Bauwerk

Rückbau - Umbau Quartier C4 Ostseeviertel Parkseite
Lüling Rau - Greifswald (D) - 2007
Rückbau - Umbau Quartier C4 Ostseeviertel Parkseite, Foto: Lüling Rau Architekten
Rückbau - Umbau Quartier C4 Ostseeviertel Parkseite, Foto: Lüling Rau Architekten
Rückbau - Umbau Quartier C4 Ostseeviertel Parkseite, Foto: Lüling Rau Architekten
Rückbau - Umbau Quartier C4 Ostseeviertel Parkseite, Foto: Lüling Rau Architekten

Masse mit Klasse

Rück- und Umbau des Wohnquartiers C4 in Greifswald

In Stadtteilen mit großen Leerständen entscheidet nicht Quantität, sondern Qualität über die Vermietbarkeit von Wohnraum. Aus diesem Grund legten Lüling Rau Architekten besonderes Augenmerk auf unterschiedliche Grundrisstypen und private Freisitze, als sie den Plattenbaublock C4 im Greifswalder Ostseeviertel rück- und umbauten.

15. Mai 2008 - Tanja Feil
Es waren richtige Boomzeiten – auch wenn dieser Begriff in der anglophoben DDR politisch unkorrekt war. Doch zwischen 1965 und 1988 wurde in Greifswald nicht gekleckert, sondern geklotzt. Es entstanden fünf neue Wohngebiete in serieller Großtafelbauweise. Von insgesamt über zehntausend neu geschaffenen Einheiten beherbergte das Ostseeviertel „Parkseite“ als zweitgrößte Siedlung ursprünglich etwa 2.200.
Was damals als dringend benötigter Wohnraum errichtet wurde, wandelte sich nach der Wende jedoch zu einem Überangebot: Durch Geburtenrückgang und Abwanderung aufgrund der schlechten Arbeitslage verzeichnet die etwa 55.000 Einwohner starke Hansestadt heute einen Leerstand von rund fünf Prozent. Hinzu kommt, dass die Zuschnitte der vorhandenen Wohnungen meist nicht mehr den Bedürfnissen des Marktes entsprechen. Im Zuge des Stadtumbaus Ost wurde im Ostseeviertel der Bestand um gut dreißig Prozent verringert. So auch im Quartier C4, einer hufeisenförmigen Blockrandbebauung, die Lüling Rau Architekten transformiert haben: Bei dem Plattenbau des Typs „WBS 70 Rostock“ sind unlängst aus 274 alten 172 neue Wohneinheiten entstanden; die Bruttogeschossfläche reduzierte sich dadurch von rund 22.000 auf rund 16.000 Quadratmeter.

Entfernen und Hinzufügen

Die beiden Hauszeilen entlang des Gedser Rings – im Süden und Osten des Grundstücks – schrumpften von ursprünglich sechs auf vier Geschosse, so dass der Hof nun mehr Sonnenlicht erhält. Der Riegel an der nördlich gelegenen Rigaer Straße dagegen staffelt sich in der Höhe: Während sein westlicher Teil über die kompletten sechs Etagen eine Anlage für betreutes Wohnen beherbergt, erhielt der um eine Ebene zurückgebaute Ostteil großzügige Dachterrassenwohnungen. Da das Stadtplanungsamt einen direkten Anschluss an den im Süden des Quartiers verlaufenden Grünzug wünschte, musste der Verbindungsbau zum östlich angrenzenden Wohnquartier weichen; ein eingeschossiger Anbau in der Nordostecke des Blocks wurde ebenfalls abgerissen.
Im Bereich des Betreuten Wohnens schufen Claudia Lüling und Ulrike Rau insgesamt 42 Wohneinheiten mit Gemeinschaftsräumen und Pflegedienst. Ein neuer Aufzug gewährleistet dabei die Barrierefreiheit über alle sechs Etagen. Angebaute Laubengänge in Stahlbetonkonstruktion erschließen vom Erd- bis zum zweiten Obergeschoss die größeren Wohnungen. Da sich ab der dritten Ebene die Organisation der Grundrisse zugunsten kleinerer Einheiten verschiebt, erfolgt der Zugang dort über Mittelgänge. Der neue, eingeschossige Anbau, der sich nach Süden in den Innenhof der Anlage schiebt, nimmt einen vom gesamten Quartier nutzbaren Clubraum auf.

Umorganisieren und Aufwerten

Sämtliche verbliebenen Wohneinheiten ließen die Architektinnen zunächst in den Rohbauzustand zurückversetzen. Dies erleichterte die Umstrukturierung und Neuaufteilung: Während im Bestand Ein- und Dreizimmerwohnungen dominierten, entstanden nun vorwiegend Einheiten mit zwei oder vier Zimmern. Insgesamt ließ sich das Angebot von ursprünglich sechs auf stattliche siebzehn unterschiedliche Grundrisstypen erweitern. Sofern möglich, verzichteten die Planerinnen dabei auf innen liegende Bäder. Besonderen Wert legten sie darauf, jeder Mieteinheit mindestens einen Balkon, eine Loggia oder eine Dachterrasse zuzuordnen. Trotz des engen Kostenrahmens versuchten Lüling Rau Architekten, die Wohnungen so hochwertig wie möglich auszustatten. So finden sich in vielen Wohnungen beispielsweise in die Wandkonstruktion eingebaute Doppelschiebetüren zwischen Wohnraum und Küche oder Handtuchheizkörper in den Bädern.
Auch die Hauseingänge erfuhren eine Aufwertung: Während sich ursprünglich an einigen Stellen zwei Treppenhäuser einen gemeinsamen Hauseingang teilen mussten, besitzt nun jedes einen eigenen Zugang zur Straße und zum Hof. Ziel war es, von der Eingangstür aus möglichst direkte Blickbezüge sowohl zur Treppe als auch zur Hoftür zu schaffen. Das Erdgeschoss bietet weiterhin Trocken-, Fahrrad- und Abstellräume für die Mieter; durch die Neuordnung ließen sich jedoch das Raumangebot optimieren und Fluranteile minimieren.
Als zentrales Thema für die äußere Gestaltung des Ensembles griffen die Planerinnen die vorhandene plastische Ausbildung des Wohnblocks auf und verstärkten diese stellenweise. Die dichte Abfolge von Vor- und Rücksprüngen, von Balkonen und Loggien, die tiefen Dachterrassenausschnitte an der Rigaer Straße sowie die räumlich zurückgesetzten, neuen Hauseingänge schaffen ein lebhaftes, abwechslungsreiches Fassadenbild. Das zurückhaltende Farbkonzept in Gelb-, Grau und Weißtönen ordnet sich der Form unter. Lediglich die rot, blau und grün gestrichenen Hauseingänge sowie der rote Anbau des Clubraums ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Die großformatig an die Blockecken gemalten Straßennamen sollen eine alte Tradition wiederaufleben lassen: Schon zu DDR-Zeiten nutzte man die Giebelseiten von Plattenbauten vielfach für dekorative Zwecke.

Technik: Neue Balkone an alten Platten
von Tanja Feil und Simon Böhm

Um die Attraktivität der Mieteinheiten zu steigern, widmeten Lüling Rau Architekten den Freisitzen besonderes Augenmerk. Sie strebten zum einen eine Erhöhung des Anteils an Balkonen und Terrassen an, zum anderen wollten sie bestehende Freisitze vergrößern. Einige der Wohnungen verfügten bereits über kleine Loggien. Um diese um etwa zwanzig Prozent nach außen zu verlängern, wurden unterhalb der vorhandenen Bodenplatten an den seitlichen Trennwänden stählerne Kragträger befestigt, die nun die verlängerten Balkonplatten tragen.
Der südliche Riegel entlang des Gedser Rings sollte dagegen gänzlich neue Balkone direkt über den Hauseingängen erhalten. Da die Fassade ohnehin bereits stark durch Vorsprünge und Loggien gegliedert war, entschieden sich die Planerinnen gegen komplett vorgestellte – und vergleichsweise leicht zu realisierende – Stahlbalkone, die als fremdes Element die Heterogenität des Ensembles noch verstärkt hätten. Stattdessen wählten sie eine einfache wie intelligente Kragkonstruktion aus Stahlbetonfertigteilen, die sich gut in die Gebäudeansicht einpasst und weitgehend in das etwa zehn Zentimeter starke, neue Wärmedämmverbundsystem aus Polystyrol-Hartschaum eingebunden wurde.
Jeder dieser Balkone besteht grundsätzlich aus drei Betonfertigteilen: einem Winkel aus Bodenplatte und vorderer Brüstung einerseits und zwei seitlichen, L-förmigen Elementen andererseits, die Seitenbrüstung und Stützpfeiler vereinen. Dabei steht der Pfeiler direkt vor der Außenwand, wodurch ein Bild auskragender Balkone erzeugt wird. Dank dieser zusammengesetzten Form aus Brüstungsplatte und Pfeiler konnten die seitlichen Elemente über die gesamte Gebäudehöhe gestapelt werden, so dass entlang der Fassade eine Art durchlaufende Stütze entstand; der schmale, nach oben zeigende Schaft am Rand der Fertigteile dient dabei jeweils als Auflager für das darüber befindliche Bauteil. Anschließend mussten die seitlichen Brüstungsbauteile lediglich an jeweils einer Stelle (am Pfeiler) mit Hilfe von eingemörtelten Bewehrungsstäben im Gebäudebestand verankert und somit gegen ein mögliches Kippen gesichert werden. Wie der Horizontalschnitt auf Seite 38 zeigt, wurden die neuen, seitlichen Fertigteile nicht mittig vor die tragfähigen Bestandsplatten, die senkrecht zur Längsachse des Baukörpers stehen, gesetzt. Beim Bohren wäre man sonst vermutlich auf die Bewehrung gestoßen. Die Rückverankerung musste daher im Bereich der vertikalen Plattenstöße beziehungsweise der Vergusstaschen des Altbaus erfolgen. War diese Distanz überbrückt, galt es, eine effektive Einklebetiefe der Bewehrung von etwa vierzig Zentimetern zu erreichen.
Die angewendete, so genannte Rebar-Befestigungstechnik, die eine statische Ertüchtigung des Bestandes gänzlich erübrigte, erfolgte mit Injektionsmörteln sowie eigens für dieses Objekt entwickelten Edelstahlverbindungen. Sobald die Seitenteile an der Fassade fest verankert waren, konnten die Boden-Brüstung-Winkelplatten auf die seitlichen, L-förmigen Elemente aufgelegt werden. Um Wärmebrücken zu vermeiden, ließen Lüling Rau Architekten die rund vier Zentimeter breite Fuge zwischen der ursprünglichen Bestandsfassade und den neuen Balkonelementen durchgehend mit Mineralwolledämmung der Wärmeleitfähigkeitsgruppe 035 füllen. Zur Lagesicherung der eingehängten Fertigteile schweißten die Monteure kleine Edelstahlbleche zwischen die vorderen und die seitlichen Brüstungen, die sie später vermörtelten beziehungsweise in das Wärmedämmverbundsystem integrierten. Auf diese Weise war es möglich, die Balkone komplett ohne Unterstellgeräte oder ähnliche Hilfsmittel anzubauen. Für zusätzliche Stabilität der gesamten Konstruktion sorgt schließlich die oberste, größere Platte in der Dachebene.

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Für den Beitrag verantwortlich: Metamorphose. Bauen im Bestand

Ansprechpartner:in für diese Seite: Doris Baechlerdoris.baechler[at]konradin.de

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