Bauwerk

Aargauer Kunsthaus Aarau - Erweiterung
Herzog & de Meuron - Aarau (CH) - 2003
Aargauer Kunsthaus Aarau - Erweiterung, Foto: Margherita Spiluttini
Aargauer Kunsthaus Aarau - Erweiterung, Foto: Margherita Spiluttini

Auf der Moosrampe zur Kunstgrotte

Wer zur Ausstellung von Herzog & de Meuron nach Basel pilgert, sollte einen Abstecher nach Aarau einplanen, wo die Architekten ein Museum erweitert haben.

12. Juni 2004 - Oliver Elser
Unter den weltweit tätigen Stararchitekten, die mit Preisen überhäuft und an den Hochschulen hofiert werden wie Außerirdische, gibt es nur wenige, die ihr Publikum mit jedem Bau vor neue intellektuelle Herausforderungen stellen. Ob nun Hadid, Eisenman, Gehry, Meier oder auch Coop Himmelb(l)au zu einem Wettbewerb antreten - was dabei herauskommt, mag für sich genommen ganz fantastisch sein, wird aber mit Sicherheit eine unverkennbare Handschrift tragen, einen jeweils typischen Stil, der das Ergebnis so vorhersehbar macht wie das Amen im Gebet.

Zu den seltenen Ausnahmen zählen, neben Rem Koolhaas, auch Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die längst auf die Feststellung Wert legen, sie seien eigentlich keine Schweizer Architekten, sondern Global Player, deren Büro sich aus alter Verbundenheit in Basel befinde. Nun hat Basel aber zweifellos die höchste Dichte an H&dM-Bauten und ist die erste europäische Station einer großen Werkschau, die dort bis 12. September zu sehen ist. Im Schaulager, einem vor einem Jahr fertig gestellten Zwitter aus Ausstellungshalle und Kunstdepot, das in dieser Form nur (als Direktauftrag) entstehen konnte, weil die Global Player über langjährige gute Kontakte zur Kunstszene in Basel verfügen.

In jeder Stararchitektenkarriere gibt es Ursprungsmythen, die oft ganz profan darin bestehen, der oder die habe jahrelang ein visionäres Projekt nach dem anderen zu Papier gebracht, einsam und unverstanden, bevor dann endlich der Durchbruch kam und damit die Chance, vom Träumen zum Bauen überzugehen. Meist geistern skizzenhaft formulierte Projekte jahrzehntelang durch die einschlägigen Magazine, bevor sie langsam von realisierten Gebäuden abgelöst werden.

Herzog & de Meuron haben diese Phase übersprungen und gleich nach dem Studium zu bauen begonnen. Ihr architektonisches Urerlebnis war keine Formvision, sondern eine Performance, bei der sie im Jahre 1978 anlässlich der Basler Fastnacht Joseph Beuys kennen lernten. Aus dem Pulverdampf der Postmoderne ragte mit Beuys' schwer verdaulichen, materialfixierten Arbeiten eine Position heraus, die die beiden kaum dreißigjährigen Architekten auf ihre ersten eigenen Projekte zu übertragen versuchten.

Während sich ihre Zeitgenossen an Giebel, Erker und Säule vergingen, griffen Herzog & de Meuron zwar nicht genauso wie Beuys zu Fett, Filz und Kupfer. Aber sie begannen, sich für die unmittelbare Wirkung von Materialien zu interessieren, für Stimmungsbilder und Situationen. „Ich glaube, die Architektur ruft in uns Erinnerungen an das eigene Leben wach, aber kaum Erinnerungen an die Architekturgeschichte“, schrieb Jacques Herzog 1982. Bis dahin hatten sie kaum etwas gebaut, doch die theoriefreudigen Schweizer Zeitschriften befassten sich bereits ausführlich mit den erklärten Antitheoretikern, die keine schön schraffierten Perspektiven, sondern spröde Werkpläne vorzuweisen hatten. Die von Künstlerhand gezeichnet waren, keine Frage, doch so cool und in harte Fakten verliebt wie die amerikanische Minimal Art der Sechzigerjahre und nicht dem schönen Schein postmoderner Pappmachéwelten verfallen.

Bis weit in die Neunzigerjahre hinein galten Herzog & de Meuron manchen Kritikern als trockene Minimalisten, deren Bauten beziehungslos und kistenhaft in der Gegend herumstehen, ausgefeilte Konstruktionen zwar mit immer wieder überraschenden Fassaden, aber innenräumlich völlig uninteressant. Alle warteten auf die nächste Außenhülle und freuten sich wohl insgeheim darauf, dass den beiden irgendwann nichts mehr einfallen würde. Aber die Auftragsbücher füllten sich, und nie wurde es langweilig, denn Herzog & de Meuron ließen sich nicht zum gefälligen Selbstzitat hinreißen.

Dann gewannen sie in London den Wettbewerb für Tate Modern, die Umnutzung eines Kraftwerks als Museum, und wurden in die erste Liga der international gefragtesten Architekturbüros hinaufkatapultiert. Ihr Entwurf war der mit Abstand zurückhaltendste. Aber der Medienrummel um die Stars aus Basel löste die Blockade, mit anderen Formen als der schon sprichwörtlichen Schweizer Kiste an eine Aufgabe heranzugehen.

Herzog & de Meuron haben das Augenmaß nicht verloren, aber sie sind freier geworden. Der Erfolg gibt ihnen Rückendeckung, um wie in Aarau zwei eigentlich einander widerstrebende Haltungen in einem Bau zu vereinen. Von außen ist schwer zu entscheiden, was hier neu ist und was nicht. Der Quader des Kunsthauses von 1959 könnte auch jüngeren Datums sein, aber die Architekten haben lediglich das Erdgeschoß aus dem vorhandenen Bau wie eine Schublade herausgezogen und mit einer umlaufende Glasfassade eingeschlossen. Dadurch verschwand der Vorplatz, den das Museum bislang für temporäre Kunstpräsentationen genutzt hat, der aber wegen seiner Lage an einer Umfahrungsstraße nur geringe Aufenthaltsqualitäten hatte.

Um die öffentliche Fläche zu erhalten, wurde der Platz um eine Etage nach oben verlegt. Neben dem Museumseingang führt nun eine mit grünem Glas umschlossene Wendeltreppe „ins Grüne“, das heißt zunächst aufs Dach des eingeschoßigen Anbaus. Als Material verwendeten die Architekten dort grobporigen Tuffstein, der schon mit Moos bewachsen auf die Baustelle kam. So haben zwar die Skateboardfahrer keinen Spaß an der größten Rampe des Kleinstädtchens Aarau, aber die Dachfläche wird zu einer Mischform aus städtischem Platz und angrenzendem Park. Nebenbei ist die Neigung des Dachs ein Kunstgriff, um das Entwässerungsproblem jeder begehbaren Dachfläche auf ganz einfache Weise in den Griff zu bekommen.

Herzog & de Meuron scheuen sich nicht, etwas zu tun, das den meisten Architekten nicht in den Sinn käme. Sie werden unscharf, lassen die Frage offen, wo das Gebäude aufhört und der Park beginnt, setzen die rustikale Steinrampe völlig unvermittelt auf die modernistische Glasfront, verwenden grünes Glas als Hinweis auf den Park am Fuße der Rampe.

Diese völlig unironischen Spielereien setzen sich im Inneren fort. Die Eingangshalle des Museums liegt unter der Rampe, also irgendwie auch unter dem Park und wurde daher behandelt wie eine künstliche Grotte, obwohl doch die großen Glasscheiben jede Düsternis ausschließen. Trotzdem war das Thema hier Grotte, und so krümmen sich die Wände, was etwas befremdlich wirkt, aber in Nischen und Rücksprüngen sämtliche Einbauten für Regale, Kaffeemaschine und Vitrinen verschwinden lässt. Man muss sich nur freimachen von der strikten Rechtwinkeligkeit, dann lösen sich viele Fragen von selbst. Der Rest des Hauses ist unauffällig und steht der Kunst zu Diensten. Nach der Erweiterung ist nun genug Platz geschaffen, eine der größten kommunalen Kunstsammlungen der Schweiz auszustellen.

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