Bauwerk

Stadthaus
Waugh Thistleton Architects LTD - London (GB) - 2008
Stadthaus, Foto: Sissi Slotover-Smutny
Stadthaus, Foto: Sissi Slotover-Smutny
Stadthaus, Foto: Sissi Slotover-Smutny

Holz in the City

Stadthaus in London

21. März 2009 - Karin Triendl
War Shoreditch im Osten von London noch vor ein paar Jahren nur wenigen bekannt, zieht es seit kurzem immer mehr Holzbauinteressierte in diesen Stadtteil. Umgeben von Backsteinhäusern wurde dort das höchste Massivholzgebäude Europas fertiggestellt. Das Londoner Architekturbüro Waugh Thistleton wollte auf dem 305 m² großen Eckgrundstück etwas Neues ausprobieren, dabei stand der Umweltgedanke an erster Stelle seiner Überlegungen. Intensive Gespräche mit Statikern und Technikern ergaben, dass ein Projekt in Stahlbeton bezogen auf seine mittlere Lebensdauer signifikante CO2-Emissionen zur Folge hätte. Aufgrund seiner Fähigkeit, CO2 in Form von unschädlichem Kohlenstoff zu speichern, fiel damit die logische Wahl auf den Baustoff Holz.

Man entschied sich für eine Konstruktion aus vorgefertigten Brettsperrholz-Elementen und konnte in Zusammenarbeit mit Planern, Technikern und dem österreichischen Hersteller alle Details zur Erfüllung der geforderten schallschutztechnischen und statischen Vorgaben lösen.

Der 29,75 Meter hohe Wohnturm auf quadratischem Grundriss mit 17,5 Metern Seitenlänge besteht aus acht Geschossen in Massivholzbauweise über einem in Stahlbeton errichteten Sockelgeschoss. Wand- und Deckenelemente bilden eine wabenartige Tragstruktur, welche durch längs und quer angeordnete Trennwände innerhalb der einzelnen Geschosse vertikal ausgesteift wird. Die 14,60cm dicken Deckenelemente wurden über Stufenfalze gestoßen, mit Diagonalverschraubungen zu Scheiben ausgebildet und übernehmen dadurch die horizontale Aussteifung.

Laut britischer Bauvorschrift muss bei mehrgeschossigen Bauten verhindert werden, dass mehr als 10 % einer Geschossdecke infolge eines Bauteilkollapses in sich zusammenstürzen. Die geforderten statischen Nachweise erfolgten in Form von Einzelberechnungen für alle lastabtragenden Elemente. Ihre Auswirkung findet man in einer Vielzahl konstruktiver Detailausführungen wie z.B. Stahlwinkel, welche die Wände an der Deckenunterseite fixieren und nach oben anhängen.

Eine weitere Herausforderung bildeten die frei in der Wabenstruktur des Gebäudes stehenden Aufzugsschächte. Die bis zu 11,50 Meter hohen Massivholzelemente tragen die Lasten des Aufzugs und sich selbst. Zur Erhöhung der Stabilität liegen die Stöße der Schachtwände höhenversetzt zu den rechtwinkelig anschließenden und konnten so ineinander verzahnt werden. Um den Aufzug schalltechnisch zu entkoppeln und die Vibrationen zu dämpfen, wurden zwei Brettsperrholz-Wände aneinandergefügt und mit Gipskartonplatten vom Restbau getrennt.

Wände und Podeste der Treppenhäuser bestehen ebenfalls aus Massivholz-Platten. Für die Treppenläufe kamen Hohlformen aus Stahl zum Einsatz, welche nach der Montage mit Beton verfüllt wurden.

In Großbritannien muss öffentlichen Gebäudebereichen, baurechtlich gesehen, lediglich eine bestimmte Feuerwiderstandsklasse zugeordnet werden, welche aber nicht an die Brennbarkeit der Baustoffe gebunden ist. Daher gab es auch in diesem Punkt keine besonderen Hindernisse für die gewählte Holzkonstruktion. Weil die Treppenhäuser des Murray Grove Towers die einzigen Fluchtwege sind, müssen sie 120 Minuten Brandwiderstand erreichen. Alle anderen Bereiche müssen in F60, lastabtragende Elemente in F90 ausgeführt sein. In den Wohnungen erfüllen abgehängte Decken, Zementestrich und Trittschalldämmung sowohl Brandschutz- als auch Schallschutzanforderungen. Ab einer Höhe von 30 Metern hätten sich allerdings einige Vorgaben geändert, daher blieben die Architekten mit 29,75 Metern Höhe bewusst unter dieser Grenze.

Für die äußere Hülle wurden Licht- bzw. Schattenverhältnisse der umliegenden Bäume und Gebäude in ein aus 5000 Einzelpaneelen bestehendes Pixelbild umgesetzt. Die vorgehängte Fassade besteht aus mit 70% recyceltem Holz hergestellten Faserzementplatten und einer darunterliegenden Außenwanddämmung aus Polyurethanschaum.

Offensichtlich wurde mit diesem Projekt ein großes Potenzial für mehrgeschossige Massivholzgebäude in der Stadt entdeckt. Denn trockene Baustellen, kurze Bauzeiten und nicht zuletzt der Umstand, dass dem Umweltgedanken Rechnung getragen wird, sprechen für das Material Holz. Zudem liegen die Herstellungskosten mit rund 3,75 Mio Euro niedriger als die Kosten für ein vergleichbares Stahlbetongebäude.

Insgesamt wurden 950 m³ Holz per LKW aus Katsch an der Mur angeliefert und direkt an der endgültigen Position verbaut. Das war notwendig, weil Baustelleneinrichtungen in London sehr teuer sind. Die Montage dauerte nur neun Wochen und ersparte dem Bauträger im Vergleich zu herkömmlichen Baustellen fast ein halbes Jahr an Bauzeit.

Nachdem das höchste Massivholzhaus in Europa in nur 18 Monaten von Planungsbeginn bis zur Schlüsselübergabe realisiert werden konnte, zudem der Atmosphäre trotz langer Transportwege rund 125 Tonnen CO2 erspart bleiben und der damit entstandene Wohnraum auch noch leistbar angeboten wurde, ist es wohl kein Wunder, dass die im Schnitt 60 m² großen Apartments innerhalb von 1 1/2 Stunden nach Verkaufseröffnung vergeben waren. (Zeitschrift Zuschnitt 33, 2009; Seite 10ff.)

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Für den Beitrag verantwortlich: zuschnitt

Ansprechpartner:in für diese Seite: Kurt Zweifelzweifel[at]proholz.at

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