Bauwerk

Hotel Daniel Vienna
Atelier Heiss Architekten - Wien (A) - 2011
Hotel Daniel Vienna, Foto: Atelier Heiss Architekten
Hotel Daniel Vienna, Foto: Atelier Heiss Architekten

Hotel der anderen Art

Das Hotel Daniel am Landstraßer Gürtel in Wien birgt einige Erstaunlichkeiten: außen groß, innen im Minimalstil gehalten mit Flohmarkt-Chic. Allein, es fragt sich, welche Klientel es ansprechen soll.

31. Dezember 2011 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die Überraschung ist gewaltig, wenn man das neue Hotel Daniel am Landstraßer Gürtel betritt. Denn man kommt zwar in einen sehr großzügigen, offenen Raum mit einer Art Empfangszone sowie Bar und/oder Restaurant („Bakery“), aber möbliert ist das Ganze äußerst eigentümlich, auf eine Art gehobenes Flohmarktniveau. Da mischen sich die Nachkriegsjahrzehnte beliebig durcheinander, durchaus konzentriert auf Massendesign, dazwischen niedrige Tische, die sogar Euro-Paletten nutzen, wie sie jeder Hubstapler im Baumarkt bewegt. Viele Topfpflanzen, meistens der kleineren, wenig repräsentativen Art. Spiegel? Eine alte Psyche, so stand sie auch im Schlafzimmer meiner Eltern. Eine wunderschöne, hölzerne Werkbank, wozu ist die da? – Was man zunächst aber keineswegs findet, das ist die Rezeption.

Die gibt es natürlich schon, aber man muss sie erst einmal identifizieren. Vom Outfit her hat sie jedenfalls mehr von einem Shop. Mir sind Hemden in Erinnerung, die gleich daneben zum Verkauf ausliegen. Das Personal ist jedenfalls sehr freundlich. Ein etwas ratloser Rundgang wurde gleich, aber nur kurz unterbrochen mit der Frage, ob man vielleicht irgendwie helfen könne. Verneinung, Rückzug, freie Bewegungsmöglichkeit, keine einengende Begleitung.

Das Hotel stellt den neuen Inhalt, die neue Nutzung des Hoffmann-LaRoche-Gebäudes von Georg Lippert und Roland Rohn dar, eine Architekturikone von 1960–1962, und je nach Quellen eines der ersten, wenn nicht das erste Gebäude mit einer Curtain Wall in Wien. Es ist ein Monolith am Gürtel, unweit vom ehemaligen Südbahnhof, und es sendet seine Grüße hinüber zum (Einund)Zwanziger-Haus-Komplex von Karl Schwanzer. Christian Heiss vom Büro Heiss Architekten sagt, erst in der Einreichphase wurden die Fassade und das Stiegenhaus unter Denkmalschutz gestellt, aber das habe die Planung nicht weiter tangiert, weil man mit den originalen Restbeständen dieser „Ikone“ sowieso äußerst respektvoll umgegangen sei. Abgesehen davon, dass diese Fassade eigentlich in tadellosem Zustand war: Die Aluprofile haben die Zeitläufe perfekt überstanden, nur hier und da musste eine gebrochene Scheibe ersetzt werden. Und die Hinterleuchtung des Gesimses, des oberen Abschlusses des Hauses, wird bald wieder perfekt erstrahlen.

Vom Originalen war im Inneren aber nicht mehr viel da. Außerdem gab es einen ziemlich schlimmen Anbau, den man abgerissen hat, um die ursprüngliche Wirkung des Solitärs wiederherzustellen. Dass man dadurch die Möglichkeit geschaffen hat, gleich daneben, einen Wohnbau zu schaffen (noch im Bau, ebenfalls Atelier Heiss), dessen viergeschoßige Tiefgarage gemeinsam mit dem Hotel genutzt werden soll, muss man unter den Vorzeichen der ökonomischen Verwertung von Grundstücken in einer solchen Lage zur Kenntnis nehmen. Erwähnenswert immerhin, dass ein Sonderparagraf zur Anwendung kam, damit die Vorgabe der geschlossenen Bauweise durchbrochen werden konnte.

Architektonisch gab es zwei Hauptschwierigkeiten: in einer Bürohausstruktur mit ihrem speziellen Raster Hotelzimmer unterzubringen war die eine; das zweite Stiegenhaus, ein Fluchtstiegenhaus, das heute zwingend vorgeschrieben ist, war die andere. Letzteres führt jetzt ins Freie, es ist also nicht für die tägliche Benutzung gedacht; Heiss hätte sich die Möglichkeit eines Rundumgangs mittels der zwei Stiegenhäuser gewünscht, aber das hätte im Erdgeschoß zu Problemen geführt; die kleine Küche wäre dadurch noch kleiner geworden.

Reißverschlusssystem im Zimmer

Die (Doppel)Zimmer sind ein Kapitel für sich. Sie bewegen sich in der Größenordnung von 16 (Standard) bis 26 Quadratmetern (Eckzimmer, eine Suite) und sind so knapp bemessen, dass der Architekt kleine Nischen einführen musste, um das Doppelbett unterzubringen und am Fußende doch noch vorbeigehen zu können. Das Ganze funktioniert wie ein Reißverschluss. Die Nischen sind verschränkt: Im einen Zimmer ist dieses Doppelbett nahe am Fenster, im anschließenden nahe an der Tür. Mit den Duschkabinen verhält es sich umgekehrt: Einmal sind sie ganz nah am Fenster (geschützt durch ein Rolleau), im anderen Fall nahe dem Eingang. In jedem Fall sind sie aber, im Verhältnis zum Minimalismus der Zimmer, sehr angenehm dimensioniert.

Der Minimalismus dieser Zimmer: Er ist wirklich auf das absolut Notwendige reduziert. Sanitäre Einrichtungen, ein Doppelbett, ein Flachbildfernseher an der Wand. Kein Schrank, keine Ablageflächen, kein Sessel. Das kommt mir sehr heavy vor. Denn die Betten sind wohl zu niedrig, um einen Koffer drunterzuschieben. Dafür bleibt eine kleine Raumnische. Was macht man mit seiner Kleidung? Mehr als vier Bügel an einer Garderobe habe ich nicht gezählt. Und wo legt man die Wäsche, die Kosmetikartikel ab? Die Zimmer sind also klein, aber vom Architekten definitiv – unter diesen Vorgaben des Betreibers – optimal gelöst. Die Bettnischen sind durch Nussholz irgendwie in den Adelsstand erhoben, der Teppichboden erfüllt akustische Funktionen, weil es im Lippert-Bau zeitbedingt keine Doppelböden gibt, man würde also jeden Stöckelschuhschritt durch die Geschoße hören. Immerhin: Die Gesamtwirkung der Zimmer ist durchaus elegant, vielleicht gerade weil sie so reduziert in der Möblierung sind.

Problematisch war auch die Glasfassade, wenn man sie von innen betrachtet. Das Glas hat einfach nicht die Werte, die man erwartet – weder akustisch noch thermisch noch sicherheitstechnisch. Doch würde man Gläser verwenden, die heutigen Standards entsprechen, dann würden sich auch die Profile (natürlich nicht thermisch getrennt) ändern. Es wäre eine völlig andere Fassade. Aber die ist gerade das, was das Spezifikum dieses Sechzigerjahre-Solitärs ausmacht. Heiss musste Brandschutzmaßnahmen einführen, kleine, niedrige Mauern vor der Curtain Wall, die den Brandüberschlag verhindern und eine Sicherheitsmaßnahme darstellen, sodass niemand hinausfallen kann. Am äußeren Erscheinungsbild ändert das glücklicherweise nichts.

Nur da, wo der spätere, ziemlich uninteressante und störende Anbau war, da musste Christian Heiss ästhetische Entscheidungen treffen, die den Gesamtauftritt des Lippert-Hauses tangieren. Das ist recht diskret geschehen. Heiss zeigt die Verwundung am Gebäude, aber mit feinen Mitteln – große Glasflächen, auch geschlossene Wandelemente –, nur wo es notwendig war; weil Zimmer dahinter liegen, hat er Fassadenelemente „rekonstruiert“. Diese Maßnahmen sind insgesamt sehr verträglich.

Es ist übrigens ein junger Grazer Hotelier, der sich das ungewöhnliche, sternenlose Konzept für das Haus ausgedacht hat. Die Auslastung ist offenbar gut, die Preise sind in Ordnung. Von den oberen Etagen ist der Blick sensationell, sogar den „visuellen“ Sicherheitsabstand zum künftigen Wohnhaus hat der Architekt gewahrt. Als Nicht-Fachmann fragt man sich aber, wer hier die eigentliche Zielgruppe ist. Für Rucksacktouristen ist es viel zu anspruchsvoll. Und die anderen? Na ja, sagte der junge Hotelier nicht ohne Schmunzeln zu mir, bei unseren Preisen können Sie sich ja auch ein zweites Zimmer mieten – für Ihre Garderobe.

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