Bauwerk

Geriatriezentrum Liesing
Riepl Kaufmann Bammer Architektur - Wien (A) - 2012
Geriatriezentrum Liesing, Foto: Bruno Klomfar
Geriatriezentrum Liesing, Foto: Bruno Klomfar
Geriatriezentrum Liesing, Foto: Bruno Klomfar

Eintritt in eine andere Welt

Wohnatmosphäre statt Krankenhausgeruch lautet heute die Devise bei den Pflegeheimen. Im Pflegewohnhaus Wien-Liesing ist sie besonders nobel ausgefallen.

4. Mai 2013 - Franziska Leeb
Die Bewohner und Bewohnerinnen hätten sich sofort zu Hause gefühlt, erzählen die Pflegefachleute fast überrascht darüber, dass sich ihre betagten Schützlinge so rasch eingelebt haben. Schließlich sagt man älteren Menschen gemeinhin nach, nicht veränderungsfreudig zu sein. Das ist vermutlich sowieso ein Vorurteil, im Falle der Bewohnerschaft des Pflegewohnhauses Liesing aber gar kein so großes Wunder. Das alte Geriatriezentrum, aus dem sie vor wenigen Wochen hierher übersiedelten, bot wahrlich kein besonders behagliches Ambiente.

Der Schlosspark Liesing ist einer der traditionsreichsten Standorte der kommunalen Wiener Altenpflege. Bestehend aus einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert und dem 1878 nebenan errichteten „Versorgungsgebäude“ war – wie auch bei den anderen aus der Monarchie stammenden Pflegeheimen – die Zeit für einen Neubau überreif. Eine wohnliche Atmosphäre, die möglichst die vorhandene Maschinerie der Krankenhausinfrastruktur in den Hintergrund drängt, war auch hier eine Grundanforderung.
Weitere Anforderungen waren die Errichtung von überwiegend Einzelzimmern, Doppelzimmer nur für Paare und für jedes davon eine Loggia, die so barrierefrei ausgebildet sein muss, dass die Schwelle auch mit Pflegebetten leicht zu überwinden ist.

Die Arbeitsgemeinschaft bestehend aus dem Dornbirner Architekten Johannes Kaufmann und den Riepl Riepl Architekten aus Linz, die bereits bei Pflegeheimen in Dornbirn und Frankenmarkt kooperierten, hat den EU-weit ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen. Im Team mit dem vormaligen Mitarbeiter und Projektleiter Daniel Bammer firmieren sie mittlerweile unter Riepl Kaufmann Bammer Architektur auch in Wien.

Ihr Konzept zielt darauf ab, die Qualitäten der Parklage mit jenen der lebendigen Umgebung nächst dem Liesinger Bahnhof zu verknüpfen. Indem sie den Neubau als kompaktes Karree mit großen Innenhöfen entlang der Haeckelstraße anordnen, spielen sie Flächen für eine großzügige Parklandschaft um das Schloss frei und organisieren zugleich das Areal neu, in das nun auch das bestehende Parkbad im Süden des Geländes eingebunden werden kann. Der Pflegeheimtrakt aus dem Jahr 1878 wird abgerissen.

Der Neubau gewährt viele Schnittstellen und Durchdringungen zwischen Park und Pflegewohnhaus. Schon die Vorzone an der Straße ist landschaftsplanerisch gestaltet. Parkseitig blieb das verglaste Erdgeschoß etwa zur Hälfte zum von den 3:0 Landschaftsarchitekten sehr erlesen gestalteten Garten hin frei. Damit wurde unter dem Gebäude hindurch ein gefühltes und tatsächliches Freiraumkontinuum vom Vorplatz über die Höfe mit altem Baumbestand bis in den öffentlichen Park geschaffen.

Im Grundriss mag das Gebäudekonzept nüchtern erscheinen, und man konnte sich vom Plan weg gar nicht so leicht vorstellen, dass innerhalb dieser pragmatischen Geradlinigkeit tatsächlich ein wohnliches Milieu entstehen könnte. Nun, fertiggestellt und bewohnt, erweist es sich nicht zuletzt durch die sorgfältige und handwerklich präzise ausgeführte Materialisierung enorm behaglich und von einer Hochwertigkeit, die Wertschätzung gegenüber jenen, die dort wohnen und arbeiten, ausdrückt.

Die Fassadenverkleidung aus Messingtrapezlochblech erdet das Gebäude farblich in der Parklandschaft und bildet zudem für die benachbarte Bebauung aus der Zeit um 1900 ein wertiges Gegenüber. Das Material setzt sich im Erdgeschoß als Deckenverkleidung fort. In Kombination mit dem Bodenbelag aus schwarz-weißem Terrazzo mit einer Gesteinskörnung aus Carrara-Marmor, der sich in Form der Treppen nach oben fortsetzt, und den mit Ulmenfurnier belegten Wandverkleidungen wurde ein elegantes, einladendes Ambiente geschaffen. In den drei Obergeschoßen des Karrees sind jeweils vier l-förmige Pflegewohnbereiche angesiedelt.

Zwei gläserne Spangen, die den internen Freibereich in drei Höfe unterteilen, sorgen für kurze Wege innerhalb der Geschoße. Zudem ermöglichen sie Rundgänge, die jeweils über zwei Pflegewohnbereiche – so werden die Stationen jetzt genannt – führen. Die Orientierung innerhalb wird durch subtile Maßnahmen unterstützt: Alle Gänge führen zum Tageslicht. Die abgehängten quadratischen Leuchten in den Tagräumen wurden in den Gangbereich erweitert und zeigen so schon von Weitem die Lage der Gemeinschaftsflächen an. In die Gänge wurden die nach Station unterschiedlich farbigen Zimmerböden unter den Türen ein Stück hinausgezogen und dienen nun ebenso als dezente Markierungen wie die im Bereich der Türdrücker mit einem dunklerem Nussholzstreifen versehenen Eichenportale der Zimmer.

Die Doppelzimmer sind paarweise zueinander gespiegelt nach Norden angeordnet und teilen sich jeweils eine Loggia. Die Einzelzimmer sind auf durchlaufende, mit Paravents voneinander abgeschotteten Balkonbändern zum Park oder Hof hin orientiert. Messingverkleidete Schiebepaneele, trotz massiver Optik erstaunlich leicht zu bedienen, gestatten die individuelle Beschattung der Freiräume.

Dass den Menschen der Umzug leichtfiel, liegt gewiss auch an Bele Marx und Gilles Mussard. Die beiden haben über viele Monate lang die alten Leute besucht, mit ihnen gekocht und auf diese Weise viel über die verschiedenen Lebensgeschichten und Sorgen erfahren. Auf etlichen Glasflächen sind die Ergebnisse dieser gegenseitig bereichernden Besuche sichtbar. „Wisst ihr, ich habe Sternenstaub auf mich rieseln lassen.“ Die Buchstaben dieses Zitats eines Bewohners bilden das nach Art eines Kaleidoskops strukturierte Muster, das am Eingang zum Sinnbild für den Eintritt in eine andere Welt wird, während das Buchstabengewirr zur Metapher für das Innenleben der Menschenwird.

Im Vorraum des Andachtsraumes schaffen sie mit einem kaleidoskopartigen Rapport einer Häkelarbeit aus der Ergotherapiegruppe eine ruhige Atmosphäre von heiterer Grundstimmung. Der Andachtsraum selbst liegt als holzverkleidete Schatulle unter dem aufgeständerten Gartentrakt. Innen mit Holzboden und gestockten Sichtbetonwänden ausgestattet, strahlt er eine erdige Ruhe aus. Die Künstlerin Svenja Deininger verlieh ihm mit einem strahlend weißen Faltobjekt, einer Textilarbeit und einem schlanken Holzkörper Akzente, die eine sakrale Ausstrahlung unterstützen.

Ein schöner Ort ist das. Und er könnte auch jenen einmal gefallen, die jetzt gern zu Zumthor baden gehen oder in Hotels von Nouvel logieren.

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