Bauwerk

Wohnhaus am Moselufer
Hermann & Valentiny - Wormeldange (L) - 2007

Kunstgriff

Wohnhaus am Moselufer in Wormeldange (L)

Ein kleines Weindorf an der Mosel, ein Grundstück inmitten eines Weinbergs, ein Künstler als Bauherr und ein Bebauungsplan, der Kubatur, Geschosshöhen und Dachneigung sehr genau vorgab. Dass die ungewöhnliche »Wohnskulptur« am Ortseingang so verwirklicht werden konnte, wie es der Bebauungsplan gerade nicht vorsah, ist der fantasievollen Klassifizierung einzelner Bauelemente zu verdanken – dem Baurecht wurde somit Genüge getan, und der Bauherr kann sich über ein besonderes Wohnerlebnis in exponierter Lage freuen.

1. Mai 2009 - Karl R. Kegler
Der mit rostrotem Corten-Stahl verkleidete Bau ist das Haus eines Diplomaten. Die Mosel ist hier etwa achtzig Meter breit; in ihrer Mitte verläuft die Grenze zwischen Luxemburg und Rheinland-Pfalz. Von der Terrasse über dem Ufer geht der Blick von der luxemburgischen auf die deutsche Seite.

Das korrodierte Verkleidungsmaterial mag zunächst gar nicht zu den Assoziationen passen, die man im Kopf mit den Weinbergen und Winzerstädtchen an der Mosel verbindet. Vor Ort stellt sich freilich keinerlei Disharmonie mit der Landschaft ein. Auf luxemburgischer Seite geht am Moselufer die gut ausgebaute Nationalstraße 10 direkt vor dem Haus entlang; die Hänge werden von natursteinverkleideten Böschungsmauern begleitet. Der Ort ist kein romantisches Idyll, sondern merklich durch die Eingriffe von Verkehr und Flurbereinigung in die Landschaft gekennzeichnet. Der Gebrauch eines industriellen Materials wirkt in diesem Umfeld keineswegs deplaziert.

Zwischen Hang und Strasse

Die Widersprüche, die sich aus der reizvollen Aussicht über die Mosel hinweg einerseits und der exponierten Lage an der Straße andererseits ergeben, sind an der heterogenen Nachbarbebauung abzulesen, deren Bewohner sich mit Sichtschutzpflanzungen vor unerwünschten Einblicken zu schützen suchen. Architekt und Bauherr haben hier einen anderen Weg gewählt. Die zur Mosel gewandte Fassade des 2007 fertiggestellten Baus ist vollständig verglast. Als Sonnenschutz für die südostorientierte Fassade dient ein vor das Haus gestelltes 2,30 Meter tiefes Bauteil von gleichem Umriss, gleicher Höhe und Breite wie das Haus. Ohne den Ausblick zu behindern, schirmt dieser »Portalgiebel« das Innere vor unerwünschten seitlichen Einblicken wie vor dem störenden Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos ab. Es ist der formalen Konsequenz des Entwurfs geschuldet, dass sich dieses höchst ungewöhnliche Bauteil, stringent aus der übrigen Struktur des Hauses ergibt. Die schlichte Kubatur eines giebelständigen Hauses mit Satteldach, die der Bebauungsplan vorgegeben hatte, wird an den Längsseiten durch drei cortenverkleidete Segmente gegliedert, die das Haus vom Boden bis zum First wie Klammern umschließen. Zwischen den Segmenten verlaufen Fugen aus Glas, die ebenfalls vom Boden bis zum First reichen. Die vertikalen Fensterbänder versorgen das Innere des in den Hang hineingebauten, elf Meter tiefen Hauses wirkungsvoll mit natürlichem Licht. Die vor das Haus gestellte Struktur bildet ein weiteres, viertes Segment, das nicht mehr zum Haus gehört, dessen Proportionen aber optisch verlängert. Durch diesen Kunstgriff entsteht ein Wechselspiel zwischen dem umbauten Volumen und der angedeuteten größeren Form. Die einzigen außen verwandten Materialien sind der rohe Corten-Stahl und transparentes Glas. Der kunstinteressierte Bauherr, der einen Teil seiner Freizeit der Malerei widmet, war von der sachlich-schlichten Architektursprache ebenso begeistert wie vom Kontrast dieser Materialien.

Von den drei Geschossen plus Dachgeschoss, die vom Straßenniveau aufragen, verschwinden zwei Geschosse im ansteigenden Hang. Küche und Essplatz sind im ersten Geschoss zur Straße hin angeordnet. Der Wohnbereich befindet sich auf gleicher Ebene auf der gegenüberliegenden Hangseite. Auch diese Zone ist großzügig, hell und freundlich. Sein Licht erhält der hier zweigeschossige Wohnbereich durch den Luftraum einer Galerie, die sich zu einer Terrasse auf der Hangseite öffnet. Zudem ist das Wohngeschoss, von außen unsichtbar, etwa 1,50 Meter tiefer in den Hang hineingebaut und erhält zusätzliche Helligkeit direkt von oben durch ein Oberlicht. Der Bebauungsplan hätte es zugelassen, den Hang auf dieser Seite ¬tiefer abzugraben, um den rückwärtigen Teil des ersten Geschosses durch Souterrainfenster zu belichten. Dass dies nicht geschah, hat zwei Gründe: Neben die Abneigung gegenüber einer Souterrainbelichtung trat das Problem, eine tiefere Abgrabung am Hang aufwendig abfangen zu müssen.

In der Hochwasserzone

Für die unterste Ebene wurden keine hochwertigen Nutzungen vorgesehen, da die Lage am Ufer der Mosel die Gefahr von Überschwemmungen mit sich bringt. Hier befinden sich lediglich Garage, Garderobe und unbelichtete Nebenräume. Der Hausanschlussraum liegt folgerichtig im ersten Stock. Schon die Bauphase führte die Sinnfälligkeit dieser Entscheidung vor, als ein Moselhochwasser bis zur Baustelle reichte, die durch einen Erdwall abgesichert werden musste. Die Konstruktion ist konventionell. Die ersten zwei Geschosse wurden in Stahlbeton errichtet, das dritte Geschoss gemauert. Das Dach ist ein herkömmliches Sparrendach. Die Verkleidung mit Blechen aus Corten-Stahl wurde aufgeschraubt. Als wasserführende Schicht liegt unter den Blechen eine Kunststofffolie.

Die Wärmeversorgung des Hauses wird durch zwei oberflächennahe Geothermiebohrungen von achtzig Metern Tiefe gewährleistet, die an einen Wärmetauscher angeschlossen sind. Der sonnenexponierte Hang, ein ehemaliger Weinberg, speichert in der Tiefe über das Jahr mehr als genug Wärmeenergie, um die Versorgung in der kalten Jahreszeit sicherzustellen. Im Sommer wird das Haus natürlich gekühlt. Die offenen Treppen und Grundrisse, ohnehin ein Merkmal des gesamten Baus, erlauben eine ungehinderte Luftzirkulation. Die natürliche Thermik bewirkt den Temperaturausgleich zwischen den kühleren Untergeschossen, die in die Erdmasse des Hangs eingebettet sind, und den exponierteren Obergeschossen. Die Glasflächen auf dem Dach können automatisch verschattet werden.

»möglich« und »erlaubt«

Dass gerade die Besonderheiten, die zur Originalität und Qualität des Entwurfs beitragen, aus baurechtlicher Perspektive ein Problem dargestellt haben, gehört zur Geschichte des Projektes. Durch einen Teilbebauungsplan, der drei benachbarte Parzellen am Ortseingang erfasste, waren bei Beginn der Planung Gebäudeform, Baugrenzen, Bauhöhe bereits genau bestimmt. Der vorgegebene giebelständige Haustyp mit Satteldach, der in der Darstellung des Bebauungsplans ein wenig an die Proportionen der bekannten -Monopoly-Häuschen erinnert, findet sich in der unmittelbaren Nachbarschaft nirgends. Gerade die uneinheitliche Umgebung, die ganz verschiedene Haustypen vorweist, dürfte aber dazu beigetragen haben, dass nach einer stärkeren Einheitlichkeit gesucht wurde. Für sich genommen begründet sich die giebelständige Grundform sinnvoll aus dem Zuschnitt der drei relativ schmalen und tiefen Parzellen, in die ein ehemaliger Weinberg aus dem Besitz der Familie des Bauherrn geteilt wurde. Der Bebauungsplan wurde in Abstimmung mit den Grundbesitzern von einem Architekturbüro in Esch-sur-Alzette entwickelt.

Ein Portalgiebel war in dieser Planung natürlich nicht vorgesehen. Genehmigungsrechtlich wurde das vor das Haus gestellte, skulpturale Segment daher erst über seine Klassifizierung als »Dachüberstand« möglich. Die geringfügige Erweiterung des Wohnbereichs in den Hang hinein stellte sich ebenfalls als Problem dar. Der über die Baugrenze hinausreichende Abschnitt wurde schließlich als (unterirdischer) »Erker« genehmigt. Eine Glasscheibe markiert die Grenze, ab der dieser Erker in einen ebenfalls baurechtlich erlaubten »Lichtschacht« übergeht.

Das Ziel des Teilbebauungsplans, an dieser Stelle des Ortseingangs eine möglichst ruhige, einheitliche Bebauung zu erhalten, ist durch das auffallende Haus relativiert. Die Realisierung des Projekts spricht andererseits für die Präsenz und für die Akzeptanz von interessanter zeitgenössischer Architektur im ländlichen Raum. In dieser Hinsicht lohnt sich durchaus ein Blick an die luxemburgische Mosel. Eine Reihe von spannenden Projekten ist in den Nachbargemeinden Wellenstein, Remich, Remerschen oder Schengen zu entdecken. Der kleine Ort Wormeldange leistet sich als beratendes Gremium eine mit Fachleuten besetzte Bautenkommission, die den Bürgermeister bei der Genehmigung von Projekten berät.  Diese Kommission äußerte sich positiv zu der vorgestellten Planung und befürwortete auch die für diesen Standort ungewöhnliche Verkleidung des Hauses mit Corten-Stahl. Weniger die Haltung von Kommission und Bürgermeister als der Druck durch klagende Nachbarn zwingt die Gemeinde im Alltag aber zu einer immer strikteren Einhaltung des Baureglements. Ermessungsspielräume werden dadurch vermindert, Entscheidungen auf Gerichte verlegt. In diesem Fall unterblieb eine gerichtliche Auseinandersetzung nur deshalb, weil die formalen Einspruchsfristen bereits verstrichen waren, als von einem Nachbar Klage eingereicht wurde. Ein Haus mit vergleichbaren Abweichungen vom Bebauungsplan wird es an dieser Stelle daher wohl nicht mehr geben, auch wenn eine unmittelbar benachbarte Bauparzelle noch frei ist. Das rostrote Wohnhaus an der Mosel bleibt ein einmaliger Kunstgriff.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

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