Bauwerk

Ausstellung Gedenkstätte Mauthausen
Siegfried Miedl, Manuel Schilcher, Richard Steger - Mauthausen (A) - 2013
Ausstellung Gedenkstätte Mauthausen, Foto: Dietmar Tollerian
Ausstellung Gedenkstätte Mauthausen, Foto: Dietmar Tollerian
29. Mai 2013 - afo
Die neue Ausstellung wurde in einem historischen Bauwerk und an einem „belasteten“ Ort eingerichtet. Den baulichen Relikten eines Konzentrationslagers kann nicht nach einem von außen vorgegebenen abstrakten Schema eine Ausstellung aufgezwungen werden. Vielmehr musste in unserem Fall für jeden Raum geprüft werden: wie die historische Qualität des Raumes beschaffen ist, ob der Raum überhaupt eine Ausstellung zulässt, wie sehr der Raum die Ausstellung bestimmt und ob der Raum die freie Zuordnung eines Themas verträgt.

Als zentral bei der Neuplanung der Ausstellung erschienen uns die Fragen, welcher Stellenwert den erhaltenen historischen Räumen zukommt und wie diese im Rahmen der Neugestaltung zu behandeln sind. Als Hauptkriterium für die Bewertung ihrer Bedeutung muss ihre Beziehung zu den Häftlingen gesehen werden. Daneben spielen aber auch ihre Funktion im Konzentrationslager und ihr Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen im Lager sowie architektonische, kunsthistorische und technische Aspekte eine Rolle.

Ausgangspunkt unserer Arbeit war das vorhandene Reviergebäude, welches für seine ursprüngliche Funktion kleinteilig strukturiert war und in den Jahrzehnten nach Kriegsende teilweise entkernt wurde. Im Rahmen der Sanierung wurde die aus den 1970er Jahren stammende Ausstellung entfernt, damals getätigte Einbauten ebenso. Die ursprüngliche Architektur wurde nicht konkret wiederhergestellt, sondern durch dunkle Markierungen an Boden, Wand und Decke angedeutet und verortet. In unseren Entwürfen sind wir sehr bewusst mit diesen historischen Wandstellungen umgegangen.
Davon ausgehend, dass Wissensaneignung immer freiwillig stattfindet, waren wesentliche Parameter für unsere Konzeption logischer Ablauf und flüssige Wegführung; eine Raumkonzeption, die einerseits für größere Gruppen geeignet ist und andererseits Nischensituationen zum Vertiefen ermöglicht. Die Gestaltung versucht mehr als einen Rahmen zu bilden, sie schafft Aufmerksamkeit im Dienst von Informationen und Atmosphären.

Eine Grundlage des Entwurfs bestand darin, die vorhandene Gebäudegliederung zur Strukturierung der Ausstellung zu nutzen. Der zentrale Mittelgang dient als Zeitschiene, von wo aus die allgemeinen globalpolitischen Vorgänge dargestellt werden. Diese Position beinhaltet das Thema Rahmenbedingungen, welches sich einem Rückrat gleich in die dahinterliegenden Räume aufspaltet. Hier wird die Geschichte des Lagers im Kontext der NS-Historie erzählt. Die Räume gegenüber sind ebenfalls in chronologischer Ordnung in vier Phasen gegliedert und stellen die Geschichte der Insassen dar.
Die Chronologie, welche der Ausstellung zugrunde liegt, wird durch jeweils phasenspezifische, aber nicht kontinuierlich mitlaufende, sondern springende Grauwerte der Einbauten auf dezente Weise betont.

Eine Sonderstellung nimmt der Prolog am Beginn der Ausstellung ein. Aus Vorgaben des Gebäudes ist hier Zu- und Ausgang der Überbliksausstellung. Die beidseitigen Räume und der zugehörige Gangabschnitt sind durch eine abgehängte Decke als Spange zusammengefasst.Die weißen Einbauten, nur durch Fräslinien strukturiert, zeigen in dieser Position Inhalte aus der Zeit nach der Befreiung des Lagers. Die abgehängte und hinterleuchtete Decke fasst das Thema atmosphärisch zu einer Einheit. So ist diese Situation als Prolog unserer Erfahrung und Epilog der Überblicksausstellung zu lesen.
Die links und rechts gelegenen Räume zeichnen sich durch eine deutlich unterschiedliche Formensprache aus; während die Lagergeschichte in streng orthogonaler Weise geplant wurde, und dadurch auch die zu Grunde liegende Vernichtungsbürokratie versinnbildlicht, zeichnen sich die häftlingsbezogenen Räume durch einen lebendigeren, weniger strengen Gestus aus; individuelle Vitrinen schildern individuelle Schicksale. In der Lagergeschichte nehmen die Einbauten sehr klar Rücksicht auf die historischen Wandstellungen und betonen dadurch die geplante Funktion des Gebäudes. Die Möbel, fast frei im Raum schwebend, bilden zur Mitte hin immer zwei Subräume aus, die von mehren Personen gemeinsam erfahren werden können.

Auf der Seite der Erfahrungen gibt es zwei inhaltliche wie auch architektonische Einschübe. In der Gestaltung nutzen wir die räumliche Besonderheit der übergroßen Fenster im Verhältnis zur kleiner Raumabmessung als sogenannte Exkurse. Sie zeigen die Beziehung des Lagers zum Umland und seinen Bewohnern und lenken dazu den Blick des Besuchers gezielt nach außen. Durch eine singuläre Ästhetik zeigen sie klar ihre Eigenständigkeit.

Im Untergeschoß geht die Ausstellung in den sogenannten Bereich Tatort über. Hier trafen wir auf eine völlig andere Ausgangssituation: weitgehend unveränderte Originalräume, gemischt mit nicht unbedingt passenden nachträglichen baulichen Veränderungen. Um die unterschiedlichen Materialien, Oberflächen und Kolorierungen zu einer optischen Einheit zu machen, wurden die Wände geschlämmt. So lassen sich die ursprünglichen Texturen und Farben noch genügend erkennen, die einheitliche Tönung bildet aber eine homogenisierende Klammer und schafft so eine neutralere Grundstimmung für die Ausstellung, ohne die archaische Expressivität der Raumsituation zu schwächen.

Viele Besucher werden nach einem Rundgang im Freien nur diesen Ausstellungsteil besuchen. Dies setzt voraus, dass sich Inhalte wie auch Architektur hier zwar frei von der Überblicksausstellung entwickeln, aber mit dieser auch harmonisieren mussten.
Wuchtige, monolithische Körper behaupten sich in dieser starken Atmosphäre und ziehen die Besucher mäandernd durch den Bereich, ohne ihm seine Wirkung zu nehmen. Auf der Vorderseite sind sie mit einem Foto des gegenwärtigen Zustandes des jeweiligen Tatortes bedruckt. Nach dem Umschreiten zeigen Texte, Bilder und ein zentrales bedeutendes Exponat seine jeweilige Historie. Hier werden Informationen zu den verschiedenen im Lager praktizierten Tötungsarten vermittelt, um später die Aura des Krematoriums nicht damit belasten zu müssen. Von diesem Raum gelangt der Besucher in den sogenannten Pietätsbereich. Während dieser früher in seiner Gesamtheit frei zugänglich war, fungiert nun ein System auf den Boden aufgesetzter Stege als Wegführung und Orientierungshilfe zugleich. Durch integrierte Beschriftungen sind spezifische Sektionen erklärt und hervorgehoben. Dies dient einerseits der flüssigeren Leitung, da sich Gruppen nicht mehr im amorphen Raumgefüge verlieren, und andererseits der Vermeidung von Sensationsgier. Man kann die Stege natürlich verlassen und sich frei im Raum bewegen, aber sensible Bereiche wie z.B. die Gaskammer können nicht mehr betreten werden. Auch die Möglichkeit für ehemalige Insassen und deren Angehörige, zu gedenken, bleibt gewahrt.
Eine Besonderheit im Pietätsbereich stellt der „Raum der Namen“ dar. Seine ursprüngliche Nutzung ist wohl die eines Leichenraumes. Im Bestand weist er einen deutlich geneigten Lehmboden auf, welcher den Raum zur schiefen Ebene werden lässt. Als Massnahme wurde von uns eine waagrechte Ebene aus Glastafeln eingezogen, welche die Namen der etwa 80.000 im Lager Umgekommenen tragen. Diese Ebene ist in Weiterführung des Wegsystems negativen eingeschnitten und wird im Zickzack durchschritten. Die Besucher gehen der Raumtopografie folgend immer tiefer ins Namensmeer. Zwei Nischenzonen erlauben es, in Ruhe in jeweils einem Buch mit allen Namen zu blättern.

Ein verbindendes Element in all den verschiedenen, auch durch die Gebäude- und Ausstellungsarchitektur differenzierten Bereichen, stellt die Grafik dar. Ein neues Orientierungssystem gibt der Institution ein Gesicht und dem Besucher die nötige Sicherheit auf fremdem Terrain. Diese ordnungsschaffende Verwendung von Schrift und Farbe begleitet den Besucher durch die Ausstellung. Klarheit im Umgang mit dem Material gibt unterschiedlichen Besuchern die Möglichkeit, je nach Vorliebe entweder schnell einen Überblick zu erhalten oder sich in einzelnen Themen zu vertiefen. Durch die Auswahl von Schrifttypus und Farbe und den zeitgemäßen Umgang mit Fotos und Dokumenten, aber auch Videos, wird dem Rezipienten die Informationsaufnahme erleichtert und, bei allen Unterschieden in der Ausstellungsarchitektur, eine homogene Benutzeroberfläche geschaffen. Ziel ist es, die Besucher nicht zu zerstreuen, sondern ihnen zu helfen, sich zu sammeln. (Text: Manuel Schilcher)

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Für den Beitrag verantwortlich: afo architekturforum oberösterreich

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