Bauwerk

Albert-Schweitzer-Hospiz
Feyferlik / Fritzer - Graz (A) - 2008
Albert-Schweitzer-Hospiz, Foto: Paul Ott
Albert-Schweitzer-Hospiz, Foto: Paul Ott

Lustig – und sonst?

Muss Architektur witzig, humorvoll, ironisch sein? Ein Beispiel als Antwort: das Hospiz des Geriatrischen Zentrums der Stadt Graz.

6. März 2010 - Karin Tschavgova
Humorvoll, lustig, witzig, mit einem Anflug von Ironie: Mit solchen Attributen werden in letzter Zeit vermehrt neue Objekte der Architektur versehen, die man mir auf den Architekturseiten von Qualitätszeitungen näher bringen will. Aus den Zeilen der Autoren spricht wohlwollende, ja, begeisterte Rezeption. Ich aber, immer schon insistierend, frage mich: Warum sollte Architektur überhaupt lustig, humorvoll, witzig oder ironisch sein? Einer der Autoren liefert seine Antwort gleich mit, wenn er meint, dass das Leben schon ernst genug sei. Kann das ernst gemeint sein?

MVRDV, niederländische Großmeister auf dem internationalen Parkett der Architektur, entwarfen für Brad Pitts Hilfsprogramm „Make it right“, das robuste Haustypologien für den Wiederaufbau von New Orleans entwickeln ließ und diese auch realisiert, das „Bent House“. Es ist ein lang gestrecktes Haus mit Satteldach, das die Architekten kurzerhand in der Mitte knickten, damit nicht mehr als die Knickstelle im Wasser steht, sollte die große Flut noch einmal kommen. Sarkasmus, ein makabrer Witz? MVRDV meinten ihren Vorschlag ernst und arbeiteten ihn bis ins Detail aus. In Basel wiederum fügten Herzog & de Meuron der Gebäudesammlung des Möbelherstellers Vitra ein neues Gebäude hinzu, das viele Häuser in einem vereint. Wie Bauklötze wurden die archetypischen Hausformen übereinander gestapelt, verdreht und miteinander verschränkt, bis sie ein viergeschoßiges Ganzes ergaben. Das war ob seiner komplizierten Lastabtragung eine Herausforderung für die Statiker – aber sonst?

Lustig wird mit originell gleichgesetzt, und originell ist alles, was noch nie da war und exaltierter ist als das bisher Gesehene. Architektur wird zum Hype, zu einem Produkt, das einen Medienrummel hervorruft, – das Medienrummel ist. „If architecture is a form of media, it is a weak one“, schreibt Peter Eisenman und fügt hinzu, dass die Architektur, um die Hegemonie der Medien zu brechen, selbst mehr und mehr zurückgreift auf spektakuläre Bilder und Hüllen, die über digitale Prozesse erzeugt werden und keine andere Bedeutung mehr haben als selbstreferenziell auf ihre Entstehung zu verweisen.

Eines ist diese Art von Originalität nicht: ein Ergebnis schöpferischer Tätigkeit, um ein Problem intelligent neu zu lösen. Und so fehlt dieser Architektur die Kraft der Erneuerung, und sie kann nicht mehr werden als ein Hingucker, eine kurzlebige Aufregung.

Wenn wir behaupten, dass die Architektur ein von Menschen geschaffenes Produkt sei, das unsere Beziehungen zur Umwelt ordnen und verbessern soll, sagt Christian Norberg-Schulz in seiner „Logik der Baukunst“, so erweisen sich Untersuchungen über das Entstehen menschlicher Produkte als notwendig. Wir müssen fragen, was der Zweck der Architektur ist.

Mit Zweck ist in diesem Zusammenhang nicht wörtlich die Funktion von Architektur gemeint, wohl aber ihre soziale Dimension. Sie war das wesentlichste Anliegen der Moderne, ehe diese verflachte zu ästhetisiertem Formalismus. Behalten Architekten die soziale Dimension einer Bauaufgabe im Auge, so wird diese weder Spektakel noch eitle Selbstverwirklichung. Dann kann weniger sogar mehr werden. Eines meiner Lieblingsbeispiele: Anne Lacaton & Jean Phillipe Vassallösten den Auftrag zur Umgestaltung eines Platzes in Bordeaux damit, dass sie vorschlugen, nichts Wesentliches zu verändern, weil sie aus sorgfältiger Beobachtung und Analyse den Schluss zogen, dass Gefüge und Atmosphäre des Platzes intakt waren und weder durch neue Lampen noch durch andere Gestaltungsmaßnahmen verbessert werden konnten. Lediglich einige winzige ordnende Eingriffe wurden vorgenommen.

Wenn Architektur die Beziehungen zwischen Mensch und Umgebung ordnen und verbessern soll, so trägt der Architekt dafür Verantwortung. Er ist nicht nur gefordert, physische Sicherheit und einen funktionellen Rahmen zu schaffen, sondern darüber hinaus ein soziales und kulturelles Milieu zu erzeugen, das der Mensch sich aneignen kann für individuelles und interaktives Handeln. Im Sinnbild des Hauses sind unsere Träume, unsere Erinnerungen und unsere Sehnsucht nach Geborgenheit verortet.

Die Bauaufgabe, ein Hospiz einzurichten, verlangt, sich diesen Themen besonders achtsam zu widmen. Wolfgang Feyferlik und Susi Fritzer haben ein Gebäude im Geriatrischen Zentrum der Stadt Graz zu einem Hospiz umgebaut. Sie haben daraus einen Ort gemacht, der Erinnern, Träumen und Geborgensein ermöglicht. Vom robusten Charakter der Bausubstanz von 1929 am Rand eines parkähnlichen Areals ist einiges erhalten geblieben. Seine Schwere konnten die Architekten dem Baukörper jedoch mit wenigen, klug gesetzten Eingriffen nehmen. Sonne und Lichteinfall, um wohnliche Atmosphäre zu erzeugen, Gefühle der Ausweglosigkeit zu mildern und klaustrophobische Ängste zu vermeiden, sind zentrale Themen dieser Arbeit. So wurden die Gebäudeecken an der Westfront mit Verglasungen, die außenbündig liegen, geöffnet. Die Aufenthaltsbereiche, die dadurch entstehen, erinnern – mit freiem Ausblick auf Himmel und Geäst – an Veranden.

In die individuellen Rückzugsräume, zwölf Einzelzimmer mit Ostorientierung, fällt die Morgensonne durch große Schiebefenster, die als Balkone ausgebildet sind. Ihr Parapet ist eine tiefe Sitzbank, die auch als Liegefläche dienen kann und so, durch einen Vorhang abtrennbar, zum temporären Rückzugsort für die oft lange wachenden Angehörigen werden kann.

Die Architekten setzen mit jedem noch so kleinen, gestaltenden Element atmosphärische Gesten von Ruhe und Würde. Mit dezenten, alten Rollmustern an den Wänden, wie man sie heute kaum noch findet. Mit der Auflösung von geometrischer Strenge durch Knicke in den Trennwänden und Decken der privaten Räume. Mit Wandablagen und Regalen für persönliche Erinnerungsstücke. Mit der Aufweitung des Mittelgangs durch einen zentral gelegenen, verglasten Zubau für den Schwesternstützpunkt, der wie ein Rucksack über dem Zugang hängt. Mit hellen, freundlichen Möbeln, mit Trennwänden aus Milchglas, die das bunte Dahinter der Serviceräume durchschimmern lassen. Mit einem verschwenderisch großen, von Licht durchflutetem Badezimmer, in dem man sich wie ein König in der Wanne fühlen kann. Mit der sorgfältig zusammengestellten Auswahl an Leuchten, die eigens angefertigt wurden. Und mit raumhohen Bildtapeten der Fotografin Zita Oberwalder – Motive von Landschaften und Orten, die Erinnerungen an ein erfülltes Leben sein können oder Inspiration für Träume von künftigen Orten, für die wir keine Bilder haben.

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