Bauwerk

Haus 2226
Baumschlager Eberle Architekten - Lustenau (A) - 2013
Haus 2226, Foto: archphoto
Haus 2226, Foto: archphoto
Haus 2226, Foto: archphoto

Mit menschlicher Wärme

Das von baumschlager eberle geplante Bürohaus in Lustenau ist nicht nur etwas fürs Auge: Das Low-Tech-Haus kommt ohne Heizung aus.

23. November 2013 - Wojciech Czaja
Der matt polierte Türgriff aus Messing liegt satt in der Hand. Im Foyer hängt, mit der Eleganz eines Bentley-Interieurs, sandfarbener Filz mit händisch abgenähten Lederapplikationen von der Decke. Dahinter bereits entfalten sich weiße, luftige, von Grandezza durchströmte Räume mit Kunstwerken von David Reed und James Turrell. Und hinten, jenseits der Glastür schließlich blitzt, als würde man den brandneuen Designhotel- Guide durchblättern, eine fesche Cafeteria mit neonbunten Ingo-Maurer-Lampen und cognacfarbenem Ledergestühl hervor.

Bin ich denn hier richtig? Auf der Suche nach dem Architekturbüro baumschlager eberle? Adresse: Lustenauer Gewerbegebiet, Millennium Park 20? Und tatsächlich: Noch bevor der aufkommende Zweifel Raum greifen kann, marschieren, ja gleichsam schweben, schwarz gekleidet vom Scheitel bis zur Sohle, schlanke, junge, von einem künstlerischen Impetus getriebene Gestalten über den hellen Boden und bestätigen die eingangs noch wenig verfestigte Vermutung.

Doch die visuelle Wucht - schließlich sind wir hier in Vorarlberg, und von den Vorarlbergern ist man ja schon einiges gewohnt - ist nicht mehr als eine angenehme Begleiterscheinung. Der eigentliche Trumpf dieses nicht unhübschen Bürogebäudes nämlich ist nicht die Optik, sondern die Technik. Um nicht zu sagen: die nicht vorhandene Technik. Denn das Haus 2226 - der Name bezieht sich auf die weltweit akzeptierte, in diesen Räumen ganzjährig vorherrschende Wohlfühltemperatur von 22 bis 26 Grad Celsius - kommt gänzlich ohne Haustechnik aus. Ohne Lüftung. Ohne Kühlung. Ohne Heizung.

„Glauben Sie mir, Sie sind nicht der Erste, der so verdutzt schaut“, sagt Dietmar Eberle, Geschäftsführer von baumschlager eberle und Mastermind dieses revolutionären Projekts, der wie ein alteingesessener Galerist durch die erlauchten Räumlichkeiten wandelt und mit der lodernden Zigarette, mal hier, mal da, auf ein paar präzise gearbeitete architektonische Details hinweist: Flächenbündigkeit, Sesselleistenlosigkeit, zahnstocherdünne, aus massivem Stahl gezogene Stiegengeländer und was man von einem zeitgenössischen Gebäude heutzutage sonst noch alles zu erwarten hat.

Der Computer als Heizkörper

„Aber genau so ist es! Das gesamte Haus kommt 365 Tage im Jahr ohne eigene Wärmequelle aus, denn die Temperierung findet einzig und allein über jene energetischen Quellen statt, die bereits im Raum vorhanden sind.“ Große Augen, zum Bersten angespannte Stille, und nach wenigen Sekunden dann die lapidar daherkommende Erklärung: „Menschen, Licht, Computer. Mehr brauchen wir nicht. Das reicht.“

Das gesamte Haus ist so konzipiert, dass möglichst wenig Wärme durch die Wände diffundiert und dass möglichst viel Energie in der speicherfähigen Masse gebunden werden kann. 78 Prozent dieser energiespeichernden Mission übernehmen die massiven Böden und Decken aus Stahlbeton, die restlichen 22 Prozent obliegen den 80 Zentimeter dicken Außenwänden aus handelsüblichen, doppelschalig verlegten und in fast jedem österreichischen Einfamilienhaus vorzufindenden Wienerberger-Hochlochziegel. Wärmedämmung gibt es nicht. Aufgrund des hohen Luftkammeranteils des Ziegels konnte auf Mineralwolle und aufgeschäumte Erdölderivate verzichtet werden. Der in Vorarlberg hergestellte und zumeist bei Sanierungen verwendete gelöschte Kalkputz an der Wand ist außerdem in der Lage, Feuchtigkeit und Kohlendioxid zu binden.

In den Innenräumen des sechsgeschoßigen Vorzeige-Passivhauses regiert technische Askese. Man begnügt sich mit der Abwärme der Mitarbeiter, der Computer sowie der Abstrahlwärme von Leuchtstoff, Halogen und LED. Zudem sorgen die hier arbeitenden Architekten aufgrund ihrer Atemtätigkeit für die nötige Luftfeuchtigkeit. Mittels Sensoren wird in jedem Raum die aktuelle Luftqualität gemessen. Auf iPod-ähnlichen Displays in der Wand sind Lufttemperatur, Feuchtigkeit und CO2-Gehalt ersichtlich. Auch die Tages-, Wochen-, Monats- und Jahresentwicklung der niemals 22 Grad unter- und 26 Grad überschreitenden Temperaturkurve kann man hier ablesen.

Sobald sich die Faktoren bestimmten Grenzwerten annähern, sorgt die eigens für dieses Haus entwickelte Software dafür, dass mit den hier vorhandenen Potenzialen gegengesteuert wird. Dann gehen je nach Tages- und Jahreszeit die schmalen Fensterflügel auf und zu, dann schaltet sich das Licht ein und aus, dann kann es schon einmal passieren, dass sich an einem verlängerten Wochenende, wenn niemand im Haus und der Winter draußen klirrend kalt ist, für ein paar Stunden der Computer der Sekretärin einschaltet, um etwas warme Ventilatorenluft in den Raum zu hauchen.

Stupid Building mit Hirn

„Das Wichtigste ist, dass man die Komfortzone von 22 bis 26 Grad Celsius niemals verlässt“, sagt der Architekt. „Das Haus ist träge, kann viel Energie binden und reagiert entsprechend langsam und zeitverzögert auf äußere Umwelteinflüsse. Mit einem dünnen Pappendeckelhaus wäre das alles hier niemals machbar.“ Doch so, Eberle dirigiert sich mit seinem glimmernden Tabakstaberl durch den Raum, sei es tatsächlich möglich, auf all das zu verzichten, was in unseren Breitengraden stets unverzichtbar schien.

„Wissen Sie, ich habe in meinem Leben schon so viele Passivhäuser gebaut, und meine Erkenntnis nach mehr als 30 Jahren in diesem Beruf ist: Das ist alles sinnlos. Denn einerseits verbraucht man zwar weniger Energie, andererseits aber buttert man so viel Geld in die anfällige und regelmäßig zu wartende Haustechnik-Hardware, dass man unterm Strich keinen einzigen Cent eingespart hat. Mein Credo lautet daher: Back to the roots! Ich will keine Smart Houses und keine Smart Cities. Ich will einfach nur Stupid Buildings, die funktionieren.“

Und billig ist diese der vermeintlichen Dummheit innewohnende Architekturrevolution obendrein: Das Bürohaus 2226 kostete in der Errichtung rund 1000 Euro pro Quadratmeter - weitaus weniger als jeder soziale Wohnbau von der Stange. Und was die laufenden Stromkosten betrifft, so gönnt sich Hausherr Dietmar Eberle einen letzten entspannenden Zug von seiner Zigarette: „Das Teuerste an diesem Haus sind mittlerweile die Honorarkosten derer, die die Betriebskosten verwalten.“

Mit dem Bürohaus 2226 treten baumschlager eberle den Beweis an, dass die bevorstehende Energiewende mit den Mitteln heutiger Architektur durchaus zu meistern ist. Möge das preisverdächtige Projekt Nachahmer finden.

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