Bauwerk
Logistikzentrum Erbe Elektromedizin
Architekturbüro Schmitt - Tübingen (D) - 2008
Kultiviertes Hochregal
Logistikzentrum Erbe Elektromedizin in Tübingen
Hochregallager stehen zumeist in der Landschaft wie die Kaaba von Mekka: kontext- und maßstabslos, unzugänglich und dunkel, ein Fall für Dekorateure. Doch damit gaben sich Architekt und Bauherr hier nicht zufrieden. Sie gestalteten den Block nicht nur mit Finesse, sie »verpackten« ihn auch mit Büros, die dem Logistikzentrum ein Gesicht geben.
4. Juni 2009 - Christoph Gunßer
Der Logistikplaner hätte halt eine Kiste hingesetzt, womöglich an einem geräumigeren, verkehrsgünstigeren Standort. Das schwäbische Familienunternehmen, das in Tübingen seit über 150 Jahren Medizintechnik entwickelt und produziert, wollte aber sein High-tech-Image im neuen Gebäude repräsentiert sehen und legte Wert auf kurze Wege zwischen Produktion und Lagerbetrieb. Also wandte man sich wieder an den »Hausarchitekten«, der bereits seit 25 Jahren die bauliche Entwicklung am einzigen Standort der Firma im Tübinger Vorort Derendingen gestaltet. Verwaltung, Forschung und Produktion waren von ihm linear entlang der angrenzenden Kreisstraße aufgereiht worden und sollten nun im neuen Lager und Verteilzentrum am südlichen Ende ihren – vorläufigen – logischen Abschluss finden.
Eine engagierte Mitarbeiterin übernahm das Projekt; etliche Varianten wurden ausgearbeitet, um eine sinnvolle Integration des Anbaus in den Bestand, eine praktikable Erschließung für Lieferanten und – nicht zuletzt – auch ein schlüssiges Erscheinungsbild zu erreichen. Die Hierarchie der Funktionen, mit der Verwaltung als Kopf, sollte gewahrt bleiben und »der Kopf nicht mit dem neuen Schwanz wedeln«, so der Wunsch des Bauherrn.
Komplexes logistisches Raumprogramm
Gleichwohl würde das neue Hochregallager mit knapp fünfzehn Metern Höhe den ein- bis zweigeschossigen Bestand mächtig überragen. Das Raumprogramm sah auf gut 1500 Quadratmetern sechs verschiedene Lagerbereiche vor: ein automatisches Kistenlager mit Platz für knapp 5000 Tablare von der Größe eines Backblechs – hier werden kleinere Pakete von rasant auf- und abgleitenden Hebezeugen verwaltet; nur fünf bis zehn Sekunden dauert ein Zugriff in dieses Depot. Daneben gibt es das eigentliche Hochregallager für größere Traglasten, wo – ebenfalls führerlose – Gabelstapler mit regulären Paletten bis zu einer Lagerhöhe von 11,75 Metern hantieren. 14 562 Kisten und Geräte finden hier Platz, sowohl für den Warenein- als auch den -ausgang. Verstaut wird nach dem gängigen Chaos-Prinzip, das heißt, wo gerade Platz ist. Die interne Logistik basiert auf dem etablierten Kanban-System, das den Nachschub für die einzelnen Fertigungsstufen als selbststeuernde Regelkreise organisiert; im Gegensatz zu zentral gesteuerten Lagersystemen melden hier die einzelnen Produktionsebenen der jeweils vorgelagerten Ebene ihren aktuellen Bedarf an Lagereinheiten und lösen gegebenenfalls eine Nachbestellung aus. Das macht den Fertigungsprozess flexibler und minimiert die Lagerhaltung. Separat gibt es noch ein Block- und Gasflaschenlager sowie eines für Sterilgut.
Büros als Gesicht
Den hohen Lagern zuzuordnen waren Bereiche für Kommissionierung, Warenein- und -ausgang sowie dazugehörige Büros. Da auf dem engen Restgrundstück wenig Spielraum für das Rangieren großer Lkws blieb und sogar noch eine spätere Erweiterungsfläche reserviert bleiben sollte, entschied man sich für die kompakte, zweigeschossige Anordnung dieser
Zusatzfunktionen zur Kreisstraße hin.
Die Büros prägen hier also das Gesicht des Areals, während die größeren Laderampen an der Schmalseite leicht abgesenkt angeordnet sind. Die Gebäude verlängern die bestehende Bauflucht; für die Anlieferung wurde ein Teil des angrenzenden Altbaus umgenutzt. Innenräumlich sollten die verschiedenen Bereiche möglichst offen gestaltet werden, um Fahrzeugen wenige Hindernisse zu bieten und Tageslicht in die Tiefe des Gebäudes zu holen. Lediglich zwischen Alt- und Neubau musste eine Brandwand errichtet werden, ansonsten überschaut man von der internen, sämtliche Bauabschnitte durchziehenden »Straße« alle Bereiche.
Fensterbänder erweitern das Blickfeld bis in die Umgebung; Oberlichter und die auf die Regalgassen abgestimmten Fensterschlitze im Hochregallager sorgen für eine angenehme Helligkeit. Umgekehrt ist die interne Offenheit und großzügige Verglasung bei Nacht von außen eindrucksvoll zu erleben. Dann scheint das Gebäude fast zu schweben. Überraschend wirkt vor allem die Farbigkeit im Inneren des metallgrauen Bauwerks.
Kühle Haut und farbige Organe
In dem Kontrast von innerer und äußerer Erscheinung sieht Projektleiterin Maren Dannien eine Parallele zu einem Organismus, der auch eine einheitliche Haut und vielfarbige Organe habe. Während also das Äußere des Anbaus und der umgenutzte Teil des Altbaus durch Aluminium in unterschiedlicher Form geprägt werden, strahlen die Bauteile drinnen in Signalfarben: die Betonstützen grellgelb, die Regale blau, das Sprinklersystem rot. Die eingestellten, von der Hallenkonstruktion durch eine Schattenfuge abgesetzten Büros bekommen einen Anstrich von Wohnlichkeit durch den in Wischtechnik aufgetragenen Putz. In den Büros im Obergeschoss kontrastiert eine Basis aus Französisch Blau mit warmen Kirschholz-Elementen.
Konstruktion und Fassade
Die Konstruktion hatte vor allem große stützenfreie Räume zu schaffen und bietet wenig Spektakuläres. Wegen des schwierigen Baugrunds und der empfindlichen Lagergerätschaften mussten die Bodenplatte vierzig Zentimeter stark mit einem Meter Unterbau und der Magnesiaestrich millimetergenau ausgeführt werden. Für den Lagerbereich wurde ein Stahlskelett konstruiert; über dreißig Meter werden hier stützenfrei überspannt. Den vorgelagerten, zweigeschossigen Gebäudeteil trägt aus Brandschutzgründen ein Stahlbetonfertigteilskelett. Hier liegen die Spannweiten bei bis zu vierzehn Metern. Die Außenwände bestehen aus einer industriebautypischen Stahl-Sandwich-Konstruktion.
Die Fassadengestaltung verdient zum Schluss eine nähere Betrachtung: Industriebau und Baukultur gehen ja eher selten eine Verbindung ein. Früher von Waschbeton, Faserzement oder Trapezblechen dominiert, kleiden sich Hallen wie Büros heute gern in Aluminium. Die Inflation dieses »neutralen«, pflegeleichten Baustoffs ist nicht nur unter dem Energie-Aspekt problematisch – angeblich wird mehr als die Hälfte der Weltstromerzeugung für die Elektrolyse und Verarbeitung dieses Metalls verbraucht, von den Umweltschäden bei der Gewinnung von Bauxit ganz abgesehen. Hier indes wurde der Baustoff, anders als bei Aldi und Co., mit Bedacht und Sorgfalt verwendet. Zum einen soll er einen materiellen Bezug zu den High-tech-Produkten der Firma herstellen, die in der Mehrzahl aus Metall bestehen, weshalb auch auf äußerst präzise Verarbeitung Wert gelegt wurde. Die Fassadengliederung verweist zudem, abstrakt, aber nachvollziehbar, auf den Inhalt der Gebäude.
Während der zweigeschossige Teil mit seiner gefalzten Bandstruktur und den Vordächern eine tektonische Reminiszenz an Tragen und Lasten darstellt – auch wenn die Fassade an einem Stahlskelett hängt und die Vordächer nur aus leichtem Attikablech bestehen –, sollen die vertikal montierten, in drei Grauschattierungen gehaltenen Paneele Assoziationen an das vertikal gestapelte Lagergut wie auch an Strichcodes wecken. Ornament als Versprechen, sozusagen.
Subtil ist insbesondere die Unterteilung der Fassade in fünf übereinander »gestapelte« Schichten, deren Höhe von unten nach oben zunimmt (von etwa zwei auf vier Meter). Dies hat wiederum keinen konstruktiven Bezug zum Innenraum, ergibt aber eine reizvolle scheinperspektivische Verkürzung der Bauhöhe. Der variierende Glimmer-Anteil der Lackierung entmaterialisiert die Fassade zusätzlich. Diese Finessen und die geschickte Gliederung der Baumassen auf engem Grund trugen dem Gebäude im vorigen Jahr eine Auszeichnung »guter Bauten« des Bundes Deutscher Architekten ein. Das Logistikzentrum sei »wegweisend für intelligenten Industriebau«, heißt es in der Begründung.
Eine engagierte Mitarbeiterin übernahm das Projekt; etliche Varianten wurden ausgearbeitet, um eine sinnvolle Integration des Anbaus in den Bestand, eine praktikable Erschließung für Lieferanten und – nicht zuletzt – auch ein schlüssiges Erscheinungsbild zu erreichen. Die Hierarchie der Funktionen, mit der Verwaltung als Kopf, sollte gewahrt bleiben und »der Kopf nicht mit dem neuen Schwanz wedeln«, so der Wunsch des Bauherrn.
Komplexes logistisches Raumprogramm
Gleichwohl würde das neue Hochregallager mit knapp fünfzehn Metern Höhe den ein- bis zweigeschossigen Bestand mächtig überragen. Das Raumprogramm sah auf gut 1500 Quadratmetern sechs verschiedene Lagerbereiche vor: ein automatisches Kistenlager mit Platz für knapp 5000 Tablare von der Größe eines Backblechs – hier werden kleinere Pakete von rasant auf- und abgleitenden Hebezeugen verwaltet; nur fünf bis zehn Sekunden dauert ein Zugriff in dieses Depot. Daneben gibt es das eigentliche Hochregallager für größere Traglasten, wo – ebenfalls führerlose – Gabelstapler mit regulären Paletten bis zu einer Lagerhöhe von 11,75 Metern hantieren. 14 562 Kisten und Geräte finden hier Platz, sowohl für den Warenein- als auch den -ausgang. Verstaut wird nach dem gängigen Chaos-Prinzip, das heißt, wo gerade Platz ist. Die interne Logistik basiert auf dem etablierten Kanban-System, das den Nachschub für die einzelnen Fertigungsstufen als selbststeuernde Regelkreise organisiert; im Gegensatz zu zentral gesteuerten Lagersystemen melden hier die einzelnen Produktionsebenen der jeweils vorgelagerten Ebene ihren aktuellen Bedarf an Lagereinheiten und lösen gegebenenfalls eine Nachbestellung aus. Das macht den Fertigungsprozess flexibler und minimiert die Lagerhaltung. Separat gibt es noch ein Block- und Gasflaschenlager sowie eines für Sterilgut.
Büros als Gesicht
Den hohen Lagern zuzuordnen waren Bereiche für Kommissionierung, Warenein- und -ausgang sowie dazugehörige Büros. Da auf dem engen Restgrundstück wenig Spielraum für das Rangieren großer Lkws blieb und sogar noch eine spätere Erweiterungsfläche reserviert bleiben sollte, entschied man sich für die kompakte, zweigeschossige Anordnung dieser
Zusatzfunktionen zur Kreisstraße hin.
Die Büros prägen hier also das Gesicht des Areals, während die größeren Laderampen an der Schmalseite leicht abgesenkt angeordnet sind. Die Gebäude verlängern die bestehende Bauflucht; für die Anlieferung wurde ein Teil des angrenzenden Altbaus umgenutzt. Innenräumlich sollten die verschiedenen Bereiche möglichst offen gestaltet werden, um Fahrzeugen wenige Hindernisse zu bieten und Tageslicht in die Tiefe des Gebäudes zu holen. Lediglich zwischen Alt- und Neubau musste eine Brandwand errichtet werden, ansonsten überschaut man von der internen, sämtliche Bauabschnitte durchziehenden »Straße« alle Bereiche.
Fensterbänder erweitern das Blickfeld bis in die Umgebung; Oberlichter und die auf die Regalgassen abgestimmten Fensterschlitze im Hochregallager sorgen für eine angenehme Helligkeit. Umgekehrt ist die interne Offenheit und großzügige Verglasung bei Nacht von außen eindrucksvoll zu erleben. Dann scheint das Gebäude fast zu schweben. Überraschend wirkt vor allem die Farbigkeit im Inneren des metallgrauen Bauwerks.
Kühle Haut und farbige Organe
In dem Kontrast von innerer und äußerer Erscheinung sieht Projektleiterin Maren Dannien eine Parallele zu einem Organismus, der auch eine einheitliche Haut und vielfarbige Organe habe. Während also das Äußere des Anbaus und der umgenutzte Teil des Altbaus durch Aluminium in unterschiedlicher Form geprägt werden, strahlen die Bauteile drinnen in Signalfarben: die Betonstützen grellgelb, die Regale blau, das Sprinklersystem rot. Die eingestellten, von der Hallenkonstruktion durch eine Schattenfuge abgesetzten Büros bekommen einen Anstrich von Wohnlichkeit durch den in Wischtechnik aufgetragenen Putz. In den Büros im Obergeschoss kontrastiert eine Basis aus Französisch Blau mit warmen Kirschholz-Elementen.
Konstruktion und Fassade
Die Konstruktion hatte vor allem große stützenfreie Räume zu schaffen und bietet wenig Spektakuläres. Wegen des schwierigen Baugrunds und der empfindlichen Lagergerätschaften mussten die Bodenplatte vierzig Zentimeter stark mit einem Meter Unterbau und der Magnesiaestrich millimetergenau ausgeführt werden. Für den Lagerbereich wurde ein Stahlskelett konstruiert; über dreißig Meter werden hier stützenfrei überspannt. Den vorgelagerten, zweigeschossigen Gebäudeteil trägt aus Brandschutzgründen ein Stahlbetonfertigteilskelett. Hier liegen die Spannweiten bei bis zu vierzehn Metern. Die Außenwände bestehen aus einer industriebautypischen Stahl-Sandwich-Konstruktion.
Die Fassadengestaltung verdient zum Schluss eine nähere Betrachtung: Industriebau und Baukultur gehen ja eher selten eine Verbindung ein. Früher von Waschbeton, Faserzement oder Trapezblechen dominiert, kleiden sich Hallen wie Büros heute gern in Aluminium. Die Inflation dieses »neutralen«, pflegeleichten Baustoffs ist nicht nur unter dem Energie-Aspekt problematisch – angeblich wird mehr als die Hälfte der Weltstromerzeugung für die Elektrolyse und Verarbeitung dieses Metalls verbraucht, von den Umweltschäden bei der Gewinnung von Bauxit ganz abgesehen. Hier indes wurde der Baustoff, anders als bei Aldi und Co., mit Bedacht und Sorgfalt verwendet. Zum einen soll er einen materiellen Bezug zu den High-tech-Produkten der Firma herstellen, die in der Mehrzahl aus Metall bestehen, weshalb auch auf äußerst präzise Verarbeitung Wert gelegt wurde. Die Fassadengliederung verweist zudem, abstrakt, aber nachvollziehbar, auf den Inhalt der Gebäude.
Während der zweigeschossige Teil mit seiner gefalzten Bandstruktur und den Vordächern eine tektonische Reminiszenz an Tragen und Lasten darstellt – auch wenn die Fassade an einem Stahlskelett hängt und die Vordächer nur aus leichtem Attikablech bestehen –, sollen die vertikal montierten, in drei Grauschattierungen gehaltenen Paneele Assoziationen an das vertikal gestapelte Lagergut wie auch an Strichcodes wecken. Ornament als Versprechen, sozusagen.
Subtil ist insbesondere die Unterteilung der Fassade in fünf übereinander »gestapelte« Schichten, deren Höhe von unten nach oben zunimmt (von etwa zwei auf vier Meter). Dies hat wiederum keinen konstruktiven Bezug zum Innenraum, ergibt aber eine reizvolle scheinperspektivische Verkürzung der Bauhöhe. Der variierende Glimmer-Anteil der Lackierung entmaterialisiert die Fassade zusätzlich. Diese Finessen und die geschickte Gliederung der Baumassen auf engem Grund trugen dem Gebäude im vorigen Jahr eine Auszeichnung »guter Bauten« des Bundes Deutscher Architekten ein. Das Logistikzentrum sei »wegweisend für intelligenten Industriebau«, heißt es in der Begründung.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel