Bauwerk
Verkehrsmanagement- und Verkehrsinformationszentrale VMIZ
Adolf Krischanitz - Wien (A) - 2003
Maßarbeit im Niemandsland
Die Stadtrandgebiete der Ballungsräume bestechen weltweit mit baulichem Chaos und spröder Unwirtlichkeit. Nun macht sich jedoch die Architektur daran, dieses vernachlässigte Territorium zu erobern. Die Lichtblicke an den Verkehrsadern und Peripherien mehren sich.
25. Oktober 2003 - Isabella Marboe
Autobahnknoten, Hinweistafeln, Lärmschutzwände: Das Niemandsland der Peripherien, wo täglich der Schwerverkehr vorbeibraust, Emissionen und Lärm Spitzenwerte erreichen, war lang auch Terra incognita für gute Architektur. Austauschbare Zweckbauten und gesichtslose Lagerhallen von der Stange mit grellen Firmenschildern dominieren die unwirtlichen Stadtrandzonen. Langsam aber dringt die Erkenntnis vom Mehrwert profunder Planung auch in Industrie und Gewerbe vor.
Die ersten Anzeichen, dass sich Architektur neues Terrain erobert, mehren sich. Mit dem MegaBauMax in Schwechat setzten Marta Schreieck und Dieter Henke 1998 einen einprägsamen, dynamischen architektonischen Markstein an die Peripherie. Einen maß- geschneiderten Spar-Markt mit gläsernem Eckturm und transluzenter Fassade planten RieplRiepl 2002 im Linzer Stadtteil Ebelsberg, brachten souverän die Zusatzparkplätze fürs Volkshaus auf dem Dach unter. Auch im Vorfeld der Bahnhöfe sorgt die Architektur von Peter und Gabriele Riepl für Lichtblicke. Elegant kleideten sie die Stellwerke in Linz und Wien in eine Haut aus beschichtetem Aluminium, ihre abgerundeten Kanten und flächenbündig in der Fassade sitzenden Glasscheiben reflektieren sowohl die Technologie als auch das Umfeld der Wagons, in dem sie sich befinden. Selten finden die enormen funktionellen Anforderungen von Elektronik und Haustechnik mit den einhergehenden Kabelkilometern, Schaltkreisen, Lüftungsrohren, Klimaanlagen usw. eine so präzise Gestalt.
Und seit kurzem zieht die neue Asfinag-Verkehrsmanagement-und Informationszentrale (VMIZ) in Inzersdorf die Blicke Tausender Autofahrer auf sich. „Die modernste Verkehrsmanagementzentrale Europas darf keine Schuhschachtel werden. Eine hochspezialisierte EDV-Technik erfordert hohes Know-how bei der Planung“, sagt Norbert Deweis von der Asfinag (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft). Europaweit ist Inzersdorf die erste Anlage, in der bis 2006 alle verkehrsrelevanten Daten aus dem ganzen Bundesgebiet zentral gesammelt und ausgewertet werden sollen. Das technologische Konzept stand fest, der räumliche Überbau dazu musste erst entworfen werden, einen Prototyp für die künftige Nutzung gab es nicht. 2001 wurde ein zweistufiger geladener Architektenwettbewerb ausgeschrieben, den Adolf Krischanitz gewonnen hat.
„Das gegebene Grundstück hinter der Autobahnmeisterei ist ein unmöglicher Ort, die Funktion war absolutes Neuland“, sagt Krischanitz. „Ich wollte kein rein technisches Bauwerk entwerfen, es musste metaphorischen Charakter haben.“ Umtost vom Schwerverkehr, eingeklemmt im grünen Keil zwischen A2 und Südosttangente, liegt der 9 m hohe Baukörper wie eine grüne Oase im Auge des Taifuns zwischen drei Autobahnknoten. Präzis sitzt er im Gelände, setzt in disziplinierter Ruhe einen Kontrapunkt gegen das bauliche Chaos rundherum. Zwischen mächtigen Straßentrassen, Emissionen und Lärm leistet das skulpturale Gebäude in stiller Poesie Widerstand gegen die Lieblosigkeit der Peripherie, indem es den Grünraum zelebriert. An der Fassade sind Gitter angebracht, die ersten Efeu-und Weinpflänzchen ranken sich tapfer zum schützenden Schleier hoch. Die Begrünung setzt sich am Flachdach und am Gelände fort. Mittig läuft der Südspitz des bepflanzten Zaunes auf die Sockelzone zu, zwei Reihen Birken im dichten Spalier säumen die Zufahrt, die in der Gebäudeflucht parallel zur Basis des Grundstücks verläuft.
Vorbei an einem Blutahorn fährt man geradlinig direkt ins Erdgeschoß der neuen VMIZ. Rechts und links Parkplätze, durch den Grünschleier schimmert Licht, in der Mitte der Eingang, dahinter die Serverzentrale. Sie ist vom Operatorraum darüber getrennt, um dessen Vollbetrieb nicht durch Wartungsdienste zu stören. Kaskadenartig führt eine imposante, seitlich von oben belichtete, einläufige Treppe Besucher hinauf ins „Observatorium.“ Gläsern scheint das auskragende Geschoß mit dem markanten Schriftzug über den beiden anderen zu schweben. Dynamisch nach Süden versetzt, ragt es zur A2, bietet einen Panoramablick auf den Verkehr, die Wienerberg-Sykline mit den Twin-Towers und die Silhouette von Alt-Erlaa. Im krönenden, repräsentativen Stock sind ein transparenter Konferenz- und ein Besprechungsraum, die trennende Glaswand ist bei Bedarf verschiebbar. Auch innen gewährt das „Observatorium“ Einblick: von der umgebenden Aussichtsgalerie sieht man ins Herz des Gebäudes, den 170 m großen Operatorraum.
Im Mittelgeschoß mit horizontalem Fensterband und Foamglasfassade sind die wesentlichen Funktionen gebündelt. Die dunkle Wandverkleidung ist zugleich außen liegende Wärmedämmung, sie soll später zugewachsen sein. Im Süden liegt der Operatorraum, in dem bis zu 18 Personen rund um die Uhr an PCs und einer 32 m großen Monitorwand die Straßen überwachen. Bis 2006 sollen bundesweit ca. 1400 Kameras, 800 digitale Querschnitte, Überkopfportale und sieben Verkehrsbeeinflussungsanlagen in den Zentren ausgebaut sein. Auf Basis aller Daten werden in Inzersdorf Szenarien errechnet, das Gesamtnetz mit Frühwarnungen vor Staus und anderen Präventivmaßnahmen beschickt. Fast 50 km Kabel sind verlegt. Die geschliffenen Schieferplatten im Operatorraum sind abnehmbar, im Doppelboden darunter pro Platz fünf Steckdosen und zehn PC-Anschlüsse. Das Fensterband, Oberlicht der Galerie und eine dimmbare Lichtfoliendecke geben das gleichmäßige Licht, das die Arbeit an Monitoren braucht. Sorgfältig ist die Regenerationszone vorm Operatorraum gestaltet. Ein kompaktes Möbel teilt den Raum, eine Seite birgt die Küchenzeile, an der Rückwand verbreitet ein elegant gefasstes Ledersofa mit Spiegel Kaffeehausatmosphäre, blaue Fauteuils und Tische formieren sich zur Lounge, Büros im Westen und Osten komplettieren das Raumangebot. Auch an den unmöglichsten Orten lässt es sich angenehm arbeiten.
Im Niemandsland der Floridsdorfer Peripherie schließlich planten die Architekten PPAG die Hülle für ein Glanzstück innovativer Hochtechnologie. Die silberne Fassade vermittelt Dynamik, im fensterlosen Baukörper steckt der mit 100 m Länge weltweit größte Klimawindkanal, in Auftrag gegeben von der RTR Rail Test & Research GesmbH. Schnee, Regen, Hagel, Windstärken von 10 bis 250 km/h, Temperaturen zwischen -50 und +60C°: Auf zwei Teststrecken (31 bzw. 100 m) lassen sich alle erdenklichen Witterungsextreme simulieren. Jede neue Zug- oder Busgarnitur muss diesen „Elchtest“ zur Standardisierung bestehen. Zu Planungsbeginn wusste niemand, welche Dimensionen Kühlgebäude, Gebläseturbinen, Trafostationen, Hunderte Kabelmeter beanspruchen würden. Im permanenten Austausch mit über 30 Experten organisierten und strukturierten PPAG das Gebäude. Der Windkanal bewegt sich in der Länge um 26 cm, Fugen und in Segmente unterteilte Rohre gleichen Schwankungen aus, massive PU-Schaum-Dämmung garantiert die richtige Temperatur. PPAG gaben der komplexen Logistik eine einheitliche, übergeordnete Hülle. Im Inneren findet Funktion ihren Raum: Sichtfenster lassen von der Messwarte aus das Testspektakel beobachten, in den Gängen kann man dank Schalldämmung ohne Ohrenschutz gehen.
Gute Architektur kümmert sich eben nicht nur um reibungslose Abläufe, sie denkt über die Bedürfnisse der Technik hinaus. Die Menschen, die an ihr arbeiten, spüren den Unterschied täglich.
Die ersten Anzeichen, dass sich Architektur neues Terrain erobert, mehren sich. Mit dem MegaBauMax in Schwechat setzten Marta Schreieck und Dieter Henke 1998 einen einprägsamen, dynamischen architektonischen Markstein an die Peripherie. Einen maß- geschneiderten Spar-Markt mit gläsernem Eckturm und transluzenter Fassade planten RieplRiepl 2002 im Linzer Stadtteil Ebelsberg, brachten souverän die Zusatzparkplätze fürs Volkshaus auf dem Dach unter. Auch im Vorfeld der Bahnhöfe sorgt die Architektur von Peter und Gabriele Riepl für Lichtblicke. Elegant kleideten sie die Stellwerke in Linz und Wien in eine Haut aus beschichtetem Aluminium, ihre abgerundeten Kanten und flächenbündig in der Fassade sitzenden Glasscheiben reflektieren sowohl die Technologie als auch das Umfeld der Wagons, in dem sie sich befinden. Selten finden die enormen funktionellen Anforderungen von Elektronik und Haustechnik mit den einhergehenden Kabelkilometern, Schaltkreisen, Lüftungsrohren, Klimaanlagen usw. eine so präzise Gestalt.
Und seit kurzem zieht die neue Asfinag-Verkehrsmanagement-und Informationszentrale (VMIZ) in Inzersdorf die Blicke Tausender Autofahrer auf sich. „Die modernste Verkehrsmanagementzentrale Europas darf keine Schuhschachtel werden. Eine hochspezialisierte EDV-Technik erfordert hohes Know-how bei der Planung“, sagt Norbert Deweis von der Asfinag (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft). Europaweit ist Inzersdorf die erste Anlage, in der bis 2006 alle verkehrsrelevanten Daten aus dem ganzen Bundesgebiet zentral gesammelt und ausgewertet werden sollen. Das technologische Konzept stand fest, der räumliche Überbau dazu musste erst entworfen werden, einen Prototyp für die künftige Nutzung gab es nicht. 2001 wurde ein zweistufiger geladener Architektenwettbewerb ausgeschrieben, den Adolf Krischanitz gewonnen hat.
„Das gegebene Grundstück hinter der Autobahnmeisterei ist ein unmöglicher Ort, die Funktion war absolutes Neuland“, sagt Krischanitz. „Ich wollte kein rein technisches Bauwerk entwerfen, es musste metaphorischen Charakter haben.“ Umtost vom Schwerverkehr, eingeklemmt im grünen Keil zwischen A2 und Südosttangente, liegt der 9 m hohe Baukörper wie eine grüne Oase im Auge des Taifuns zwischen drei Autobahnknoten. Präzis sitzt er im Gelände, setzt in disziplinierter Ruhe einen Kontrapunkt gegen das bauliche Chaos rundherum. Zwischen mächtigen Straßentrassen, Emissionen und Lärm leistet das skulpturale Gebäude in stiller Poesie Widerstand gegen die Lieblosigkeit der Peripherie, indem es den Grünraum zelebriert. An der Fassade sind Gitter angebracht, die ersten Efeu-und Weinpflänzchen ranken sich tapfer zum schützenden Schleier hoch. Die Begrünung setzt sich am Flachdach und am Gelände fort. Mittig läuft der Südspitz des bepflanzten Zaunes auf die Sockelzone zu, zwei Reihen Birken im dichten Spalier säumen die Zufahrt, die in der Gebäudeflucht parallel zur Basis des Grundstücks verläuft.
Vorbei an einem Blutahorn fährt man geradlinig direkt ins Erdgeschoß der neuen VMIZ. Rechts und links Parkplätze, durch den Grünschleier schimmert Licht, in der Mitte der Eingang, dahinter die Serverzentrale. Sie ist vom Operatorraum darüber getrennt, um dessen Vollbetrieb nicht durch Wartungsdienste zu stören. Kaskadenartig führt eine imposante, seitlich von oben belichtete, einläufige Treppe Besucher hinauf ins „Observatorium.“ Gläsern scheint das auskragende Geschoß mit dem markanten Schriftzug über den beiden anderen zu schweben. Dynamisch nach Süden versetzt, ragt es zur A2, bietet einen Panoramablick auf den Verkehr, die Wienerberg-Sykline mit den Twin-Towers und die Silhouette von Alt-Erlaa. Im krönenden, repräsentativen Stock sind ein transparenter Konferenz- und ein Besprechungsraum, die trennende Glaswand ist bei Bedarf verschiebbar. Auch innen gewährt das „Observatorium“ Einblick: von der umgebenden Aussichtsgalerie sieht man ins Herz des Gebäudes, den 170 m großen Operatorraum.
Im Mittelgeschoß mit horizontalem Fensterband und Foamglasfassade sind die wesentlichen Funktionen gebündelt. Die dunkle Wandverkleidung ist zugleich außen liegende Wärmedämmung, sie soll später zugewachsen sein. Im Süden liegt der Operatorraum, in dem bis zu 18 Personen rund um die Uhr an PCs und einer 32 m großen Monitorwand die Straßen überwachen. Bis 2006 sollen bundesweit ca. 1400 Kameras, 800 digitale Querschnitte, Überkopfportale und sieben Verkehrsbeeinflussungsanlagen in den Zentren ausgebaut sein. Auf Basis aller Daten werden in Inzersdorf Szenarien errechnet, das Gesamtnetz mit Frühwarnungen vor Staus und anderen Präventivmaßnahmen beschickt. Fast 50 km Kabel sind verlegt. Die geschliffenen Schieferplatten im Operatorraum sind abnehmbar, im Doppelboden darunter pro Platz fünf Steckdosen und zehn PC-Anschlüsse. Das Fensterband, Oberlicht der Galerie und eine dimmbare Lichtfoliendecke geben das gleichmäßige Licht, das die Arbeit an Monitoren braucht. Sorgfältig ist die Regenerationszone vorm Operatorraum gestaltet. Ein kompaktes Möbel teilt den Raum, eine Seite birgt die Küchenzeile, an der Rückwand verbreitet ein elegant gefasstes Ledersofa mit Spiegel Kaffeehausatmosphäre, blaue Fauteuils und Tische formieren sich zur Lounge, Büros im Westen und Osten komplettieren das Raumangebot. Auch an den unmöglichsten Orten lässt es sich angenehm arbeiten.
Im Niemandsland der Floridsdorfer Peripherie schließlich planten die Architekten PPAG die Hülle für ein Glanzstück innovativer Hochtechnologie. Die silberne Fassade vermittelt Dynamik, im fensterlosen Baukörper steckt der mit 100 m Länge weltweit größte Klimawindkanal, in Auftrag gegeben von der RTR Rail Test & Research GesmbH. Schnee, Regen, Hagel, Windstärken von 10 bis 250 km/h, Temperaturen zwischen -50 und +60C°: Auf zwei Teststrecken (31 bzw. 100 m) lassen sich alle erdenklichen Witterungsextreme simulieren. Jede neue Zug- oder Busgarnitur muss diesen „Elchtest“ zur Standardisierung bestehen. Zu Planungsbeginn wusste niemand, welche Dimensionen Kühlgebäude, Gebläseturbinen, Trafostationen, Hunderte Kabelmeter beanspruchen würden. Im permanenten Austausch mit über 30 Experten organisierten und strukturierten PPAG das Gebäude. Der Windkanal bewegt sich in der Länge um 26 cm, Fugen und in Segmente unterteilte Rohre gleichen Schwankungen aus, massive PU-Schaum-Dämmung garantiert die richtige Temperatur. PPAG gaben der komplexen Logistik eine einheitliche, übergeordnete Hülle. Im Inneren findet Funktion ihren Raum: Sichtfenster lassen von der Messwarte aus das Testspektakel beobachten, in den Gängen kann man dank Schalldämmung ohne Ohrenschutz gehen.
Gute Architektur kümmert sich eben nicht nur um reibungslose Abläufe, sie denkt über die Bedürfnisse der Technik hinaus. Die Menschen, die an ihr arbeiten, spüren den Unterschied täglich.
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