Bauwerk
Institut für Tropenmedizin
kister scheithauer gross - Hamburg (D) - 2008
Koloss mit Feingefühl
Institut für Tropenmedizin in Hamburg
Die vielerlei verfahrens- wie sicherheitstechnisch hochsensiblen Räume, die das Bernhard-Nocht-Institut zukünftig zusätzlich benötigt, konnten nur in einem Neubau sinnvoll untergebracht werden. Obwohl sie sich gegenüber dem Schumacher-Bau von 1914 einer völlig andersartigen Formensprache bedienen, gelang den Architekten mit subtilen Mitteln die organische Fortführung der städtebaulichen Struktur, die der Bestand vorgibt.
6. August 2008 - Claas Gefroi
»Eure Hoheit, ich vergesse, dass ich in Europa bin. Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie hier.« Selbst einen erfahrenen und weit gereisten Mediziner wie Robert Koch schockierten die Zustände, die er in den Hamburger Gängevierteln, den Armenquartieren der Stadt, antraf. Bereits mehrmals waren große Epidemien ausgebrochen, ohne dass die Stadt viel unternommen hätte, als sich 1892 über das ungefilterte Trinkwasser die asiatische Cholera verbreitete. Die sich schnell in der Stadt ausbreitende Seuche forderte 9000 Menschenleben. Nach der Katastrophe änderten sich endlich die Verhältnisse: Die Trinkwasserfilterung wurde eingeführt, die Gängeviertel abgerissen und das »Institut für Schiff- und Tropenkrankheiten« gegründet, das der tropenmedizinischen Forschung und der Ausbildung von Schiffs- und Kolonialärzten diente.
Das nach seinem ersten Direktor benannte Bernhard-Nocht-Institut wurde zunächst provisorisch in den Räumen des Seemannshauses untergebracht und erhielt 1914 einen Neubau nach Plänen des Hamburger Baudirektors und Leiters der Hochbauabteilung Fritz Schumacher. Schon er hatte Schwierigkeiten mit dem Grundstück auf St. Paulis Geestkante: Zwar ist der Blick über Elbe und Hafen einzigartig, doch der Baugrund ist lang, schmal und von einer beachtlichen Höhendifferenz gekennzeichnet, die Nicht-Hamburger in der vermeintlich platten Hansestadt nicht erwarten würden. Schumacher entwickelte eine Anlage aus drei nebeneinander liegenden Bauten – von Ost nach West – ein Krankenhaus für Tropenkranke, das Institutsgebäude sowie das Tierhaus.
Heute ist das Institut mit rund 400 Mitarbeitern die größte tropenmedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. In seinen High-Tech-Laboren wird an so unheimlichen Erregern wie dem Ebola- oder dem Marburg-Virus geforscht; man stuft die eigenen Forschungsleistungen als »von gesamtstaatlichem wissenschaftspolitischen Interesse« ein. Doch der altehrwürdige Institutsbau wurde zu klein, ein Neubau mit rund 3000 Quadratmetern Nutzfläche nötig. Die im Wettbewerb siegreichen Architekten Kister Scheithauer Gross nutzten die lang gestreckte spitzwinklige Fläche mit einem dreieckigen Baukörper mit gekappter Spitze bis an die Grenzen aus. Und sie gingen das Wagnis ein, Schumachers Backsteinachse mit dem gleichen Material in moderner Form fortzuführen. Modern heißt vor allem: der Verzicht auf jeglichen Bauschmuck oder (Ziegel-)Ornamente. Stattdessen stellen die Architekten den reich gegliederten und geschmückten Altbauten einen nackten, rohen Koloss zur Seite, dessen Schroffheit an ein Felsengebirge denken lässt. Kister Scheithauer Gross begründen den Solitärbau so: »Der vorhandene Schumacher-Bau bildet für die Baukörpergruppe … bereits seinen eigenen baulichen Abschluss und verlangte nicht nach Ergänzung des in sich geschlossenen Ensembles.« Damit macht man es sich etwas zu leicht, denn mit einem neuen Gebäude auf dem Standort des zuvor abgerissenen Tierhauses wird automatisch die alte Struktur mit drei Bauwerken wiederhergestellt – der Neubau muss sich, egal wie, dem historischen Kontext stellen.
Bei genauerer Betrachtung stellt man aber fest: Es gibt Anknüpfungspunkte. Sofort fällt der gläserne zweistöckige Übergang vom Alt- in den Neubau ins Auge, der eine Erschließungsachse des Schumacher-Baus fortführt. Und bemerkenswert ist auch, dass die höchste Dachkante des gestaffelten Neubaus unter der Firstkante des Institutsgebäudes bleibt und den Blick auf dessen Turm nicht verstellt. Die dem Altbau zugewandte Schmalseite inszeniert am Treppenhaus den Blick aufs bauliche Erbe mit einem mehrere Geschosse umfassenden, »Stadtloggia« genannten Fenster. Die übrigen Seiten nehmen mit der Dreiteilung in Sockel, Hauptgeschosse und breitem Dachsims die Fassadeneinteilung von Schumacher subtil auf, ohne sie zu imitieren. Die komplexe Form des Erweiterungsgebäudes ist dagegen betont eigenständig: Das Haus erscheint mit seinen zwei gegenläufig geneigten Dachflächen und den schiefwinkligen Außenwänden und -kanten wie eine Großskulptur, die ihren eigenen Gesetzen folgt – eine Idee, die konsequent umgesetzt wurde. So ist das Dach als fünfte Fassade ebenfalls mit dem homogenen Klinkerkleid bedeckt, technisch gelöst durch Betonfertigteile, in die die Steine eingefügt wurden. Die wenigen Fenster sind zweigeteilt: ein größeres für Ausblicke des Personals und ein schmaleres darüber als zusätzliche »Lichtleiste«. Sie sitzen allesamt in tiefen Laibungen, wodurch der Eindruck martialischer Schießscharten erweckt wird.
Der abweisende Baukörper zeigt klar an, dass seine Nutzung einen Hochsicherheitstrakt erfordert. Im Inneren werden Labore und Tierhaltung konsequent in der Vertikalen voneinander getrennt. In den beiden Kellergeschossen wurde die Tierzucht und -haltung untergebracht, in den oberen Etagen die Laborräume für Virologie und Parasitologie, darunter solche der höchsten Sicherheitsstufe 4 sowie Büros und ein Insektarium. Selbst die beiden Aufzüge verkehren aus hygienischen Gründen nur jeweils zwischen den oberirdischen oder unterirdischen Stockwerken. Die Verteilerebene des Erdgeschosses ist aus Sicherheitsgründen nicht von der Straße, sondern nur über die Glasbrücke zwischen Alt- und Neubau zu betreten. Die Innenausstattung ist bei einem solchen Zweckbau nüchtern und funktional. Doch es gelingt den Architekten, an der einen oder anderen Stelle doch aus dem starren Korsett auszubrechen: So sind einige Fenster um Gebäudeecken herumgezogen, um den Ausblick weiter zu fassen, und in der stumpfen Spitze gibt es einen neun Meter hohen, quasi zweckfreien Raum, das Reflektorium, das dem Zwiegespräch und Nachdenken dient.
Felsen, Burg, Bunker: Die durch das neue Tropenhaus geweckten Assoziationen gefallen nicht jedem, doch sie passen zu Ort und Nutzung des Gebäudes. Und die Architekten knüpfen an die Hamburger Baugeschichte (nach Schumacher) an. So ist die gestalterische Nähe zu Werner Kallmorgens schnörkellosem monolithischen Kaispeicher A, der derzeit zur Elbphilharmonie umgebaut wird, überhaupt nicht zu übersehen. Wer hätte das gedacht: Ausgerechnet Kölner Architekten reihen sich mit einem äußerst sperrigem, aber kraftvollen Bauwerk in die Traditionslinie Hamburger Backsteinarchitektur ein und führen sie in die Zukunft fort. Der kleine rote Stein ist noch lange nicht tot.
Das nach seinem ersten Direktor benannte Bernhard-Nocht-Institut wurde zunächst provisorisch in den Räumen des Seemannshauses untergebracht und erhielt 1914 einen Neubau nach Plänen des Hamburger Baudirektors und Leiters der Hochbauabteilung Fritz Schumacher. Schon er hatte Schwierigkeiten mit dem Grundstück auf St. Paulis Geestkante: Zwar ist der Blick über Elbe und Hafen einzigartig, doch der Baugrund ist lang, schmal und von einer beachtlichen Höhendifferenz gekennzeichnet, die Nicht-Hamburger in der vermeintlich platten Hansestadt nicht erwarten würden. Schumacher entwickelte eine Anlage aus drei nebeneinander liegenden Bauten – von Ost nach West – ein Krankenhaus für Tropenkranke, das Institutsgebäude sowie das Tierhaus.
Heute ist das Institut mit rund 400 Mitarbeitern die größte tropenmedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. In seinen High-Tech-Laboren wird an so unheimlichen Erregern wie dem Ebola- oder dem Marburg-Virus geforscht; man stuft die eigenen Forschungsleistungen als »von gesamtstaatlichem wissenschaftspolitischen Interesse« ein. Doch der altehrwürdige Institutsbau wurde zu klein, ein Neubau mit rund 3000 Quadratmetern Nutzfläche nötig. Die im Wettbewerb siegreichen Architekten Kister Scheithauer Gross nutzten die lang gestreckte spitzwinklige Fläche mit einem dreieckigen Baukörper mit gekappter Spitze bis an die Grenzen aus. Und sie gingen das Wagnis ein, Schumachers Backsteinachse mit dem gleichen Material in moderner Form fortzuführen. Modern heißt vor allem: der Verzicht auf jeglichen Bauschmuck oder (Ziegel-)Ornamente. Stattdessen stellen die Architekten den reich gegliederten und geschmückten Altbauten einen nackten, rohen Koloss zur Seite, dessen Schroffheit an ein Felsengebirge denken lässt. Kister Scheithauer Gross begründen den Solitärbau so: »Der vorhandene Schumacher-Bau bildet für die Baukörpergruppe … bereits seinen eigenen baulichen Abschluss und verlangte nicht nach Ergänzung des in sich geschlossenen Ensembles.« Damit macht man es sich etwas zu leicht, denn mit einem neuen Gebäude auf dem Standort des zuvor abgerissenen Tierhauses wird automatisch die alte Struktur mit drei Bauwerken wiederhergestellt – der Neubau muss sich, egal wie, dem historischen Kontext stellen.
Bei genauerer Betrachtung stellt man aber fest: Es gibt Anknüpfungspunkte. Sofort fällt der gläserne zweistöckige Übergang vom Alt- in den Neubau ins Auge, der eine Erschließungsachse des Schumacher-Baus fortführt. Und bemerkenswert ist auch, dass die höchste Dachkante des gestaffelten Neubaus unter der Firstkante des Institutsgebäudes bleibt und den Blick auf dessen Turm nicht verstellt. Die dem Altbau zugewandte Schmalseite inszeniert am Treppenhaus den Blick aufs bauliche Erbe mit einem mehrere Geschosse umfassenden, »Stadtloggia« genannten Fenster. Die übrigen Seiten nehmen mit der Dreiteilung in Sockel, Hauptgeschosse und breitem Dachsims die Fassadeneinteilung von Schumacher subtil auf, ohne sie zu imitieren. Die komplexe Form des Erweiterungsgebäudes ist dagegen betont eigenständig: Das Haus erscheint mit seinen zwei gegenläufig geneigten Dachflächen und den schiefwinkligen Außenwänden und -kanten wie eine Großskulptur, die ihren eigenen Gesetzen folgt – eine Idee, die konsequent umgesetzt wurde. So ist das Dach als fünfte Fassade ebenfalls mit dem homogenen Klinkerkleid bedeckt, technisch gelöst durch Betonfertigteile, in die die Steine eingefügt wurden. Die wenigen Fenster sind zweigeteilt: ein größeres für Ausblicke des Personals und ein schmaleres darüber als zusätzliche »Lichtleiste«. Sie sitzen allesamt in tiefen Laibungen, wodurch der Eindruck martialischer Schießscharten erweckt wird.
Der abweisende Baukörper zeigt klar an, dass seine Nutzung einen Hochsicherheitstrakt erfordert. Im Inneren werden Labore und Tierhaltung konsequent in der Vertikalen voneinander getrennt. In den beiden Kellergeschossen wurde die Tierzucht und -haltung untergebracht, in den oberen Etagen die Laborräume für Virologie und Parasitologie, darunter solche der höchsten Sicherheitsstufe 4 sowie Büros und ein Insektarium. Selbst die beiden Aufzüge verkehren aus hygienischen Gründen nur jeweils zwischen den oberirdischen oder unterirdischen Stockwerken. Die Verteilerebene des Erdgeschosses ist aus Sicherheitsgründen nicht von der Straße, sondern nur über die Glasbrücke zwischen Alt- und Neubau zu betreten. Die Innenausstattung ist bei einem solchen Zweckbau nüchtern und funktional. Doch es gelingt den Architekten, an der einen oder anderen Stelle doch aus dem starren Korsett auszubrechen: So sind einige Fenster um Gebäudeecken herumgezogen, um den Ausblick weiter zu fassen, und in der stumpfen Spitze gibt es einen neun Meter hohen, quasi zweckfreien Raum, das Reflektorium, das dem Zwiegespräch und Nachdenken dient.
Felsen, Burg, Bunker: Die durch das neue Tropenhaus geweckten Assoziationen gefallen nicht jedem, doch sie passen zu Ort und Nutzung des Gebäudes. Und die Architekten knüpfen an die Hamburger Baugeschichte (nach Schumacher) an. So ist die gestalterische Nähe zu Werner Kallmorgens schnörkellosem monolithischen Kaispeicher A, der derzeit zur Elbphilharmonie umgebaut wird, überhaupt nicht zu übersehen. Wer hätte das gedacht: Ausgerechnet Kölner Architekten reihen sich mit einem äußerst sperrigem, aber kraftvollen Bauwerk in die Traditionslinie Hamburger Backsteinarchitektur ein und führen sie in die Zukunft fort. Der kleine rote Stein ist noch lange nicht tot.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel
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