Bauwerk

Museion
Krüger Schuberth Vandreike - Bozen (I) - 2008

Ein Leuchtturm für die Kunst

Das neueröffnete Museion – die Perle unter Bozens Kulturbauten

Wirtschaftliche Prosperität und politische Autonomie erlaubten es Bozen in den vergangenen Jahren, sich als Bildungs- und Kulturstadt zu profilieren. Neustes Wahrzeichen der Stadt ist das vor wenigen Tagen eröffnete Museion, das sich wie ein Leuchtturm am Rand der Altstadt erhebt.

29. Mai 2008 - Roman Hollenstein
Zwischen lieblichen Weinbergen gelegen und von der Rosengartengruppe überragt, weiss Bozen schnell die Fremden zu bezirzen. Doch bevor man in die Stadt gelangt, gilt es einen chaotischen Industriegürtel zu durchqueren, der mit seinen Fabriken, Bürocontainern und der aufgestelzten Autobahn alle städtebaulichen Schrecken der Moderne in sich zu vereinen scheint. Dahinter aber weitet sich eines der vielfältigsten Stadtgebilde des Alpenraums. Das malerische Zentrum mit seinen Kirchen, Bürgerhäusern und der Laubengasse wird zu den grünen Talfer-Auen hin abgelöst durch eine gründerzeitliche Bebauung, der am jenseitigen Ufer rund um Piacentinis Siegestor eine italienische Gegenwelt antwortet. Deren Prachtstrassen und Platzanlagen verleihen Bozen ein ganz eigenes grossstädtisches Gesicht, gemahnen aber auch an den Faschismus. Vielleicht tat sich die zerstrittene Stadt deswegen nach dem Krieg mit baukünstlerischen Akzenten schwer – sieht man von Luis Plattners Hochhaus am Sernesiplatz oder Othmar Barths Wohnhausklippen unter den Haslacher Porphyrfelsen ab.

Marmortempel und Glaskuben

Nicht zuletzt dank dem Autonomiestatut erlebt die heute 100 000 Einwohner zählende Alpenmetropole seit Jahren eine Wirtschaftsblüte. Der damit einhergehende Versuch einer kulturellen und touristischen Neuerfindung schlug sich bald in architektonischen Eingriffen nieder, mit denen man den Stadtkörper zu verjüngen suchte. Das erste dieser ambitiösen Bauwerke, der pharaonische Marmortempel des 1999 nach Plänen von Marco Zanuso aus Mailand vollendeten Stadttheaters am Verdiplatz, vermochte noch kaum zu überzeugen. Doch wenig später implantierten die Zürcher Architekten Bischoff & Azzola die sachlich kompakten Kuben der neugegründeten Freien Universität Bozen passgenau in die urbanistische Feinstruktur der Altstadt. Mit ähnlichem Können verwandelte der Wiener Boris Podrecca das Traditionshotel «Greif» am Waltherplatz in ein elegantes Refugium, erweiterte es um eine Passagenarchitektur und gab damit der ehrgeizigen Stadt eine neue touristische Adresse.

Bozens eigentlicher Stolz war bis jetzt aber die auf Sprach- und Minderheitenforschung spezialisierte Europäische Akademie (Eurac). Für sie wurde das lange vernachlässigte GIL-Gebäude, ein in der auf Geheiss des Duce mit viel Pomp gestalteten Neustadt gelegenes Meisterwerk des italienischen Rationalismus, vom Wiener Klaus Kada renoviert und – zur Drusus-Brücke hin – um einen über schlanken Rundpfeilern schwebenden Glaskubus ergänzt. Mit dessen städtebaulicher Rhetorik wetteifert die jüngst vom Meraner Büro Höller & Klotzner an der Romstrasse fertiggestellte Landesberufsschule. Nur schade, dass dieses Hauptwerk der neuen Südtiroler Architektur, welches mit einer neorationalistischen Sprache auf die italienisch anmutende Umgebung eingeht, seit dem Abriss von Guido Pelizzaris architektonisch bedeutender Messehalle auf die Leere eines falsch konzipierten Stadtgartens blickt.

Interesse an der Kunst

Höller & Klotzner, die zusammen mit Walter Angonese und Christoph Mayr Fingerle in der Südtiroler Architektenszene den Ton angeben, beteiligten sich im Jahr 2000 auch am Wettbewerb für den Neubau des Museion genannten Museums für moderne und zeitgenössische Kunst. Doch wie bei andern Bozner Grossprojekten erhielt auch hier ein auswärtiges Büro den Zuschlag: nämlich Krüger Schuberth Vandreike (KSV) aus Berlin. Mit seiner zeichenhaften Form, in der man einen Dialog mit Piacentinis noch immer angefeindetem Triumphbogen erkennen kann, rückt nun der Neubau des Museion die bildende Kunst in den Mittelpunkt des Interesses. Wohl hüten die Kirchen und Schlösser der Stadt seit je kostbare mittelalterliche Fresken und Schnitzaltäre; doch fehlte lange ein der Kunst des 20. Jahrhunderts gegenüber aufgeschlossenes Haus. Deshalb wurde 1985 mit Unterstützung der Autonomen Provinz Bozen das mit seinem griechischen Namen gleichsam zwischen der italienischen Mehrheit und der deutschsprachigen Minderheit der Stadt vermittelnde Museion gegründet und 1987 im alten Spital an der Sernesistrasse eröffnet.

Schon bevor das heute vor allem auf das zeitgenössische Schaffen ausgerichtete Museum mit Ausstellungen wie «Kunst und Werbung» international wahrgenommen wurde, machte man sich an die Realisierung des zwischen Universität und Talfer gelegenen Neubaus. Dessen Planer Torsten Krüger, Christiane Schuberth und Bertram Vandreike, die heute zwischen 45 und 47 Jahre alt sind, hatten erstmals 1994 mit einem Projekt für das Bundeskanzleramt auf sich aufmerksam gemacht. Stehen die in Berlin von ihnen realisierten Stadthäuser und das kubische, 2007 in Warnemünde vollendete Institut für Ostseeforschung eher für ein zurückhaltendes Architekturverständnis, so zeugt ihr jüngster Entwurf eines schlaufenförmig verknoteten Geschäftshauses in Stuttgart von einer vertieften Auseinandersetzung mit aktuellen Architekturideen.

Demgegenüber fällt das Museion weniger durch das formale Experiment als vielmehr durch seine Präsenz im Stadtbild auf. Die 25 Meter hohe und 54 Meter lange, mit profilierten Aluminium-Paneelen verkleidete Minimal-Skulptur öffnet sich zur Alt- und Neustadt mit zwei trichterförmigen Vitrinen, deren Glasvorhang von etwas schwerfällig geratenen weissen Stahlstreben gehalten wird. Drehbare Lamellen aus mattiertem Glas, welche die Exponate vor der direkten Sonneneinstrahlung schützen, und die zur Abdunklung dienenden Screens führen dazu, dass sich das bespielte Haus kaum je mit der auf den Computerbildern angepriesenen Transparenz präsentieren wird. Doch das dürfte nur die wenigsten jener 6000 Neugierigen kümmern, die anlässlich der Einweihungsfeierlichkeiten am letzten Samstag das Museion förmlich stürmten – zumal die Glastrichter bestens als Medienfassade funktionieren, wie Anri Sala nun allabendlich mit seiner eher langweiligen Lichtprojektion «Ulysses» beweist.

Widerspenstige Architektur

Im Schatten einer riesigen Zeder betritt man vom stadtseitigen Vorplatz her das luftige Foyer mit Kasse und Museumsshop, von dem der flussseitige Ausstellungsraum durch eine Glaswand abgetrennt ist. Dort führt eine Treppe in die drei oberen Ausstellungsgeschosse, die nach dem «Prinzip der maximalen Flexibilität» unterteilt werden können. Vom freien Raumfluss spürt man aber zunächst wenig: Die Bibliothek präsentiert sich hinter Glasmembranen; und Stellwände sorgen immer wieder für verwinkelte Resträume. Wirklich gelungen ist nur das oberste, an eine Industriehalle erinnernde Geschoss, in welchem die Weite des Gebäudes übergeht in einen faszinierenden Rundblick auf Stadt und Berge.

Hier kann sich die von Corinne Diserens, der aus Genf stammenden neuen Direktorin, eingerichtete Eröffnungsschau «Peripherer Blick und kollektiver Körper» entfalten. Anhand der Werke von über 200 Kunstschaffenden – von Francis Als und Archizoom bis Remy Zaugg und Italo Zuffi – thematisiert sie die Entwicklung des Körperhaften in Kunst, Architektur und Tanz während der letzten fünfzig Jahre. Obwohl im Katalog nicht erwähnt, darf die in wellenförmigen Bewegungen das Museion mit der Neustadt verbindende Doppelbrücke als wichtiges Exponat bezeichnet werden. Dieses von KSV entworfene Meisterwerk entschädigt zudem dafür, dass die hauseigene Sammlung, welche den Anlass zu dieser anregenden, aber etwas thesenlastigen Who-is-who-Schau gab, noch recht schmalbrüstig daherkommt. In Zukunft sollen denn auch vermehrt Arbeiten erworben werden, die von Artists in Residence in der Dépendance des Museion geschaffen werden. So sind denn Programm und Ankaufspolitik ebenso auf Offenheit und Kommunikation angelegt wie das die beiden Stadtteile verbindende Bauwerk. Dass bei der Eröffnung ein gekreuzigter Frosch von Martin Kippenberger einen Skandal auslöste, zeigt aber auch, wie viel Vermittlung noch nötig sein wird, um Bozen zu einem wirklichen Kunstzentrum zu machen. Spätestens anlässlich der diesen Sommer in Südtirol durchgeführten «Manifesta» dürften auch die vereinten Kunstsachverständigen Europas über den Stellenwert des neuen Museion urteilen.

[ Die Eröffnungsausstellung dauert bis zum 21. September. Katalog: Peripherer Blick & kollektiver Körper. Museion, Bozen 2008. 437 S., € 48.–. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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