Bauwerk
FRAC Centre Orléans
Jakob MacFarlane - Orléans (F) - 2013
Utopie ist eine Schnecke
Das neue FRAC Centre in Orléans ist ein Museum für die Zukunft von Architektur. Kein Wunder, dass das ungewöhnliche Gebilde ziemlich modern und wild daherkommt.
28. September 2013 - Wojciech Czaja
Klassizistische Backsteinbauten, barocke Steinfassaden, hübsches Ornament an den Häusern, und plötzlich taucht inmitten dieses historischen Ensembles ein silbrig schimmerndes Etwas auf, das wie die kartesische Inkarnation eines überdimensionalen Schneckentiers neugierig seine Augenfühler in den Himmel reckt. Das neue FRAC Centre in Orléans, rund 150 Kilometer südlich von Paris gelegen, ist das neueste Projekt der französischen Architekten Jakob+MacFarlane. Vor zwei Wochen wurde das Museum, das auf Kunst an der Schnittstelle zwischen Bildhauerei und experimenteller Architektur spezialisiert ist, feierlich eröffnet.
„Alte Häuser gibt es in Orléans schon zur Genüge“, sagt Marie-Madeleine, eine rüstige 72-jährige Pensionistin, die am FRAC vorbeimarschiert. „Zeitgenössische Architektur jedoch ist in dieser Stadt eine Seltenheit, und daher begrüße ich jeden Impuls in diese Richtung. Ich weiß ja nicht, was sich die Architekten dabei gedacht haben, aber ich persönlich finde den Kontrast zwischen Alt und Neu überaus gelungen.“ Anderen Passanten hingegen steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Fassungslos schauen sie zu den drei Lichtrüsseln hoch, schütteln den Kopf und verschwinden wieder in der nächsten Rue.
„Das Projekt ist Resultat eines von uns entwickelten digitalen Algorithmus, mit dem wir den geometrischen Raster des historischen Altbestandes variiert und so lange verfremdet haben, bis genau diese Turbulenz entstanden ist“, sagt Architekt Brendan MacFarlane, schwarze, hagere Gestalt, Holzbrille auf der Nase. „So gesehen ist das Haus Folge einer prozessorientierten Überlagerung mathematischer Parameter oder, um es anders auszudrücken, formgewordene Unstabilität.“
Um etwas besser zu verstehen, worüber MacFarlane hier in den für ihn gewohnten Worten sinniert, muss man einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen. Entstanden ist das FRAC Centre - die Abkürzung steht für Fonds Régional d'Art Contemporain - 1982, als das Kulturministerium entschied, einen Teil des nationalen zeitgenössischen Kunstbestandes auszulagern und auf 23 regionale Museumsdependancen aufzuteilen. 1999, als in Orléans das internationale Architekturforum „Archilab“ ins Leben gerufen wurde, nutzte man die Gelegenheit dazu, das FRAC Orléans umzustrukturieren und sich fortan auf Exponate zu konzentrieren, die sich mit utopischer Architektur, neuen Technologien und experimentellen Entwurfsprozessen auseinandersetzen. Das europaweit erste Museum für Architekturzukunft war entstanden.
Ein Frack für das FRAC
„Wir waren damals in einem 200 Quadratmeter großen Ausstellungsraum an der Loire untergebracht, doch der Betrieb drohte längst schon aus allen Nähten zu platzen“, erinnert sich Marie-Ange Brayer, Direktorin des FRAC Centre. „2006 haben wir daher beschlossen zu expandieren und uns in der historischen Altstadt niederzulassen.“ Eines jedoch sei von Anfang an klar gewesen: Wenn man schon auf utopische Architekturkunst spezialisiert sei, dann müsse auch das neue Museum dieser Prämisse gerecht werden, dann müsse man ein modernes Signal in die Stadtlandschaft setzen.
Gesagt, getan. 2006, als in Orléans zum achten Mal das jährlich stattfindende Archilab-Forum über die Bühne ging, lud man die von überallher angereisten Architekten dazu ein, dem neuen FRAC einen maßgeschneiderten Frack zu schneidern - und zwar mit jenen digitalen Entwurfswerkzeugen, denen sich die FRAC-Sammlung schon viele Jahre zuvor verschrieben hatte. Aus dem Vor-Ort-Wettbewerb unter insgesamt fünf Teilnehmern ging das Pariser Architekturbüro Jakob+MacFarlane mit seiner digitalen Verfremdung der in kartesische Netzlinien zerstückelten Grundstückstopografie als Sieger hervor.
Auf dem Areal, das einst als Spital und später als militärische Großküche samt Fleischerei und Bäckerei genutzt wurde, steht heute eine expressive Stahl- und Aluminiumkonstruktion mit drei unterschiedlich hohen Lichttürmen. Hinter der karierten Struktur, die pro Jahr bis zu 50.000 Besucher anlocken soll, befindet sich das neue, knapp 500 Quadratmeter große FRAC-Foyer. Die Baukosten für Neubau und Sanierung - die Gesamtausstellungsfläche umfasst 1400 Quadratmeter - belaufen sich auf acht Millionen Euro. 60 Prozent davon trägt die Region Centre, die anderen 40 Prozent stammen von Stadt, Bund und EU.
„Um ehrlich zu sein, ist das neue Besuchergebäude völlig überdimensioniert“, meint Architekt Brendan MacFarlane. „Aber darum geht es nicht, denn in erster Linie ist das FRAC Centre heute ein Wahrzeichen für zeitgenössisches Planen und Bauen.“ Die zwischen Grau, Gold und Hellblau changierende Fassadenlackierung, die man aus der Automobilindustrie kennt und die das Haus je nach Sonneneinstrahlung anders erscheinen lässt, unterstreicht diesen Wunsch.
Topografie mit Lichtrüssel
Den Kindern gefällt das Resultat. Kreischend laufen sie über den mit Betonplatten verlegten Vorplatz, nehmen einige Schritte Anlauf und rennen mit viel Schwung an einem der sanft aufsteigenden Lichtrüssel hoch. Weit kommen sie nicht. „Ich mag das Haus, denn hier kann ich an der Mauer hochlaufen, ohne dass irgendwer schimpft“, sagt die fünfjährige Louise. „Außerdem schaut das Haus aus wie eine von diesen großen Nacktschnecken, die bei uns im Garten herumkriechen.“
In Österreich wäre so ein Bauwerk undenkbar. Die Bauvorschriften und Normen würden aus der Topografie einen Hindernisparcours mit Geländern und Absturzsicherungen machen. „Der gesamte Platz ist rollstuhlgerecht ausgeführt, und ein mit dem Blindenverband entwickeltes Wegleitsystem führt zum Haupteingang“, sagt Architektin Dominique Jakob. „Denjenigen, die auf Hilfe und Orientierung angewiesen sind, kommt das neue FRAC vorschriftsgemäß entgegen. Alle anderen können das Gelände nach Lust und Laune entdecken. Architektur kennt keine Grenzen.“
Gleiches gilt auch für die Sammlung. In den sanierten Räumlichkeiten der 1823 errichteten Militärküche wandert man durch Utopien und Visionen, vorbei an Möbeln und Kleidern aus dem 3-D-Drucker, innovativen Raum- und Konstruktionsprinzipien, neuartigen Fassadenmaterialien, die mithilfe von Nano-technologie entwickelt wurden, oder Zukunftsplänen für bioorganische Hochhäuser, die anhand eines programmierten Algorithmus eigenständig in den Himmel wachsen. Auch Arbeiten österreichischer Architekten sind in der Schau zu sehen, unter anderem digital generierte Strukturen von SPAN (Matias del Campo und Sandra Manninger) sowie der für die EXPO 2012 in Yeosu (Südkorea) errichtete One-Ocean-Pavillon von soma architects.
„Klassische Architekturmuseen, die sich der Vergangenheit und Gegenwart widmen, gibt es bereits zu genüge“, sagt FRAC-Direktorin Marie-Ange Brayer. „Wir hingegen werfen einen Blick in die Zukunft. Viele Architekten, die nun der zweiten Digitalgeneration angehören, haben sich der Forschung und Innovation verschrieben, und diesen Projekten möchten wir eine Bühne bieten. Es geht um Ideenfelder für die Zukunft. So gesehen ist das FRAC ein Ort kultureller Weiterbildung.“
Die österreichischen Pläne, auch hierzulande ein internationales Architekturmuseum zu etablieren, sind bislang gescheitert.
Die Eröffnungsausstellung „Archilab. Naturalizing Architecture“ ist noch bis 2. Februar 2014 zu sehen.
„Alte Häuser gibt es in Orléans schon zur Genüge“, sagt Marie-Madeleine, eine rüstige 72-jährige Pensionistin, die am FRAC vorbeimarschiert. „Zeitgenössische Architektur jedoch ist in dieser Stadt eine Seltenheit, und daher begrüße ich jeden Impuls in diese Richtung. Ich weiß ja nicht, was sich die Architekten dabei gedacht haben, aber ich persönlich finde den Kontrast zwischen Alt und Neu überaus gelungen.“ Anderen Passanten hingegen steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Fassungslos schauen sie zu den drei Lichtrüsseln hoch, schütteln den Kopf und verschwinden wieder in der nächsten Rue.
„Das Projekt ist Resultat eines von uns entwickelten digitalen Algorithmus, mit dem wir den geometrischen Raster des historischen Altbestandes variiert und so lange verfremdet haben, bis genau diese Turbulenz entstanden ist“, sagt Architekt Brendan MacFarlane, schwarze, hagere Gestalt, Holzbrille auf der Nase. „So gesehen ist das Haus Folge einer prozessorientierten Überlagerung mathematischer Parameter oder, um es anders auszudrücken, formgewordene Unstabilität.“
Um etwas besser zu verstehen, worüber MacFarlane hier in den für ihn gewohnten Worten sinniert, muss man einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen. Entstanden ist das FRAC Centre - die Abkürzung steht für Fonds Régional d'Art Contemporain - 1982, als das Kulturministerium entschied, einen Teil des nationalen zeitgenössischen Kunstbestandes auszulagern und auf 23 regionale Museumsdependancen aufzuteilen. 1999, als in Orléans das internationale Architekturforum „Archilab“ ins Leben gerufen wurde, nutzte man die Gelegenheit dazu, das FRAC Orléans umzustrukturieren und sich fortan auf Exponate zu konzentrieren, die sich mit utopischer Architektur, neuen Technologien und experimentellen Entwurfsprozessen auseinandersetzen. Das europaweit erste Museum für Architekturzukunft war entstanden.
Ein Frack für das FRAC
„Wir waren damals in einem 200 Quadratmeter großen Ausstellungsraum an der Loire untergebracht, doch der Betrieb drohte längst schon aus allen Nähten zu platzen“, erinnert sich Marie-Ange Brayer, Direktorin des FRAC Centre. „2006 haben wir daher beschlossen zu expandieren und uns in der historischen Altstadt niederzulassen.“ Eines jedoch sei von Anfang an klar gewesen: Wenn man schon auf utopische Architekturkunst spezialisiert sei, dann müsse auch das neue Museum dieser Prämisse gerecht werden, dann müsse man ein modernes Signal in die Stadtlandschaft setzen.
Gesagt, getan. 2006, als in Orléans zum achten Mal das jährlich stattfindende Archilab-Forum über die Bühne ging, lud man die von überallher angereisten Architekten dazu ein, dem neuen FRAC einen maßgeschneiderten Frack zu schneidern - und zwar mit jenen digitalen Entwurfswerkzeugen, denen sich die FRAC-Sammlung schon viele Jahre zuvor verschrieben hatte. Aus dem Vor-Ort-Wettbewerb unter insgesamt fünf Teilnehmern ging das Pariser Architekturbüro Jakob+MacFarlane mit seiner digitalen Verfremdung der in kartesische Netzlinien zerstückelten Grundstückstopografie als Sieger hervor.
Auf dem Areal, das einst als Spital und später als militärische Großküche samt Fleischerei und Bäckerei genutzt wurde, steht heute eine expressive Stahl- und Aluminiumkonstruktion mit drei unterschiedlich hohen Lichttürmen. Hinter der karierten Struktur, die pro Jahr bis zu 50.000 Besucher anlocken soll, befindet sich das neue, knapp 500 Quadratmeter große FRAC-Foyer. Die Baukosten für Neubau und Sanierung - die Gesamtausstellungsfläche umfasst 1400 Quadratmeter - belaufen sich auf acht Millionen Euro. 60 Prozent davon trägt die Region Centre, die anderen 40 Prozent stammen von Stadt, Bund und EU.
„Um ehrlich zu sein, ist das neue Besuchergebäude völlig überdimensioniert“, meint Architekt Brendan MacFarlane. „Aber darum geht es nicht, denn in erster Linie ist das FRAC Centre heute ein Wahrzeichen für zeitgenössisches Planen und Bauen.“ Die zwischen Grau, Gold und Hellblau changierende Fassadenlackierung, die man aus der Automobilindustrie kennt und die das Haus je nach Sonneneinstrahlung anders erscheinen lässt, unterstreicht diesen Wunsch.
Topografie mit Lichtrüssel
Den Kindern gefällt das Resultat. Kreischend laufen sie über den mit Betonplatten verlegten Vorplatz, nehmen einige Schritte Anlauf und rennen mit viel Schwung an einem der sanft aufsteigenden Lichtrüssel hoch. Weit kommen sie nicht. „Ich mag das Haus, denn hier kann ich an der Mauer hochlaufen, ohne dass irgendwer schimpft“, sagt die fünfjährige Louise. „Außerdem schaut das Haus aus wie eine von diesen großen Nacktschnecken, die bei uns im Garten herumkriechen.“
In Österreich wäre so ein Bauwerk undenkbar. Die Bauvorschriften und Normen würden aus der Topografie einen Hindernisparcours mit Geländern und Absturzsicherungen machen. „Der gesamte Platz ist rollstuhlgerecht ausgeführt, und ein mit dem Blindenverband entwickeltes Wegleitsystem führt zum Haupteingang“, sagt Architektin Dominique Jakob. „Denjenigen, die auf Hilfe und Orientierung angewiesen sind, kommt das neue FRAC vorschriftsgemäß entgegen. Alle anderen können das Gelände nach Lust und Laune entdecken. Architektur kennt keine Grenzen.“
Gleiches gilt auch für die Sammlung. In den sanierten Räumlichkeiten der 1823 errichteten Militärküche wandert man durch Utopien und Visionen, vorbei an Möbeln und Kleidern aus dem 3-D-Drucker, innovativen Raum- und Konstruktionsprinzipien, neuartigen Fassadenmaterialien, die mithilfe von Nano-technologie entwickelt wurden, oder Zukunftsplänen für bioorganische Hochhäuser, die anhand eines programmierten Algorithmus eigenständig in den Himmel wachsen. Auch Arbeiten österreichischer Architekten sind in der Schau zu sehen, unter anderem digital generierte Strukturen von SPAN (Matias del Campo und Sandra Manninger) sowie der für die EXPO 2012 in Yeosu (Südkorea) errichtete One-Ocean-Pavillon von soma architects.
„Klassische Architekturmuseen, die sich der Vergangenheit und Gegenwart widmen, gibt es bereits zu genüge“, sagt FRAC-Direktorin Marie-Ange Brayer. „Wir hingegen werfen einen Blick in die Zukunft. Viele Architekten, die nun der zweiten Digitalgeneration angehören, haben sich der Forschung und Innovation verschrieben, und diesen Projekten möchten wir eine Bühne bieten. Es geht um Ideenfelder für die Zukunft. So gesehen ist das FRAC ein Ort kultureller Weiterbildung.“
Die österreichischen Pläne, auch hierzulande ein internationales Architekturmuseum zu etablieren, sind bislang gescheitert.
Die Eröffnungsausstellung „Archilab. Naturalizing Architecture“ ist noch bis 2. Februar 2014 zu sehen.
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