Bauwerk
Wiener Musikverein - Neue Säle
Holzbauer und Partner - Wien (A) - 2003
Das Symphonieorchester auf U-Bahn-Niveau
Die neuen Säle des Wiener Musikvereins von Wilhelm Holzbauer: Ein Besuch im Untergrund
27. März 2004 - Oliver Elser
Am Karlsplatz gleicht Wien einem Eisberg. Nur ein kleiner Teil der Gebäude schaut aus der Erde heraus, der überwiegende Anteil der Baumasse ist darin vergraben. Der unterirdische Raum umfasst die üppig dimensionierte Röhre für den hochwasseranfälligen Wienfluss, die drei Tunnel der U-Bahn sowie ein weit verzweigtes System aus Verbindungsgängen und Technikgeschossen, die bis zu neun Stockwerke tief hinabreichen. Würde eine gigantische Flutwelle dieses Bauwerk aus der Erde spülen, käme ein Gebilde zum Vorschein, das sich eine Zaha Hadid nicht bizarrer ausdenken könnte.
In einem sehr überschaubaren Teil des Geflechts sind nun weitere Räume hinzugekommen. Für die dringend benötigten Probenräume des Wiener Musikvereins kam nur eine unterirdische Lösung in Frage, da das Gebäude von Theophil Hansen nicht angerührt werden sollte. Zunächst war geplant, nur einen einzigen Saal unter der Platzfläche zwischen Musikverein und Künstlerhaus zu versenken. Aber da das Haus auch für die heute üblichen Formen der Fremdvermietung an Firmen oder Geburtstagsgesellschaften wenig Möglichkeiten bot, wurde das Raumprogramm erweitert.
Hinzugekommen sind nun ein großer und drei kleine Säle, die jeweils für Proben, Aufführungen und Veranstaltungen genutzt werden können. Auf zwei Geschossen füllen sie den Raum zwischen den Kellern von Musikverein und Künstlerhaus. Die Verbindung der Säle liegt im Altbau, dessen Kellerräume als lang gestreckte Foyer-Flure umgebaut wurden. Alles ist klar organisiert wie in einem überirdischen Gebäude. Wenn die Flutwelle eines Tages den unterirdischen Karlsplatz freilegen würde, müssten nur noch Fenster in die Betonwanne hineingeschnitten werden, dann stünde dort ein ganz normales, kubisches Haus.
Der Architekt Wilhelm Holzbauer ist nicht jemand, den das Bauen im Untergrund dazu anregen würde, den sehr speziellen Ort in den Entwurf mit einzubeziehen. Und die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ist kein Auftraggeber, der an Experimenten interessiert war, sonst hätte sie sich kaum für Holzbauer und seinen Partner Dieter Irresberger als Architekten entschieden.
Oberste Priorität hatte die akustische Qualität der Säle. Die besondere Herausforderung lag darin, den weltberühmten goldenen Saal des Musikvereins in seiner akustischen Wirkung zu kopieren, und zwar mit der verschärfenden Auflage, dass der neue große Probensaal exakt so zu klingen habe, wie das überirdische Original bei gefüllten Rängen. Der neue Saal im Tiefgeschoss ist daher in Breite und Höhe identisch, in der Tiefe aber ersetzen gebogene Glaspaneele mit Blattgoldbelag das Publikum. Ein symphonisches Orchester kann im „gläsernen Saal“ zwar proben, aber für Zuhörer wäre in diesem Falle kein Platz. Aufführungen werden dort nur mit kleineren Ensembles stattfinden. Die Idee der Erweiterung war nicht, die Kapazitäten zu verdoppeln, sondern neben den Probemöglichkeiten auch Raum für andere Musikformen anzubieten und, so der Generalsekretär Thomas Angyan, den Musikverein für ein jüngeres Publikum zu öffnen.
Die drei anderen Säle sind ebenfalls nach den Leitmaterialien des jeweiligen Innenausbaus benannt: Metallener, Steinerner und Hölzerner Saal. Das ist leider auch etwas hölzern auszusprechen, aber möglicherweise werden ja noch Sponsoren die Patenschaft übernehmen und einen Teil zum offenen Rest der Bausumme beitragen, wie das beim gläsern-goldenen „Magna Auditorium“ bereits geschehen ist.
Dass Glas, Metall, Holz oder Stein einen Saal dominiert, ist weniger minimalistisch umgesetzt, als es der Name verspricht. Einzig der dunkle Stahlsaal, der bei Festen auch als Disco betrieben werden kann, zeigt sich als Einheit aus schwarzem Noppenboden und gelochten Wandblechen. Im Steinernen Saal sind zusätzlich gläserne Vitrinen und ein wollener Spannteppich, im hölzernen auch eine Glasdecke zu finden. Möglich, dass dieser Mix, der akustischen Bedingungen folgt, zugleich sehr bewusst verwendet wird, damit die Architektur sich nicht durch eine ungewohnte „Konsequenz“ allzu sehr in den Vordergrund stellt, wie sie Architekten einer anderen Generation und Richtung nicht müde werden zu predigen. Ein wirklich prägnantes Raumerlebnis bietet nur der größte Saal, dessen goldverspiegelte Wände sich bei richtiger Beleuchtung aufzulösen scheinen. Die zu Foyers geweiteten Gänge sind in freundlichen Farben gehalten, die den Wunsch des Architekten erfüllen, es solle nicht so sehr nach Keller aussehen. Nun wirkt es nicht muffig, dafür aber recht bieder und harmlos. Herumgehen und staunen, wie bei Theophil Hansens Bau einige Stockwerke weiter oben, wird hier wohl niemand.
Andererseits: Warum sollte der Bau nicht dezent im Hintergrund bleiben und die Bühne frei lassen für die Musik? Vielleicht sollte er es - nur ist die Architektur heute meilenweit davon entfernt, einfach Selbstverständliches hervorzubringen. Das einzige Mittel, die Dominanz der 08/15-Details und gestalterischen Mätzchen abzuwehren, die den Architekten in jedem Baukatalog offeriert werden, der kostenlos ins Haus flattert, ist Haltung zu zeigen. Und daran mangelt es dem Bau. Er hat starke Momente, zweifellos. Und dann wieder Situationen, wie sie in jedem besseren Seminarhotel zu finden sind.
Wie eigenartig kräftig ist dagegen ein Teil, der dem Publikum nicht öffentlich zugänglich sein wird, aber die eingegrabene Fläche fast verdoppelt. Über dem Tunnel der U 2 entstand ein großer Lager- und Archivbereich. Hier werden unter perfekten klimatischen Bedingungen die wertvollen Notenbestände und Instrumente des Musikvereins aufbewahrt. Die Betonwände sind aus rein klimatechnischen Gründen mit einer zusätzlichen Backsteinschicht verstärkt. Die Materialität dieser nicht ganz raumhohen Wand hat ganz und gar nichts Rohbauhaftes, aber sie ist so ungewöhnlich wie die Bauaufgabe. Hier weiß man nicht nur, dass es ein besonderer Ort ist, tief unter der Stadt, sondern spürt es auch.
In einem sehr überschaubaren Teil des Geflechts sind nun weitere Räume hinzugekommen. Für die dringend benötigten Probenräume des Wiener Musikvereins kam nur eine unterirdische Lösung in Frage, da das Gebäude von Theophil Hansen nicht angerührt werden sollte. Zunächst war geplant, nur einen einzigen Saal unter der Platzfläche zwischen Musikverein und Künstlerhaus zu versenken. Aber da das Haus auch für die heute üblichen Formen der Fremdvermietung an Firmen oder Geburtstagsgesellschaften wenig Möglichkeiten bot, wurde das Raumprogramm erweitert.
Hinzugekommen sind nun ein großer und drei kleine Säle, die jeweils für Proben, Aufführungen und Veranstaltungen genutzt werden können. Auf zwei Geschossen füllen sie den Raum zwischen den Kellern von Musikverein und Künstlerhaus. Die Verbindung der Säle liegt im Altbau, dessen Kellerräume als lang gestreckte Foyer-Flure umgebaut wurden. Alles ist klar organisiert wie in einem überirdischen Gebäude. Wenn die Flutwelle eines Tages den unterirdischen Karlsplatz freilegen würde, müssten nur noch Fenster in die Betonwanne hineingeschnitten werden, dann stünde dort ein ganz normales, kubisches Haus.
Der Architekt Wilhelm Holzbauer ist nicht jemand, den das Bauen im Untergrund dazu anregen würde, den sehr speziellen Ort in den Entwurf mit einzubeziehen. Und die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ist kein Auftraggeber, der an Experimenten interessiert war, sonst hätte sie sich kaum für Holzbauer und seinen Partner Dieter Irresberger als Architekten entschieden.
Oberste Priorität hatte die akustische Qualität der Säle. Die besondere Herausforderung lag darin, den weltberühmten goldenen Saal des Musikvereins in seiner akustischen Wirkung zu kopieren, und zwar mit der verschärfenden Auflage, dass der neue große Probensaal exakt so zu klingen habe, wie das überirdische Original bei gefüllten Rängen. Der neue Saal im Tiefgeschoss ist daher in Breite und Höhe identisch, in der Tiefe aber ersetzen gebogene Glaspaneele mit Blattgoldbelag das Publikum. Ein symphonisches Orchester kann im „gläsernen Saal“ zwar proben, aber für Zuhörer wäre in diesem Falle kein Platz. Aufführungen werden dort nur mit kleineren Ensembles stattfinden. Die Idee der Erweiterung war nicht, die Kapazitäten zu verdoppeln, sondern neben den Probemöglichkeiten auch Raum für andere Musikformen anzubieten und, so der Generalsekretär Thomas Angyan, den Musikverein für ein jüngeres Publikum zu öffnen.
Die drei anderen Säle sind ebenfalls nach den Leitmaterialien des jeweiligen Innenausbaus benannt: Metallener, Steinerner und Hölzerner Saal. Das ist leider auch etwas hölzern auszusprechen, aber möglicherweise werden ja noch Sponsoren die Patenschaft übernehmen und einen Teil zum offenen Rest der Bausumme beitragen, wie das beim gläsern-goldenen „Magna Auditorium“ bereits geschehen ist.
Dass Glas, Metall, Holz oder Stein einen Saal dominiert, ist weniger minimalistisch umgesetzt, als es der Name verspricht. Einzig der dunkle Stahlsaal, der bei Festen auch als Disco betrieben werden kann, zeigt sich als Einheit aus schwarzem Noppenboden und gelochten Wandblechen. Im Steinernen Saal sind zusätzlich gläserne Vitrinen und ein wollener Spannteppich, im hölzernen auch eine Glasdecke zu finden. Möglich, dass dieser Mix, der akustischen Bedingungen folgt, zugleich sehr bewusst verwendet wird, damit die Architektur sich nicht durch eine ungewohnte „Konsequenz“ allzu sehr in den Vordergrund stellt, wie sie Architekten einer anderen Generation und Richtung nicht müde werden zu predigen. Ein wirklich prägnantes Raumerlebnis bietet nur der größte Saal, dessen goldverspiegelte Wände sich bei richtiger Beleuchtung aufzulösen scheinen. Die zu Foyers geweiteten Gänge sind in freundlichen Farben gehalten, die den Wunsch des Architekten erfüllen, es solle nicht so sehr nach Keller aussehen. Nun wirkt es nicht muffig, dafür aber recht bieder und harmlos. Herumgehen und staunen, wie bei Theophil Hansens Bau einige Stockwerke weiter oben, wird hier wohl niemand.
Andererseits: Warum sollte der Bau nicht dezent im Hintergrund bleiben und die Bühne frei lassen für die Musik? Vielleicht sollte er es - nur ist die Architektur heute meilenweit davon entfernt, einfach Selbstverständliches hervorzubringen. Das einzige Mittel, die Dominanz der 08/15-Details und gestalterischen Mätzchen abzuwehren, die den Architekten in jedem Baukatalog offeriert werden, der kostenlos ins Haus flattert, ist Haltung zu zeigen. Und daran mangelt es dem Bau. Er hat starke Momente, zweifellos. Und dann wieder Situationen, wie sie in jedem besseren Seminarhotel zu finden sind.
Wie eigenartig kräftig ist dagegen ein Teil, der dem Publikum nicht öffentlich zugänglich sein wird, aber die eingegrabene Fläche fast verdoppelt. Über dem Tunnel der U 2 entstand ein großer Lager- und Archivbereich. Hier werden unter perfekten klimatischen Bedingungen die wertvollen Notenbestände und Instrumente des Musikvereins aufbewahrt. Die Betonwände sind aus rein klimatechnischen Gründen mit einer zusätzlichen Backsteinschicht verstärkt. Die Materialität dieser nicht ganz raumhohen Wand hat ganz und gar nichts Rohbauhaftes, aber sie ist so ungewöhnlich wie die Bauaufgabe. Hier weiß man nicht nur, dass es ein besonderer Ort ist, tief unter der Stadt, sondern spürt es auch.
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