Bauwerk

Seniorenschlössl Brigittenau „Wie Daham“
Gasparin & Meier - Wien (A) - 2009
Seniorenschlössl Brigittenau „Wie Daham“, Foto: Paul Ott
Seniorenschlössl Brigittenau „Wie Daham“, Foto: Paul Ott

Zum Glück doch kein Schlössl

Das ehemalige Männerheim in der Wiener Meldemannstraße wurde zum Pflegeheim umgebaut. Es heißt zwar „Seniorenschlössl Brigittenau“, bietet aber ein schönes Ambiente aus Unaufdringlichkeit und Gelassenheit.

10. April 2010 - Franziska Leeb
Als das Männerwohnheim in der Meldemannstraße im Jahr 1905 errichtet wurde, galt es für die damals üblichen Wohnumstände der Arbeiterschicht als Unterkunft der kommoden Art. Ein Dutzend Personen, die unter desaströsen hygienischen Bedingungen in einer Zimmer-Küche-Wohnung hausten, das war kein seltenes Wohnszenario in dieser Zeit. Wer keine Wohnungsmiete bezahlen konnte, war darauf angewiesen, als Bettgeher zu leben. Im von Leopold Ramsauer und Otto Richter nach dem Vorbild englischer Billig-Unterkünfte für Arbeiter – nach ihrem Erfinder, dem Philanthropen Lord Rowton als „Rowton Houses“ bezeichnet – geplanten Haus gab es immerhin rund vier Quadratmeter große Schlafkojen, die ein Minimum an Intimität boten, Fließwasser, elektrisches Licht, Aufenthaltsräume, ja selbst eine Bibliothek.

Fast ein Jahrhundert lang diente das ursprünglich für 544 Bewohner ausgelegte Gebäude, das unter der allgemein üblichen Bezeichnung „die Meldemannstraße“ zum Synonym für eine letzte Zuflucht wurde, als Logis für Männer, für die „richtige“ Wohnungen unleistbar waren. Erst im Jahr 2003 wurden die letzten rund 230 Bewohner in neue Einrichtungen übersiedelt, und das vom Stadtzentrum gut erreichbare Haus wurde von der Stadt Wien versteigert. Ein privater Pflegeheim-Betreiber sorgte nun dafür, dass das Gebäude nicht nur eine neue Funktion und einen neuen Namen, sondern auch eine neue Adresse bekam. Der neue Haupteingang liegt nun an der Winarskystraße, womit zugleich Neonazis und sonstigen einschlägig interessierten Touristen eine potenzielle Pilgeradresse entzogen wurde, die gelegentlich hier auftauchten, weil Adolf Hitler drei Jahre lang in der Meldemannstraße Quartier bezogen haben soll. „Seniorenschlössl Brigittenau“ heißt das Haus nun nicht ganz passend. Das mit der Planung betraute Villacher Architektenduo Gasparin Meier hat sich nämlich auf keine süßliche Schlossarchitektur eingelassen, um bestimmte Emotionen zu bedienen und den alten Leuten eine anständige Wohnqualität in ihren letzten Lebensjahren zu bieten. (Warum unzählige Altenwohn- und Pflegeheime den lächerlichen Namen „Residenz“ verpasst bekommen, bleibt angesichts vieler Einrichtungen, die mit ihrer erbärmlichen Wohnqualität mehr zum Vegetieren als zum Residieren taugen, übrigens auch ein Rätsel.)

Sonja Gasparin und Beny Meier haben den Bestand, dessen Fassade an der Meldemannstraße unter Denkmalschutz steht, mit einem Zubau zu einer Funktionseinheit gekoppelt. Indem sie den neuen, siebengeschoßigen Bauteil in einem Respektabstand von einem Meter parallel zum Altbau entlang der Gartenseite anordneten, thematisieren sie die Dualität von Alt und Neu. Mit seiner mittlerweile Patina ansetzenden Kupferverkleidung an den Schmalseiten, dendunklen Stabgeländern der Loggien und Kompaktplatten in Holzoptik an der dem Park zugewandten Längsseite hebt sich der neue Trakt materiell von der weißen Putzfassade des Altbaus ab. Über Eck von der Meldemannstraße aus betrachtet, bemerkt aber, wie fein die Brauntöne mit der partiell in bräunlichem Backstein ausgeführten Straßenansicht des Bestandes harmonieren. Auch die Baukörperkonfiguration nimmt miteinem Mittelrisaliten Bezug auf die strenge Axialität des Bestandes, sodass der neue Annex bei aller formalen, zeitgemäßen Eigenständigkeit dem Alten durchaus eine gewisse Achtung entgegenbringt.

Im Erdgeschoß liegen Verwaltungs- und Serviceeinrichtungen sowie ein vom Fonds Soziales Wien betriebenes Tageszentrum, in dem untertags alte Menschen aus der näheren Umgebung betreut werden. Die Geschoße darüber schließlich sind der – meist allerletzte – Lebensraum für insgesamt 199 pflegebedürftige Senioren und Seniorinnen. Während fast 100 Jahre lang zuvor eine reine Männergesellschaft den Ort belegte, sind es nun überwiegend Frauen, die hier betreut werden. Im Neubau gibt es ausschließlich Einzelzimmer von rund 16 Quadratmetern mit direktem Zugang auf den Balkon. Im Altbau finden sich auch Doppelzimmer, von denen manche geteilt werden könnten, was zum Beispiel eine sinnvolle Maßnahme zum Schutz vor einem schnarchenden Zimmergefährten sein kann.

Das Gemeinschaftsleben spielt sich im Wesentlichen im Herz des Gebäudes ab. Hier bringt ein Atrium Licht von oben in die Tiefe und ermöglicht geschoßübergreifende Kontaktaufnahme. Hier liegt der Erschließungskern, hier befinden sich an strategisch günstiger, weil guten Überblick bietender Stelle die Stationsstützpunkte sowie Aufenthaltsbereiche, in denen zum Beispiel gemeinsam gegessen wird. Dieser Bereich grenzt an die Naht zwischen den beiden Bauteilen, wo der Dialog zwischen Alt und Neu im Inneren besonders spürbar ist. Denn hier lässt es sich im Neubau entlang der dreiseitig verglasten „Trennfuge“ am Altbau vorbeipromenieren, dessen Fassade in ihrer ursprünglichen Form erhalten blieb und nun zugleich Gebäudeabschluss des einstigen Männerwohnheims und Innenraumbegrenzung des neuen Teils ist.

Pro Geschoß überbrücken zwei Stege die Schlucht zwischen den Häusern. Die inneren Scheiben der Kastenfenster wurden aus Brandschutzgründen mit Fixverglasungen versehen. Sie sind aus Mattglas, um den Einblick in die dahinterliegenden Bäder undEingangsbereiche von Zimmern zu verhindern. Die äußeren Flügel wurden saniert undblieben erhalten. So entstand eine Situation,die den oft nicht mehr mobilen Bewohnern eine städtische Hausfassade in das Innere des gemeinsamen, halbprivaten Wohn- und Aufenthaltsbereiches holt, die in ihrer schlichten Schönheit Erinnerungen an das frühere Leben „draußen“ zu wecken imstande ist. Kommunikation nach außen und über Geschoße hinweg ermöglichen auch die beiden Fassadeneinschnitte im Mittelrisaliten an der Gartenfassade, wo durch das Aussparen von jeweils zwei Zimmern übereinander geräumige Loggien entstanden sind.

Vielleicht wird man das Haus den Menschen auch wieder 100 Jahre lang zumuten können – aber nur, wenn man sich irgendwann von den hausbackenen pseudonoblen Vorhängen und Möbeln in den Zimmern trennt, die auf künftige, von Ikea & Co. geprägten Pfleglingsgenerationen gewiss nicht stimmungsaufhellend wirken. Die architektonische Struktur in ihrer Unaufdringlichkeit und Gelassenheit ist jedenfalls frei von modischer Attitüde und Verspieltheit und daher robust genug, um längerfristig ein taugliches Ambiente für den letzten Lebensabschnitt zu bieten.

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