftlich beteiligten Architektur- und Ingenieurbüros, wie es übrigens auch bei der Olympiaschanze durchgeführt wurde, bietet seiner Ansicht nach dafür eine sinnvolle Alternative.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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