Bauwerk
Stadtfriedhof Linz / St.Martin Aufbahrungshalle
Heidl Architekten ZT GmbH - Linz (A) - 2008
Zwischen hier und dort
Aufbahrungshallen sind Orte des Übergangs, die besondere Achtsamkeit in der Gestaltung verlangen. Drei Beispiele – in Linz, Graz und Slowenien – zeigen, wie unterschiedlich Symbolkraft und Metapher ihren Ausdruck finden.
5. November 2011 - Karin Tschavgova
Wenn Architektur die Fähigkeit hat, an etwas zu erinnern, so ist es kein Zufall, dass die frühesten und wichtigsten Bauwerke in vielen Kulturen Begräbnisbauten waren. Ihnen wurde eine Bedeutung zugeschrieben, die weltliche Architektur lange nicht erreichen sollte. Von Sakralarchitektur erwarten wir uns auch heute, dass sie Stille und Besinnung ermöglicht und sich von der Architektur des Alltags absetzt. Le Corbusiers Wallfahrtskapelle in Ronchamp nimmt in seinem Werk deshalb eine Sonderstellung ein, weil sie eine andere Moderne darstellt, eine, die mit Bedeutung und suggestiver Stimmung aufgeladen ist und daher mit der Neuen Sachlichkeit nichts gemein hatte.
Friedhöfe und ihre Einsegnungs- und Aufbahrungshallen sind Orte des Gedenkens und des Abschiednehmens. Solche Orte sind nie als rein funktionalistische Architekturen konzipiert, sie wollen als Raumkunst und Metapher für religiöse Werte verstanden werden.
Für Ernst A. Plischke, den bedeutenden Vorreiter der Moderne im Österreich der Zwischenkriegszeit, liegt die wesentliche Qualität jeder „voll entwickelten modernen Architektur in der Spannung zwischen Raumkonzept und Funktion einerseits und zwischen der Vision einer Bauplastik und der Konstruktion andererseits“. Ohne diese Spannung gäbe es entweder reinen Utilitarismus oder eine abstrakte Bauplastik.
Diese Kriterien für gute Architektur erfüllt der heurige Preisträger des nach Plischke benannten Preises, der slowenische Architekt und Universitätslehrer Aleš Vodopivec, im Waldfriedhof Srebrnice bei Novo Mesto aufs Beste. Die Friedhofsanlage im südlichen Slowenien mit Einsegnungshalle, vier abgeschlossenen Aufbahrungskapellen und präzise gesetzter Wegeführung vereint funktionale und symbolische Qualitäten in würdevoller Harmonie. Vodopivec bezieht vorhandene natürliche Landschaftselemente, Nadelwald und Waldlichtung, in seinen Entwurf mit ein und gibt ihm damit Richtung. Der monumental überhöhten, offenen Säulenhalle mit 25 Säulen in quadratischer Anordnung stellt er die Stämme einer Baumgruppe vor der Waldgrenze gegenüber. Er gibt der Annäherung an den eigentlichen Ort der Verabschiedung Raum und damit Zeit und inszeniert den Übergang von den Außenräumen zum Innenraum bis hin zur Lichtführung achtsam und präzise. Drinnen und Draußen folgen nicht der Dialektik des Entweder-oder, des Seins und Nichtseins, sondern bilden fließende Übergänge. Auch die Einsegnungshalle ist dreiseitig verglast – Naturraum und gebauter Raum verschmelzen ineinander. Gekonnt ist die Anlage bis ins Detail gelöst: mit Betonscheiben, die den Eingängen zu den intimen Aufbahrungskapellen vorgesetzt sind, um Einsehbarkeit zu verhindern, mit exakt bündig angeschlagenen Türen, deren Material Holz stimmiger Kontrast zur Oberfläche des Sichtbetons ist, und mit schräg gestellten Wandelementen, die Seitenlicht in Nebenräume bringen und damit die durch Gleichmaß bestimmte Ausstrahlung des Bauwerks nicht mit der Banalität von Klofensterformaten konterkarieren.
Die neue Aufbahrungshalle auf dem Steinfeldfriedhof in Graz entspricht dem Anspruch nach Übereinstimmung von Funktion, adäquater Raumerfindung und Baustruktur leider nicht. Hofrichter-Ritter Architekten setzen das „Friedhofscenter“, wie die Anlage von der Stadtpfarre Graz, der Bauherrin, genannt wird, durch seine Form spektakulär in Szene, lassen jedoch grundlegende Voraussetzungen für innere Einkehr außer Acht. Die Annäherung an den oval gekurvten Einsegnungsraum ist unschön asphaltiert und die Einfriedung der Anlage nicht mehr als die formal begründete Fortführung der ebenso schräg gestellten Wand des angebauten Nebentrakts. Der geschützte Vorbereich, der aus der weiterführenden Überdeckung der beiden raumbegrenzenden Wandscheiben des Hauptraums entsteht, ist wiederum zu knapp, um als Ort der Versammlung dienen zu können. Vieles an diesem Bau scheint nicht zu Ende gedacht: die Anlieferung des Sargs in unmittelbarer Nähe zur Urnenwand, die undifferenzierte Deckenführung der Halle über das im Fußboden hervorgehobene Oval der Grundrissfigur hinaus, fantasielose Einschnitte von Tür und Fenstern in schräg gestellte Wände. Auch die Metaphorik des Bauwerks ist vordergründig – das Ovalrund als Zeichen der Endlosigkeit, die sich an einem Ende von der Erde lösenden, „schwebenden“ Wandscheiben oder das billig gepinselte Deckenfirmament bieten kaum Interpretationsspielraum. Es erfordert große Achtsamkeit, für Metaphern, die solch bedeutungsvollen Orten unterlegt werden, den passenden Ausdruck jenseits von Geschwätzigkeit und blasser Andeutung zu finden und sie nicht Kitsch oder Klischee werden zu lassen.
Diesen Ton trifft der Architekt Andreas Heidl – zu Unrecht erst durch seinen Entwurf für den Umbau des Nationalratssaals bekannt geworden – bei Sakralbauten immer. An der Neugestaltung der Aufbahrungshallen und Servicebereiche beim Linzer Stadtfriedhof St. Martin zeigt sich nicht nur Heidls Fähigkeit, funktionelle Ordnung in räumlich-differenzierter Gliederung herzustellen, sondern auch, dass er in der Beschränkung auf wenige, genau gewählte Elemente, Materialien und Farben große atmosphärische Dichte erzeugen kann. Der Architekt macht über Schwellen deutlich, dass man einen Ort der Stille betritt, und lässt dem Besucher Zeit, sich beim Durchschreiten eines Birkenhains darauf einzustellen. Er schafft unterschiedliche Zonen und Stimmungen, indem er dem Zeremoniensaal eine offene Halle für das Versammeln vor dem Begräbnis vorsetzt, die er durch Abstand vom gewachsenen Terrain und vom Hauptbau leichter erscheinen lässt. Ruhe und Gelassenheit des Innenraums erzeugt Heidl mit einheitlichen Oberflächen und Licht- und Farbstimmung. Sollte dahinter eine Symbolik stehen, so lässt sie unterschiedliche Deutungen zu – für mich die Assoziation mit dem Bild des gleichmäßig strahlenden Lichts am Ende eines Tunnels, das eine immer wiederkehrende Nahtoderfahrung beschreibt.
Friedhöfe und ihre Einsegnungs- und Aufbahrungshallen sind Orte des Gedenkens und des Abschiednehmens. Solche Orte sind nie als rein funktionalistische Architekturen konzipiert, sie wollen als Raumkunst und Metapher für religiöse Werte verstanden werden.
Für Ernst A. Plischke, den bedeutenden Vorreiter der Moderne im Österreich der Zwischenkriegszeit, liegt die wesentliche Qualität jeder „voll entwickelten modernen Architektur in der Spannung zwischen Raumkonzept und Funktion einerseits und zwischen der Vision einer Bauplastik und der Konstruktion andererseits“. Ohne diese Spannung gäbe es entweder reinen Utilitarismus oder eine abstrakte Bauplastik.
Diese Kriterien für gute Architektur erfüllt der heurige Preisträger des nach Plischke benannten Preises, der slowenische Architekt und Universitätslehrer Aleš Vodopivec, im Waldfriedhof Srebrnice bei Novo Mesto aufs Beste. Die Friedhofsanlage im südlichen Slowenien mit Einsegnungshalle, vier abgeschlossenen Aufbahrungskapellen und präzise gesetzter Wegeführung vereint funktionale und symbolische Qualitäten in würdevoller Harmonie. Vodopivec bezieht vorhandene natürliche Landschaftselemente, Nadelwald und Waldlichtung, in seinen Entwurf mit ein und gibt ihm damit Richtung. Der monumental überhöhten, offenen Säulenhalle mit 25 Säulen in quadratischer Anordnung stellt er die Stämme einer Baumgruppe vor der Waldgrenze gegenüber. Er gibt der Annäherung an den eigentlichen Ort der Verabschiedung Raum und damit Zeit und inszeniert den Übergang von den Außenräumen zum Innenraum bis hin zur Lichtführung achtsam und präzise. Drinnen und Draußen folgen nicht der Dialektik des Entweder-oder, des Seins und Nichtseins, sondern bilden fließende Übergänge. Auch die Einsegnungshalle ist dreiseitig verglast – Naturraum und gebauter Raum verschmelzen ineinander. Gekonnt ist die Anlage bis ins Detail gelöst: mit Betonscheiben, die den Eingängen zu den intimen Aufbahrungskapellen vorgesetzt sind, um Einsehbarkeit zu verhindern, mit exakt bündig angeschlagenen Türen, deren Material Holz stimmiger Kontrast zur Oberfläche des Sichtbetons ist, und mit schräg gestellten Wandelementen, die Seitenlicht in Nebenräume bringen und damit die durch Gleichmaß bestimmte Ausstrahlung des Bauwerks nicht mit der Banalität von Klofensterformaten konterkarieren.
Die neue Aufbahrungshalle auf dem Steinfeldfriedhof in Graz entspricht dem Anspruch nach Übereinstimmung von Funktion, adäquater Raumerfindung und Baustruktur leider nicht. Hofrichter-Ritter Architekten setzen das „Friedhofscenter“, wie die Anlage von der Stadtpfarre Graz, der Bauherrin, genannt wird, durch seine Form spektakulär in Szene, lassen jedoch grundlegende Voraussetzungen für innere Einkehr außer Acht. Die Annäherung an den oval gekurvten Einsegnungsraum ist unschön asphaltiert und die Einfriedung der Anlage nicht mehr als die formal begründete Fortführung der ebenso schräg gestellten Wand des angebauten Nebentrakts. Der geschützte Vorbereich, der aus der weiterführenden Überdeckung der beiden raumbegrenzenden Wandscheiben des Hauptraums entsteht, ist wiederum zu knapp, um als Ort der Versammlung dienen zu können. Vieles an diesem Bau scheint nicht zu Ende gedacht: die Anlieferung des Sargs in unmittelbarer Nähe zur Urnenwand, die undifferenzierte Deckenführung der Halle über das im Fußboden hervorgehobene Oval der Grundrissfigur hinaus, fantasielose Einschnitte von Tür und Fenstern in schräg gestellte Wände. Auch die Metaphorik des Bauwerks ist vordergründig – das Ovalrund als Zeichen der Endlosigkeit, die sich an einem Ende von der Erde lösenden, „schwebenden“ Wandscheiben oder das billig gepinselte Deckenfirmament bieten kaum Interpretationsspielraum. Es erfordert große Achtsamkeit, für Metaphern, die solch bedeutungsvollen Orten unterlegt werden, den passenden Ausdruck jenseits von Geschwätzigkeit und blasser Andeutung zu finden und sie nicht Kitsch oder Klischee werden zu lassen.
Diesen Ton trifft der Architekt Andreas Heidl – zu Unrecht erst durch seinen Entwurf für den Umbau des Nationalratssaals bekannt geworden – bei Sakralbauten immer. An der Neugestaltung der Aufbahrungshallen und Servicebereiche beim Linzer Stadtfriedhof St. Martin zeigt sich nicht nur Heidls Fähigkeit, funktionelle Ordnung in räumlich-differenzierter Gliederung herzustellen, sondern auch, dass er in der Beschränkung auf wenige, genau gewählte Elemente, Materialien und Farben große atmosphärische Dichte erzeugen kann. Der Architekt macht über Schwellen deutlich, dass man einen Ort der Stille betritt, und lässt dem Besucher Zeit, sich beim Durchschreiten eines Birkenhains darauf einzustellen. Er schafft unterschiedliche Zonen und Stimmungen, indem er dem Zeremoniensaal eine offene Halle für das Versammeln vor dem Begräbnis vorsetzt, die er durch Abstand vom gewachsenen Terrain und vom Hauptbau leichter erscheinen lässt. Ruhe und Gelassenheit des Innenraums erzeugt Heidl mit einheitlichen Oberflächen und Licht- und Farbstimmung. Sollte dahinter eine Symbolik stehen, so lässt sie unterschiedliche Deutungen zu – für mich die Assoziation mit dem Bild des gleichmäßig strahlenden Lichts am Ende eines Tunnels, das eine immer wiederkehrende Nahtoderfahrung beschreibt.
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