Bauwerk
Actelion Business Center
Herzog & de Meuron - Allschwil (CH) - 2010
Stapel zum Spektakel
11. April 2011 - Andres Herzog
Für die Biotechfirma Actelion entwarfen Herzog & de Meuron in Allschwil ein Bürogebäude als inszeniertes Durcheinander. Zwischen einem Parkhaus aus Beton und einem tristen Bürobau türmen sie raumhaltige Balken kreuz und quer zu einem eindrücklichen Koloss auf: 80 mal 80 Meter gross und sechs Geschosse hoch ist der Bau. Damit setzen die Architekten in der Gewerbewüste ein Zeichen. Spektakel, schreit das Gebäude und ist im Niemandsland zwischen Basel und Allschwil nicht zu übersehen. Der Bürostapel schafft in der Agglo einen unverkennbaren Ort. Mit dem Thema des Stapelns beschäftigen sich die Architekten schon länger. Dem Actelion- Gebäude gingen zwei nicht realisierte Projekte in China und Sardinien voraus. Im VitraHaus in Weil am Rhein schichteten Herzog & de Meuron Giebelhäuser auf (siehe HP 4 / 2010). Damit ist der Actelion-Bau jedoch kaum zu vergleichen: Grösser, komplexer und chaotischer ist die Stapelung auf der anderen Seite des Rheins.
Actelion bekennt sich zu ihrem Hauptsitz in Allschwil und liess sich mit dem Balkenstapel ein Schaustück bauen. Für die 1997 gegründete Firma ist das Gebäude eine Investition in ihre Unternehmenskultur. Sie beauftragte Herzog & de Meuron, ein Gebäude zu entwickeln, das die Unternehmensidentität baulich widerspiegelt: Innovation, Offenheit und Kommunikation. Das durfte etwas kosten: «Natürlich verursacht ein so ungewöhnlich ausgelegtes Gebäude mehr Arbeitsstunden als ein herkömmliches», sagt Louis de Lassence, Leiter Corporate Services von Actelion und ihr Bauherrenvertreter, in einem Interview auf der Website stadtfragen.ch. «Was das Budget angeht, kann sich Actelion dieses Business Center leisten», erklärt er. Eine einfache Kiste reicht für Unternehmen, die im globalen Mitarbeiterwettbewerb um die besten Fachkräfte stehen, nicht aus. Also entwarfen die Architekten ein Bauwerk, das die Merkmale eines gewöhnlichen Bürobaus wortwörtlich über den Haufen wirft.
Das Erdgeschoss ist leicht abgesenkt. So schreitet man langsam unter den Balkenwirrwarr und tritt durch eine der beiden Drehtüren ins grosszügige Foyer. Die Fassade ist hier komplett verglast und der kreuzförmige Grundriss lässt den Blick nach draussen schweifen. Der Raum wirkt ruhig und übersichtlich. Nur ein paar schräge Stützen deuten an, was sich darüber auftürmt. Von der Mitte aus steigt der Boden in drei Richtungen leicht an. Holzbänke in der Schräge laden zum Schauen ein. An den Enden der vier Flügel liegen ein Auditorium, die Cafeteria, das Restaurant und zwei Schulungsräume. An einer Stelle klappt der Boden auf, eine breite Treppe holt die Autofahrer im Untergeschoss ab und bringt sie hoch zum zentralen Rezeptionsoval, wo alle Besucherströme zusammenlaufen. Pflanzenteppiche der Naturkünstlerin Tita Giese fliessen durch die Fassade im Erdgeschoss — innen und aussen verschmelzen.
Die übrigen Geschosse sind um einen mittigen Hof organisiert, den die Bürobalken durchschneiden. Weil sie auf jedem Stockwerk anders angeordnet sind, gleicht kein Grundriss dem nächsten. Die fünf bis sieben Balken pro Stockwerk scheinen wie zufällig in allen möglichen Richtungen aufgeschichtet. Obwohl die Struktur chaotisch wirkt, ist eine gewisse Logik zu erkennen. Die Balken überlagern sich nämlich an vier fixen Punkten, an denen das Gebäude vertikal erschlossen ist. Vier Treppenskulpturen, deren Ein- und Ausgänge in Balkenrichtung zeigen, verbinden hier die Geschosse. In den schmalen Bürobalken bewegt man sich entlang der Fassade. So werden die rund 350 Arbeitsplätze erschlossen und unterwegs blickt man zur einen Seite in den Hof und zur anderen auf die Einzel- oder Grossraumbüros. Die verglaste Fassade, transparente Trennwände und weisse Oberflächen prägen die Innenräume. Der graue Teppich, helle Vorhänge und hölzerne Türgriffe sorgen für etwas wohnliche Stimmung. Die von Herzog & de Meuron für die Büros entworfenen Holztische sind nur im Restaurant zu finden. Actelion entschied sich für nüchterne, höhenverstellbare Möbel.
Die Stapelung ist ein wahrer Kraftakt: 1500 Detailzeichnungen waren nötig, 2500 Tonnen Stahl wurden verarbeitet, 3,8 Kilometer Fachwerkträger verschweisst. Die statische Struktur ist eine Stahlkonstruktion mit raumhaltigen Kastenträgern, die als offene Gitterstrukturen ausgebildet sind. Ein Dickicht an massiven Streben unterschiedlichen Querschnitts wuchert hinter der Glasfassade. Sie machen deutlich, welche Kräfte der Stahl aufnimmt. Die schrägen Streben überkreuzen sich zum X, wo ein Durchgang nötig ist, sind sie Y-förmig. In den unteren Geschossen ist der Strebenwald lichter, oben wird er immer dichter, er gleicht damit einem Baum, der die Lasten nach unten in den Stamm ableitet. Die schrägen Streben werden durch senkrechte Pfosten ergänzt. Sie sind Teil der Virendeelträger, welche die grossen Spannweiten und Auskragungen ermöglichen. Die Spannweiten waren aber zu gross, die Statik zu sehr ausgereizt, um die Lasten ohne zusätzliche Unterstützung abzufangen. Deshalb kommen Stützen im Aussenraum hinzu, die teilweise über fünf Geschosse frei im Raum stehen und die Balken wie Krücken stützen. Sie waren ursprünglich nicht Teil des Konzepts. Jetzt verbin- den sie den Balkenwirrwarr über die Stockwerke und führen mit ihrer wuchtigen Grösse eine neue räumliche Dimension ein. Das Prinzip des Stapelns schwächen sie aber ab.
Anders als beim VitraHaus, wo das Verschneiden der Module neue Räume schafft, sind beim Actelion-Neubau die Balken übereinander geschichtet und durchdringen sich im Schnitt nicht. Abgesehen von den überschneidungen im Grundriss bleiben sie räumlich getrennt. Der Reiz liegt in den Durchblicken zwischen den Balken, die überraschende räumliche Querbezüge herstellen: So schaut plötzlich eine Gebäudeecke hervor oder man sieht durch einen Zwischenraum quer durch den Hof. Im Vordergrund steht aber der Blick auf das räumliche Spektakel und nicht die visuelle Verbindung der Büros.
Neben Stapeln und Stützen schlägt das Projekt weitere Themen an: Die Balkenenden an den Grundstückskanten wirken wie abgeschnitten und sind als weisse Schnittflächen ausgebildet. Zu welchem Balken sie gehören, ist nicht immer ersichtlich. Krumm und schief ist nicht nur die Balkenlage. Auch die Wände sind teilweise nicht senkrecht, sondern überhängend oder nach innen geneigt. Was wie eine weitere Spielerei mit dem Chaotischen wirkt, kommt direkt aus dem Baurecht: Zu den benach- barten Bauten muss das Gebäude ab sechs Metern Höhe um zehn Grad zurückspringen. Diesen Winkel übernehmen die Architekten und kehren ihn für einige Wände um, um auf die Sonneneinstrahlung zu reagieren. Alle diese Strategien mögen gut begründet sein. Doch als Ganzes betrachtet passiert zu viel im Gebäude, als dass ein Konzept erkennbar wäre. Die raffinierte Stapelung führt zu vielfältigen Räumen, doch der Balkenwirrwarr ist komplex und sich darin zurechtzufinden, ist schwierig. Die verglaste Fassade gibt zwar Blicke in die Umgebung und in die Innenhöfe frei, doch die subtilen Variationen überfordern die Wahrnehmung. Man bewegt sich stets in denselben Raum- und Fassadenformen und so sieht das Gebäude scheinbar überall gleich aus. Bei geschlossenen Storen ist der Besucher erst recht verloren, er irrt durch die Gänge und fragt sich, auf welchem Geschoss er sich gerade befindet. Ein Modell bei jedem Aufzug — es stammt nicht von den Architekten — soll den Mitarbeitenden die Orientierung erleichtern. Angelika Rose-Hüll, Pressesprecherin von Actelion, weiss, dass es nicht einfach ist, sich zu orientieren. «Das Verwirrspiel ist aber auch spannend», meint sie: «Plötzlich begegne ich neuen Personen.» Angelika Rose-Hüll betont, dass Kommunikation unter den Mitarbeitern für die Projektidee von grösster Bedeutung war. Um diese aus ihren Büros zu holen, liegen die Besprechungszimmer an den Enden der Balken. Und ist die Zusam- menarbeit tatsächlich besser? Ein zufällig vor- beigehender Mitarbeiter schätzt die imposante Architektur, empfindet die Distanzen im Neubau aber als eher gross. Denn jetzt separieren die schmalen Balken mit aufgereihten Einzelbüros die Arbeitsplätze räumlich — das steht im Wider- spruch zur ursprünglichen Zielsetzung. Die spannendsten Räume entstehen nicht im Gebäudeinnern, sondern im Hof. Der Zauber des Chaos kommt zwischen den Balken am bes- ten zur Geltung. Doch Mitten ins Gewirr kommt man kaum. Nur zwei der Dachflächen sind als Terrassen begehbar. Man habe die ausgereizte Statik nicht zusätzlich belasten wollen, so die Begründung. Immerhin denkt man darüber nach, einen Teil des Dachs über dem Erdgeschoss noch zugänglich zu machen. Doch wo nicht bereits Durchgänge vorgesehen sind, wird es schwierig, im dichten Strebenwald des Fachwerks neue öffnungen anzubringen. Vielleicht gelingt es aber trotzdem noch, im Innenhof einen Ort zu schaffen, wo sich alle Mitarbeitenden begegnen und gemeinsam über die Stapelung staunen können.
Das Actelion-Gebäude steht in einer Reihe mit anderen gestapelten Projekten von Herzog & de Meuron. Dazu zählen ein Entwurf für eine Filmakademie in der chinesischen Stadt Qingdao, ein Projekt für ein Industrieareal in Sardinien und das VitraHaus in Weil am Rhein. Jacques Herzog erklärt, warum Herzog & de Meuron das Prinzip des Stapelns immer wieder einsetzen.
Was verbindet die vier Projekte? Abgesehen vom Prinzip des Stapelns sehe ich keine Verbindung zwischen den Projekten. Für uns ist viel wichtiger zu hören, wie von aussen Verwandtschaften, Ähnlichkeiten oder Unterschiede festgemacht werden.
Widersprechen die Stützen bei Actelion nicht dem Prinzip der Stapelung? Die Balken konnten alleine nicht tragen, also haben wir sie unterstützt mit einer Art Krücken. Wir empfinden das nicht als störend. Hätten wir sie als störend empfunden, hätten wir die Balken massiver ausbilden können. Das hätte aber zu einer heroischeren Geste geführt. Mit den Stützen haben wir den Bau entmonumentalisiert. Wir sind froh, diese nachträglich eingefügt zu haben. Sie zeigen den Unterschied zwischen einem Kinderspiel mit Bauklötzen und der Realität des Bauens. Es ist wichtig, solche Sachen anzusprechen, da die Architekturkritik die Umsetzung in die Realität oft vernachlässigt.
Entwickeln Sie das Thema des Stapelns auch projektunabhängig? Ohne konkretes Projekt überlegen wir uns keine architektonischen Fragen. Das Stapeln ist eine plastische Strategie. Das eine auf das andere zu legen, ist etwas Alltägliches und Banales. Gleichzeitig aber auch die primäre Handlung, wenn man etwas baut. Solch einfache Gesten, die alltägliches Handeln und professionelles Bauen verbinden, haben uns schon immer interessiert.
Ihr Projektleiter hat das Actelion Business Center als Teil der Projektfamilie des Stapelns vorgestellt. Herzog & de Meuron hat den Anspruch, jedes Projekt von Grund auf zu entwerfen. Widerspricht die Arbeit in Projektfamilien nicht diesem Prinzip? Ich selbst würde nicht von Projektfamilien sprechen. Wir denken nicht so, sondern arbeiten konzeptionell. Um spezifische Qualitäten zu entwickeln, gehen wir Projekte mit verschiedenen Strategien an. Das Stapeln ist ein Prinzip, das wir immer wieder aufnehmen. Es wäre unsinnig, dieses Prinzip nur einmal anzuwenden. Bauen ist nicht unendlich offen für neue Konzepte. Es geht also darum, Strategien zu überlagern. Dieses Vorgehen ist verwandt mit der Natur: Aufgrund ähnlicher Grundgegebenheiten entsteht am Schluss ein völlig anderer Organismus.
Dennoch: VitraHaus, Actelion und die beiden Projekte in China und Sardinien werden als ähnlich wahrgenommen. Natürlich bestehen typologisch enge Verwandtschaften. Beim Vitra-Haus wie bei Actelion ist das Konzept das plastische Stapeln. Aber es kommen andere Themen dazu, die diese Projekte jeweils bestimmen und zu unterschiedlichen Architekturen führen. Das Vitra-Haus basiert auf einem archaischen Modul, dessen offene Enden den Blick auf die Landschaft fokussieren. Bei Actelion hingegen sind es abstrakte Kuben, die wie Balken übereinandergelegt werden. Diese öffnen sich nach allen Seiten. So ergeben sich räumliche Querbezüge, während beim Vitra-Haus gerade diese Sichtbeziehungen ausgeschlossen werden. Die Absichten der beiden Projekte sind also anders, obwohl wir dasselbe Prinzip verwenden. Die entwerferische Strategie führt zu verschiedenen Architekturen.
Die Projekte sind also zu unterschiedlich, um von Familien zu sprechen? Es gibt Strategien, die sich wiederholen. Stapeln, Extrudieren, das Verwenden der archaischen Form des Hauses oder Überlegungen zu Oberflächen sind Themen, die wir über die Jahre entwickelt haben. So entstand eine ganze Palette von Konzepten, die wir in unserer Architektur anwenden. Diese Stapelentwürfe sind also untereinander nicht mehr verwandt als andere Projekte, da das Stapeln nur eines von vielen Themen ist.
Und doch ist das Stapeln ein sehr starkes architektonisches Prinzip. Klar, weil das Stapeln expressiv ist, liegt es nahe, die Bauten als Teil derselben Familie zu lesen. Doch uns interessiert das Stapeln im Grunde nicht mehr als andere plastische Konzepte. In einem konkreten Projekt kann es allerdings plötzlich relevant werden.
Geht bei der Arbeit mit prägenden Entwurfsstrategien der Bezug zum Ort nicht verloren? Nein. Wir wiederholen die Strategien nur, wenn sie für den Ort geeignet sind. So könnte man sich Actelion nicht bei Vitra vorstellen und umgekehrt. Die Beispiele zeigen, dass die gleichen bildnerischen Strategien an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Resultaten führen.
Actelion bekennt sich zu ihrem Hauptsitz in Allschwil und liess sich mit dem Balkenstapel ein Schaustück bauen. Für die 1997 gegründete Firma ist das Gebäude eine Investition in ihre Unternehmenskultur. Sie beauftragte Herzog & de Meuron, ein Gebäude zu entwickeln, das die Unternehmensidentität baulich widerspiegelt: Innovation, Offenheit und Kommunikation. Das durfte etwas kosten: «Natürlich verursacht ein so ungewöhnlich ausgelegtes Gebäude mehr Arbeitsstunden als ein herkömmliches», sagt Louis de Lassence, Leiter Corporate Services von Actelion und ihr Bauherrenvertreter, in einem Interview auf der Website stadtfragen.ch. «Was das Budget angeht, kann sich Actelion dieses Business Center leisten», erklärt er. Eine einfache Kiste reicht für Unternehmen, die im globalen Mitarbeiterwettbewerb um die besten Fachkräfte stehen, nicht aus. Also entwarfen die Architekten ein Bauwerk, das die Merkmale eines gewöhnlichen Bürobaus wortwörtlich über den Haufen wirft.
Das Erdgeschoss ist leicht abgesenkt. So schreitet man langsam unter den Balkenwirrwarr und tritt durch eine der beiden Drehtüren ins grosszügige Foyer. Die Fassade ist hier komplett verglast und der kreuzförmige Grundriss lässt den Blick nach draussen schweifen. Der Raum wirkt ruhig und übersichtlich. Nur ein paar schräge Stützen deuten an, was sich darüber auftürmt. Von der Mitte aus steigt der Boden in drei Richtungen leicht an. Holzbänke in der Schräge laden zum Schauen ein. An den Enden der vier Flügel liegen ein Auditorium, die Cafeteria, das Restaurant und zwei Schulungsräume. An einer Stelle klappt der Boden auf, eine breite Treppe holt die Autofahrer im Untergeschoss ab und bringt sie hoch zum zentralen Rezeptionsoval, wo alle Besucherströme zusammenlaufen. Pflanzenteppiche der Naturkünstlerin Tita Giese fliessen durch die Fassade im Erdgeschoss — innen und aussen verschmelzen.
Die übrigen Geschosse sind um einen mittigen Hof organisiert, den die Bürobalken durchschneiden. Weil sie auf jedem Stockwerk anders angeordnet sind, gleicht kein Grundriss dem nächsten. Die fünf bis sieben Balken pro Stockwerk scheinen wie zufällig in allen möglichen Richtungen aufgeschichtet. Obwohl die Struktur chaotisch wirkt, ist eine gewisse Logik zu erkennen. Die Balken überlagern sich nämlich an vier fixen Punkten, an denen das Gebäude vertikal erschlossen ist. Vier Treppenskulpturen, deren Ein- und Ausgänge in Balkenrichtung zeigen, verbinden hier die Geschosse. In den schmalen Bürobalken bewegt man sich entlang der Fassade. So werden die rund 350 Arbeitsplätze erschlossen und unterwegs blickt man zur einen Seite in den Hof und zur anderen auf die Einzel- oder Grossraumbüros. Die verglaste Fassade, transparente Trennwände und weisse Oberflächen prägen die Innenräume. Der graue Teppich, helle Vorhänge und hölzerne Türgriffe sorgen für etwas wohnliche Stimmung. Die von Herzog & de Meuron für die Büros entworfenen Holztische sind nur im Restaurant zu finden. Actelion entschied sich für nüchterne, höhenverstellbare Möbel.
Die Stapelung ist ein wahrer Kraftakt: 1500 Detailzeichnungen waren nötig, 2500 Tonnen Stahl wurden verarbeitet, 3,8 Kilometer Fachwerkträger verschweisst. Die statische Struktur ist eine Stahlkonstruktion mit raumhaltigen Kastenträgern, die als offene Gitterstrukturen ausgebildet sind. Ein Dickicht an massiven Streben unterschiedlichen Querschnitts wuchert hinter der Glasfassade. Sie machen deutlich, welche Kräfte der Stahl aufnimmt. Die schrägen Streben überkreuzen sich zum X, wo ein Durchgang nötig ist, sind sie Y-förmig. In den unteren Geschossen ist der Strebenwald lichter, oben wird er immer dichter, er gleicht damit einem Baum, der die Lasten nach unten in den Stamm ableitet. Die schrägen Streben werden durch senkrechte Pfosten ergänzt. Sie sind Teil der Virendeelträger, welche die grossen Spannweiten und Auskragungen ermöglichen. Die Spannweiten waren aber zu gross, die Statik zu sehr ausgereizt, um die Lasten ohne zusätzliche Unterstützung abzufangen. Deshalb kommen Stützen im Aussenraum hinzu, die teilweise über fünf Geschosse frei im Raum stehen und die Balken wie Krücken stützen. Sie waren ursprünglich nicht Teil des Konzepts. Jetzt verbin- den sie den Balkenwirrwarr über die Stockwerke und führen mit ihrer wuchtigen Grösse eine neue räumliche Dimension ein. Das Prinzip des Stapelns schwächen sie aber ab.
Anders als beim VitraHaus, wo das Verschneiden der Module neue Räume schafft, sind beim Actelion-Neubau die Balken übereinander geschichtet und durchdringen sich im Schnitt nicht. Abgesehen von den überschneidungen im Grundriss bleiben sie räumlich getrennt. Der Reiz liegt in den Durchblicken zwischen den Balken, die überraschende räumliche Querbezüge herstellen: So schaut plötzlich eine Gebäudeecke hervor oder man sieht durch einen Zwischenraum quer durch den Hof. Im Vordergrund steht aber der Blick auf das räumliche Spektakel und nicht die visuelle Verbindung der Büros.
Neben Stapeln und Stützen schlägt das Projekt weitere Themen an: Die Balkenenden an den Grundstückskanten wirken wie abgeschnitten und sind als weisse Schnittflächen ausgebildet. Zu welchem Balken sie gehören, ist nicht immer ersichtlich. Krumm und schief ist nicht nur die Balkenlage. Auch die Wände sind teilweise nicht senkrecht, sondern überhängend oder nach innen geneigt. Was wie eine weitere Spielerei mit dem Chaotischen wirkt, kommt direkt aus dem Baurecht: Zu den benach- barten Bauten muss das Gebäude ab sechs Metern Höhe um zehn Grad zurückspringen. Diesen Winkel übernehmen die Architekten und kehren ihn für einige Wände um, um auf die Sonneneinstrahlung zu reagieren. Alle diese Strategien mögen gut begründet sein. Doch als Ganzes betrachtet passiert zu viel im Gebäude, als dass ein Konzept erkennbar wäre. Die raffinierte Stapelung führt zu vielfältigen Räumen, doch der Balkenwirrwarr ist komplex und sich darin zurechtzufinden, ist schwierig. Die verglaste Fassade gibt zwar Blicke in die Umgebung und in die Innenhöfe frei, doch die subtilen Variationen überfordern die Wahrnehmung. Man bewegt sich stets in denselben Raum- und Fassadenformen und so sieht das Gebäude scheinbar überall gleich aus. Bei geschlossenen Storen ist der Besucher erst recht verloren, er irrt durch die Gänge und fragt sich, auf welchem Geschoss er sich gerade befindet. Ein Modell bei jedem Aufzug — es stammt nicht von den Architekten — soll den Mitarbeitenden die Orientierung erleichtern. Angelika Rose-Hüll, Pressesprecherin von Actelion, weiss, dass es nicht einfach ist, sich zu orientieren. «Das Verwirrspiel ist aber auch spannend», meint sie: «Plötzlich begegne ich neuen Personen.» Angelika Rose-Hüll betont, dass Kommunikation unter den Mitarbeitern für die Projektidee von grösster Bedeutung war. Um diese aus ihren Büros zu holen, liegen die Besprechungszimmer an den Enden der Balken. Und ist die Zusam- menarbeit tatsächlich besser? Ein zufällig vor- beigehender Mitarbeiter schätzt die imposante Architektur, empfindet die Distanzen im Neubau aber als eher gross. Denn jetzt separieren die schmalen Balken mit aufgereihten Einzelbüros die Arbeitsplätze räumlich — das steht im Wider- spruch zur ursprünglichen Zielsetzung. Die spannendsten Räume entstehen nicht im Gebäudeinnern, sondern im Hof. Der Zauber des Chaos kommt zwischen den Balken am bes- ten zur Geltung. Doch Mitten ins Gewirr kommt man kaum. Nur zwei der Dachflächen sind als Terrassen begehbar. Man habe die ausgereizte Statik nicht zusätzlich belasten wollen, so die Begründung. Immerhin denkt man darüber nach, einen Teil des Dachs über dem Erdgeschoss noch zugänglich zu machen. Doch wo nicht bereits Durchgänge vorgesehen sind, wird es schwierig, im dichten Strebenwald des Fachwerks neue öffnungen anzubringen. Vielleicht gelingt es aber trotzdem noch, im Innenhof einen Ort zu schaffen, wo sich alle Mitarbeitenden begegnen und gemeinsam über die Stapelung staunen können.
Das Actelion-Gebäude steht in einer Reihe mit anderen gestapelten Projekten von Herzog & de Meuron. Dazu zählen ein Entwurf für eine Filmakademie in der chinesischen Stadt Qingdao, ein Projekt für ein Industrieareal in Sardinien und das VitraHaus in Weil am Rhein. Jacques Herzog erklärt, warum Herzog & de Meuron das Prinzip des Stapelns immer wieder einsetzen.
Was verbindet die vier Projekte? Abgesehen vom Prinzip des Stapelns sehe ich keine Verbindung zwischen den Projekten. Für uns ist viel wichtiger zu hören, wie von aussen Verwandtschaften, Ähnlichkeiten oder Unterschiede festgemacht werden.
Widersprechen die Stützen bei Actelion nicht dem Prinzip der Stapelung? Die Balken konnten alleine nicht tragen, also haben wir sie unterstützt mit einer Art Krücken. Wir empfinden das nicht als störend. Hätten wir sie als störend empfunden, hätten wir die Balken massiver ausbilden können. Das hätte aber zu einer heroischeren Geste geführt. Mit den Stützen haben wir den Bau entmonumentalisiert. Wir sind froh, diese nachträglich eingefügt zu haben. Sie zeigen den Unterschied zwischen einem Kinderspiel mit Bauklötzen und der Realität des Bauens. Es ist wichtig, solche Sachen anzusprechen, da die Architekturkritik die Umsetzung in die Realität oft vernachlässigt.
Entwickeln Sie das Thema des Stapelns auch projektunabhängig? Ohne konkretes Projekt überlegen wir uns keine architektonischen Fragen. Das Stapeln ist eine plastische Strategie. Das eine auf das andere zu legen, ist etwas Alltägliches und Banales. Gleichzeitig aber auch die primäre Handlung, wenn man etwas baut. Solch einfache Gesten, die alltägliches Handeln und professionelles Bauen verbinden, haben uns schon immer interessiert.
Ihr Projektleiter hat das Actelion Business Center als Teil der Projektfamilie des Stapelns vorgestellt. Herzog & de Meuron hat den Anspruch, jedes Projekt von Grund auf zu entwerfen. Widerspricht die Arbeit in Projektfamilien nicht diesem Prinzip? Ich selbst würde nicht von Projektfamilien sprechen. Wir denken nicht so, sondern arbeiten konzeptionell. Um spezifische Qualitäten zu entwickeln, gehen wir Projekte mit verschiedenen Strategien an. Das Stapeln ist ein Prinzip, das wir immer wieder aufnehmen. Es wäre unsinnig, dieses Prinzip nur einmal anzuwenden. Bauen ist nicht unendlich offen für neue Konzepte. Es geht also darum, Strategien zu überlagern. Dieses Vorgehen ist verwandt mit der Natur: Aufgrund ähnlicher Grundgegebenheiten entsteht am Schluss ein völlig anderer Organismus.
Dennoch: VitraHaus, Actelion und die beiden Projekte in China und Sardinien werden als ähnlich wahrgenommen. Natürlich bestehen typologisch enge Verwandtschaften. Beim Vitra-Haus wie bei Actelion ist das Konzept das plastische Stapeln. Aber es kommen andere Themen dazu, die diese Projekte jeweils bestimmen und zu unterschiedlichen Architekturen führen. Das Vitra-Haus basiert auf einem archaischen Modul, dessen offene Enden den Blick auf die Landschaft fokussieren. Bei Actelion hingegen sind es abstrakte Kuben, die wie Balken übereinandergelegt werden. Diese öffnen sich nach allen Seiten. So ergeben sich räumliche Querbezüge, während beim Vitra-Haus gerade diese Sichtbeziehungen ausgeschlossen werden. Die Absichten der beiden Projekte sind also anders, obwohl wir dasselbe Prinzip verwenden. Die entwerferische Strategie führt zu verschiedenen Architekturen.
Die Projekte sind also zu unterschiedlich, um von Familien zu sprechen? Es gibt Strategien, die sich wiederholen. Stapeln, Extrudieren, das Verwenden der archaischen Form des Hauses oder Überlegungen zu Oberflächen sind Themen, die wir über die Jahre entwickelt haben. So entstand eine ganze Palette von Konzepten, die wir in unserer Architektur anwenden. Diese Stapelentwürfe sind also untereinander nicht mehr verwandt als andere Projekte, da das Stapeln nur eines von vielen Themen ist.
Und doch ist das Stapeln ein sehr starkes architektonisches Prinzip. Klar, weil das Stapeln expressiv ist, liegt es nahe, die Bauten als Teil derselben Familie zu lesen. Doch uns interessiert das Stapeln im Grunde nicht mehr als andere plastische Konzepte. In einem konkreten Projekt kann es allerdings plötzlich relevant werden.
Geht bei der Arbeit mit prägenden Entwurfsstrategien der Bezug zum Ort nicht verloren? Nein. Wir wiederholen die Strategien nur, wenn sie für den Ort geeignet sind. So könnte man sich Actelion nicht bei Vitra vorstellen und umgekehrt. Die Beispiele zeigen, dass die gleichen bildnerischen Strategien an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Resultaten führen.
Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre
Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönig
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