Bauwerk

Bundesverfassungsgericht - Erweiterung
Schrölkamp Architektur - Karlsruhe (D) - 2007

Nah am Vorbild – nah am Bürger

Erweiterung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe

Seit seiner Gründung im Jahr 19951 hat das Bundesverfassungsgericht seinen Sitz in Karlsruhe. Zunächst im Prinz-Max-Palais untergebracht, bezog es 1969 sein heutiges, von Paul Baumgarten entworfenes Gebäude in unmittelbarer Nähe des Schlosses. Baumgarten hatte dies bewusst nicht als Justizpalast, sondern als Baukörperensemble geplant, das den Eindruck demokratischer Transparenz vermitteln sollte. Raumnot machte die Erweiterung um einen Bürobau notwendig. Das spannungsreiche, denkmalgeschützte Ensemble »weiterzubauen«, gelang den Architekten, indem sie sich am Bestand orientierten, ohne ihn nachzuahmen.

6. August 2008 - Christian Holl
So recht mag man die Aufregung um die Erweiterung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe im Nachhinein nicht verstehen. In dessen Gebäuden, zwischen Schlossplatz und Botanischem Garten am westlichen Rand des vom Karlsruher Schloss aufgespannten Fächers gelegen, war es eng geworden, da seit der Wiedervereinigung die Anzahl der hier verhandelten Verfahren gestiegen ist. Bereits 1995 war das ursprünglich öffentliche Casino im südwestlichsten Baukörper in Büros umgewandelt worden. Eine Aufstockung oder Nachverdichtung des von Paul Baumgarten (1900–84) von 1965–69 errichteten Ensembles aus fünf Pavillons, mit denen er der Idee einer modernen, demokratischen Rechtsprechung ein sehr eigenständiges Gesicht gab, kam aus denkmalpflegerischen Gründen nicht infrage. So entschied man sich, am südwestlichen Ende der Anlage, auf einem kleinen Teilstück des Botanischen Gartens, einen Neubau für vierzig Büros zu errichten. Das Land Baden-Württemberg hatte dem Bund dieses Teilgrundstück angeboten und verkauft. 2002 wurde ein Wettbewerb in einem zweistufigen Verfahren durchgeführt und nach einer Überarbeitungsphase das Berliner Büro Schrölkamp Architektur mit dem Bau beauftragt; nicht zuletzt, weil die Architekten in ihrem Entwurf sensibel Rücksicht auf den Botanischen Garten genommen hatten. Denn der Eingriff in dessen Bestand, wie ihn der vor der Überarbeitung Erstplatzierte Michael Auerbacher vorgeschlagen hatte, der einen aufgeständerten Riegel in die Grünfläche schieben wollte, war auf starke Kritik gestoßen. Eine Bürgerinitiative wollte verhindern, dass Flächen des Botanischen Gartens in Anspruch genommen werden, so wurden die vier Preisträgerentwürfe zur Überarbeitung ausgewählt – die Stadt hatte den Bund, um den Konflikt nicht eskalieren zu lassen, darum gebeten. Doch trotz Überarbeitung und intensiver Gespräche erhielt die Bürgerinitiative ihren Widerstand aufrecht, letztlich jedoch ohne Erfolg. Dabei hatten Schrölkamp Architektur sich intensiv mit der Kritik auseinandergesetzt und ihren ursprünglichen Entwurf in der Überarbeitung deutlich zurückhaltender gestaltet. Überzeugender als die anderen hatte er Rücksicht auf den Botanischen Garten und den denkmalgeschützten Bestand des Bundesverfassungsgerichts genommen, so dass dieser Entwurf nun auch von der Stadt Karlsruhe mitgetragen werden konnte.

Bekenntnis zur Bürgernähe

Dass der 2007 bezogene Neubau inzwischen nicht mehr als Störung empfunden wird, beruht im Wesentlichen darauf, dass er die gleiche Haltung zur Öffentlichkeit ausdrückt, wie sie schon in den älteren Bauten repräsentiert wird. Anders als die Bauten der Bundesstaatsanwaltschaft (Oswald Mathias Ungers, 1998), die als Hochsicherheitstrakte vom Misstrauen gegenüber der Öffentlichkeit sprechen, wird hier die Nähe zum Bürger gesucht. Paul Baumgartens Ensemble, in fünf leichte und elegante, durch Brücken miteinander verbundene Baukörper aufgelöst, verzichtet auf jede Demonstration von Macht. Das höchste Gebäude beherbergt den Sitzungssaal, die inzwischen unterirdisch erweitere Bibliothek schließt sich nordwestlich an, im nordöstlich davon liegenden Gebäude mit Atrium sind die beiden Senate untergebracht. Ähnlich den Bauten Eiermanns für die Expo in Brüssel, wurde auch hier durch eine offene, in die Landschaft eingebettete Struktur, durch eine helle, transparente Architektur ein Zeichen für den Willen gesetzt, sich der Demokratie zu verpflichten. Der dreigeschossige Neubau nimmt Sprache und Struktur des Bestands auf, setzt sich aber in Anmutung und Materialwahl deutlich von ihm ab. Die strukturalistische Idee Baumgartens wird in dem Einzelbaukörper fortgeführt, der wie die bestehenden durch eine verglaste Brücke mit seinem Nachbarn verbunden ist; die offene Struktur des Ensembles, das die angrenzenden Freiräume durchlässig miteinander verbindet, findet hier ihre Fortsetzung. Die Außenkanten des »Neulings« führen die Fluchten der Bestandsbauten fort. Das Erdgeschoss ist gegenüber dem gleichen Geschoss des Bestands um 1,10 Meter abgesenkt, da die Höhe des Gebäudes limitiert worden war; denn zum einen sollte das Neue sich dem Bestand anpassen, zum anderen der Turm der Stadtkirche vom Botanischen Garten aus sichtbar bleiben. Über eine Brücke wird auf Halbgeschossniveau direkt die Treppe erreicht, sie gleicht den Höhenversatz aus, der durch das abgesenkte Erdgeschoss entstand.

Fassaden und Raumschichten

Der Entwurfsidee liegt der Gedanke parallel angeordneter Raumschichten zugrunde; vom Altbau her beginnend mit einen Senkgarten zwischen Neubau und Bestand – ausgelegt mit hellem, das Licht reflektierendem Kies –, darauf folgen der erste Bürobund, der Mittelflur und der zweite Bürobund und schließlich die Pergola, die wiederum gegliedert ist in einen Bedienungsgang, Pflanztröge und freiem Raum vor dem Abschluss der Stahlkonstruktion. Mit dreierlei Fassaden reagieren die Architekten auf die Umgebung. Zum schmalen Raum zwischen Neubau und Bestand, nach Südosten, zeigt sich eine unprätentiöse Pfostenriegelfassade aus anthrazitfarben beschichtetem Aluminium und raumhoher Verglasung, ergänzt durch Elemente aus emailliertem Glas. Die Stirnfassaden sind mit gedämmten Paneelen aus brüniertem Messing verkleidet, das sich den Farben der Umgebung anpasst. Nach Nordwesten, zum Botanischen Garten hin, wird mit einer vorgesetzten, anthrazitfarben beschichteten Stahlstruktur, einer Pergola mit eingesetzten Pflanztrögen aus Glasfaserbeton, zweierlei erreicht. Zum einen bilden die Pflanzen – Bambus, Weißdorn, kleinwüchsige Kiefer und Grüner Schlitzahorn – die Fortführung des Botanischen Gartens in der Vertikalen. Zum anderen stellen sie zusammen mit der vor der Pergola ansteigenden Böschung die gewünschte Distanz zum öffentlichen Raum des Botanischen Gartens her. Denn die Bürgernähe sollte nicht so weit gehen, dass Richter und Mitarbeiter bei der Arbeit gestört werden.

Schatulle für ein wertvolles Organ

Es ist ein einfaches Strukturprinzip: ein Bürobau in Stahlbetonskelettbauweise mit vorgesetzter Aluminiumfassade, der noch um eine Küche im Erdgeschoss, von der aus ein Speisesaal für 48 Personen im ersten Obergeschoss beliefert werden kann, ergänzt wurde. Denn exaltiert sollte der Neubau nicht werden, sich nicht gegenüber Baumgartens Bauten-Ensemble aufspielen, denn letztlich finden sich in ihm nur normale, natürlich belichtete und dem Stand der Technik entsprechend ausgestattete Zellenbüros – ohne aufwendige und experimentelle Technik, ohne Klimaanlage. Über französische Fenster sind die Bürozellen natürlich zu belüften. Angemessen blieben mit 2,9 Mio. Euro auch die Baukosten. Baumgarten hatte über den Untergeschossen aus einer massiven Stahlbetonkonstruktion Stahlskelettbauten errichtet. Mit großen Glasflächen, Holzelementen aus Oregonkiefer und Brüstungen aus edel wirkenden Aluminiumgussplatten hatte er den Gebäuden die ihrer Funktion angemessene Würde und zurückhaltende Eleganz verliehen. Der Neubau nun präsentiert sich als wertvolle Schatulle, erreicht diesen Eindruck durch die einfache Geometrie, das matt glänzende Messing und die anthrazitfarbene Beschichtung der Fassaden und der Pergola. Das Büro Schrölkamp Architektur hat einen Weg gefunden, den Erweiterungsbau dem Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts entsprechen zu lassen. Dabei wurden die Erwartungen an Bürgernähe und Repräsentanz erfüllt und die Achtung vor dem Ensemble Baumgartens gewahrt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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