Bauwerk

Wohnhof Orasteig
PPAG - Wien (A) - 2009
Wohnhof Orasteig, Foto: Roland Krauss
Wohnhof Orasteig, Foto: Roland Krauss

Zwölf Farben im Nest

Am nördlichen Stadtrand von Wien setzten die PPAG Architekten den halbrunden Schlussstein der Wohnhausanlage Orasteig. Motto im ganzen Haus: Individualität und Gemeinschaftssinn.

11. April 2009
Vor einigen Jahren startete die Stadt Wien ein Wohnbauprogramm unter dem Titel „Neue Siedlerbewegung“. Ziel der ambitionierten Initiative war die Eindämmung des Speckgürtels und des wuchernden Einfamilienhausteppichs am Rande der Stadt.

Die ersten Grundstückswidmungen für das Wohnen in urbaner Nähe wurden 2004 vorgenommen. Die meisten Bauträger schlichteten ihre Ideen des „Neuen Siedelns“ in kompakte Kleingartenanlagen. Anders die beiden Wohnbauträger EGW Heimstätte und Heimat Österreich.

Seit ein paar Tagen ziehen die neuen Bewohner bereits mit Sack und Pack in die neue Wohnhausanlage am Orasteig, geplant vom Wiener Architekturbüro PPAG. Statt kleiner Einzelhäuschen vom Band gibt's eine heterogene vierstöckige Bebauung, die vor allem in chromatischer Sicht überaus auffällig ist. In insgesamt zwölf Farben pinselten die beiden Architekten Georg Poduschka und Anna Popelka bestimmte Farbfelder an der Fassade an und leisten damit auf ihre Weise einen Beitrag zur ganzjährigen Osterfeierei.

„Die Farbgestaltung ist eine sehr effiziente Möglichkeit, um so einer Wohnanlage die Eintönigkeit zu nehmen“, erklärt Georg Poduschka während eines Spaziergangs zwischen den Häusern. Der Appell an die Individualität geht weiter, als man es dem Haus auf den ersten Blick ansieht. „Der Eingriff ist groß“, sagt der Architekt, „wir haben die Fassadenfarbe bis in die Wohnungen hereingezogen.“ Das abendliche Lümmeln auf der Wohnzimmercouch ist in Zukunft eine Angelegenheit zwischen Zitronengelb, Lavendelton und Himmelblau.

Keine Sorge, es musste niemand zwangsbeglückt werden. „Auf Sonderwunsch gab es weiße Wände im Wohnzimmer - ganz ohne Aufzahlung“, so Poduschka. Das Konzept des bunten Wohnens scheint dennoch aufgegangen zu sein: 80 Prozent der Mieterinnen und Mieter haben sich dafür entschieden, die Farbe zu belassen.

Doch die Individualität geht weit darüber hinaus. Keine der rund 170 Wohnungen gleicht einer anderen. Wie in einem Tetris-Spiel mit höchstem Schwierigkeitsgrad sind die einzelnen Wohneinheiten - ganz gleich, ob Loft, Familienwohnung oder Maisonette - ineinandergesteckt und unlösbar miteinander verkeilt. Bisweilen passiert es, dass sich der Stiegenlauf von Nachbars Maisonette als Relief im eigenen Wohnraum abdrückt.

Haus der kurzen Wege

Warum diese komplizierte Verschachtelung der einzelnen Wohnungen? Schließlich fallen die Eingangstüren spätestens bei Schlüsselübergabe ins Schloss und bleiben für den Großteil der Bewohner uneinsichtig. „Ich bin davon überzeugt, dass man die Individualität dem Gebäude auch dann ansieht, wenn man nicht mehr ungehindert in jede Wohnung gelangen kann“, erklärt Georg Poduschka, „es ist ein Unterschied, zu wissen, ob über und unter mir an exakt der gleichen Stelle die Ehebetten deckungsgleich übereinanderliegen oder nicht.“

Auch einen weniger emotionalen Grund kann der Architekt vorbringen. „Wir wollten die Wege von der Wohnungstür bis in den Garten auf das absolute Minimum verkürzen.“ Fazit: Von den Wohnungstüren im ersten Stock sind es keine fünf Meter, bis man im Hof steht. Aus anderen Wohnungen benötigt man im weitesten Falle 20, 30 Schritte.

Was die Gemeinschaftsräume in der Wohnhausanlage betrifft, haben sich die Architekten gemeinsam mit dem Planer Robert Korab etwas Besonderes einfallen lassen: Anstatt das Baubudget bis zum letzten Cent auszuschöpfen, können über die letzten paar Tausend Euro nun die Bewohnerinnen und Bewohner selbst verfügen. In den kommenden Versammlungen werden sie mithilfe eines Mediators klären, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Community-Organizing nennt sich das im Fachjargon.

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